Mein verzerrter Blick

Ob mit dem 8. Mai der Nationalsozialismus besiegt wurde, darf bezweifelt werden. Den Tag der Kapitulation zu feiern, passt vielen nicht ins Bild und hat verhindert, dass wir es offiziell überall und jedes Jahr tun. Auf Wikipedia kann man sich informieren, wie zwiegespalten wir Deutschen mit diesem Datum umgehen, wie schwierig es ist, dieses Momentum für ein eindeutiges Zeichen zu nutzen. Schenefeld traut sich zu, hier an einem Mittwoch vor Himmelfahrt die Demokratie zu feiern. So steht es im Schenefelder Boten vom April 2024. Das passt in die Zeit, denkt man sich. Wo die Umfragewerte der Rechtspopulisten deutlich gesunken sind, nach einerseits haarsträubenden Medienberichten und konstant gut besuchten Gegen-Rechts-Demonstrationen, möchten Politik und soziale Verbände nicht locker lassen. Sie rühren die Werbetrommel für unsere Demokratie.

„Angesichts der am 9. Juni 2024 anstehenden Europawahl ist es den Veranstaltern des Festes am 8. Mai wichtig hervorzuheben, dass Meinungsfreiheit, Rechtssicherheit und weitere im Grundgesetz verankerte Rechte Werte darstellen, die es mit aller Macht gegen Gegner und Feinde zu verteidigen gilt“, schreibt die Zeitung, vor allem ginge es aber darum, die Errungenschaften einmal mit einer Feier zu würdigen.

# Verlorene Unschuld

Mir fehlt dazu die Laune, die Feierstimmung, ganz ehrlich. Das darf als Meinung durchgehen? Ich sehe überall Fratzen, traue meinen Augen nicht, glaube nichts. Ich bin gestört? Mein Grundvertrauen in unsere Ordnung ist zerstört. Mich verunsichert vieles. Wir begehen im Mai auch den internationalen Tag der Pressefreiheit. Nicht nur Journalisten, wir Kreativen kämpfen gleichwohl um Anerkennung am Markt der Informationen. Unsere eigene Bildsprache wandelt sich. Die Freiheit der Kunst muss beständig nachgeschärft werden. Ich habe schon Zweifel, ob Karikaturen, Gemälde, Zeichnungen und Texte durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind, wie viele glauben, die nie probierten, ihre Klappe nicht zu halten. Wer sich eine Blöße gibt, wird sofort niedergeschossen, denke ich, und das passt in eine Zeit, die wieder gerne rumballert. Das Vertrauen in den Staat ist nicht dahin, aber gesamtgesellschaftlich angekratzt. Die Bürgerinnen und Bürger zweifeln an ihrer Regierung. Man vermisst manches, und die Wirtschaft klagt zu Recht. Das ficht unsere Ampelisten nicht an, sich sauber demokratisch zu geben, reizt aber gerade deswegen, sich ein dunkles Gegenbild vorzustellen hinter der Fassade.

# Dünkelfeld

Unser Dorf, das schöne Schenefeld im Lichte der Frühjahrssonne anzuschauen, macht deutlich, dass wir es gut haben und es sich lohnt, für die Freiheit zu kämpfen oder auch mal zu feiern, locker zu lassen, eine schöne Idee. Das sollen die tun, denen gelingt (weil der Zufall ihnen ein wenig dazu verhilft), hier glücklich zu sein. Mir ist nicht danach, und sich im Zorn zu vergraben, liegt mir genauso wenig. Kreativität ist, was mich überleben lässt in einer Welt, die ich als Fassadensammlung begreife.

Ich kann meine Naivität nicht wiederfinden.

🙂