Böse Onkel und andere Geschichten

Das Märchen von der durch den bösen Mann bedrohten Frau nährt ein modernes Geschäftsmodell. Es spielt mit uralten Ängsten. Die Gefahr sexueller Übergriffe durch den aggressiven Mann wird instrumentalisiert, weil die Möglichkeit derartiger Verbrechen gegeben ist. Nicht, dass man mich missversteht: Gerade wurde ein bekannter Fußballer verurteilt. Er war in einem Club mit einer Zufallsbekanntschaft zunächst in eine separate Lounge übergewechselt, dann in Richtung der Toiletten, wo er die junge Frau vergewaltigte – nach ihrer Aussage jedenfalls. Der Sportler hat, so habe ich es im Hamburger Abendblatt gelesen, als ich in einem Café wartete, wo diese Zeitung ausgelegen hat, sich in Widersprüche verwickelt. Von „kenne die Frau nicht“ über „sie wollte es so“ bis „ich war eben betrunken“, reichten seine Aussagen, und das hat zu einer Bestrafung geführt. Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen. Weder in die Berufung gehen wollen noch lamentieren oder sonst wie herumeiern steht dem Mann zu. Das denke ich, wenn ich’s so komprimiert lese.

Meine Kritik geht in eine andere Richtung. Niemand bestreitet eine in der Regel körperliche Überlegenheit des Mannes, wenn es um diese Verbrechen geht. Auf der gegenüberliegenden Seite, beim Gesetz, seinen ausführenden Organen und in weiten Teilen der breiten Masse aber hat sich eine bedenkliche Mentalität breitgemacht. Es ist das gern proklamierte „Hinschauen“, ein bloßes Modewort, finde ich, das ein Feuer erst entfacht, wo man meint, ein Glimmen wahrzunehmen.

# Ein wenig Humor könnte helfen?

So ernst die Lage ist, man darf das Maß nicht verlieren. Da geht der Schuss nach hinten los, wenn man’s übertreibt hinzuschauen. Dann zahlen die Frauen drauf. Die Opfer leiden doppelt. Ein Beispiel sind Berichte, wie jeder sie kennt, man muss nicht zitieren. Eine pauschale Beschreibung reicht, um darauf hinzuweisen, wie kontraproduktiv etwa die sogenannte Gefährderansprache wirkt. Dieses Instrument nützt einzig denjenigen, die es anwenden dürfen, sich selbst als Retter und Ordner der Welt aufzuwerten. Wir lesen es immer wieder: Eine Frau wird vom Partner oder einem Stalker bedrängt und zeigt den Mann an. Dem sagt dann jemand, er dürfe sich nicht nähern und so weiter, und bald darauf ist die Frau tot. Man muss nicht Psychologie studiert haben: Der gesunde Menschenverstand genügt, um nachzuvollziehen, warum sich diese Dramen wiederholen. Menschen, die sich gegängelt fühlen, werden erst recht aggressiv reagieren. Je mehr wir beobachten, was der vermeintlich Böse tut, desto höher steigt sein Wutpegel an, und er empfindet diese Einmischung in seine Aktivität als diffuse Bedrohung.

Kurz abschweifen vom Thema „Männer und Frauen“, über den großen Tellerrand schauen, könnte uns helfen? Russland mit seiner undemokratischen Haltung und der Krieg in der Ukraine zeigen, wie ein System sich zum bösartigen entwickeln kann, und das ist mitnichten zwingend so gekommen, weil der Finsterling Putin es immer schon so wollte. Wir sehen, man nimmt in Kauf, die Ukraine auf schmerzhafte Weise zu quälen, obschon sie als Teil vom Ganzen zum Mutterland gehörig gilt für die Führung in Moskau. Das ist nur auf den ersten Blick paradox. Sich selbst anzugreifen (wie bei einer Autoimmunerkrankung), zeigt nur, wie groß die Not bei einigen ist, die dieses Land leiten und die Macht, das weiter zu tun, nicht abgeben werden, solange Recourcen vorhanden sind. Ein solcher Apparat lässt sich nicht belehren. Ein erweiterter Suizid (mittels Atombombe) ist denkbar. Wie massiv der Druck des Westens sein müsste, kann man sich ausmalen, um einzusehen, dass ein Sieg unmöglich ist. Sanktionen verstärken die Raffinesse, sich Provokationen auszudenken und das Gewaltpotential beim Gegner.

Mir geht es weniger um Politik, Extremismus. Als Künstler bin ich in der Pflicht, eine kreative Sicht auf den einzelnen Menschen in der Gesellschaft zuzulassen und weit gefasstes Denken anzuregen. Der Staat, eine Partei oder der Mensch als Wesen allein: Der Einzelne ist eine Ordnung wie alle Strukturen mit persönlichen Motiven. Die besten kriminalpsychologischen Berater wissen das sehr wohl. Beste sind selten. Es gibt leider auch so viele Menschen, die so dumm sind und glauben, mit blödsinniger Strategie aufräumen, aufpassen zu können nebenan.

Die Frauen, die ja eigentlich geschützt werden sollen, gehen psychisch vor die Hunde.

Die Männer, die bösen, mutmaßlichen Täter, denen ist es irgendwann egal, wie es ihnen geht. Und das macht sie wirklich gefährlich. Die Bürgerwehr und einige dumme Kriposchweine, die das Ganze noch anfachen, eine Staatsanwältin dahinter womöglich, diese Leute machen immer weiter, warten gern ab, bis Deutschland offen nach rechts gerückt ist. Dann geben solche Menschen doppelt Gas und halten sich für sonst was. Das kann noch ungemütlich werden für alle.

Schlussendlich bleiben nur Verlierer nach.

Das Destruktive insgesamt setzt sich durch, wenn dem System die Gelassenheit fehlt, ein wenig Unordnung zuzulassen, etwas Gefahr für manche im Lande toleriert und Regelbrüche als menschliche Fehler erst einmal anerkennt. Schon immer haben sich Menschen über den guten Umgang miteinander hinweggesetzt und auf die eine oder andere Weise ihre Macht missbraucht. Neu ist nur, was die jeweilige Epoche an Spielregeln oder technischem Tand bereithält.

Ein paar Tipps für Überwachende kann ich mir an dieser Stelle nicht verkneifen. Nicht umsonst war ich einige Jahre lang Teil einer besseren Theater-AG. Auch habe ich schon viel Zeit in Cafés herumgesessen, mir angeschaut, was rundherum passiert. Mein verstorbener Professor wurde nicht müde, die Qualität von Leonardos Abendmahl zu preisen. Er beschrieb, wie faszinierend es wäre, den Blickrichtungen der Protagonisten zu folgen, um der erzählten Geschichte im Bild nachzuspüren und die Komposition wertzuschätzen. Ich studierte Illustration und machte auch eine praktische Ausbildung. Das war in einem kleinen Büro in Farmsen. Der Grafiker, bei dem ich lernte, zeichnete Gabelstapler für Jungheinrich, Rolltreppen für Thyssen und Infokarten für Zeitschriften. Wir nutzten das seinerzeit übliche Handwerk. Es kamen Schoellerhammerkarton, Airbrush, Layoutkleber und solche Sachen zum Einsatz. Eine historisch anmutende Werftzeichnung mit der im Bau befindlichen Bark Rickmer Rickmers benötigten wir für unser Buchprojekt.

Uwe erklärte:

„Die Leute auf dem Bild müssen alle etwas machen. Einer trägt eine Leiter, jemand sägt, welche bedienen eine Winde, um Sachen an Bord zu hieven.“

Das schreibe ich als kleine Anleitung für Leute, die das noch nicht so wissen, die noch neu sind im Überwachen. Um unauffällig zu bleiben, ist es nötig, sich zu beschäftigen, als gehöre man wirklich dazu zum Bild, dem Drumherum. Schaut man den Überwachten direkt an (was nicht ganz einfach ist), hilft dabei, die eigene Redlichkeit im Geiste zu tragen – „Schönen guten Tag!“ – weil man ja als Polizist, der man sein möchte, der Gute ist schlechthin. Hat der ungeübte Spion oder ihr weibliches Pendant, die dusselige Kuh (die es nicht hinbekommt) innere Zweifel am eigenen Tun, geht so etwas vollends in die Hose mit dem direkten Blickkontakt. Deswegen ist die Hauptregel für gute Spionagearbeit, es dürfen nicht immer dieselben Leuten unterwegs sein in der Bürgerwehr. Da schleifen sich Fehler ein. Und dann knallt es irgendwann so richtig.

Ich übrigens bin bei den Guten.

🙂