Ich denke, also bin ich

Das Gewaltmonopol, ich habe es kennengelernt und möchte erzählen davon. Unser Rechtsstaat hält sich für tolerant, großartig. Die Ampel baerbockt, scholzt und steinmeiert, dass es weh tut. Manche wählen noch, sie glauben. Was geht Menschen durch den Kopf, was heißt zu denken, das kann doch nur persönlich sein? Wem das Wiederkauen von Phrasen anderer nicht gefällt, der wird sich auf den Weg machen, selbst nachzudenken. Wir sind mit Problemen der Gegenwart konfrontiert, trotzdem ist es unabdingbar, sich zu überlegen, woher man kam. „Wer seine Vergangenheit nicht kennt, hat eine relativ dürre Zukunft“, wusste Otto Ruths mir mit auf den Weg zu geben. Das war mein Professor an der Armgartstraße und ein Freund. Ein Halt gebender Mensch, er bedeutete Orientierung, das kann ich sagen. Noch heute prüfe ich meine Kompositionen nach seinen Ideen, die er uns Studenten mit auf den Weg gab und auch sonst im Alltag sind Erinnerungen an Otto noch präsent, mischen sich ins eigene Denken bei mir.

# Ostern

Wir schreiben das Jahr 2024 nach der bekannten Zeitrechnung. Ich notiere Neues und füge Fragmente früherer Texte zusammen. Es ist zufällig Ostern und deswegen Zeit dafür. Das öffentliche Leben pausiert ein wenig an Feiertagen. Ich mag Pausen. Nicht wenige freuen sich über solche freien Tage, ohne das Religiöse wichtig zu nehmen. Wer bei uns nicht an Christus glaubt, dem wird dies zugestanden. Die Kirchen rücken zunehmend aus dem Blickfeld als Randerscheinung. Gläubige sind Gestrige. Es ist halt lang her mit Jesus. Da interessiert man sich weniger dafür.

Wer kein Christ sein möchte, wird nicht als Jesusleugner angefeindet oder gar bestraft. Anders die radikalen Islamisten, sie fordern von allen zu glauben wie sie selbst. Wir werden als „Ungläubige“ beschimpft (und sogar terrorisiert bei Anschlägen).

Wer sagt, er glaube nicht, dass es zur Nazizeit bei uns in Deutschland Vernichtungslager gab, Orte für einen gezielten, staatlichen und gesellschaftlich gewünschten Massenmord, wer den Genozid an den Juden relativiert, den bezeichnet man als Holocaustleugner. Das zu sein, wird bestraft. Man muss glauben, weil diese Wahrheit belegt ist. Das wird nicht als Glaubensfrage zugelassen. Es gilt als Wissen sowieso. Man kann und darf von Staats wegen bei uns nicht sagen: „Ich habe selbst damals nicht gelebt und glaube es eben nicht.“

Bei Jesus geht es. Das ist dem Staat egal. Die Römer haben Christus angenagelt, aber dieser Staat ist Geschichte. Die Kreuzigung, vielleicht stimmt nicht einmal das? Die Jesusgeschichte ist eine vom Hörensagen und gegebenenfalls ein Fake der neugegründeten Christen, ein damaliger Verein, der allmählich an Bedeutung gewonnen hat und heute mehr aus dem Blickfeld geraten ist. Die Bibel ist auch kein Beleg, das ist nur altes Geschreibsel, sagen viele.

Die Pandemie, Wissenschaftler belegten das Vorhandensein des Coronavirus, vielfältige Nachrichten zeigten die tödliche Bedrohung, also wurden die, die eine allgemeine Gefahr bestritten haben im Wortsinn zu sogenannten Coronaleugnern. Damit das möglich ist, benötigt der Mensch glaubwürdige Dokumente, die gesellschaftliche Überzeugungskraft entwickeln.

Dazu passt gerade, von meinem persönlichen Erleben als kreativer Maler zu erzählen.

Im Zusammenhang mit meinen Recherchen, wie es am Altonaer Fischmarkt ausgesehen hat, als ich Kind war und meinen Vater gelegentlich beim Einkauf begleitete, stieß ich auf eine geschichtliche Information, die mir nicht bekannt war. Ich plane, ein großes Bild zu malen. Darauf soll zu sehen sein, wie mein Vater und ich (als kleiner Junge) mit dem Fischauto die Große Elbstraße am Markt entlang fahren. Ich sichte noch immer zahlreiche Abbildungen, nutze digitale Möglichkeiten. Ich war auch morgens vor Ort und fotografierte; einige Häuser sind geblieben, wie sie waren. Nebenbei erfuhr ich, der Rathausmarkt (in Hamburg) habe „Adolf-Hitler-Platz“ geheißen zur Zeit des Nationalsozialismus. Ich sah im Netz eine Fotografie, die für mein eigentliches Bild ja bedeutungslos ist, mit einem entsprechenden Straßenschild.

Da kam mir das Undenkbare in den Sinn.

Wäre dieser Name und das damalige Schild am Platz verblieben, wir hätten einen anfassbaren Beweis des Vorhandenseins der damaligen Überzeugung.

Das Gegenteil wird ja gefordert. Menschen tun sich hervor, die alle bösen Namen aus unserer Öffentlichkeit entfernen möchten. Die stellen sich lieber selbst auf einen Sockel und möchten andere runterstoßen? Das Ganze mit den Namensänderungen ist eitel und eigentlich Quatsch. Das wird mutmaßlich betrieben, weil es nur solchen Großsprechern selbst nützt, sich wichtig zu nehmen? Nach wie vor möchten Einzelne eine mehr oder weniger große Gruppe anführen, Leute zu etwas bewegen, Massen bestimmen und nutzen angeblich hehre Motive, das zu tun. Mancher profiliert sich in einem Verein, hilft öffentlich. Als Bürgermeisterin greift man lenkend in die Geschehnisse ein. Man ist Polizist oder hält sich dafür, wird Arzt; viele Berufe nutzen das Material Mensch als formbare Masse.

In jeder Region kennt man solche. Im Nachbardorf beispielsweise gibt es einen Wichtigmann*. Leibhaftig bin ich diesem rührigen Helfer nie begegnet. Trotzdem unübersehbar ist dieser Saubermann. Er stellt uns alle in den Schatten seiner unablässigen Tatkraft, löscht den Brand, flickt kaputte Seelen und vieles mehr. Man muss den mögen, das erzwingt sich durch sein Lebenswerk. Es gibt kein gesellschaftlich relevantes Sozialproblem, das dieser Ehrenmensch nicht anpackt. Er übernimmt seine Rolle, füllt sie aus, bildet, mit meinen Worten hingemalt, das extreme Beispiel ab. Allzeit bereit, einen breiten Fleck abzudrücken für das Gute im Menschen, macht der den Punkt. Unübersehbar und unverpixelt ist er immer dabei und muss (auch hier) erwähnt werden, ein typischer Ehrenpreisträger. Er macht neidisch. Wenn es solche Menschen gibt, kann man gleich aufgeben, das Gutsein zu üben. Man wird nie dahin kommen, es ihm gleich zu tun. Der ist in sämtlichen regionalen Nachrichten omnipräsent.

Was mir als Porträtist auffällt, ist dieser gewollt positive Blick. Beinahe verkrampft steht ein nie gekanntes Leid hinter seinem Motto „anpacken“ und deklassiert das leibhaftige Denkmal ein wenig. So verspachtelt sich die dazugehörige Visage selbst zur eingefrorenen Maske. Das darf man übersehen, und möglicherweise interpretiere ich falsch. Vor nicht langer Zeit waren es Schlaglöcher in der dörflichen Hauptstraße, die den Guten bis ins Regionalfernsehen katapultierten und sein Auto in die Werkstatt. Der war mit voller Fahrt – und böse Zungen werden denken, absichtlich – in einen der seit Jahren nicht versorgten Krater gebrettert und konnte nun medienwirksam um finanzielle Unterstützung werben beim Land in Kiel. Was der Bürgermeister nicht hinbekommt? „Ich kann es schaffen, Leute!“, sprach aus diesem Blick und wohl nicht zum ersten Mal. Das ist lobenswert, keine Frage. Ich sollte nicht spotten, aber dieser Fernsehbeitrag zeigte mir den Weltenretter in ganzer Leibesfülle. Die ist enorm. Das wusste ich bislang nicht. Der Bekannte wird sonst nur obenrum gezeigt, und soweit sieht das Gesicht kantig aus. Auf einem Stuhl präsentiert, macht der offenbar mega übergewichtige Allesanpacker eine abschreckende Figur. Der Mann weiß nicht (für sich selbst und sein Wohlbefinden abzuschätzen), wann es genug ist zu essen, aber sonst alles besser? Bezeichnend für derartige, übermäßige Helfer unserer Gesellschaft ist ja ihr entsprechend benanntes Syndrom bekannt, eine psychische Auffälligkeit. Das trifft hier möglicherweise zu und übermäßig zu essen, scheint der Beliebte ebenfalls. Man muss doch auch mal an sich denken, ans ganz normale Wohlfühlen, finde ich (aber das darf man ja gar nicht schreiben, ohne den Namen zu ändern, mindestens seinen eigenen, damit derartige Worte anonym bleiben).

So macht man es heute.

Neulich kam ein junger Mann im Fernsehen, und der zeigt aus freien Stücken jeden in seiner Stadt an, der falsch parkt. Er geht noch zur Schule, hat sich aber schon mal eine gelbe Warnweste und ein gutes Fahrrad gekauft. Damit nutzt er jede freie Minute, Falschparker zu finden, ein Foto zu machen und bringt das Ganze zur Anzeige.

Bundesweit bekannt ist auch Frau Alice Schw. (Name gekürzt, zum Schutz meiner Person. Die Frau kachelt durch alle Medien). Ihr Lebenswerk ist lebenslange Einmischung ins Tun anderer offenbar, penetrant. Sie muss zwanghaft gesehen werden, meint sie, davon bin ich überzeugt und halte diese Alte für nicht gesund. Ich bin kritisch gegenüber derartig übertriebenen Engagement, das sage ich ganz ehrlich. Ich muss dem nachgehen von der verkehrten Seite aus. Mir wurde oft geholfen, und ich sollte dankbar sein, na klar.

Man überlegt aber doch.

Heißt, was getan wird (im jeweiligen Fall natürlich) manipulieren oder tatsächlich: helfen? Das bedeutet eine moderne Frage nach dem Sinn unserer gesellschaftlichen Verpflichtungen zu stellen. Eine Diskussion, die Dynamik entwickelt, weil das verborgene Steuern scheinbarer Wahrheiten unser aktuellstes Thema ist.

Rettungsdienste werden behindert, angefeindet, beleidigt und angegriffen.

Mich wundert das nicht.

# Moderne Masse

Ich habe mich bereits an anderer Stelle wortreich positioniert, unsere moderne Psychiatrie sei nicht am Patienten, dem Menschen, um den es gehen sollte, ausgerichtet. Die Ärzte leisten einen Dienst an der Gesellschaft im Ganzen. Sie sind der verlängerte Arm der Pharma, kümmern sich mehr um die Ängste des Systems insgesamt vor den gefährlichen Verrückten, als dass sie diesen vollständige Gesundheit lehrten. Das scheint für manche Fälle zu hoch angesetzt. Wer bereits zu beschädigt ist, könne nicht repariert werden, sondern wird bloß zum unschädlichen Mitläufer zugedröhnt, gefußfesselt, vollgespritzt, betreut. Das ist der moderne Ansatz. Traurig, wenn diese in Teilen sicher richtige Wahrheit uns selbst trifft und wir ein Mensch sind, der noch an sich glaubt, es einmal schaffen zu können, ganz gesund und normal am Glück der anderen teilzuhaben. Gelingt es doch, und mich selbst betrachte ich als jemanden, der schließlich lernte, sich freizukämpfen mit Anwaltes Hilfe etwa und Kapital – das Haben von Geld ist bei uns die leider beste Medizin –, schaut man zurück auf tote, verbrannte Erde.

Schönefeld* (in meinem Fall ist das ein Schlachtfeld), wie man’s auch nennt, Narbengewebe.

So viel ist für immer kaputt gegangen.

Davon möchte ich in immer wieder neuen Bildern erzählen. Wie fing die Geschichte, meine also, an? Wir schreiben die Zeit nach dem Krieg. Auch hier, alles kaputt. Ganz Deutschland ist von den Befreiern besetzt. Ein kleines Dorf bei Hamburg entwickelt neues Leben, Wedel bei Hamburg.

Jetzt können einige Jahre übersprungen werden in einer allgemeinen Vergangenheit von uns allen, das Wirtschaftswunder ist bekannt.

Ein persönlicher Text, autobiografisch mit, wenn das nötig erscheint, hoch gesetzten Sternchen* (oder einfach dem Vorname) sollte auch heutzutage möglich sein? Ich lebe dafür. Auf Google finden sich wenige Bildchen, Textbeiträge meiner Website. Auf den unpopulären Seiten anderer Suchmaschinen gibt es ein Vielfaches, was der Algorithmus zu „John Bassiner“ findet.

Google zensiert mich.

Anfangs war es überall gleich gewesen, was da so kommt beim Egosurfen, wenn ich mich also selbst suche im Netz. Zufall oder einfach andere Prioritäten? Könnte natürlich auch sein.

Ich bin nicht wichtig, vielleicht ist es besser so.

Besser für wen, frage ich mich? Die Bildzeitung schrieb kürzlich, eine Schülerin wäre beiseite genommen worden von Rektorin, Klassenlehrer, Polizei. Man habe sie nach dem Gedanke einer Gefährderansprache belehrt, nicht zu texten, posten, was gefährlich sei, falsch, zu rechts. Das ihr zu sagen, geschehe bloß zu ihrem eigenen Schutz. Daran denke ich täglich, wenn ich meine Website selbst anschaue, dass meine Worte einigermaßen versteckt öffentlich werden. Ich bin weder rechts noch links, nenne die Dinge beim Namen, und das schickt sich nicht? Zwischen allen Stühlen, da gehört sie hin, die Kunst! Wir müssen ganz persönlich sein, dürfen nicht mitlaufen, dekorieren, eine Partei schmücken. Zum Einzelgänger werden wir gezwungen sein zu werden, wenn wir ins Innerste vordringen und aufgeben zu fühlen, wie man allgemein (gerade) fühlt. Während sogar die Kirche den heiligen Geist opfert, sich reformiert, bis der bloße Zeitgeist auf der Kanzel verkündet wird, muss unsereiner als Künstler reden, wo’s niemand hört.

Andernfalls grenzt uns der Mob aus, bis wir aufbegehren, uns wehren. Das gibt ihnen erst recht Anlass zum Lautsprechen: „Kein Platz ist hier für dich!“ So drückt man uns die Luft ab zum Leben, schon über die Kai, und wir versaufen im Winterwasser.

# Die Wahrheit hat viele Feinde

Meine Eltern beendeten eine Art Ausbildung, arbeiteten bereits, segelten in der Freizeit und lernten einander kennen, da wurde ich geboren, und damit fängt sie an, meine Geschichte. Es ist die einzige, die ich tatsächlich kenne. Von den Leben der anderen hat man ja nur gehört. Bloß das eigene Sein prägt sich ein in Fleisch und Blut. Was soll das sein, eine Seele, der Geist? Nichts von dem, was ich tue, fühle oder denke, geht ohne Bezug zu mir als ganzem Menschen. Was sollte nachbleiben, wenn mein Leib nicht mehr ist, von mir? Da kann kein Himmel sein, keine Ewigkeit, glaube ich – und bete nie. Man solle sich kein Bildnis machen vom Herrn, rät uns die Bibel, ein guter Rat, finde ich. Lassen wir doch auf uns zukommen, was wir ohnehin nicht verstehen. Das ist allemal ein besseres Glaubensverständnis, eine tolerantere Sicht, die Religion nicht in eine Tradition zwingen möchte, wie sie doch je nach Landstrich eine andere ist.

Gott straft nicht, der Mensch tut es. Fürchte Gott heißt es, und andererseits wird von seiner Liebe geredet. Ich kann seinen Namen lästern, kein Blitz fährt vom Himmel, mich zu treffen. Tat ich Verbotenes als Kind, bekam ich eine Ohrfeige von meiner Mutter. Das stand in direktem Zusammenhang mit einer Aktivität meinerseits. Auf die Macht meiner Mutter, mich nach Belieben zu verhauen, war Verlass wie auf die Unzuverlässigkeit ihrer Zuneigung. Auf Gott kann man sich gar nicht verlassen. Wer nach dem Zusammenhang seiner Liebe und gegebenenfalls Bestrafung relativ zum eigenen Leben sucht, wird krank. Darauf wiederum ist Verlass. Das weiß ich aus Erfahrung. Man sollte Gott in Schutz nehmen vor solchen Anwürfen, er handele nicht korrekt und meine Mutter, sie muss ich in Schutz nehmen, denn man soll seine Eltern achten und ehren unbedingt. Gott ist sicher ganz anders, als die Leute von der Kirche meinen. Insofern kann er nichts dafür, wenn einige dran verzweifeln an ihm und beten und trotzdem sich wie verarscht vorkommen? Wir haben den Herrn eben noch nicht so richtig verstanden, das wird es sein. Ich suche nicht mehr. Ich bin ganz zufrieden.

# Damals an der Elbe

Meine Mutter mag ein wenig überrumpelt in die Beziehung mit meinem Vater geraten sein? Ich war unterwegs, als meine Eltern heirateten. „Es gab die Pille noch nicht. Die Kinder kamen einfach“, so beschrieb sie es und: „Erich hatte wenigstens Humor.“ Nicht gerade eine Liebeserklärung, aber das ging gegen Heinzi. Der war (versuchsweise) ihr erster Freund gewesen. Ich probierte später, als ich erwachsen war, nachzuforschen. Mein Vater meinte: „Du warst nicht der Grund. Es war sowieso klar, dass wir zusammenbleiben.“ Greta war neun Jahre jünger, und Erich beschrieb das Kennenlernen als eine längere Zeitspanne in der Segelszene. Meine Mutter und ihre Schwester segelten mit ihrem Vater, der es ihnen beibrachte. Er war Seemann gewesen und konnte segeln. Mein Großvater kaufte erst einen Piraten für die Kinder, dann eine größere, komfortablere Jolle. So genau weiß ich es nicht mehr. Später unternahmen die Mädchen (auch mit Berend, der kleine Bruder, mein Onkel) erste Segeltouren zusammen mit der „Schneidergang“, das waren im Vergleich zu meinem Vater die ein wenig Jüngeren. Sie bildeten mit Heiner eine Clique. Heinzi gehörte dazu.

Die jungen Frauen, Greta und Helga, das „wäre mal was für später, zum Heiraten“, fanden mein Vater und seine Altersgenossen.

So wurde mir das jedenfalls erzählt.

Erich, mein Vater, war mit Elke zusammen, und als das auseinanderging, kriselte auch die Freundschaft mit Reinhard. Das möchte ich erzählen. Vorher sind noch ein paar andere Sachen erwähnenswert. Meine Mutter trat in das Leben meines Vaters und wurde Teil seiner Aktivitäten mit den Freunden an der Elbe und auch im Alltag. Die lebenslange Zweisamkeit folgte auf eine vorher längere Beziehung, eine offenbar lustige Zeit mit lautstarken Auseinandersetzungen, segeln, feiern.

Ich weiß heute nur, besagte Elke wäre nach Amerika ausgewandert.

Eine Anekdote – die einzige dazu – fällt mir ein. Ich schweife ab. Wie mein Vater liebe ich den Jazz. Louis Armstrong starb im Sommer 1971, also kurz bevor ich im August sieben Jahre alt wurde. Ich kann mich an den Tag erinnern, es stand ja in der Zeitung, weiß, wie ich in Wedel in Richtung Plattenladen unterwegs gewesen bin. Das Geschäft befand sich etwa dort, wo heute Woolworth ist und der kleine Fotoladen, der früher der von Tietz war. Da, wo die Stadtbäckerei gewesen ist, war ein Schallplattengeschäft. Ich kaufte wohl am Tag, als Louis Armstrong gestorben war (und ich es erfuhr), meine erste Schallplatte. Das ist eine Chris Barber LP, „Going to Town“, und Halcox spielt „Blue Turning Grey over You“ live. „Ice Cream“ ist auch dabei. Die Platte besitze ich noch immer, und manchmal lasse ich die laufen.

Mein Vater war nicht hingegangen, als Louis (vor meiner Geburt) in Hamburg spielte, das verstand ich nie. Der wäre ihm zu modern gewesen, fand er, und sie wären stattdessen einmal bei Kid Ory und der Creole Jazzband gewesen.

„Stell dir vor“, meinte Erich, „da war doch tatsächlich einer von uns Seglern, der alles in Frage stellte.“ Das seien gar keine „richtigen Neger“, spekulierte ein Konzertbesucher aus der Gruppe – unglaublich! Er wäre gerade einigen Musikern, den „angeblichen“ Mitgliedern der Jazzband aus Amerika begegnet. Ganz dicht und jedenfalls nahebei genug, um sie intensiv zu inspizieren, prüfen, war er Kid Ory über den Weg gelaufen, neben der Bühne auf dem Gang; eine Enttäuschung offenbar.

„Das sind Geschminkte. Ich habe ihre Hände gesehen, außen sind die braun, aber die Handinnenflächen, die waren weiß, ganz helle Haut wie bei uns. Das ist hier ein Betrug.“

Louis nun, der Weltstar, das anderes Konzert, eines, das mein Vater boykottierte, weil ihm der Stil nicht passte – das muss man sich mal vorstellen (!) –, wollte erst gar nicht auftreten in Hamburg. Er bezeichnete die Ernst-Merck-Halle als Viehhalle. Der Veranstaltungsort hatte einen schlechten Ruf. Die Akustik war mies. Soweit ich mich erinnere, wurde erzählt, habe er schließlich doch gespielt. Es gab noch einen Abstecher nach Schwarzenbek für eine Reparatur vom Schlagzeug. Bei den sympathischen Instrumentenbauern lernte Armstrong das Lied vom „treuen Husar“ kennen. Es gibt eine mitreißende Live-Aufnahme aus dieser Zeit. Louis singt anschließend seines humorigen Textfragments: „In Swatzenbeck, in Swatzenbeck!“, und manche werden es verstanden haben. Jetzt die Anekdote. Mein Vater erzählte, seine damalige Freundin, und das müsste die erwähnte Elke gewesen sein, wäre nach Hause gekommen:

„Stell dir vor, wer heute bei uns im Geschäft gewesen ist und ein Oberhemd gekauft hat, Louis Armstrong!“

Auf Elke folgte Greta, meine Mutter, und dann kam ich.

# Kenterung

Meine Eltern nannte ich beim Vornamen. Ich sagte nicht: „Vati“ oder „Papa, Mutti“, wie es anderswo üblich ist und sich gehört. Das sollte ich erklären? Ich schreibe ganz automatisch, wie ich’s erinnere.

Meine Mutter erzählte die Geschichte vom ersten Eindruck, den sie von meinem Vater hatte, als wenig schmeichelhaft. Am Wochenende sind immer viele auf der Elbe. Man kennt einander. Sie wären mit mehreren unterwegs, segeln gewesen, erzählte Greta. Wenig Wind, aber Harald, mit dessen Jolle sie schipperten, ihr Steuermann also, hätte plötzlich gemeint, da scheine ihm nicht weit entfernt eine Jolle gekentert zu sein.

Eine unerwartete Bö?

Erich meinte dazu, seine Version, es wäre ölige Flaute gewesen, ja, und etwas am Stander unklar. Mein Vater befahl seinen Mitsegler in den Topp, es in Ordnung zu bringen. Der habe nicht hinbekommen, den Mast nach oben zu klettern. Daraufhin wäre mein Vater eben selbst nach vorn gegangen, nicht ohne seinen Vorschoter zu beschimpfen, so etwas könne man als Mann. Erich kletterte also die wenigen Meter nach oben, schlang seine Beine um das hölzerne Rund, griff mit den Händen in passende Fallen und zog sich hoch. Vielleicht hatte er dabei noch einen frischen Verklicker, den Vereinsstander zwischen den Zähnen? Oben angekommen, etwa fünf Meter über dem Wasser, begann er mit seiner Arbeit. Die Gaffel ragt noch drüber, aber bei unseren Jollen sitzt die kleine Windfahne auf dem Masttopp, und die Gaffel hinauf kann man ja auch gar nicht klettern. Ich glaube, es ging um den Einfall, den Regattastander gegen den Vereinswimpel zu tauschen, nach dem Motto wir segelten gerade Tour, es wäre kein Wind, und da ließe sich das unterwegs machen? Während mein Vater mit den Widrigkeiten kämpfte, die dabei so sind, dass man etwa einerseits genügend Kraft aufbringen muss, die Beine fest ums Holz zu schlingen, einen Arm nutzen kann, sich oben zu halten und nun mit der anderen Hand fikulinsche Probleme löst, kam Dampferschwell.

Im Brass, seinem Mitsegler zu zeigen, wie kraftvoll und geschickt er wäre, hatte mein Vater übersehen, volles Schwert zu geben, bevor er aufenterte.

Muss ich erklären, was nun geschah?

Meine Mutter beschrieb die durchgekenterte H-Jolle und einen Wütenden, der mit seinem nassen Pulloverärmel auf den Kupferboden einschlug.

„Scheiße, scheiße, scheiße!“

Das sei „Bassi“, habe Harald gemeint, und dann probierten sie zu helfen.

# Ignaz

Ein Sprung in die Gegenwart: Nach dem Tod meines Vaters, kurz darauf, meine ich, war das gewesen, bekamen wir unerwarteten Besuch. Der eingangs erwähnte Segler Reinhard hat vor einigen Jahren hier bei uns in der Küche gesessen in Schenefeld. Es war anstrengend. Er redete von früher, musste irgendwie, kam nicht zum Punkt und Grund weswegen das Ganze, war spontan und ungefragt vorbeigekommen, sein Herz auszuschütten oder was weiß ich? „Wer hat denn da so dämlich auf der Hauptstraße geparkt?“, fragte meine Frau, als sie vom Einkaufen zurückkam, weil sie ja nicht wusste, dass „Ignaz“ bei uns am Esstisch saß und räsonierte. So wurde Reinhard von meinem Vater genannt.

Mir kam es wie ein Schimpfwort vor.

Erich erklärte bloß:

„Weil er so ignazzig ist.“

Bei ihm „sei Demenz festgestellt worden, Alzheimer“, erklärte der einmal beste Freund von meinem Vater nebenbei. Aber „er mache Groneschule“ und könne das argumentativ kaschieren. Er ging uns auf die Nerven. Die beiden Alten, Erich, mein Vater und Reinhard, hatten die gesamte Zeit meines Lebens kaum noch ein Wort miteinander geredet. Reinhard, dem als Ignaz verunglimpften, hatte alles leid getan, was auch immer schuld gewesen ist, dass die Freunde so verkracht waren. Bei uns an dem Tag in Schenefeld, wo wir ihn nicht loswurden, meinte umgekehrt er, seine Deutung:

„Greta hat alles kaputt gemacht.“

Meine Mutter sei schuld gewesen, probierte Reinhard die Sache zu erklären. Ich kannte es so: Die Clique war wegen des Bootswagens, mit dem sie gemeinsam die Jollen slippten, zerbrochen, weil Reinhard als Handwerker als erster ein eigenes Auto hatte, einen kleinen Lastwagen mit Anhängerkupplung. Dazu bot er an, diesen zu nutzen für den Bootstransport. Das Auf- und Abslippen hatten bislang alle zusammen mit ihrem einzigen Hänger gemacht, und zwar wurde der durch die Straßen von Hand geschoben. Der Hänger war möglicherweise unser und stand im Schuppen in der Bahnhofstraße auf unserem Grundstück? Das erinnere ich nicht wirklich. Wir hatten kein Auto anfangs. Man benötigte also mehrere Leute am selben Tag für eine gemeinsame Aktion. Das war ein Riesenspaß bis dahin. Als ganz kleines Kind durfte ich in der frisch lackierten, im schönsten Mahagoni glänzenden Jolle mitrollern, während die Nabers und andere das Boot den Schloßkamp hinab schoben. Das erinnere ich wirklich!

Mein Vater behauptete, beim gemeinsamen Rodeln im Winter hätten er, Greta und ich – der kleine John – mit einem Mal ganz alleine im Schnee gestanden, und die anderen wären alle mit Ignaz davongegangen, nach Hause, als das Rodeln vorbei gewesen wäre, nachdem sie beschlossen hätten, Ignaz’ Hänger im Frühjahr zu verwenden. Was der Bootswagen mit dem Rodeln zu tun hatte, erklärte mein Vater nicht. Gut möglich, dass mir und meiner Schwester einiges vorenthalten blieb für immer?

Von der Bootswagensache wollte Reinhard nichts wissen, als ich ihn drauf ansprach, beharrte aber auf (der Tatsache), dass meine Mutter Erich mehr und mehr vereinnahmt hatte. Mein vorher geselliger Vater wäre durch seine neue Liebe nicht mehr der Alte gewesen. Greta habe jede Feier zerstört, weil sie früh am Abend erklärte, sie müssten gehen, nach Haus, es sei schon spät, und Erich wäre folgsam mitgegangen. Das stimmte, was Reinhard meinte, und es mag wohl sein, dass etwas Wahres dran ist, meine Mutter habe einen funktionierenden Kosmos der bestehenden Freundschaften empfindlich gestört.

Die alten Zeiten sind vorbei. Meine Eltern sind gestorben. Reinhard ist ebenfalls tot. Der sei mit seinem kleinen Laster irgendwo bei Appen von der Straße abgekommen, heißt es. Da hat dann wohl die Groneschule versagt, denke ich.

Was mag so faszinierend an Greta gewesen sein? „Deine Mutter, das war doch so eine Hübsche“, meinte Jens, mein Schulfreund, den ich nur alle paar Jahre sehe, bei unserem letzten Treffen. Das hat mich überrascht, dass er das sagte. Über die Jahre mit harter Arbeit im Fischladen hatte sich die Schönheit meiner Mutter verbraucht.

Ich habe schon viel über früher nachgedacht. Das wurde nötig, weil hier der Schlüssel zu eigenen Problemen liegen könnte? Bei Watzlawick gibt es diesen Witz vom Betrunkenen zu lesen, der, des Nachts unter einer Straßenlaterne herumkrabbelt, etwas zu suchen scheint. Ein Polizist kommt des Weges.

„Was suchen Sie denn, kann ich helfen?“

„Ich suche meinen Schlüssel.“

Die beiden schauen gemeinsam. Sie tappen eine Weile im Lichtkegel der Lampe, die Augen auf den Boden gerichtet, finden aber nichts.

„Sind Sie sicher, dass Sie den Schlüssel genau hier verloren haben?“, fragt schließlich der Wachtmeister.

Lallt der Mann: „N – nein. Verlolo? Verloren hab’ ich ihn dahinten.“

Er zeigt mit der Hand ins Dunkle.

„Aber d – da ist es viel zu finster.“

Das deutet der bekannte Psychologe, dass es Unfug ist, die als damals verortete Schuldfrage von Problemen zwecks Besserung des Befindens im Hier und Jetzt suchen zu wollen. Watzlawick scheint sich lustig zu machen über Kollegen. Ich glaube, diese Textstelle steht in „Anleitung zum Unglücklichsein“. Also wird einer unglücklich, der zu sehr über die Vergangenheit nachgrübelt? Paul Watzlawick hat mehrere Bücher geschrieben. Ich habe einige gelesen. Das ist so eine Sache mit Schuldzuweisungen und Ursachenanalyse, wenn wir der Meinung sind, die Eltern wären schuld am Problem. Schuld dran haben sie, wir können ja nicht weg von ihnen als Kind. Wir passen uns an die gegebene Umgebung an. Diese Anpassung muss so sein, dass unser Verhalten flexibel mitwachsen kann für ein eigenverantwortliches Leben später. Eigenverantwortliches Leben als Erwachsener heißt aber einzusehen, dass man mit Schuldzuweisungen an seine Erzeuger nichts erreicht.

Meine Mutter veränderte sich mit den Jahren in der Beziehung zu meinem Vater und mir, dem zunächst einzigen Kind. Meine Schwester wurde 1971 geboren, und das brachte eine besondere Dynamik in unser Leben. Natürlich entwickelte sich auch Erich, mein Vater, nicht nur beruflich. Er wurde in mancher Hinsicht anders mit den Jahren. Niemand bleibt gleich, obschon manche sich stets zu wiederholen scheinen, andere sich gezielt weiterentwickeln als Mensch, aber was heißt weiter? Für mich ist die Frage existentiell, weil ich erst allmählich und spät selbst entscheiden konnte, weniger fremdbestimmt, und genau das möchte ich hier zum Thema machen. Deswegen der Rückblick auf meine Entstehung, Bedingungen, in die hinein ich geboren wurde. Eine autobiografische Skizze, die unterhaltsam sein will und Denkanstöße bereithalten. So ist doch jede künstlerische Auseinandersetzung mit einem Material, sei es ein Gemälde, sonst eine Kunstform. Jeder kreativer Bericht kommt mit dieser Intention zurande.

# Abgefahren

Ich gebe es zu, ich verstehe das hier nicht, unser Dasein auf Planet Erde. Dafür wurde ich unlängst kritisiert: Das stünde in der Offenbarung, „alle Tränen würden schließlich getrocknet (und schönen Gruß oder so ähnlich)“, schrieb mir ein Freund, als wär’s endgültig. Es steht dem Menschen doch zu, dass Bibellesen allein ihm nicht genügt, ein jeder selbst los segelt, den Laden hier zu erforschen? Mir fällt manches ein. Das Brandmarken von Gewalt etwa, ist gerade modisch. Es zielt darauf ab, den jeweiligen Lautsprecher zu erhöhen. Man möchte gut sein. Gewaltverzicht ist eine Forderung der christlichen Religion und vielleicht die wichtigste Botschaft, weil es offenbar schwierig ist, nicht Rache zu nehmen. Darüber hinaus sind scheinbar immer Menschen unterwegs, denen es nicht ums Rache nehmen geht. Sie fangen an mit ihrem Angriffskrieg. Können wir für uns bestimmen, wie wir das halten wollen mit dem Gutsein, bleibt eine rhetorische Frage. Mir liegt es fern, Ratgeber sein zu wollen oder zu missionieren, ich möchte erzählen.

Meine Mutter ist unlängst am Bauchspeicheldrüsenkrebs verstorben. Die letzten Monate ihres Lebens haben wir noch viel geredet.

Sie war bis zum Schluss der Überzeugung, der Neubau unseres Hauses in Wedel wäre alternativlos gewesen.

Sie ging mit mir über das Friedhofsgelände am Breiten Weg und suchte sich eine passende Ecke, in der sie gern beerdigt wäre.

Sie beschrieb die Zeit mit Erich, als ich klein gewesen bin.

Bezeichnend erinnere ich, wie es ihr gelang, ersten Einfluss zu nehmen auf ihren neuen Mann. Erich war ja deutlich älter, und das Zusammensein muss sich für meine Mutter als ein noch zu erforschendes Terrain des besonderen Verhaltens präsentiert haben. Sie hatte keine Übung, sagen wir es mal so, wie sie an die Sache rangehen sollte. Als Kriegskind ist meine Mutter 1941 auf die Welt gekommen, eine Zeit, in der „der Führer“ Söhne verlangte. Das machte meiner Oma zu schaffen, dass ihr Neugeborenes, Greta, ein Mädchen geworden, war. Opa Heinz, zunächst nicht im Haushalt sichtbar, benötigte sein ganzes Geschick, den Krieg zu überleben. Später ist mein Großvater wieder regulär gefahren und war oft lange auf See abwesend seiner Vaterrolle. Es ist anzunehmen, dass meine Mutter nur sehr ungefähre Vorstellungen entwickeln konnte, wie Mann und Frau in einer Ehe zu sein haben.

Greta und ich saßen nicht wenige Male vor ihrem Tod zusammen und redeten. Sie erzählte, Erich habe mit seiner Mutter im selben Zimmer geschlafen, das sei ihr schon seltsam vorgekommen. Wie konnte das sein: „Er wäre doch schon einige Zeit lang mit seiner vorherigen Freundin zusammen gewesen?“, fragte ich. Das hätte sie auch gewundert, meinte meine Mutter. Erichs Vater starb im Jahr meiner Geburt. Ich habe ihn nicht mehr kennengelernt. Zunächst also wohnten Erich und seine Eltern im Haus von Opa Werner. Das war der Vater meiner Oma Lina, Erichs Mutter. Später lebten wir, Erich, Greta und ich in diesem Haus, und die Oma zog ins oberste Geschoss. So blieb es einige Jahre gleich, als ich klein war. Die Wäscherei Wulff zog aus. Erich baute den Laden um, wir eröffneten das Fischgeschäft.

Wir saßen also im Wohnzimmer, ließen die alten Zeiten lebendig werden, und es war klar, dass meine Mutter in wenigen Wochen sterben würde. Greta erzählte aus den allerersten Jahren, als ich also noch ganz klein gewesen bin, die Tür unten zur Straße habe geklemmt. Niemand störte offenbar, dass die Haustür immer ein wenig offen stand? Meine Mutter fand es nicht richtig und beschreibt, dass Erich Gummistiefel im Treppenhaus stehen hatte, die er zum Schneeschieben im Winter brauchte. Da hätte mal eine Katze reingepinkelt, in die Stiefel, und das habe sie zum Anlass genommen, ihren Mann dazu zu bewegen, die Tür gängig zu machen. „Vielleicht war das ja auch ein Betrunkener, der dir in deine Schuhe gepisst hat?“, habe sie gespottet. Da hätte Erich die Tür an der Unterseite abgehobelt, und nun wäre sie des Nachts verschlossen gewesen. Das war eine Geschichte, die ich so noch nicht kannte. Davon hat mir meine Mutter in letzten Gesprächen erzählt. Nicht nur, dass mich’s berührte, von ganz früher zu hören, es zeigte, ihre Fähigkeit zu manipulieren, entwickelte sich.

Meine Mutter konnte nicht Auto fahren.

Sie machte ihren Führerschein spät. Das sollte genutzt werden, meinen Vater gegebenenfalls ersetzen zu können bei der morgendlichen Fahrt zum Fischmarkt, falls dieser krank wäre. Meine Mutter fuhr aber nicht, trotz Führerschein. Sie konnte es nicht hinbekommen, entspannt zu sein am Lenkrad. Sie gab lieber Anweisungen: „Da musst du abbiegen, Erich!“ An Bord genauso. Meine Mutter spielte den aufmerksamen Navigator, der in Wahrheit alles bestimmt. Sie degradierte ihren Kapitän zum bloßen Rudergänger.

Als ich auf der Welt war, meinte Helga, meine Tante (mit Blick auf mich, das Baby): „Das will ich auch!“ So wurde es erzählt. Gretas um wenige Jahre ältere Schwester heiratete Hermann, einen Mann, der noch deutlich älter als mein Vater Erich war, und bald wurde der kleine Hermann geboren, mein Vetter. Da bestehen viele Erinnerungen an diese Zeit bei mir fort, und die bewerte ich heute neu. Das genau ist Entwicklung, man weiß wo man herkommt und wiederholt sich nicht mehr, so zu tun wie einst. Das Gegenteil wäre Verdrängung und Weglaufen.

Das erste Fernsehen damals war schwarzweiß. Wir schauten Western und so was. Erich liebte Zwölf Uhr Mittags mit Gary Cooper. Er hörte Kenneth Spencer auf deutsch singen: „Wenn dich die Freunde verlassen“, beides wurde genutzt, uns die Geschichte mit Reinhard, der zu Ignaz geworden war, nahezubringen.

Uns prägt die Kindheit, die Jugend, und das schafft eine Basis, die Welt zu betrachten, wie man’s lernte.

Ein Bild mit Worten zu beschreiben, ist eine Kunst.

# Der wilde Westen

Auf YouTube finden sich Szenen alter Wildwestfilme. Das ist ganz unterhaltsam. John Wayne, auf seinem Pferd sitzend, muss dieses anhalten. Er sieht sich einem Wegelagerer gegenüber, der ihn mit langem Gewehr bedroht. Zwischen den Männern fließt ein schmales Wasser, alter Schnee schimmert schmutzig hier und da. Ein toter Baum genügt dem Ganoven als Versteck am sonst wenig Deckung für einen Hinterhalt bietenden Platz. Wir sehen weit in die flache Prärie. Öde ist diese verlassene Gegend. Alles wirkt kalt und winterlich. Im Hintergrund recken sich Berge mit Schnee, stoßen gegen einen faden Himmel.

Der freche Typ in schwarzer Kleidung eilt einige Schritte über die Au auf den Reiter zu. John Wayne, der Held, wartet einfach ab. Dieser schäbige Gesetzlose macht ihm offenbar keine Angst, obwohl der geübt scheint, andere auszunehmen. Als siegesgewisser Landpirat tritt er leutselig aus dem Gehölz an der Furt auf die freien Pläne. Ein nachlässiger Räuber ist das, allzu sicher, mit wehendem Mantel. Er kommt an wie ein schmutziger Bär, eilig und tapsig, trägt einen verbeulten Hut auf dem Schädel. Der Ganove hält das Gewehr schussbereit, aber nur locker in einer Hand. Die Mündung schwankend auf den Reiter gerichtet, das Wasser durchstapfend, fordert er Geld und „friedlich mit der Kanone“ zu bleiben. Was er genau sagt, verstehe ich nicht, weil es englisch ist.

„Just throw me your wallet.“

So hört es sich an. Das ist Routine für ihn offenbar. Der Reiter scheint dem nachzukommen. Er sagt: „Yes Sir!“, aber das klingt so gar nicht unterwürfig. Der Hollywoodstar bleibt souverän. Sein Gegenüber merkt offenbar nicht, was da für einer oben auf dem Reisepferd sitzt. Wayne schaut herab auf den Outlaw. Wie dieser Fußgänger heranstolpert zum Überfall auf einen, der ihm fremd ist und friedlich wartet, kehrt die Lage um. Der schon ältere John Wayne ist ein im Leben erfahrener Mann. Auf das Ziel nagelt er seinen Blick gegen den Feind. Ein eisgrauer Schnurrbart fügt sich fade ins harte Gesicht. Der Reisende trägt einen typischen Hut, wie man das kennt, greift gelassen in die Kleidung auf Höhe der Brust, wo eine Brieftasche stecken könnte. Er lässt den Gegner bis auf wenige Meter an sich heran, reißt stattdessen einen verborgenen Revolver raus und schießt!

Kalt auf den Angreifer wartend, fasst er sich in die wetterfeste Joppe, die Hand kommt mit der Waffe wieder raus, der Arm wird lang auf den Strolch. Jetzt rasen die Bilder, dramatisch untermalt mit Musik. Wir sehen Leder vom kurzen Lauf der modernen Pistole rutschen, eine Tülle aus dem Futter der Winterjacke fliegt weg. Es kracht. Mündungsfeuer blitzt. Der Schuss fällt. Der Räuber stürzt zu Boden, im Unterleib getroffen. Der Mann verliert sein Gewehr aus der Hand. Ein dickes Bündel mit Bargeld in einem Lederumschlag ist dabei ins karge Gras gefallen.

Er schreit, greift mit der Hand an die Wunde, kommt hoch auf die Knie. Das hat der Armselige nicht erwartet: „You shot me a hole in my stomach!“ Der doofe Mann schimpft, jammert nach dem Motto, bloß ein Dieb zu sein. Er leidet, so unerwartet und brutal angeschossen, als wäre das absolut unangemessen. Der Wortwechsel bleibt knapp und wird im Folgenden vom Reiter dominiert. Der verlangt hoch zu Ross und selbstbewusst nun seinerseits Geld, nämlich das, was offensichtlich am Boden liegt, möglicherweise die gesammelte Beute früherer Überfälle? Der Räuber scheint zu gehorchen, greift aber zum Gewehr. Man sieht seinen Arm, die Hand sich strecken, so tun, als wolle er der Aufforderung genügen, die Börse auszuhändigen. Tatsächlich aber probiert der Mann, die Waffe zurückzuerlangen. Keine Chance für den Outlaw: Es ballert noch einmal. Ein weiteres Projektil peitscht das Gewehr förmlich aus dem Bild. John Wayne, wie so oft in der Rolle des Stärkeren, knallt die Büchse weg.

„Nur die Geldbörse!“

Wayne herrscht den Typ an, wie dieser ihn vorher mit denselben Worten, und der gibt ihm verletzt und inzwischen unterwürfig das Verlangte. Vom Boden aus gefilmt, schauen wir in der finalen Einstellung aus dem gleichen Blickwinkel wie der Gescheiterte. Die Kamera macht seine Rolle klar. Dem Sieger im Sattel ist es ein Leichtes, den Mann abschließend beiseite zu stoßen, dass dieser seitlich ins eisige Wasser stürzt. Ein derber Spruch beendet alles, über mögliche Überlebenschancen im Winter in dieser Lage? Er solle sich eine anständige Arbeit suchen.

Mir ist der Film unbekannt. Die kurze Sequenz war unter den Vorschlägen, nur ein Video von vielen der bekannten Plattform. Ich stelle mir vor, in der Rolle von John Wayne zu sein und begreife, dass ich sie nicht verkörpere, weder im Film, ich könnte das nicht spielen, noch in der Wirklichkeit. Wir kannten Western, die liefen ja ständig im Fernsehen, nur synchronisiert. Diese Szene im Original spricht für sich, auch wenn man das Englische nicht gut beherrscht. Ein von vergangener Männlichkeit geprägtes Arrangement. Es dürfte heute nicht einfach sein, Ähnliches zu filmen. Man hätte Probleme, geeignete Schauspieler zu finden. Sich zu hauen, war normal. Das Bild, das wir vom Mann kannten, war selbstbewusst. Gewalt, meinten noch unsere Eltern, wäre als vollkommen akzeptiert anzusehen. Für Ungehorsam gab es selbstverständlich einen Backs.

Erst mit den modernen Erkenntnissen, dem Entwurf von antiautoritärer Erziehung, der Idee vom gewaltfreien Miteinander in einer modernen Gesellschaft, wird man sich bewusst, dass das Böse nicht abgeschafft wird, weil man es als solches benennt. Ein alter Film aus dem Westen zeigt nicht die Wahrheit dieser Zeit. Auch dort bemühten sich die Menschen um ein friedliches Miteinander, wo immer es ihnen möglich schien. Durchreisende gaben die Waffen beim Sheriff ab, und es mag weniger Geballer gegeben haben, als Hollywood uns suggeriert. Niemand möchte alte Zeiten beschönigen. Es bleibt ungewiss, ob wir der siegreiche Held wären in dergleichen Auseinandersetzungen. Die nötige Kritik an unserer Zeit sollte pragmatische Veränderungen herbeiführen, unsere Welt sicherer zu machen.

# Zeitenwende

So hat es der Bundeskanzler genannt, als die Russen unvermittelt die Ukraine angegriffen haben. Die Wende ist als Begriff auch ein Segelmanöver, das häufig nötig ist. Man wechselt den Kurs, der Wind kommt von der anderen Seite. Wir kennen es, auf dem Wasser zu wenden. Harte Fakten, das Boot, das Wasser, der Wind und unser Ziel, das einen angemessenen Kurs zu steuern verlangt; ein Schiff ist was zum Anfassen. Wind ist spürbar und seine Richtung nötigt uns, sich drauf einzustellen. Zeit ist so gesehen vergleichsweise weniger konkret als bloßer Begriff. Was also ist eine Zeitenwende: Olaf Scholz probiert gerade angemessene Reaktionen aus, denn es scheint, als müsse Deutschland reagieren? Wie genau sich Europa aufstellen sollte in der aktuellen Situation, bleibt umstritten. Ich gehöre zu denen, die skeptisch bleiben gegenüber der Logik, kriegstauglich werden zu müssen. Dieses Wort vom Verteidigungsminister Pistorius hat uns aufgerüttelt. Es stimmt schon, eine Armee, die zu kämpfen nicht fähig ist, taugt nicht. Die Gefahr gegen Deutschland und Europa gerichteter Waffen ist natürlich gegeben und darf nicht ignoriert werden. Zu verhandeln, auch wenn das aktuell nicht gern gehört wird, halte ich dennoch für klüger und keinesfalls Schwäche. Nicht zu reden, sondern zu drohen, verbales Brandmarken der Gegenseite, ist dagegen doch bloß dümmliches Tun. Meiner Meinung nach wurde das Wort vom Angriffskrieg überstrapaziert von denjenigen, die es verwenden. Das sind vornehmlich Menschen, die in der öffentlichen Verantwortung ihrer Position glauben, betonen zu müssen, dass wir vom Bösen bedrohte, gute Menschen sind, denen ein Überfall drohe, gegen den es sich zu wappnen gelte.

Ich sollte an dieser Stelle einmal mehr zugeben, kein guter Mensch zu sein. Ich bin nach deutschem Recht vorbestraft. Ich habe zugeschlagen, getreten und bin der gefährlichen Körperverletzung angeklagt worden. Meine Strafe sind acht Monate Gefängnis zur Bewährung gewesen, diese Bewährungszeit war auf eine Dauer von zwei Jahren festgelegt worden und ist seit einigen Jahren vorbei. Ein dunkler Fleck auf einer ansonsten hellen Vergangenheit, wer das so sehen möchte, kann es tun. Ich sehe die Attacke auf einen Schönefelder* als notwendig an bis heute. Damit mache ich mich der reuelosen Haltung eines Täters ohne schlechtes Gewissen schuldig, und das wird von einigen möglicherweise verbal abgestraft, aber bloß, wenn ich nicht dabei bin, so scheint es mir.

Im Käseblatt wird, während ich hier am Schreiben bin, von einer Kundgebung vor unserem Rathaus berichtet. Da hat es eine Veranstaltung gegeben. Zu einer typischen Demonstration war aufgerufen worden. Frank Bastian titelt: „400 Menschen demonstrieren gegen Rechts!“ Das ist die Osterausgabe 2024 vom Schenefelder Boten, unsere Stadtteilzeitung. Im Innenteil ist ein Foto mit dieser Bildunterschrift: (v.li.) Rinja Müller, Pastorin der Stephanskirche, Detlef Engel, ehemaliges Mitglied der Ratsversammlung, Bürgermeisterin Christiane Küchenhof und Stadtpräsident Holm Becker. Ginge ich hin zu einer Demo dieser Kategorie, wie sie in den letzten Monaten deutschlandweit geschehen – mehr als eine Million Menschen haben inzwischen „ein Zeichen gegen Rechts gesetzt“, sagt man – stellte ich mich also an die Seite von Christiane und Rinja. Eine vollkommen absurde Vorstellung für mich. Da gehöre ich nicht hin, und das dürfte beiderseitiges Verständnis bedeuten, es so zu sehen. Es gibt Menschen, vor denen ich Ekel empfinde, sie bloß in der Zeitung anzuschauen. Davon dürften sich einige auf solchen Veranstaltungen tummeln, die Masse Mensch eben, und sie hält sich für besser. Fadenscheinige Blender, eitle Wichtigtuerinnen und eben vornehmlich unehrliche Personen überhaupt werfen sich in die Brust, bei so was dabei zu sein.

Das ist meine Meinung.

Man schaue sich die Zahlen an: Beinahe zwanzig Prozent der Deutschen wählen rechts, mindestens deutlich konservativ, mehr als achtzig Millionen Menschen leben in Deutschland. Eine gute Million (sagen wir zwei Millionen) gehen auf die Straße, sie demonstrieren gegen „Rechts“.

Und diese Leute skandieren, sie seien die Mehrheit.

Das macht mir Angst.

Ich probiere, einen Vergleich anschaulich zu machen. Wir haben rund 60 Mio Wahlberechtigte. 20 Prozent von ihnen bedeuteten 12 Millionen Wähler. Demgegenüber stehen 1,5 Mio Demonstranten, die von sich sagen, sie wären die wahre Mehrheit im Land. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass eine halbe Million, also ein Drittel der Demonstranten nur auf die Straße geht, um dabei zu sein, wenn’s im Fernsehen kommt? Bei der Abstimmung in der Wahlkabine sind wir frei, unser Kreuz zu machen, wo es uns gefällt. Das kommt nicht ins TV. Runtergerechnet stehen zehn Millionen gegen eine auf den Demos, die bei ihrer Linie bleiben werden. Der Rest ist der unkalkulierbare Brei. Der eiert hierhin und dorthin.

Dass unsere Ampelregierung als schwach wahrgenommen wird, ist belegt. Besser zu sein als die aktuellen Politiker, dürfte leicht sein? Das wiederum ist fraglich, denn die Opposition müsste eine Koalition sein mit einem überzeugenden Kopf. Den sieht die Mehrheit der Deutschen in keiner der es probierenden Politiker. Damit haben wir lauter Haufen von Menschen, die alles besser wissen, nicht zuletzt das Grüppchen Friedensdemonstranten, die als Nachfolgende der Sonstwiedenker sich als „Mehrheit“ in Szene setzen möchte.

Falsch gerechnet, aber von sich überzeugt: Man hält gruppenweise zusammen. Auf so einer Demo gegen Rechts ist es doch nicht anders als auf einer von Querdenkern oder sogenannten Coronaleugnern. Der soziale Klebstoff macht, dass die Leute sich besser fühlen, meinen „es“ begriffen zu haben. Mittwochs beten für den Frieden, Ostermarsch, Friedenswerkstatt usw. Die in der rechten Partei genauso, sie sagen „alle sind gegen uns“, das schweißt zusammen innerhalb der Partei. Zu denken, sie wären bloß zwanzig Prozent und hätten aber verstanden, was Deutschland benötige, macht diese Leute stärker. Hätte man nicht eine Brandmauer gegen Rechts hochgezogen, wie das gesagt wird, gäbe es dieses „Rechts“ so gar nicht. Es hat sich dazu entwickelt. Alle Länder haben Ultras, wie es im Fußball heißt. Es kommt darauf an, dass da keine dynamische Mehrheit draus wird, und am Besten nimmt man extreme Ansichten zum Anlass, dass entsprechende Menschen in die Verantwortung genommen werden. Grenzt man sie jedoch aus, werden sich noch weitaus Radikalere finden (und an ihre Seite stellen und das ist dann ihre Umgebung, mit der sich solche Leute austauschen und bestärken). Die Russen meinen, der Westen stünde komplett gegen sie, und das stimmt ja auch. Der Westen, das mag eine halbe Erde bedeuten, aber eben nicht die ganze Welt.

Wenn man tönt, Wladimir Putin müsse als Verbrecher bestraft werden, eingesperrt oder so, verhaftet, muten Annalena Baerbock (und andere, die es verlangen) an wie welche, die überhaupt nicht wahrnehmen, wie sie rüberkommen. Immer, wenn unsere Außenministerin vor die Kamera tritt – jetzt sieht man sie oft auf Freigelände vor Militärgerät; Flugzeuge, Soldaten stehen um sie herum –, Sicherheitspersonal flankiert unser, von sich selbst so überzeugtes Mädchen, lohnt der Blick in die Gesichter der, ich sage mal, „gestandenen“ Männer (oft in Uniform) daneben. Man nimmt sie nicht ernst? Mir scheint, es ist wie, man wäre unterwegs mit einer Wahnsinnigen, die jeden Augenblick versehentlich Dummheiten ausplaudern könnte. So schauen die Leute neben unserer Außenministerin, wenn diese ansetzt zu reden mit all ihrem Drang, das zu tun.

Das sehe ich, und es mag eine falsche Bewertung sein.

Russland ist nicht isoliert, kann nicht ausgegrenzt werden bis auf sich selbst allein, und weil das so ist, wird es Zeit für den Westen, eigene Fehler einzusehen, Zugeständnisse zu machen und einen sogenannten Diktatfrieden mit der Ukraine als den nötigen Kompromiss zu begreifen. Wie viele Jahre lang will man denn noch weiter Krieg führen; und Menschen sterben dafür, die ganz normale sind.

Ich möchte von meiner Geschichte erzählen, meiner Attacke auf einen bis dahin angesehenen Mann hier im Ort. In mir sehen Menschen, die hier den Staat bedeuten, so etwas wie einen krankhaften Gewalttäter, der zudem die jungen Mädchen sexuell bedroht im Dorf? Mir kommt es so vor, als befeuerten einige diese Idee, kommen aber nicht recht voran damit.

Einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen, wird uns nicht gestattet, wenn Früheres anderen nützt, sich dran abzuarbeiten mit dem Ziel ihrer Selbstaufwertung. Was ist falsch an mir, frage ich mich? Im Falle geschehener Verbrechen ist es die legitime Methode des Polizisten, den Täter nicht davonkommen zu lassen. Leider kann dem ungerechtfertigterweise Denunzierten der bloße Verdacht – eine gestreute Beschuldigung, Gefahren, die von ihm nur ausgehen könnten – zum Verhängnis werden. Wir möchten redlich vorankommen, sind offen? Die zur Verfügung stehenden Informationen nutzen Fremde aus, mit unseren bekannten Fehlern zu polarisieren und sie schließlich zum persönlichen Werkzeug zu drehen für eine hinterhältige Provokation. Das geht offenbar ziemlich gut auch mit mir, als nachweislich schon mal psychisch krank gewesenen Menschen und bloß ehemaligen Patienten. Es macht mir gelegentlich zu schaffen. Ich darf so gesehen nicht einfach nur nach vorn schauen und loslegen mit einem Projekt, meinen Traum leben, naiv ans Gute glauben. Fremde könnten mich festhalten und hintenrum anschwärzen, bis mir nichts gelingt. Wo ich ankomme, ist meine Geschichte schon rum. Tatsächlich wird dabei ein groteskes Zerrbild aus meinem Leben, aber wann immer ich Fahrt aufnehme in eine selbstbestimmte Zukunft, bemerke ich diesen Klotz am Bein. So wird sich zu beweisen meine wesentliche Aufgabe und darf nicht wegführen in eine effektive Fassadengestaltung. Ich muss meinem Kern gerecht werden als Künstler und Mensch. Immerhin garantiert der allgemeine Widersacher an jeder Straßenecke meine besondere Motivation, liefert den Stoff zu erzählen, das Wissen, etwas zu sagen zu haben und schließlich die Fähigkeit, es hinzubekommen. Man bleibt in Übung durch diese Idioten.

Die Deutungshoheit meiner Geschichte beanspruche ich. Natürlich, ich habe zugeschlagen und empfinde nie Reue. Meine Wut lebte ich am hellichten Tag aus, wohl wissend, dass das übel ausgeht. Ich muss weder weglaufen noch lügen. Einige Details können getrost erzählt werden: „Er sprang über eine Hecke aus dem Nichts“, las ich etwa über mich. So steht es in der Akte. Dort ist weder eine Hecke noch Nichts, und ich kann das belegen. Das geschah vor einem Supermarkt. Ich rannte offen an: „Dafür gehe ich in den Knast!“, brüllte ich, dass alle es hören konnten. Im Leben nicht fühlte ich mich so vorgeführt wie von diesem nur sogenannten Nachbarn. Er behauptet, nebenan gewohnt zu haben, wohl um zu verschleiern, wie unser Verhältnis motiviert ist. Ich wüsste nicht, wo wir zusammen lebten? Hier im Dorf war das jedenfalls nicht. Das kann an dieser Stelle gern erläutert werden. Der Mann nutzte seine Bekanntschaft zur Verwaltung und der Politik, sich mutig zu fühlen für den Rufmord, ich hätte im Geschäft Kunden beleidigt. Der brutalen Attacke ging seinerzeit einiges voraus, dass die Angelegenheit schließlich an diesem Ort so vollkommen eskalierte. Wir waren bereits fertig miteinander, definitiv Gegner und mein böses Wort, gebe ich zu, fiel im Laden als erstes. Der Alte und seine Frau nutzten aber die Gelegenheit, einen Kassierer für sich zu gewinnen mithilfe einer kurzerhand erfundenen Geschichte. Ich wurde von ihm mutmaßlich als grundsätzlich irrer Randalierer bezeichnet, der wahllos Menschen anpöbelt, immer wahnhaft unterwegs ist und gefährlich für Frauen sowieso. Sein Lügen geschieht aus Rache, weil ich sein tatsächliches Tun bloßstellte, ihn und seine Frau explizit beleidigte, aber eben nicht andere im Markt.

Wir waren einander im Bereich der Pfandautomaten zufällig über den Weg gelaufen, und ich sagte wirklich im Vorbeigehen: „Ihr seid solche Arschlöcher.“ Das sind diese Leute auch. Für mich eine nötige Bemerkung. Ich nehme sie nicht zurück. Das war alles, was im Moment gesprochen wurde. Mir gefällt, hier aufzuschreiben, wie alles abgelaufen ist. Namen werden nicht genannt. Ich ging nun also weiter, mir was zu suchen fürs Mittagessen und kam schon nach kurzer Zeit mit ein paar Sachen nach vorn zum Bezahlen.

Ich durfte das Geschäft aber nicht verlassen.

Es lief ab wie folgt: Das Ehepaar war vor mir an dieser Kasse gewesen, zu der auch ich wollte. Ich hielt Abstand. Die Leute widern mich an aufgrund der langen Vorgeschichte. Da könnte noch viel publiziert werden. Der Kassierer und meine Bekannten schienen vertraut miteinander zu sein und schwatzten ein wenig. Die drei scherzten, zeigten sogar mit einer Geste in meine Richtung und verließen den Laden vor mir. Ich kam als nächstes dran. Nur diese Kasse war geöffnet. Als einziger Kunde im Bezahlbereich vom Markt legte ich meine Ware auf das Band. Da war aber erst einmal Schluss. Mutmaßlich fremdmotiviert und instruiert, was er zu sagen habe, hielt mich der Angestellte des Supermarktes auf. Der Mitarbeiter behauptete, er könne mich nicht abkassieren und rief den Marktleiter. Hier wären heute morgen schon sieben Leute gewesen, die von mir beleidigt worden wären, sagte der Kassierer wörtlich zu mir als Begründung. Was ging in dem vor, mich zu beschuldigen, Radau gemacht zu haben und woher stammte dieser Einfall, gerade eine Zahl von sieben Personen zu nennen? Das konnte nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen sein. Ich bekam die Retour für meine Beschimpfungen des ehrenwerten Ehepaars am Pfand wenige Minuten zuvor? Der Zweck dieser Provokation, einen willfährigen jungen Mann zu bequatschen, bestand offensichtlich darin, mich zu blamieren und Zeit zu gewinnen, das Terrain zu verlassen, wissend, wie’s ausgehen könnte.

In dieses Geschäft gehe ich beinahe täglich zum Einkaufen. Mir ist das Personal bekannt. Mit einigen Mitarbeitern bin ich vertraut, dass wir klönen über dies und das. Ich bin ein geduldiger Kunde, der wenig kauft, komme zu Fuß. Ich nutze weder Wagen noch Korb, wenn ich nicht mehr möchte als zwei, drei Sachen. Und jetzt das: Ein junger Mann, offensichtlich noch neu, dass ich ihn nicht kenne, der sagt: „Hier waren heute Morgen schon sieben Kunden, die haben Sie beleidigt.“ Er will genau wissen, wer ich bin, dass ich derjenige wäre, der im Geschäft pöbelte, reihenweise Menschen beschimpfte? Im gesamten Markt waren nur eine Handvoll Leute überhaupt um diese Zeit. Mein Einkauf, eine Sache von wenigen Minuten. Die Avocado, ein Stück Putenschnitzel aus der Kühlung, Gemüse aus dem Sortiment greifen und nach vorn gehen, ganz normal. Dabei zu den bekannten Widersachern wie nebenbei Arschloch sagen, geschenkt, finde ich noch immer und das Mindeste, was nötig gewesen war, nach der erlittenen Geschichte mit meiner vermeintlichen Freundin. Diese fadenscheinigen Zeitgenossen, die so tun, als wären sie die Retter der Welt und bessere Menschen. Selbsterklärt nette Nachbarn, die nötig haben, deswegen zu lügen, sich in die Brust werfen, als liebe Onkel und Tante naive Personen zum Betrug instrumentalisieren, Rufmord betreiben, das gibt’s ja wohl nicht!

Ich hätte die Contenance bewahren sollen. Zunächst war das auch einfach. „Das mach’ man“, sagte ich zu dem jungen Mann. „Der Marktleiter heißt (ich nannte den Namen), wir kennen einander.“

Ich blieb also gelassen, wartete ab.

Der herbeigerufene Chef reagierte vollkommen perplex.

Als vertrauter Händler entlastete er mich sofort, ohne den Sachverhalt zu kennen. Das könne nicht sein, widersprach er dem scheinbar unerfahrenen Kollegen, dass ich reihenweise Kunden beleidigt haben sollte? Es wäre definitiv absurd. Er erläuterte, man kenne sich „seit zwanzig Jahren und bereits aus Wedel“, natürlich dürfe ich die Ware bezahlen und gehen. Das wird er bereut haben. Dass er mir den guten Leumund gab, missbrauchte ich sofort. Ein Eigentor wurde für ihn daraus. Es tut mir leid. Anschließend brachte ich den lieben Kaufmann umgehend in ernsthafte Schwierigkeiten. Das musste sein. Raus aus dem Supermarkt, ins Freie auf den Parkplatz gelangend, die beiden als noch anwesend begreifend, rannte ich los, brüllte voller Hass, schlug zu, trat.

Eine Abrechnung, und sie tut gut.

Ich habe gern den Strafbefehl akzeptiert. Das ist längst Geschichte. Ich bin weiß Gott nicht stolz drauf, aber unendlich zufrieden. Ich werte es als Befreiungsschlag. Das gibt mir täglich Kraft, Menschen nötigenfalls auf Abstand zu halten. Ich habe viel zu spät gelernt, was andere vernünftigerweise schon früh mit dem Erwachsenwerden ausprobieren.

Rufmörder töten feige. Menschen, die nur nebenbei gemein sind und denen nicht dran liegt, Fakten zu kennen, sondern bloß der Spaß am Mobbing gefällt, könnten mich aufs Korn nehmen, oder ist alles bloß meine aufgeputschte Fantasie? Sich drüber Gedanken machen, bedeutet, einen Weg zu gehen, ein Terrain kennenzulernen und Risiken einzuschätzen. Eine Straße ablaufen, heißt voranzukommen. Da gibt es helle Wegstrecke und dunkle. Ich weiß zugegebenermaßen nicht genau, wer tatsächlich mein Gegner ist. Verschiedene Personen, die aus unterschiedlichen Motiven handeln, zählt man, falls betroffen von solchen Ahnungen, zusammen zum einen, diffusen Widersacher. Da wächst ein Bild nach dem Motto, alle sind gegen mich, und einer muss das Arschloch sein dahinter. Verschwurbeltes Denken hilft nicht wirklich gegen eine Verschwörung, aber was hilft?

Manche können mich nicht leiden, das steht mittlerweile fest. Man trifft bekannte und eher fremde Widersacher, die einordnen, wen sie vor sich haben, ich hingegen wüsste es nicht zu sagen. Da laufen Menschen, die sich wie an den Rand vom Gehweg zu klemmen scheinen, den Blick senken, sich emotional verpissen, ihren Hund, den sie Gassi führen (wie stattdessen, dass sie mir einen Tritt verpassen) maßregeln, an ihrem Köter reißen. Andere kommen, die einfach krampfartig das Smartphone anglotzen, wie eine Maske vor das Gesicht halten, zu Boden schauen usw.

A. (ein Buchstabe ihres Namens sollte genügen, zum Schutz der Person) macht es so. Wäre sie, was die Bürgermeisterin* (einer kleinen Stadt westlich einer großen in Deutschlands Norden) behauptet hat, eine von mir bedrängte Frau, könnte sie stolz auf mich schauen als den Mann, der erfolgreich zurückgewiesen wurde mithilfe vom Staat, aber sie schämt sich. „Was du von ihr wolltest, ist ja klar“, meint ein Bekannter, „aber was wollte sie von dir?“ Diese Studentin rührte ich nie an, schrieb nie von Liebe, aber wir tauschten unendlich Gedanken in unzähligen Schriften, gingen zusammen aus und in manche Veranstaltung. Sie besuchte mich oft, fuhr mit mir und meiner Frau im selben Auto zusammen nach Hause von meiner Vernissage, schrieb: „Ich möchte, dass du weißt, dass ich für dich da bin“, nach dem Tod meines Vaters. Und diese Person fühlte sich angeblich die ganze Zeit über bedrängt und das bereits, bevor wir uns zum ersten Mal privat trafen, dann über Jahre schrieben, berührende Gedanken teilten, gemeinsam auf Achse gewesen sind? Das behauptet sie nicht selbst, sondern eine Bürgermeisterin, die ich kannte, der ich vertraute, in einer Ermittlungsakte gegen mich, die mir vorliegt.

Die junge Frau hat hier, bei mir und in unserem Haus spioniert?

Dann wurde sie vorsichtshalber, weil sie aufgeflogen ist und nicht gefährdet werden sollte als eine, die so als Spitzel bekannt würde, abgezogen von mir, dem „Künstler“, von Kalle und den anderen, glaube ich heute. Das ist meine Meinung, die ich mir erlaube aufzuschreiben. Kalle ist vom Fach, Deckname: „Wildschwein“ – und gibt mir guten Rat.

„Wenn die Stasi dran ist, lass’ die Finger von dem Mädchen.“

Das hieß, aus A. wird B. und frag nicht nach Sternchen. Ganz weit weg ginge sie, deutete die so Geänderte auch mir selbst ihre Zukunft (immerhin) an und blieb nebulös, die Ziffern in der Adresse müssten nun auch noch weg.

„Ganz weit?“, dachte ich – und will nicht verstehen.

Meine Kunstfreundin wurde offensichtlich gecoacht. Wer Scheiße nicht verhindert, mitmacht bei so etwas, wird selbst dazu. Das ist die Botschaft meines Gewaltpornos, den ich über Weihnachten vor den Augen meiner entsetzten Familie in nur drei Wochen malte und online stellte. Mit meinem Gemälde „Malen hilft“ brachte ich die Nutzer dieser Person* (das Sternchen macht mir als Bonmot Spaß), in Zugzwang zu handeln. Man hat mich für dumm gehalten, aufgegeben, als nichts zu holen war und ist ausgerastet nach dieser Malerei. Deswegen der Titel dieses Bildes. Das hilft, hilft mir, ich bin nicht wehrlos und habe nichts zu verbergen. Wer mich verarscht, muss einstecken. Einen Denkzettel meinte mir die Politik aus dem Turm (über dem Dorf) zu verpassen? Der Schuss in den eigenen Ofen wurde daraus, bedenkt man, wie viel Kummer vermeidbar gewesen wäre, hätte man das mal in aller Freundschaft ausdiskutiert? Als Bumerang kommt zurück, wenn ein dummes Kaff bei Pinneberg, ja Deutschland selbst meint, großartig und ganz besonders moralfest zu sein, dafür lügen muss wie damals, als es keine Trennung gab zwischen dem Führer und seinen ausführenden Organen.

Rufmord verändert manchen Fremden, der Bescheid zu wissen scheint. Leute begegnen mir, die mich nicht mögen? Die verziehen keine Miene, scheinen aber finster zu glotzen nach der Art, mich zu kennen, grundsätzlich abzulehnen? Das überfordert sie total. Ich bilde es mir ein? Es könnten irgendwelche sein, mit eigenen Problemen. Fröhliche Begleiter meiner Kunst sind mehrheitlich unterwegs im Dorf: Zeitgenossen, die mir aus dem Auto zuwinken, sei gedankt.

Ich fürchte Weltverbesserer, die nur sich selbst aufwerten möchten.

Es sind welche motiviert, ganz genau mir gegen das Schienenbein zu treten mit der dahinterstehenden Behauptung, das schütze die Leute vor mir und mich selbst auch? Dilettantische Störmanöver erlebe ich seit Jahren. Nicht alles Einbildung und die beste Gelegenheit, von Paranoia wegzukommen, ist reale Gegnerschaft. Anschuldigungen im Wortlaut zu lesen, von Menschen, denen man vertraute, tut weh und hilft, mentale Stärke zu entwickeln. Mir liegen entsprechende Aussagen vor. Längst erledigt sind die Doofen im Dorf. Dabei übersehen Gutmenschen, wenn sie nicht nachlassen in ihrem Zappeln und weiter mit Dreck werfen, dass sie nicht mich treffen, geschweige denn schützen. Man möchte mich stoppen und foult aber, statt den Ball zu spielen, würde man im Fußball sagen. Solche Schiedsrichter treten gegen meine Haustür, nicht gegen mich selbst. Und dazu kommt, ich bin gar nicht im Gebäude drin, gegen dessen Tür sie treten. Das soll heißen, dass ich meine Bilder auch male, wenn sie im Internet gelöscht werden, bedeutet, dass ich meine Meinung bilde, wenn Briefe nicht ankommen. Meine Stärke ist Disziplin. Ich arbeite, etwas auszuformulieren. Ich arbeite mit Farbe, und das ist nicht husch-husch. Manche möchten aufpassen, aber solche Polizisten stochern bei anderen rum. Es sind faule Spanner. Sie verpetzen welche für Sachen, die diese bloß machen könnten, entwickeln eine Gefahrenlage verbal. Das ist unlauter, wie Geld zu verteilen, dass es nicht gibt. Staatsangestellte betrügen die Bürger ihres Landes.

Das haben die immer schon gemacht.

# Leute

Die Gesellschaft lässt sich leicht betrügen, weil die Masse nichts merkt, so lange es genug zu essen gibt und das Smartphone funktioniert? Ist es möglich und hinzunehmende Realität, dass die Leute, und das sage ich im Sinne von „alle“, nicht die Bohne dran interessiert sind, wie etwas gemacht ist, das gegebenenfalls wertschätzen? Das hieße, die Masse ginge aus sozialen Gründen des Dabeiseins ins Konzert oder eine Vernissage. Menschen sehen sich Bilder nur an, weil gerade über diese Kunst geredet wird, denke ich oft, schauen den Film, den es aktuell gibt usw. und bemerken nicht ansatzweise selbst und für sich etwas. Also die Qualität des jeweiligen Werks kommt gar nicht an, nur das Thema und ein Abklopfen, inwieweit das inhaltlich ins gewünschte Muster passt. Sie, „die Leute“, könnten, wenn stimmt, was ich befürchte, nicht allein urteilen, sondern nur aus einem beschränkten Blickwinkel loben, verreißen (oder sich vorsichtshalber bedeckt halten), spüren nur ausnahmsweise den Hintergrund? Ein pauschales Urteil mag falsch sein. Mein Erleben beim Anschauen von Kunst ist direkt. Bin ich die Ausnahme, selten in der breiten Masse oder schlicht eingebildet, zu behaupten, was auf die Überhöhung des eigenen Wertes abzielt? Trotz könnte dahinterstecken, oder schaue ich anders, weil ich mich selbst fragen muss, wie’s geht zu malen (und tatsächlich interessieren mich manche Vorgänge in der Wirtschaft überhaupt nicht, ich begreife sie nicht). So wie mich die Geldleute und ihre Methoden nicht beeindrucken, könnten umgekehrt diese an meiner Malerei vorbeisehen?

Das wäre in Ordnung, wenn es mich als Künstler gerade nicht negativ berührt.

Ein Beispiel:

Ich bin mit einem Freund die Nöte durchgegangen, die ich mit der Verwaltung unserer Immobilie hatte, ein Geschäftshaus, das meine Eltern bauten. Es gab Streit mit meiner Schwester, als unsere Eltern starben. Mein Freund hat mich tatkräftig unterstützt, manches zu entwirren. Er hat selbst viel Geld in Immobilien, wäre als möglicher Partner in Frage gekommen, meine Schwester auszuzahlen oder bei uns einzusteigen. Während eines denkwürdigen Tages haben wir einiges besprochen bei längeren Fahrten mit seinem Wagen in eine abgelegene Werkstadt, dann von dort über Land mit verschiedenen Bussen zu unserem Haus und abends wieder zurück, den reparierten Mercedes abzuholen. Zwischendurch gab’s Cheeseburger. McDonalds lag auf dem Weg. Es regnete, und der Bus ließ auf sich warten. Wir stapften los, nahebei ein Restaurant zu finden und stopften Fast Food rein. Da kamen wir auf die Kunst zu sprechen. Mein Freund meinte unverblümt: „Weißt du John, was bei mir an der Wand hängt über dem Sofa oder so, ist mir vollkommen egal. Das könnte ein toller Viermaster in stürmischer See sein, von Johannes Holst gemalt oder irgendeine abstrakte Schmiererei und genauso die leere, weiße Wand. Das interessiert mich nicht.“ Nicht schlimm zu hören, angesichts dieser Authentizität! Dieser Freund hat sich ins Zeug gelegt für uns, Streit hinter den Kulissen gemanagt und Wogen geglättet, durch seine Kunst zu verhandeln. Das kann ich sagen und deutlich machen, dass er meine Bilder nicht loben muss, damit ich ihn respektiere. Es gibt andere, da schaue ich heute genauer hin, damit mich nicht kränkt, wenn ich verarscht werde.

Die Botschaft einer Kunst ist bedeutsam, aber wenn mir vorgekaut werden muss, wie sie lautet und ausreichend Fremde nötig sind, die ein Werk huldigen, ich nur deswegen drauf schaue, wird das Bild Nebensache. Meine eigene Arbeit bedeutet, lange an großen Flächen schaffen, bis ich zufrieden bin.

„Du solltest auf der Reeperbahn ausstellen.“

Mir scheint, würde im Ergebnis eine große Brandungswelle abgebildet (oder sonst was Banales), aber ganz echt abgemalt, bekäme ich unendlich viel Lob für meinen Fleiß und die Kunstfertigkeit.

Wie blöd ist das?

„Nick Knatterton“ wäre, laut seinem Erfinder Manfred Schmidt, als allgemeine Kritik am Comic gedacht gewesen. Damals moderne Superhelden sollten aufs Korn genommen werden, aber niemand verstünde das, klagte der erfolgreiche Zeichner in der Quick. So gesehen bilden meine Nackten Pornografie als ein Thema der Kunst ab, aber die Betrachter erkennen nur die Wichsvorlage, den Porno selbst darin. Auf meine Bilder schaut man kurz und dann weg, so kommt es mir vor. Bis ich fertig bin mit dem Glanz auf einem Oberschenkel, muss ich lange probieren, wo diese Helligkeit sein könnte, und wie man das malt. Es ist schwierig, wie sich mit einer Winterlandschaft abzumühen, bis diese kalt und still unser Herz berührt. Ich bleibe isoliert, die anderen schauen kurz hin. Porno ist es für sie, und weg wollen sie. Die Welt kommt nicht nach Schenefeld, fragt: „Was machst du gerade, John?“ Ich müsste ausstellen am passenden Platz und nicht auf Leute hoffen, sondern auf die Richtigen. Dort, wo immer es sein könnte, hinzugelangen, und wie man das macht, erkenne ich nicht. Das erweist sich als zu schwierig für mich, dass ich es längst aufgegeben habe, nicht mehr will. Die Motivation lässt nach. Mein Arbeitstempo wird geringer. Ich pinsele vor mich hin und habe, was das mit der Anerkennung betrifft, resigniert. Ich bin oft nicht einmal unglücklich und freue mich, die Umgebung in diesem Sinne zu verstehen. Es scheint mir ein Fehler der anderen zu sein. Außerdem bewundere ich Kunst aufrichtig. Da sind zeitgenössische Bilder, die ich mag. Sie werden heute erfolgreich gemalt und verkauft. Wie klug müssen Maler und Malerinnen sein, die das hinbekommen, beim ganzen Scheiß überall, der ebenso funktioniert?

# Am Rand leben

Seit vielen Jahren erlebe ich, was inzwischen unter dem Begriff Cancel Culture etabliert ist. Immer weiter geht das Aufkündigen von Beziehungen. Eine Absetzbewegung von mir weg scheint sich fortzusetzen. Das erfasst auch alte Freundschaften nach dem Motto, ich müsste ja selbst wissen, wieso.

Ich weiß es nicht.

Manche Leute haben Mundgeruch, und das wäre wohl ein Grund, auf Abstand zu gehen? So einfach scheint die Sache nicht zu sein. Es könnte meine Fehlinterpretation sein, Dinge im Zusammenhang zu sehen, die unabhängig irgendwann passierten? Man zählt innerlich alle Kündigungen, nicht erreichte Ziele im Leben zusammen, begreift Misserfolge als grundsätzliche Verschwörung:

„Gott hasst mich.“

Für einen fantasievollen Menschen kommen paranoide Ideen in Frage, woran es liegen könnte. Man nimmt an, selbst schuld zu sein oder redet sich ein, die anderen mobbten, weil Menschen eben fies handelten aus Prinzip. Alle sind böse, ist das psychotische Weltbild. Da kommen Alpträume der Art, eine furchtbare Krankheit habe man, alle wüssten davon, nur man selbst würde im Dunkeln gelassen und manipuliert. Meine Lebensgeschichte bietet reichlich Frustkuhlen, die für intellektuelle Viren geeignete Haltepunkte bilden könnten, wo sich bösartiges und selbstzerfressendes Gedankengut ansiedelt. Wahrscheinlicher ist also eine bloß eingebildete Krankheit, ein selbstgemachtes Übel. Eine Denkfalle gibt den Nährboden für wiederkehrende psychische Ausfälle. Entsprechende Geister verjage ich mit wenig Erfolg wie Mücken im Sommer im Sumpf, wie Don Quijote Windmühlen haute. Da könnte auch einfach Rufmord unterwegs sein, denke ich? Das hilft am Besten.

Wären meine (unbestrittenen) Psychosen früher selbstgemachtes Übel, bedeutete, keine neuen Schübe bekommen, begriffen zu haben, wie man es anstellt(e), krank zu werden. Das wird einem nicht gesagt. Die persönliche Betriebsanleitung für mich liegt nicht vor. Der Arzt möchte, dass sein Patient selbst herausfindet, woran es liegt oder hat schlichtweg keine Ahnung. So einer verschreibt, was die Pharma anbietet, plappert weiter, was man ihm im Studium sagte: Das wäre die Inzucht des Establishments. Deswegen, weil ich das glaube, helfe ich mir selbst, werfe nie was ein, gehe zu keinem Doktor, verachte Mediziner. Ich ertrage die Peinlichkeit, wenn’s nicht klappt. Was steht also zwischen mir und den anderen, frage ich mich, die unmöglichen Bilder, meine Texte, die Polizei, die mich mutmaßlich überwacht oder mein, wie die Leute denken, unverdientes Glück, auskömmlich zu leben? Eine Karriere als „Psycho“ könnte der Grund sein, keine Partner zu finden und gäbe eine tragfähige Erklärung, dass Beziehungen kaputtgehen. Warum scheitern sogar alte Freundschaften? Leute, mit denen ich ein halbes Leben lang zusammen segelte, gehen auf Distanz, warum? Man kann sie nicht fragen. Die Welt nutzt eine eloquente Weise, sich zu verbergen. Eine unaufdringliche Glibschigkeit ist nicht fassbar. Kann man also die Etablierten nicht ändern, bleibt nur, selbst zu gehen. Ganz weit weg wie – darum machen Menschen Suizid. Die Alternative wäre zufrieden sein, die eigene Macke herausfinden, abzustellen.

Man hört auf, anderen hinterherzulaufen.

# Das Problem

„Du hast Talent, wir anderen müssen arbeiten“, fand mein Onkel. Manche könnten mit mir ein Problem haben, und ich habe eines mit meiner unzuverlässigen Gesundheit. So wird meine Vernunft von der Umgebung nachhaltig gestört. Ein Trauma nötigt meine Leitungszentrale zur Überreaktion. Paradoxerweise werde ich von der Masse als Gestörter beleidigt. Diese Umgebung aber hat ursächlich die Schuld an meiner missratenen Entwicklung. Wer störte mich, wenn nicht andere? Ein spezielles Gen, das Psychosen erblich festlegte, fand sich meines Wissens nach bislang nicht. So könnte man beginnen, das Wesen der im Volksmund gespaltenen Persönlichkeit zu beschreiben. Nach meiner ersten Psychose oder jedenfalls beim zweiten Mal, als ich eine Episode zu bewältigen hatte, sagte ein Psychiater meiner Mutter diese Erklärung: „Ihr Sohn hat eine Erkrankung des Erwachsenwerdens.“ Ich selbst habe diesen Satz so nicht von dem Arzt gehört.

Eine gute Formulierung ist das.

Die Fachärzte gefallen sich bei einer Vielzahl von möglichen Erklärungen im Dschungel ihrer Diagnosen, die besondere zu finden. Eine grundsätzliche Unterscheidung ist zu treffen, so sagte man mir, ob der Erkrankte (auch zukünftig) als manisch depressiv gelte oder sich aus dem Topf der schizophrenen Psychosen bediente bei seiner wahnhaften Aktivität. Die Behandlung erfolgt nach Standards. Damit die korrekte Form angewendet wird, die nachweislich die besten Ergebnisse bringt, möchte man zunächst wissen, womit man’s zu tun hat. Das geschieht durch Befragung, wie lief dieser Wahn ab? Die Heftigkeit meiner Schübe, so wie diese mich in den ersten Jahren nach Beendigung meines Studiums gehäuft aus dem Leben katapultieren – nur knapp zwei Jahre gelang mir, jeweils klarzukommen, bis es erneut zur Erkrankung kam – wäre ein positives Signal, meinte der Arzt. Das deute auf Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis hin, und da gebe es eine Reihe von Unterdiagnosen. Psychotisches Verhalten wird zunächst übergeordnet begriffen und schließlich speziell dargestellt. So findet man Menschen, die eine Form dieser Auffälligkeit generieren und andere, ähnliche Verläufe unwahrscheinlich machen. Es gäbe die Schizophrenie als solche, meinte der Psychiater zu wissen, damit bezeichne man den kontinuierlich negativen Verlauf einer degenerativen Verhaltensstörung. Diese Menschen bekämen eine eher unspezifische und leichte Psychose, die aber nicht aufhören wolle trotz Medikation. Das hieße, man könne solche Patienten nur begleiten, nicht vollends zur Gesundheit hinführen. Der Arzt schien sich sicher: „Sie, Herr Bassiner, können das nicht bekommen.“ Ich hätte mir die bessere Variante ausgesucht, war die Einschätzung, heftig wie ein Gewitter, spontan, aber genauso schnell vorbei mit einer guten Prognose, dass alles insgesamt besser werden könne.

So stellt sich die Sache für mich als beschissen, aber mit positiver Perspektive dar. Heute sehe ich die Arbeit der Psychiatrie durchweg kritisch und stelle die Art und Weise, wie Diagnosen als Basis einer Behandlung Anwendung finden, grundsätzlich in Frage hinsichtlich ihrer Fachlichkeit. Da ist viel Ballast als Resultat der Entwicklung dieser Fakultät, was den Doktoren den Blick auf ihren speziellen Fall jeweils schwer macht. Für die Ärzte gibt es ihre Diagnosen und damit den Menschen, der etwas hat. Das ist falsch. Wir haben eine Jacke, ein Auto und meinetwegen die Grippe, aber wir haben keine psychische Krankheit. Kranke sind krank, aber eine Krankheit haben, kann nur jemand, wenn sie übertragbar ist wenigstens der Art nach. Ein Beinbruch ist keine Krankheit, weder übertragbar noch gleich dem Bruch von irgendwem. Man kann deswegen Fieber haben und ist unbestritten krank. Ich kann sagen, ich habe ein gebrochenes Bein und bin krank. Ich habe die Krankheit „Beinbruch“ klingt aber komisch.

Volkskrankheit Krebs: „Ich habe einen Tumor“, wäre eine wahre Satzkonstruktion. Da gibt es ein feindseliges Etwas im ansonsten vitalen Körper. Das Teil frisst an mir, wächst. Das ist ein böses Ding. „Der Krebs“ hingegen ist bloß ein Wort. Mit diesem Begriff wollen wir mehr sagen als nur „Tumor“. Schnupfen scheint übertragbar durch Tröpfcheninfektion. In der Tat befällt das Virus viele Leute und alle sind damit infiziert. Wüssten wir, sie hätten denselben Erreger, könnten wir uns fragen, ob alle diese Menschen die gleiche Krankheit durchlebten, und die Antwort ist nein. Man geht von ähnlichen Verhaltensweisen aus und generiert einen Begriff, der vielen zugeschrieben wird. Das heißt nur, dass der Arzt eine Karteikarte hat. Die heftet der dem Patienten an, und diese Karte hat dann der Kranke. Deswegen hat niemand eine Krankheit, die andere auch hätten, aber so wird es dargestellt. Es bedeutet mehr als theoretische Rechthaberei von mir zu behaupten und gebiert beileibe nicht ideologische Verbohrtheit.

Man misst, was im Gehirn passiert und ist besser geworden zu belegen, wie das Dopamin seine Rolle spielt als Botenstoff. Die Pharmazie bietet eine Reihe von Wirkstoffen an mit gut kalkulierbaren Auswirkungen. Das kann niemand in Frage stellen. Ein psychotischer Mensch hat nachweislich Fehlfunktionen im Gehirn und ist somit krank. Wer will das bestreiten? Aber wie bei einer Krebserkrankung, wo die Menschen ähnliche Verlaufsformen entwickeln, haben sie nicht Krebs, wie es heißt, sondern dinglich sind bloß die Tumore. Krebs ist ein Wort wie Schizophrenie. Ich kann nicht meinen Krebs jemandem geben, wie eine Wollhandkrabbe aus dem Watt fischen und weiterreichen. Ich mag ähnliche Blödheiten wie ein anderer machen im Wahn, kann aber diese spezielle Krankheit nicht als Virus übertragen. Das macht erheblichen Unterschied, so zu denken, wenn man vorankommen will.

Jeder Mensch könne eine Psychose erleiden, meinte mein Arzt. Viele Künstler wären mindestens einmal im Leben daran erkrankt. Er erklärte, wie es zur Haschpsychose käme bei Leuten, die kifften. Er beschrieb den einmaligen Liebeswahn, der sogar gestandene Männer spät im Leben erwischt und überraschend aus der Bahn wirft. Demgegenüber hätten Menschen, die im jungen Erwachsenenalter mehr als einmal erkrankten, die Prognose, dass es immer wiederkäme: So sei das bei mir. Die Hoffnung, die ich mir machen könne, bestünde insofern, dass einige mit dieser Form den sogenannten „positiven Knick“ erlebten im Verlauf ihrer Krankheitskarriere und die Sache später deutlich besser würde. Größere Abstände zwischen den Schüben, leichtere Verläufe, und bei manchen höre das ganz auf mit den Psychosen, sagte der Psychiater. Das könne niemand voraussagen. Ein Eingeständnis der Unfähigkeit? Besonders im Hinblick auf die zahlreichen, voneinander abweichenden Gutachten, von denen wir in der Zeitung lesen bei krankhaft motivierten Gewaltverbrechen, ist es das Totalversagen einer ganzen Berufsgruppe.

Der Fehler ist gesamtgesellschaftlich. „Bekämpfen Sie den Schmerz!“ Man tut, als gäbe es einen Schmerz für alle wie den Sand, das Meer, die Berge. So gesehen wird Schmerz stofflich, und das ist Unsinn. Der Schmerz ist das Leid seines Trägers mit dessen individueller Erfahrung. Manche haben Migräne durch den starren Blick auf ihren Computer? Andere führen Tätigkeiten aus wie Bildschirmarbeit, ohne Kopfschmerzen zu bekommen. Deswegen liegt der Fehler dieser Kopfschmerzen, die welche am Arbeitsplatz haben, nicht am „auf den Monitor glotzen“ oder falscher Haltung, sondern an mangelnder Bewusstheit. Es gibt keine schlechte Haltung oder böse Bildschirme. Jede Haltung ist machbar und somit in Ordnung. Ein Kopfstand ist nicht schlecht, wie lange man das tun kann, eine Frage des Trainings. Da hilft bei Schwierigkeiten nur, zu merken, wie intensiv man die Arbeit durchführt, bis eine Pause nötig wird. Jede Haltung oder Tätigkeit taugt, sie anzuwenden, aber nur ein Profi im entsprechenden Alter (beispielsweise) kann einen Marathon gewinnen, den Abfahrtslauf im halsbrecherischen Tempo usw. Die dafür nötige Haltung erlernt man nicht mal eben. Wenn ein Ungeübter Schwieriges angeht, tut das schnell irgendwo weh, während ein trainierter Mensch lange dabei bleiben kann und mit Leichtigkeit den Parcours abläuft. Bekämpfe ich den Schmerz, haue ich mir selbst was auf die Birne mit dem Ziel, anderswo im Leib nichts zu merken. Das muss auf Dauer den Menschen selbst kaputt machen. Man bekämpft sich tatsächlich selbst und wird um diese Realität betrogen, glaubt man der Pharma und zahlt voll drauf.

„Sie haben eine Psychose.“

Das generiert den gleichen Unfug. Wir machen den uns allen gemeinsamen Fehler. Losgelöst vom Wirt wird’s (könnte man sagen) zur reinen Worthülse. Menschen verwechseln reden mit denken, mit Dingen. „Aufgestaute Aggressionen“, gibt es nicht. Ich kann meine Wut nicht hinter eine Mauer legen. Da ist kein Sack mit Wut, und es gibt diese Wand nicht im Gehirn, und meine Aggression ist auch nicht die von jemand anderem, die man untereinander tauschen könnte als „die Aggression“. Gewalt anzuprangern, brandmarken nützt nur dem, der sich damit brüstet, ein besserer Mensch zu sein. Man kann nicht so tun, als gäbe es Gewalt an sich, sondern muss immer darauf schauen, aus welcher Motivation diese geschehen ist bei wem? Käme man ab von diesem etablierten Denken, die Begriffe mit den Menschen dahinter gleichzusetzen, fänden sich bessere Wege für diese Probleme. Es gäbe nicht Schizophrene, Pädophile. Die Keine-Schubladen-Theorie: Man würde sich mit den Verbrechen beschäftigen, dem Übergriff, dem Missbrauch, Leid – statt dem, was als „strafbar“ einen Hebel gibt für die, die mit diesem Werkzeug auskömmlich leben.

Handwerker hebeln Verklemmtes lose. Der Seelenklempner wurschtelt wie einer, der mit dem falschen Werkzeug unterwegs ist. „Die Raspel nimmt der Schuster“, ist ein abfälliger Spruch im Bootsbau, wo man elegantes Arbeiten mit dem Stemmeisen schätzt oder den Hobel verwendet. Hilflos ist unsre Gesellschaft bei krankhaften Verbrechen und sollte sich das zuallererst mal eingestehen, dann erst richten.

Wenn einjeder und jede von uns psychotisch erkranken kann, ist dafür wohl ein höherer Stresspegel vonnöten, und dieser mag unterschiedlich empfunden werden. Stress ist genauso zunächst bloß ein Begriff. Was jemand locker wegsteckt, dürfte anderen für neurotische Hektik genügen, und im schlimmsten Fall geschieht Schlimmeres, die Psychose beginnt. Das bedeutet, wer die entsprechende Veranlagung hat, wird leichter psychotisch, aber was heißt Veranlagung? Das wieder ist nur ein Wort, das wir uns ausdachten, um etwas zu klassifizieren, das wir nur ungenügend verstehen.

Mit mir selbst, um ein plastisches Beispiel zu geben, war es, was die Krankheit betrifft, deutlich besser geworden, im oben beschriebenen Sinn, als wir hier ins Dorf zogen. Ich kann ein Arbeitsleben als Illustrator vorweisen, das für mich nicht einfach hinzubekommen gewesen ist. Ich bin verheiratet seit der Jahrtausendwende. Wir haben einen Sohn, der als erwachsen anzusehen ist und seiner Arbeit nachgeht anschließend der Ausbildung. Er wohnt in eigener Wohnung und macht mich stolz. Das gibt ein normales Abbild einer normalen Familie, aber das sind wir eher nicht. Was heißt schon normal? Wir kamen hier im Westen Hamburgs an, als ich noch kaum malte, im Auftrag illustrierte.

Ich stellte mich mit ersten Bildchen im Café vor und bald aus. Einige Jahre später zeigte ich noch einmal neue Bilder dort. Ich fand erste Kunstfreunde im Ort. Zu der Zeit traute ich mich, besondere Themen zu suchen und kam weg von netten Landschaftsaquarellen. Ich ging wie gewohnt zum psychiatrischen Arzt etwa alle vier Wochen und nahm an, das weiter zu tun. Er gab mir Halt. Den brauchte ich. Der letzte Erkrankungsschub lag schon zurück, als es in leichter Form wieder passierte, und ich ein Wochenende auf eigenen Wunsch in einer Klinik ausprobierte mit dem guten Gefühl, das steuern zu können. Zu merken, wann’s losgeht ist schon mal was, wenn dafür nur der eigene, kranke Kopf zur Verfügung steht. Man täuscht sich und andere, macht allen was vor, bis es zu spät ist, die typische Misere.

Und dann grabbelt uns jemand irgendwo auf.

Zur Zeit der zweiten Ausstellung im erwähnten Café verfasste ich ein mehrseitiges Geschreibsel nach dem Genuss einer Flasche Rotwein. Das geschah nächtens, als sich meine Frau auf Kurzurlaub in Süddeutschland befand. Das Thema des Machwerks, überschrieben mit „an das Landeskriminalamt“ oder ähnlich, war Pornografie im Internet, damals noch Neuland, wie das Übel digital einzuschätzen wäre. Morgens und nüchtern – nach reiflicher Überlegung – schickte ich einige Seiten handschriftlicher Betrachtungen nach Kiel. Ich wolle diskutieren mit der Polizei, meinte ich. Ich fertigte eine Kopie für den Psychiater, der mich behandelt hatte, machte eine zweite für den aktuellen.

„Das haben Sie abgeschickt!“, mein behandelnder Arzt wurde kreidebleich, plötzlich galt ich als gesund. Meine geringe Dosis Risperdal könne ich absetzen und käme doch allein klar?

Erstaunlich.

# Die Polizei, eine schöne Frau

Die Polizei, wie sie ist, diskutiert nicht. Ich wurde vorgeladen. „Wir schauen uns solche wie Sie mal an“, hieß es in der Wache in der Kreisstadt (in der Provinz). Über diesem Kaff leuchten die Sternchen nicht. Unverpixelt bleibt die Armseligkeit dieser Häusersammlung:

Pinneberg.

„Solche wie Sie“, möglicherweise habe ich diese Bemerkung zu wörtlich genommen? Manches irritiert. Ein Schreiben, das Verfahren würde eingestellt, kam nie. Ansonsten erinnere ich das „Diskutieren“ im Dienstzimmer als amüsant. Ich fragte, warum uns Schwanzgestörten nicht im Sinne der amtierenden Pornografieministerin geholfen würde mittels Stoppschild (wie in Skandinavien üblich) beim Weg in die falsche Richtung. „Frau von der Leyen ist doof“, sagte wortgetreu die Kriminaloberkommissarin. „Wenn wir das machten oder Kinderpornografie löschten, stellt derjenige seine Bilder nur eine Minute später anderswo neu ein.“ Der Begriff „Darknet“ war zu dieser Zeit, als wir sprachen, noch nicht üblich. Die allen zugängliche Suchmaschine öffnete alle Türen. Es hat sich einiges getan. Damals machte mir zu schaffen, es gebe direkt über Google unzählige Bilder von Nudisten, die Familienbilder, Schönheitswettbewerbe einstellten, das könne jeder aufrufen, sagte ich, und wollte es genau wissen:

„Was ist Kinderpornografie?“

„Die Beine breit.“

Ich probierte, herauszufinden, ob das, was ich mir anschaute, zu weit ginge? Es wurde deutlich, dass zunächst ein Ermessensspielraum im Verhältnis Nutzer zur Polizei einzuschätzen ist, was was wäre. Das umgekehrt herauszufinden, was ich für einer sei, war auch das Ziel der Kommissarin. Ich gab zu bedenken, dass man beim Klicken von Vorschaubildchen nicht wüsste, was sich für eine Seite öffnete und fragte, wie wahrscheinlich es wäre, so auf verbotene Inhalte zu stoßen? Sie beruhigte insofern, es bräuchte kriminelle Energie, meinte wörtlich:

„Man kommt schwer ran.“

Mir wurde klar, sie wusste nicht, was ich machte, wer ich bin und was von mir zu halten wäre. Ich hatte keine Ahnung von der Arbeit unserer Polizei.

Sie taxierte, ob ich mit anderen im Kontakt wäre, pornografische Bilder zu tauschen, einen passenden „Freund“ hätte, und ich war perplex.

„So einen Freund habe ich nicht.“

„Dann ist bei Ihnen wohl nichts zu holen?“

„Bestimmt nicht.“

Sie gab mir Ratschläge, etwa meine Ehe betreffend, das Bad nicht gemeinsam zu nutzen, um das Prickeln zu erhalten und solche Sachen, war insgesamt gutaussehend, jung und humorvoll – langes blondes Haar.

Anschließend begann mein neues Leben im (jetzt nicht allzu genau genannten) Dorf*.

Nur ein Beispiel, eine Zeit lang traf ich regelmäßig und überall scheinbar eine Frau mit behindertem Kind, half ihr in den Bus mit dem Rollstuhl. Wir plauderten? Ich fiel auf sie herein. Ob ich nicht ihre Tochter malen wolle, sie unterbrach sich: ihre „schöne“ Tochter? Sie wollte wissen, was ich von Edathy hielte? Das ging einige Zeit, wurde weniger, da verplapperte sie sich:

„Schön, wenn man sich auch mal zufällig trifft.“

Wie bitte?

# Im Auge des Betrachters Kunst

Gekürzt weiter: Was zwischen A. und mir steht, ist vor allem der Abend im Cotton Club. Wir gingen des Nachts in einen Jazzkeller zusammen, und meine liebe Ehefrau war einfach bloß zu Hause geblieben (am Abend vor der Beerdigung meiner Mutter übrigens). Spätestens jetzt hätten alle Beteiligten aufwachen müssen, nicht zuletzt ich selbst aus einem Traum: Meine Lieblingskapelle, meine beste Freundin, die ich möglicherweise zu liebgewonnen hatte, dazu die gestorbene Mutter, an die ich denken musste, nach einer definitiv als Horror empfundenen Phase mit ihrer Krebserkrankung. Wir erlebten ein nettes Event mit der Musik und Richard*, das ist der Trompeter. Diese Band spielt nur einmal im Jahr zusammen. Das ist montags vor Weihnachten. Auf Youtube findet sich tatsächlich ein Video mit mir im Halbdunkel. Auf der Bank rechts daneben ist A. bei dieser Beleuchtung nicht mehr zu erkennen. Als habe es das nie gegeben.

Im Nachhinein kamen bei mir Zweifel auf, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist, nicht Menschen darauf achteten, auf uns in der Nacht. Schlimmer noch drängt sich der Gedanke auf, meine Freundin der Kunst und Musik wäre bestens informiert gewesen und Teil einer Art Betreuung – oder eben Verarschung. Ich kann das nicht klären. Wir reden nicht. Nach einem weiteren, kameradschaftlichen Ausflug in die Hamburger Kunsthalle im Januar, wurde ich im Februar krank; heftig wie anfangs mit allen Blödheiten, die bei einer vollen Psychose dazugehören.

Ich behaupte, ich wurde krank gemacht.

Das mögen sich alle zu Gemüte führen, die so zwinkern, herumschwirren und zwitschern wie die Vögel, dass man Menschen tatsächlich auch verrückt machen kann durch so etwas. Zu viel Drumherum macht kirre. Sei’s drum, letztlich war das der Schub nach vorn, reichlich Dinge zu begreifen und ein Grund, diese Freundin für immer im Herzen zu tragen als eine, die zwischen die Fronten geriet, wofür sie wenig kann.

# Die Attacke, eine Abrechnung

Bald verspotteten mich die oberen Zehntausend hier unverholen: „Die ist doch viel zu jung für dich“ und mehr davon. Ich malte das Bild. Ich wurde angezeigt. Ich löschte die Website. Das Verfahren wurde eingestellt. Dann, das im Laden an der Kasse, ich habe es eingangs ja erzählt. Die waren einfach zu frech: Ich schlug zu, zahlte meinen Preis.

Und die anderen zahlten auch drauf.

Mein Krieg, ein Angriff oder doch Verteidigung; das mögen andere bewerten. Was ich heute als am Schlimmsten nachspüre, war dieser Moment, zuschlagen zu müssen. Ich möchte den Zwang beschreiben, also den nur winzigen Bruchteil einer Sekunde zum Nachdenken, als definitiv ungenügendes Geschenk meiner Handlungsfähigkeit, den ich von mir selbst bekam. Daran erinnere ich mich genau. Ich war bei Verstand, das nur nebenbei. Ich vermute, einige möchten gern beweisen, ich sei grundsätzlich gewalttätig oder krank. Aber ich habe tatsächlich ganz kurz überlegt, es nicht zu tun.

Dann stürmte ich los.

Ich lebte diese Wut aus. Es musste sein. Um so mehr freut mich, daraus die Fähigkeit zu reflektieren, innezuhalten, abzuwägen, wann immer es möglich ist. Und einmal verstanden, ist das zu meiner liebsten Beobachtung geworden, die ich mir ganz allein schenken darf. Hat man’s begriffen, gibt es viele Gelegenheiten, jemanden den Vortritt zu lassen. Es bieten sich unzählige Momente, zu bemerken, was als nächstes zu tun sinnvoll sein könnte und macht erstaunen, wie viele Alternativen bestehen.

Zum anderen bestätigt sich auch die Richtigkeit der Attacke. Das schickt sich nicht hinzuschreiben, weiß ich ja, aber wer böse gewesen ist, setzt sich gegebenenfalls doch durch. Das meine ich in dem Sinne, dass ich hier unbehelligt laufe. Unser allgemeines Drumherum gönnt mir vergnügliches Herumspazieren. Das sorgt für einen meistens entspannten Auftritt. Der erwähnte Mitarbeiter ist nicht mehr im Markt. Er habe geklaut, heißt es. Meine Widersacher sind dem Augenschein nach heute inzwischen hinfällige Senioren, dass man schon deswegen bemüht ist, Abstand zu halten. Aus einem rüstigen, einsneunzig Meter großen Lautsprecher ist ein trippelnder Opa geworden, und die Frau braucht den Rollator. Die Zahl ihrer Unterstützer, mich weiter zu provozieren, um mein wahnhaftes Handeln und anhaltende Gefährlichkeit belegen zu können, schwindet möglicherweise? Es ist ruhiger geworden. Irritationen gibt es doch. Haltung bewahren, ist geraten, abwarten.

Ich vermute, meine Freundin A. hat einen Knacks abbekommen.

Sie begegnet mir bloß wenige Male im Jahr, meist auf der anderen Straßenseite und beginnt in Laufschritt zu verfallen, von mir weg, schnell an mir vorbei, wenn wir einander gewahr werden. Zum Vergleich: Ich sehe die Eheleute, den Mann, den ich schlug, auch mal zufällig auf demselben Weg vor mir, biege dann vorsichtshalber ab, gehe nicht ins „Staddi“ und kaufe stattdessen bei Penny, vermeide Kontakt. Ich treffe das andere Ehepaar, Freunde der beiden, die ebenfalls in der Politik ehrenamtlich mitmachten, irgendwo – die gehen oft zu Fuß wie ich selbst –, und wir sagen sparsam „Guten Tag.“ Ähnlich ist es mit noch einigen, anderen hier im Dorf. Man trifft sich zufällig, ignoriert gar nicht.

Meiner ehemalig lieben Begleitung zahlreicher Unternehmungen begegne ich, wenn es passiert, ausschließlich vis à vis. Sie wird mutmaßlich betreut? Wir werden geprüft. Die wenigen Treffen sind konstruiert zu schauen, wie wir damit klarkommen, denke ich.

Es ist kein Zufall.

Wir gehen aneinander vorbei, und sie fängt an zu laufen.

Ich begreife „das da ist sie“, aber sie weiß es bereits vorher, so kommt mir das vor.

Sie sieht geradeaus, schaut wie paralysiert, will bloß weg.

Das ist das Ergebnis sämtlicher Aktivitäten? Es tut weh. Die guten Menschen und ich, der als böse geltende Mann, stehen in der Verantwortung.

„Verkackt hast du’s allein, John.“

Das sagt locker die* von oben aus ihrer Bude über der Stadt*.

# Bullen sind das, und sie scheißen ihre Fladen

Allem vorangestellt sei meine These, es mutmaßlich mit der Polizei als Gegner zu tun zu haben. Da müssen einfach Beamten sein, denen nicht gefällt, mich als alten Bekannten loslassen zu müssen als inzwischen gesund und leider ungefährlich? Wäre ich tatsächlich schlimm, bedrohte ich Mädchen im Dorf durch penetrante Anmache, drangsalierte ich Frauen wahnhaft, erledigte mich der Mob von nebenan noch vor der Polizei. Die Nachbarn würden „ein Zeichen setzen“, zivilcouragiert bekäme ich selbst Kloppe im Dunkeln. Man bespuckte, vergraulte mich aus diesem Dorf. Die Leute machten kurzen Prozess mit mir, stünden tatsächlich Sexualverbrechen im Raum, deren Bekanntwerden ich probierte zu vermeiden.

So kommt mir der Gedanke, der Staat selbst fischt im Trüben bei mir? Meine Nachbarschaft hat sich beruhigt. Der gesunde Menschenverstand besiegte alle Fakes.

Die polizeilichen Ordnungskräfte arbeiten mit üblichen Verdächtigen, und ich könnte einer von denen sein? Man fängt mich ab, drängelt, reizt, nervt penetrant. Das kenne ich schon. Mir kommt es wie Schmierentheater vor und ist weniger geworden immerhin. Ich gehe besser damit um. Es macht den Idioten weniger Spaß. Klappte es zukünftig doch einmal, mich zu provozieren, sagte man von Amts wegen: „Wir waren zufällig vor Ort, den polizeibekannten, vorbestraften Grafiker festzusetzen.“ Überstehe ich die auf meine Dünnhäutigkeit abzielenden Aktionen, erklärte man einander: „Er ist so weit stabil. Wir haben ihn auf dem Schirm.“ Es mag illegal sein und der Rechtsgrundlage entbehren. Da finden sich Ruheständler, private Hilfskräfte, die im Zweifelsfall das Gewünschte aussagen, bin ich überzeugt. Das ist verschwurbelt? Die Gegenseite empfindet genauso. Wie Polizisten zunehmend entarten, bösartig und verschworen denken, zumindest in Teilen, belegt eine Befragung.

# So steht es in der Zeitung

Polizisten: wird ihr Denken durch den Dienst radikaler? Angst vor Fehlinterpretation – Polizeiführung in Kiel will Studie vorerst geheimhalten, schreibt Redakteur Eckard Gehm im Tageblatt.

Wie erleben Polizisten ihren Alltag, wie prägt sie der Dienst – und entwickeln sie durch ihre Erfahrungen problematische Einstellungen? Der Landespolizei liegen erste Ergebnisse einer Studie dazu vor. (…).

Von Polizisten hat unsere Redaktion erfahren: Laut dieses Berichts gaben 35 Prozent der Beamten an (…) Zeuge von rassistischen Äußerungen von Kollegen oder Kolleginnen geworden zu sein. 29 Prozent sagten, sie hätten mindestens einmal die Verletzung von Dienstpflichten beobachtet. Und 19 Prozent stimmten der Aussage zu, Demonstrationen seien „oft nur ein Deckmantel für Menschen, die Krawall machen wollen“. Von den Befragten stimmten zudem 14 Prozent der Verschwörungsaussage zu, es gebe „geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben“. (…).

(Pinneberger Tageblatt, Montag, 27. November 2023).

Nichtsdestotrotz halte der Apparat als Ganzes (noch) stand, folge den Leitlinien, heißt es so ungefähr. Da glaube ich an das Böse innerhalb der Guten, was mich jagen könnte? Weiter spricht manches dafür, einen solchen Schatten zu haben und dass angeraten ist, diesen nicht zu ignorieren. Das gilt für mich durchaus auch im übertragenen Sinn. Über sich selbst lachen zu können, befreit von Angst, nötigt zum Hinterfragen. Meine Frau amüsiert sich oder reagiert genervt. Das hilft, die Dinge einzuordnen. Ein Korps könnte unterwegs sein, stelle ich mir vor, das der Art und Weise von Schauspielern nachempfunden ist, aber durch die eigenen Regeln eingebremst wird und so gesehen sportlich bleiben muss. Man sieht mich aus der Sicht von Erziehern, nicht aus dem Blickwinkel von brutaler Lynchjustiz, meine ich zu bemerken. Es sind wohlmeinend Arschlöcher.

Das kotzt mich an.

# Entartet

Mit mir kann man im direkten Zusammensein weiter konziliante und fröhliche Zweisamkeit erleben, ja – aber.

Nichts für Deutschland: Ich gehe nie wieder zu einer Wahl. Ich demonstriere nicht. Fragte mich die Polizei wegen sonst was, bäte um Unterstützung: „Haben Sie etwas bemerkt da und da?“, sagte ich: „Tut mir leid. Ich habe in die andere Richtung geschaut.“

Ich gehe nicht zum Arzt, sitze Beschwerden aus. Seit drei Jahren plagt mich mutmaßlich Reflux. Ich gehe nicht spiegeln. Ich bin nicht gegen Corona geimpft. Ich laufe zu keinerlei Vorsorge, Krebsvorsorge. (Ausgenommen Zahnarzt, Jörn ist mein Freund). Ich schlucke nie Pillen, nehme kein Aspirin, gar nichts.

Ich mache nach Möglichkeit nie etwas mit anderen zusammen in einer Gruppe. Ich musiziere nicht in einer Blaskapelle. Ich singe nicht im Chor. Ich ging nicht zum Jubiläumskonzert vom Chor, in dem ich sang. Ich gab mein kirchliches Engagement auf. Ich besuche keine Gottesdienste. Ich vermeide Kunstausstellungen, obschon ich regelmäßig Einladungen erhalte. Ich gehe nicht mehr zum Jazz. Ich war vor Heiligabend nicht im Cotton Club und ging auch nicht zum Weihnachtsfrühshoppen der Old Merry Tale in die Fabrik. Ich besuchte nicht die Winterversammlung der Interessengemeinschaft meiner Bootsklasse, deren Obman ich schon einmal gewesen bin, nahm nicht Teil beim anschließenden Grünkohlessen, boßelte nicht im Klövensteen mit den anderen und so weiter. Ich mag es nicht mehr, in Gesellschaft zu sein. Ich verspotte den Kunstkreis, wo’s geht usw.

Ich gehe um acht ins Bett, meine Frau schaut noch fern.

Ich stehe um fünf Uhr morgens auf und arbeite kreativ (ohne Wertschätzung dafür zu bekommen). Ich verkaufe meine Bilder nicht. Ich stelle nicht aus. Ich gebe das Erbe aus (nachdem meine Schwester mich zwang, Haus und Grund zu verkaufen, rede kein Wort mit der Familie, die doch meine ist), bis das Geld alle ist. Dann bitte ich um Unterstützung, und man wird sie mir geben. Menschen helfen Menschen, wenn man sie um Hilfe bittet.

Ich schaue auf euch, Leute, genau so.

Die große Caspar David Friedrich Ausstellung geht aktuell zu Ende. Ich war nicht vor Ort dabei, obwohl ich diesen Maler mag. Seine Bilder wären alle politisch gewesen, lernte ich in der Schule. Ich mag nicht mehr in die Kunsthalle gehen, wenn ich an mein letztes Dortsein denke. Mit A. war das, ich habe es erwähnt. Die Verarschung meiner Person total muss das gewesen sein. Das denke ich heute, und so bezeichne ich mich als Farbterroristen, jemanden, der Anschläge in die Tastatur haut, mit bunten Bildern Frauen entblößt, eine insgesamt schäbige Geisteshaltung pflegt. Mich bekommt die Gesellschaft nicht in ihre Mitte zurück und will das ja auch gar nicht. Die Leute sind beschäftigt zu rennen und ganzzeitig auf ihr Smartphone zu glotzen. Nebenbei sich über Peinlichkeiten, das Fehlverhalten anderer regen sie sich auf, sind insgesamt welche, mit denen ich nichts zu tun haben möchte.

Es zeigt sich, der Grund meiner Erkrankung liegt in der Vergangenheit. Ich hatte wohl eine hohe Erwartung an das Glück. Meine Eltern züchteten möglicherweise unbewusst ein Pflänzchen, das zu einem mächtigen Gestrüpp meiner Fantasie wurde. Dazu Leistungsdruck, endlich anzukommen, machte mich verheddern in den Dornen der Liebe. Das konnte keine Pharmakeule abtöten, diesen innersten Drang, doch noch das Blatt wenden zu können. Es machte mich blind für alles im Leben Erreichte. Ich war unfair gegen alle, nicht zuletzt gegen mich selbst! Nun bin ich in der glücklichen Lage, nirgendwo mehr hin zu wollen und im Unglück gefangen, dass meine Träume Schäume waren. Das erleben ja einige, die große Ernüchterung, ein Rausch ist vorbei.

Ich mag Frauen nicht, ist keine wirklich angenehme Erfahrung und schickt sich nicht auszusprechen. Künstler sind so. Sie wollen wissen, was man zu sagen, zu denken vermeidet, und dann bleibt ihnen nur das Bild. „Nolde? Das war ja auch ein großer Frauenhasser“, bekundete einst der Vater von Sven (ohne Pixelstern). Das habe ich seinerzeit nicht verstanden. Der Mann hat ein Autohaus, eine einigermaßen langweilige Beschäftigung und segelt extreme Kurse (in schon mal Schlechtwetter) zum Ausgleich. Er muss wissen, glaube ich heute, wovon er spricht. Der ist rothaarig gewesen wie ich selbst und mag entsprechende Erfahrungen gemacht haben, wer weiß? Er ist im selben Dorf aufgewachsen wie Nolde, der Maler, das könnte man als Beleg werten. Heute bin ich dankbar für solche Worte, seinerzeit verstand ich sie nicht. Was ist das, Männlichkeit?

Ich habe jetzt eine Idee davon.

Denkt man zu Ende, bedeutet es letztlich wenig Unterschied zum Bösen, dass wir hier lebten und nicht etwa in China, sondern im Rechtsstaat als Deutscher. Ob wir nur gepiesackt werden, als ins Visier geratener Bürger oder vom Staat so richtig fertiggemacht, entscheidet sich je nach dem, wer seinen Nutzen erkennt. So lebt die Demokratie vom Mitmachen und die Diktatur vom Mitlaufen. In Summe dürften bei uns mehr Einzelne mit Rückgrat leben, im Unrechtsstaat die Massen sich am Denunzieren nähren. Ein kleiner werdendes Glück? Gewinnen wir den Wirtschaftskrieg wie bisher, stehen die Chancen gut, dass unsere Freiheit das Umfallen der Dominos begrenzt. Hier kann der zu Unrecht Verdächtigte sich noch aus dem Netz wickeln. Zwei Anwälte haben mich bereits hervorragend unterstützt.

Vielen Dank!

Machbar ist das kapitale Behördenverbrechen auch bei uns. Wir leben nicht hinter dem Mond. Das soll heißen, eine spezielle Ausrüstung steht dem, der sie braucht, zur Verfügung. Die weltweite Konkurrenz der Staaten und die allgemeine technische Entwicklung zwingt die Vorgehensweisen der Ordnungskräfte aufs einheitliche Niveau. Verschieden sind nur die öffentlich sichtbaren Vorgänge. Was die deutschen Nachrichtendienste nicht dürfen, machen für uns die Kollegen im Ausland. Diese Spitzenfreunde schauen hin und sagen, was sie sehen, gern weiter. So abhängig ist unser Land von den Vereinigten Staaten, das man erschaudern möchte. Wir wollen mithalten? Dann legt dir auch heute noch der böse Bulle sein faules Ei, Drogenpäckchen oder vermeintliches Digitalverbrechen selbst ins Nest wie damals bei „Kojak“. Die Frage nach dem Motiv bleibt die relevante fürs Handeln. Das Vertrauen in den guten Wachtmeister, lieben Onkel Schutzmann aus den Zeiten von Kalle Blomquist und seinen Detektivgeschichten können wir getrost über Bord werfen.

Fantasie und Meinungsbildung gehen Hand in Hand. Noch dürfen wir frei denken, aber möglicherweise ist das bald verboten? Ich sage, wir haben doch in Deutschland das Gutsein nicht gepachtet! Hier gibt es Kriminelle wie überall, und nicht zuletzt bei der Polizei bieten sich dem geschassten Kollegen beste Möglichkeiten für Rache. Ich stelle mir vor, einer der mich auf dem Kieker hat, wird von Kameraden gemobbt: „Was hast du immer mit Bassiner?“ Der Scheißbulle nutzt jede Technik, seine pervertierte Fantasie. Das denke ich wirklich. Ich lernte, aus meiner nicht zu ergründenden Angst, wie sie tatsächlich jeden auf irgendeine Weise umtreibt, einen Pool zu machen, ein kreatives Becken und schöpfe daraus, male, schreibe, bin unendlich produktiv.

(Sternchen* heißt, dass Namen zum Schutz der Person geändert wurden).

So weit fertig mit allem und diesem Text, passiert das Folgende. Einige Sätze müssen noch sein.

# Ein luftiges Ei

Postskriptum, Ostersamstag – seit einer Stunde steht dieser Text, der lang geworden ist, ein zorniges Pamphlet, online. Da straft mich die Realität Lügen!

Es ist noch ein Einkauf zu machen. Montag ist geschlossen.

Ich muss das hier aufschreiben.

Eben komme ich mit meinen Sachen an die Kasse vom Rewe. Es sind mehrere geöffnet, die Schlangen sind lang. Wie ich mich so hinten dran stelle an einer, bemerke ich A. nebenan. Das kommt selten genug vor und elektrisiert noch immer. Ich bleibe scheinbar unbemerkt? Das hat es schon einige Jahre nicht mehr gegeben. Henna bloß, beim Bäcker und außerhalb vom Markt, die von gegenüber zu mir rübersieht; das gibt eine Verbindung. Auf dieser Linie genau befindet sich die andere Kasse. Aber auch Henna schaut nur leer in das Getümmel. Unsere Blicke treffen sich nicht. Sie hat ihre neue Brille auf, und auch ich trage zufällig meine, das macht blind? Henna ist dem Namen nach die von Allah gesegnete, und vielleicht stimmt das gerade für diesen Augenblick, denke ich. Es sind viele Leute drumherum, alles geht unter in dieser Masse. A. ist schon am Bezahlen, achtet nicht auf mich, hat viel dabei, umschlingt den Einkauf, ihre Tasche und einen prallen Jahrmarktballon. Es könnte ein Ostergeschenk sein, gasgefüllt, wie es das im Laden gegeben hat? Ich habe keine Ahnung. Kurz nicht richtig festgehalten, fliegt ihr das Ding nach oben weg und klebt an der Decke. Das Bändsel, ihn wieder herunterzuholen, ist ab? Sie scherzt mit Leuten an der Kasse, und es findet sich Hilfe, das Malheur in den Griff zu bekommen. Keine Panik, wenn ich nicht auftauche in ihrem Leben. Draußen steige ich unnötigerweise in den Bus, der kommt ja gerade – und sehe noch, wie meine Problemperson* versonnen mit dem Ballon durch die alte Landstraße schlendert.

Und ich fahre einfach Bus für zwei Euro, bin gern gefangen auf dem Bogen nach Hause. Das sei mein flotter Heimweg und begleicht die Zinsen meiner Schulden beim Herrn für manches böse Wort.

Fröhliche Ostern!

🙂