Meine Wahl

Es ist Sonntag, und Rinja nervt mit ihrem Gebimmel wie üblich. Ich denke, warum hat sich der Monotheismus durchgesetzt? Die drei großen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam erkennen nur einen einzigen und allumfassenden Gott an. Die Römer zur Zeit von Jesus Christus hatten eine polytheistische Religion. Sie glaubten an viele Götter wie auch die Germanen. Die Wikinger stellten sich ihre Götter hart und grausam vor. Vergebung wurde nicht als Tugend angesehen, sondern als Schwäche, heißt es auf einer Seite im Internet. Viele furchtbare Götter herrschten scheinbar im hohen Norden. Auf der anderen Seite findet sich aber auch etwa Freya, die Göttin des Glücks, der Liebe und Fruchtbarkeit. Der römische Amor, unterwegs mit seinen Liebespfeilen, die Venus oder griechische Aphrodite kennzeichnen vielfältige Emotionen und reflektieren damit unser Menschsein. Viele Götter lassen zeitweilig Gefühle gelten. Anstelle den uns Menschen so typischen Wallungen Raum zu gewähren, verlangt der einzige Gott unbedingte Anpassung und gibt uns manches Rätsel auf, was genau sein Wille sei. Der Monotheismus erfordere permanente Devotion, wird ein Anthropologe Paul Radin zitiert (Wikipedia). Schiebt man die unverständlichen Ereignisse einem Kriegsgott in die Schuhe, dürfte es erfolgreiches Delegieren von Problemen sein und zulässig, den Schuldigen zu verfluchen. Am nächsten Tag besänftigt den Gläubigen eine neue Laune, dargestellt durch eine freundliche Gottheit, die dem Leben Auftrieb, dem Drachenboot Rückenwind schenkt. Der Gott der Christen darf hingegen nicht beleidigt werden. Das sagen die, die uns persönlich dafür abstrafen als verlängerter Arm von einem, dessen vorgeblichen Wille sie zunächst entwerfen, um dieses Wort anschließend als Waffe zu nutzen.

Der eine Gott entfaltet größere Macht als viele, „und ich kann es für mich nutzen“, wusste schon Moses. Durch seinen Hokuspokus, dem Pharao das Fürchten zu lehren, konnte der Gewiefte besonders die eigenen Leute an sich binden und mitnehmen auf eine Reise ins Ungewisse. Gott zu kennen, ist zunächst eine Behauptung des Predigers. Das verbietet der jeweiligen Anhängerschaft einer Religion, neue Gedanken außerhalb der vorherrschenden Themen einzubringen, weil damit die Macht der Kirche gefährdet ist, es sei denn, die Vorschläge dienen dazu, den Apparat als solchen stärker zu machen. Frauen in der Kirche sind das Ergebnis des gesellschaftlichen Wandels. Durch ihr Dabeisein im Alltag auf eine moderne Weise fordern sie ihre Lebensrealität, das neue Weltbild auch innerhalb der Kirche. Sie möchten von Gott gesehen werden als das, was sie meinen zu sein. Dafür müsste Gott ihnen Anerkennung zollen, sie respektieren. Der Konflikt mit den Altvorderen im Apparat zeigt, dass da kein Herr ist, der ehrlicherweise selbst zu uns spricht, sondern vorgebliche Auskenner die Plätze in der Telefonzentrale nach oben innehaben. Das bietet radikalen Ideen die allerbeste Plattform. Gerade nicht barmherzig provozierte bereits Jesus die Leute, bis man ihn annagelte. Bis heute ist das gelobte Land ein Kriegsschauplatz. In den USA stützen radikale Christen Trump. In Europa wurde den ermordeten Zeichnern der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo gedacht. Drei wichtigste Weltreligionen fordern ihren Blutzoll bis heute.

„Religion ist heilbar“, das habe ich mal als Aufkleber gelesen. Der Glaube an einen Gott, der uns bestimmt, also außerhalb von uns seine Willkür walten lässt, die sich nur durch Beten und das Befolgen der Gebote beeinflussen lässt, muss krank machen. Davon bin ich überzeugt. Die vielen Götter anderer und geschichtlicher Kulturen geben Raum für die wechselnden Launen der Natur. Ein einziger Gott kennt keine Emotionen, heute zornig, morgen sanft, sondern fordert uns das unbedingte Gehorchen ab, wenn wir probieren, dem „Du sollst!“ zu folgen. Wie genau diese Mahnung formuliert wurde und von wem (ob sie überhaupt so wörtlich in den Geboten stehen muss), ist eine Behauptung und der Versuch zu manipulieren, gläubige Menschen an den zu binden, der sagt, das wäre ein gottgesagtes Wort.

„Fürchte Gott“, hieß es früher oft im Zusammenhang mit seinem Namen. Heute spricht die Kirche gern vom „lieben“ Gott. Dahinter steckt die Idee, wenn du glaubst, mag der Herr dich und hilft? Eine an die Erziehung angelehnte Idee. Brav sein, bedeutet liebe Eltern. Dagegen spricht die Bereitschaft zu ehrlicher Kommunikation der Eltern: Der Zusammenhang zwischen dem Wirken Gottes, seiner Liebe oder Strafe relativ zu unserem Handeln ist nur einem Narren ersichtlich. Den wird die Gesellschaft alsbald in eine Klinik einweisen. Gläubige, denen dies nicht geschieht, lavieren weiter im Trüben, die Geschehen einzuordnen. Wer betet, spricht nicht mit Gott. Man gleicht seine Erwartungen ans Draußen innerlich im Selbstgespräch ab auf ihre realen Chancen. Das ist kein schlechter Einfall, solange man sich dessen bewusst ist. „Wer wenig weiß, muss viel glauben“, heißt es.

Wer weiß denn viel?

Geht man von anderer Seite an die Sache ran, kann niemand leeren Raum bestreiten, eine gegebene Lücke im Wissen der Menschheit, wenn es etwa darum geht, warum wir existieren? Wir können forschen, wie es geschah, dass die Dinosaurier ausgestorben sind. Es ist möglich durch manchen Fund die Geschichte der steinzeitlichen Entwicklung zu präzisieren. Eine höhere Erklärung, warum es überhaupt Leben gibt und ob dieses einem Zweck folgt, kann aber jeweils angefochten werden sowohl inhaltlich, spezifisch, wenn eine Lehre sich auf eine bestimmte göttliche Absicht festlegt als auch insgesamt. Es könnte sein, dass das Leben keinen Sinn hat. Es ist da wie manche Sache und kann nicht erklärt werden. Schon gar nicht vom Menschen, denn der ist ein Teil dieser Frage nach dem Grund seines Hierseins. Da dürfte es bereits ein Logikproblem vom Beginn der Untersuchung an geben.

Der Mensch nimmt sich zu wichtig, hält sich für gut. Wir könnten insgesamt ein Fehler sein. Die Menschheit als Fehlentwicklung, eine bösartige Mutation, die bald verschwindet, so kann man es sehen, und kein Blitz fährt vom Himmel, mir diesen Gedanken zu verbieten. Der raumgewinnende Krebs, wir wären so gesehen eine Krankheit, der Schimmelpilz, an dem unser Planet krepiert. Das hinzunehmen, machte überflüssig das Klima retten zu wollen. Wer will es wissen? Ich will Spaß und geb’ Gas! Das sagen auch Elon Musk und Donald Trump. Das ist eine Mehrheit drüben, und diese Leute infizieren auch uns in Europa. Mit Volldampf und ab dafür! Was bleibt dem hilflosen Wurm, der kein Schaf sein möchte und mitlaufen, als sich auf das eigene Schaffen zu besinnen, den eigenen Leib wertzuschätzen und herauszufinden, was Gesundheit bedeutet?

Gott wäre demzufolge nicht mehr als ein Wort, Platzhalter für nicht zu Erklärendes. Da diese Lücken in unserer Erkenntnis viele Gesichter haben, macht es keinen Unterschied, ein einziges Wort aufzustellen oder zwanzig Seiten des Herrn zu kennen. Das ist immer unser Gegenüber. Wir können die Welt nicht verlassen. Wir können Gott nicht verlassen. Wie auch immer man es nennt: Sein Name oder eine bestimmte Glaubenstradition bedeuten bloß regionale Färbung derselben Idee. Größer und vernünftiger ist wohl ein Glaube, der uns selbst als geschaffen miteinbezieht. Dann dürfte ein solcher Gott mitleiden, wenn’s uns scheiße geht, nicht drüber stehen, uns noch anschnauzen:

„Hättest du das Gebot befolgt!“

Wer sich’s einredet und annehmen will, die Gegebenheiten durch seinen Glauben zum eigenen Guten hin biegen zu können, gibt sich dem Wunschdenken hin. Beten ändert kein Naturgesetz. Falls man der Überzeugung anhängt, da wäre ein Leben nach dem Tod, so ist das nichts als Selbstbeschiss und totale Überhöhung der eigenen Person. Noch schlimmer, wer etwa meint durch Reinkarnation wiederzukommen, blendet aus, dass die Annahme einer Seele vollkommen blödsinnig ist. Jeder Gedanke, alles Erinnerte und sämtliche Gefühle sind untrennbar vom gegenwärtigen Selbst. Ein Mann kennt nicht das Frausein. Ein schwacher Mensch weiß nicht, wie sich körperliche Kraft anfühlt. Wer von Kind auf behindert ist, wird nie spüren, was Schlittschuhlaufen heißt usw. Es befreit ungemein, sich Ängsten zu stellen, die nie allgemeine sind und deswegen auch nicht von Mitschnackern beantwortet werden, die doch vorgeben, alles zu wissen, was uns geschieht. Die Delfine im Meer gelten als klug wie wir, und doch dürfte ihnen das Stadtleben von New York fremd sein wie uns der Herr im Himmel.

Glaube nicht mit Wissen zu verwechseln, ist der beste Rat.

# Relativität

Jeremy Krauss bringt in seinem Buch „Einfach Bewegen“ das amüsante Gedankenexperiment, wo oben ist? Er endet mit der Feststellung: „Der Hintern ist immer hinten.“ Man stelle sich hin und hebe die Arme hoch nach oben. Das ist einfach. Liegt jemand aber auf dem Boden, gibt es zwei mögliche Alternativen „oben“.

Die Frage stellt sich, ob man gedanklich an der Welt ausgerichtet ist oder am eigenen Leib?

Selbstbewusstsein ist mitnichten hübsches Herumstehen. Es bedeutet besonders Schwächen zu bemerken und diese entsprechend der individuellen Intention, was sinnvolle Ziele sein könnten, zu integrieren. Falls der Sinn des Lebens Raffgier heißt oder bedingungslose Solidarität zum Anführer einer Organisation, sollte man sich befleißigen zu folgen. Die Alternative ist gesünder, man besinne sich auf die angenehmen Seiten, die jeder in sich findet, der eigene Befürchtungen ernst nimmt. Statt den Populisten welcher Couleur auch immer zu folgen, die den Weltfrieden anbieten, verhilft die Lösung innerer Spannungen zum inneren Frieden.

🙂