Das ist mein Leben

Heute bietet sich mir die willkommene Gelegenheit und eine gute Geschichte, die Floskel von angeblich aufgestauter Wut mit einem Erlebnis zu konfrontieren, das im stinknormalen Alltag seinen Platz findet: Gut gelaunt bezahle ich gerade meinen Einkauf im Supermarkt. Das ist ein Paket Druckerpapier und drei Patronen mit der am meisten verbrauchten, schwarzen Farbe. Eine schon nicht mehr geringe Summe fällt an. Dafür zücke ich meine Karte, den Packen nicht bar zu bezahlen. Ein normaler Vorgang und auch, sich einen Kontoauszug zu ziehen gleich gegenüber. Die Sparkasse hat im größeren Eingangsbereich des Marktes ihre Automaten aufgestellt, wie praktisch ist das. Neben dem Drucker steht ein Tisch. Dort lege ich das Gekaufte ab und wende mich dem Gerät zu. Zwei Karten habe ich bei dieser Bank, das Girokonto, und mein Depot möchte ich einsehen. Nachdem ich mit der ersten Karte fertig bin, sie entnehme und auf die Ausdrucke warte, könnte der Mann, von dem ich erzählen möchte, bereits neben mir gewartet haben? Das habe ich nicht registriert. Es gibt eine kriminelle Masche, den Chip auszulesen, und dafür muss derjenige nahebei stehen. Später habe ich daran gedacht, dass es so gewesen sein könnte? Ich schiebe nun also die zweite Karte vom Depot in den Schlitz und bald darauf fordert mich der Kontoauszugsdrucker auf, sie zu entnehmen wie beim vorangegangenen Mal mit der anderen Karte – dann kämen die Ausdrucke, die ich bitte nicht vergessen dürfe.

So kennt man die Hinweise.

Während ich auf die Karte schaue, wie sie gerade wieder aus dem Ding kommt und danach greifen möchte, bemerke ich nun rechts von mir den Rentner. Er ist im Begriff zeitnah seine Karte in das Gerät schieben zu wollen und berührt beinahe meine Hand. Ich möchte ja aber erst einmal meine eigene EC-Karte rausziehen.

Und dann kommen noch die Ausdrucke für mich aus dem Schlitz, wie angekündigt.

„Moment“, sage ich – noch freundlich und erbitte mir Abstand. Das kümmert ihn nicht. Was ihn abhält weiterzumachen, ist lediglich, dass die Maschine noch nicht fertig ist mit dem Vorgang, mir die Ausdrucke auszuspucken. Der Senior ist auf Tuchfühlung, berührt mich nun ungeduldig tatsächlich, und mir geht es entschieden zu weit. „Sie sind frech“, werde ich deutlich, und fordere ihn auf, bitte zu warten, auf Abstand zu bleiben, wie es sich gehöre. „Na, na“, meint der beschwichtigend, „Sie glauben doch nicht, dass ich Ihnen in die Zahlen schaue.“

„Sie sind frech und bedrängen mich, während ich beschäftigt bin.“

Als ich meine Kontoauszüge aus dem Gerät nehme, steckt der Mann, es ist ein großer Typ, der mich ein wenig überragt, also einsneunzig dürfte er sein, unverzüglich seine Karte in den Schlitz. Er rückt direkt vor den Kasten, dass ich mich als verdrängt begreifen muss, wie ich meinen Krempel vom Tisch räume. Er macht deutlich, dass er mich nicht ernst nimmt. „Sie selbst sind frech“, stellt er seelenruhig fest, ohne sich mir auch nur zuzuwenden. Er hat einen kaum grauen Bart, weniger dichtes Haar, ist jedenfalls ein agiler Senior und bleibt vollkommen gelassen.

Er respektiert meinen Ärger gar nicht.

„Sie können noch in die Fresse haben, aber so richtig!“, sage ich im Weggehen. Der Mann reagiert nicht. Er zieht seine Ausdrucke. Ich bin einfach nur ein Spinner für ihn, glaube ich, und gehe aus dem Bereich der Sparkasse in Richtung Ausgang.

Da ist nichts mit aufgestauter Wut in mir. Das ist spontan auflebender Hass auf den Mann und bald darauf auf Rentner in Deutschland generell. Ich mag es an Selbstbewusstsein vermissen lassen, aber dieses Arschloch ist mitnichten besser in seiner Ruhe. Ein souveräner Mensch hätte gesagt: „Entschuldigung“, wäre zwei Schritte zurückgewichen. Ich stelle mir vor, mir wäre alles egal und in meiner Tasche hätte sich ein Messer befunden? Vielleicht hätte ich einen schlechten Tag, und möglicherweise wäre ich fremd in Deutschland mit ein paar Problemen zusätzlich. Den hätte ich zu Hackfleisch gemacht. Das steht auch jedem Asylbewerber zu, denke ich tatsächlich. Da bin ich womöglich allein mit dieser Meinung? Doch, abschlachten sollten sie eingebildete Konsumenten in einem der reichsten Länder der Welt. Manchmal passiert es ja, und das wird mehr werden, solange unsere Regierung nicht konsequent deutlich macht, wer hier nicht hingehört. Ein schwache Führung begünstigt den Rechtsruck.

Es sind zwei Parteien nötig für einen Streit und Gewalt. Da ist das vorhandene System, das sich keiner Schuld bewusst sein möchte, weil nicht wenige glauben, ihnen stünde der verdiente Wohlstand zu. Alle könnten sich doch zivilisiert verhalten, sagen viele. Dass diese feisten Ärsche hier gar nicht kultiviert sind, sondern nur vergleichsweise reich und sich für bessere Menschen halten, übersieht man schon mal. Dann, zweitens, müsste ein Land seine Grenzen konstruktiv schützen und nicht hilflos rumeiern. Das würde helfen, trotzige Wähler ernstzunehmen.

# Das Arschloch

Wer so gar nicht meine Kritik respektiert, er „rücke mir auf die Pelle, sei frech“, macht das Ganze mit voller Absicht und nicht zum ersten Mal. Ein alberner Dialog und unnötig. Sich dabei gepflegt zu siezen, unterstreicht den Hohn einer Aktion. Beinahe wie inszeniert, denke ich. Es bedeutet großkotzig sein und Verarschung auszuleben. Auch im Straßenverkehr gilt: „Jetzt komme ich und verpiss dich!“, dem Gegenüber zu verstehen geben:

„Was hast du denn?“

So stelle ich mir Rechtswähler vor. Der hält sich für was, sieht sich berechtigt, zu bestimmen. Als kriminell oder gestört gelte im Zweifelsfall ich. Das ist immer derjenige, der sich nicht beherrschen konnte. Gewalt wird isoliert betrachtet, als sei das ein böses Ding. Man sieht Aggression wie Stofflichkeit und abgetrennt vom Menschen, der sie ausübt, losgelöst von der Geschichte, die über Provokation schließlich zum Krieg führt. Wir haben unsere Vergangenheit und entsprechenden Hintergrund, uns im Moment zu verhalten. Da wird nichts aufgestaut. Das ginge auch nicht. Ein Verhalten ist kein Sack voller Sachen, den ich hinter einer Mauer lagere. Das ist kein Fass, das überläuft, weil das Böse keinen Aggregatzustand kennt. Gewalt ist kein Stoff. Das Verhalten eines Menschen ist aus seinem individuellen Motiv heraus initiiert. Eine persönliche Motivation ist keine allgemeine Dosis Aggression wie ein Pfund Kaffee. Meine Wut ist nicht die von irgendjemandem. Wir empfinden und handeln entsprechend gemachter Erfahrungen. Sich gegen andere zu wenden, ob verbal, körperlich oder heimtückisch nach Plan, geschieht aus der Intention, den nötigen Weg zu gehen. Das heißt zu reagieren, sich zu wehren gegen ein Hindernis. So gesehen, wäre jede Attacke bloß Abwehr und Zurückschlagen.

Etwas aus dem Weg räumen, jemanden beiseite schaffen, das sind bekannte Worte. Sie drücken aus und machen deutlich, wie Menschen ihrer Motivation folgen. Das geschieht mal mehr, mal weniger heftig. Ich möchte so weit gehen, der kalt geplante Mord ist nichts anderes als der spontane Angriff, aber man unterscheidet qualitativ Schuld. Ein Rechtssystem benötigt Stabilität und geht nicht wissenschaftlich, sondern die Ordnung stützend vor. Deeskalation wird durch massiven Druck vom Ganzen erzeugt, gegen den der Einzelne machtlos bleibt. Wer also die Ruhe bewahrt, kann seinen Weg gehen. Das wird mal gut tun oder ein böser Missbrauch sein, Korruption und jedes nur denkbare Verbrechen: Es bleibt unter dem Radar einer Behörde, geschieht sogar innerhalb, weil wir Verbrechen nicht direkt bekämpfen, sondern nach strafbaren Vorfällen Ausschau halten. Wer auffällt, hat ein Problem. Die Gesellschaft möchte strafen. Dieser Mann wäre der Polizist für das ordentliche Auftreten im Falle weitergehender Eskalation.

Zum Kotzen –, und das ist Deutschland heute und war es immer schon. Es ist nicht nötig oder zielführend, ein abgedroschenes Wort wie das von der aufgestauten Aggression zu bemühen, wenn man deutlich machen kann, wie Herkunft spontanes Verhalten prägt. Ich war früher anders, hielt mich für einen netten Kerl. Meinen Wehrdienst leistete ich überzeugt. Zeit meines Lebens ging ich wählen, begeisterte mich für die Demokratie, bis ich eines Besseren belehrt wurde, dass unsere Politik und Ordnungskräfte vernetzt sind, verklebt geradezu. Dieser eklige Sozibrei hier im Dorf hat mich drin schwimmen gelehrt, was eigentlich braune Scheiße ist.

Ein schöner Morgen heute. Auf dem Weg zum Boot, einkaufen, schnell noch zur Bank, man ahnt nichts Böses. Ich war guter Laune, falle immer wieder rein auf unseren Wohlstand, unseren speziellen, aber einigermaßen zufälligen Frieden. Wie konnte ich’s übersehen und hier meine Heimat begreifen? Dafür in den Knast müssen, einen solchen Opa hinzuschlachten, wäre meine Art „ganz weit weg“ zu gehen, Alexandra* – nur, dass du’s weißt.

🙂

* die Person, die ich mochte.