Haifischbecken
„Die See ist niemals unser Freund“, heißt es irgendwo bei Conrad, vermutlich in „Spiegel der See“. Mein Vater hat den Satz gern zitiert. Es geht wohl darum, dass der Seemann nicht sentimental sein darf bei schönem Wetter. Wachsam muss man bleiben gegenüber der ungewissen Gefahr auf dem Ozean. Das lässt sich durchaus auf unser bequemes Dasein an Land übertragen. Aufmerksam durchs Leben zu gehen, kann nicht schaden. Ein Schiff schwimmt. Es ist umgeben vom Wasser, und analog dazu könnte man sagen, wir an Land sind umgeben von der Gesellschaft, den anderen Menschen. Der Rahmen wird durch die Natur aber eben auch durch unsere gesetzliche Ordnung gegeben, die unser aller Leben rahmt. Eine Existenz bedingt die Anpassung an die Umgebung. Ein Schiff muss mit den Wellen und Wetterbedingungen zurechtkommen, ein Lebewesen an Land benötigt seine Orientierung und Robustheit, um den Widrigkeiten standzuhalten. Mir ist es passiert, dass ich meine Möglichkeiten falsch eingeschätzt habe. Sowohl die anderen als auch mich selbst beurteilte ich entsprechend nicht haltbarer Denkansätze.
Schauen wir uns die Welt im Ganzen an, vernetzt wie sie ist und mit ihrer grenzüberschreitenden Wirtschaft, dem technologischen Fortschritt, sehen wir die Bandbreite von ärmeren Staaten bis hin zur Supermacht. Trotzdem ist es der Planet von heute. Obwohl einigen Menschen weniger zur Verfügung steht als anderen, so ist die Moderne doch existent für alle. Das soll heißen, das Wissen oder Vorhandensein um unsere Errungenschaften ist ein Teil unseres aktuellen Systems. Wir leben heute, aber weil ich mit Joseph Conrad begonnen habe, passt es, noch von meiner Verwunderung zu schreiben, die mir seinerzeit beim Lesen der Hornblower-Romane geschah. Das sind Bücher von C. S. Forester; viele haben das gelesen von uns Seglern. „Hornblower“ ist ein fiktiver Charakter zur Zeit der Napoleonischen Kriege. Das ist ein Seemann, dessen Leben vom Fähnrich bis zum Admiral in einigen Büchern erzählt wird.
Ich wurde stutzig; über die Ähnlichkeiten der Schiffe begann ich nachzudenken, als es mal hieß, nur ein erfahrenes Auge könne eine in der Ferne auftauchende Fregatte als freundlich oder „französisch“ erkennen. Die feindlichen Schiffe unterschieden sich kaum von den britischen. Sie hatten ähnliche Abmessungen, aber stärkeren Mastfall, ein paar Geschütze mehr oder weniger je nach Typ. So war das damals. Und heute genauso: Die in Konkurrenz befindlichen Mächte rüsten sich mit vergleichbarem Material.
Wir müssten kriegstüchtig sein, verlangt unser Verteidigungsminister.
Die Deutschen haben kurz geschluckt bei diesem Wort, ob es ein Unwort ist, dann aber mehrheitlich entschieden: „Der Mann hat recht.“ Mit der Attrappe einer Bundeswehr lässt sich niemand beeindrucken. Die russische Spionage dürfte bereits herausgefunden haben, wir können uns militärisch gar nicht wehren. Trotzdem fährt unser Land scharfe Geschütze auf mit dem Mund jedenfalls und sanktioniert die Wirtschaft in Richtung Moskau wo’s geht. Das ist albern. Es nützt unserer Außenpolitik nach außen hin wenig, andere als Unrechtsstaaten zu belehren. Es ist nur die Egomanie einer Politik, die tatsächlich an uns zuhause gerichtet ist. Das soll nach innen hin zeigen, wir wenigstens sind die Guten. Man möchte nicht zugeben, wie machtlos unsereiner gegen eine Politik ist, die ihre Waffen auch einsetzt und sagt denen also: „Das dürft ihr nicht.“ Kraftlose Pupse unserer Außenministerin überzeugen höchstens kleine Mädchen zuhause, vegane Cerealien nachzukauen und Regenbögen zu sehen. Auch heute befindet sich jedes im Wirtschaftssystem nennenswerte Land in Konkurrenz mit seinen Partnern. Das könnten auch Gegner sein, jedenfalls in einigen Bereichen kann man nicht dieselbe Meinung haben, und insofern bedeutet eine gute Diplomatie, Möglichkeiten zu sehen, die im gemeinsamen Handeln gegeben sind (und weniger, Gräben zu vertiefen). Wenn eine Politik des Unrechts gegen die eigenen Leute so ein Land befähigt, uns in einem Gebiet das Wasser abzugraben, nützt zu schimpfen wenig.
Unser Staat übt genauso Unrecht aus gegen uns Bürgerinnen und Bürger? Das mag man nicht wahrhaben wollen: Es ist mehr ein gradueller Unterschied. Es gibt kein absolutes Gutsein von Seiten des Staatsapparates irgendwo. Die Behauptung, auf der anderen Seite drüben agierten die wirklich bösen Regime, ist zunächst eine Schutzbehauptung der Regierung hier. Die Fakes der Bösen werden gern thematisiert (ich möchte diese Lügen keinesfalls abstreiten, die von den Machthabern undemokratischer Regierungen verbreitet werden), aber auch unsere Politiker, die Ordnungskräfte, Staatsanwälte, sie halten zusammen. Solche Strukturen tun einiges, ihre besten Absichten rauszukehren. Dafür muss man die Weste sauber halten, den Dreck unter den Teppich kehren, wenn nötig. Das geschieht überall und ist kein Negativprivileg der Diktatur.
Die gegen China so moralinsaure Außenministerin tritt gegen die Meinungsvielfallt zuhause – und scheitert. So nebenbei erfährt man die kindischen Zuckungen unserer selbststrahlenden Leuchttürme da oben, die noch lernen müssen, dass gewählt zu sein nicht heißt, von allen geliebt zu werden. Angriffe auf Politiker nehmen zu, und nicht immer sind sie so smart wie Kunst.
Zitat:
„Baerbock verklagt Unternehmer wegen einer Karikatur, die sie als Kind darstellt – und verliert. Im Gerichtsprozess um die Anti-Grünen-Plakate eines bayerischen Unternehmers kam heraus: Annalena Baerbock stellte persönlich Strafantrag. Genützt hat es ihr nichts. (Berliner Zeitung, 22.03.24).
Zitat Ende.
Menschen möchten, egal wo sie leben, Boden gut machen auf ihrem jeweiligen Gebiet. Einige nehmen es nicht so genau mit den Regeln. So wie es Firmen gibt, die an der Grenze zur Legalität unterwegs sind, finden sich auch in den eigentlich die Gesellschaft stützenden Institutionen des demokratischen Verwaltungsapparates unangenehme Typen. Die Freunde einer pervertierten Verwaltungschefin im hundsgewöhnlichen Kaff zum Beispiel; solche bilden noch Cluster mit Gleichgesinnten, vernetzten sich. Es sind die Nazis von Morgen. Sie sind schon heute im System angekommen und warten geduldig auf die braune Partei, die noch blau daherkommt und als Alternative weiße Kreide frist. Das ist ein Farbenspiel in Joghurt-Optik, ein flottes Design, um Blauäugige mit vermeintlicher Reinheit blind zu machen. Die menschenverachtenden Monster sind wieder da. Sie waren womöglich nie weg und geben sich tatkräftig. Die formen ihre (berechtigte) Kritik am aktuellen System, fischen Menschen vom verspotteten, doofen Rest ab und wollen das weiter machen, bis sie die unübersehbare Mehrheit sind. Gerade weil sich so etwas nicht verhindern lässt, braucht eine rechtsstaatliche Struktur (oft als bürokratische Monster verpönte) Sicherungen.
# Es geht uns alle an
Im Dorf ist man nicht zimperlich. Da lehnt sich die Königin weit vom Turm. Weit weniger sichtbar natürlich als Annalena aber genauso eingebildet, bekommt auch so eine es nicht wirklich hin, die Polizei für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. So viel kann ich schreiben von unserem Gemetzel.
Natürlich, ich glaube schon, wir haben viel zu verlieren. Deswegen male ich meine unmögliche Kunst. Es ist eine Herausforderung, Themen zu gestalten, die nicht konsensfähig sind. Das Erschreckenste für mich ist die am eigenen Leib gemachte Erfahrung, dass Überwachung, Bespitzelung kein außschließlich böses Instrument finsterer Mächte ist, die früher aktiv waren bei Hitler, Mussolini oder Stalin, heute den Leuten weiter im Ausland drohen, wenn man das Pech hat, dort zu leben. Ich habe nämlich wirklich gedacht, ein Guter in einem guten Land von heute zu sein.
Ich habe mich einlullen lassen.
Unser Dasein ist immer auch ein gefährliches. Wer unser Freund ist, bleibt oft unsichtbar, und noch geschickter kann sich einer verbergen, der gegen uns seine Gewinne generiert. Damit ist schon gemeint, dass ein Wort wie „legal“ nur unsichere Hilfe bietet, Risiken einzuschätzen. Man braucht einen Anwalt nicht von Pappe für sein Recht als Bürger. Auch unsere Nachrichtendienste protzen geradezu mit ihrer Arbeit, sagen medienwirksam, wen alles sie verdeckt beobachten und auf dem Schirm haben. Jeder Dussel kann den Nachbarn abhören mit den billigsten Methoden der Neuzeit. Den normalen Spion von nebenan fragt man dann, vermute ich, nutzt jeden Nerd als Hilfspolizist und schon ist die Rechtssicherheit, auf die sich der freie Bürger verlässt, umgangen. Überhaupt, wenn unsere Gesetze zu eng sind für die gewünschten Attacken, dürfen es gerne die Australier oder Amerikaner sein, die freundlicherweise Unterstützung bieten beim Kampf gegen Cyberkriminalität. Wir möchten Freiheit, und das heißt wohl, dass nur verdächtigt werden darf, wer wirklich Verbrecher ist?
Das kann ja gar nicht funktionieren.
Uns Eingebildeten hilft nicht die Vorstellung, die bösen Unrechtsstaaten würden von innen heraus durch einen Nawalny oder so reformiert, wenn gerade sämtlich die Demokratien ihren sogenannten Rechtsruck erleben. Wir passen uns an die Diktaturen an, indem wir selbst unsere Freiheit im Inneren minimieren. Wir sind nicht stärker, weil wir „das Recht“ gepachtet haben. Es ist der Druck von Außen, mithalten zu wollen im weltweiten System und viel weniger Gut und Böse, als mancher meint, sondern schlicht Anpassung. Wenn alle Systeme durch Terror im Inneren bedroht sind, haben die restriktiven einen Vorteil gegenüber dem liberalen. Zu Recht bezeichnet der russische Präsident unser System als verlogen, weil wir Demokraten genau wie er die Kontrolle nach innen erzwingen möchten aber so tun, als folgten unsere Bürger freiwillig und gern geschlossen der jeweiligen Politik. Es gibt keine freie Wahl in Russland, und so muss sich Wladimir Putin gefallen lassen, dass wir ihm Schlimmeres vorhalten. Das aber ist der Punkt, in China oder Russland ist es schlimmer als bei uns. Gut ist gar nicht und nirgends ein Staat.
Wir erkennen die größte Wirtschaftsmacht in den Vereinigten Staaten? Neid könnte Druck erzeugen, den man – durch die Brille westlicher Augen gesehen, wir seien die Freiheit – nicht genügend ernst nimmt. Die schmutzigste Opposition höhlt die Demokratie von innen aus, wenn sie sich als besseres Angebot präsentiert und das geglaubt wird. Das Supermarktprinzip, der Discounter mit seinem billigen Scheiß; wer dem Smartphone als unabdingbares Accessoire den Vorzug gibt, statt gesunde Lebensmittel einzukaufen, wer wenig Hirn sein eigen nennt, entscheidet nach dem Prinzip „Geiz ist geil“. Da heißt es in diesem Sinne, blau ist bestes Braun. Das überzeugt wieder, ist günstig verfügbar, schambefreit im Hier und Jetzt angekommen und „meins.“ So plappern Menschen nach, sich zu bestärken, das Richtige zu tun. Sie wissen es gar nicht, handeln wie gesagt, sind Brei, der uns mitreißt. Und wir dummen Demokraten schauen blöd aus der Wäsche.
# Die Wiedervereinigung hatte so viel Hoffnung im Gepäck
„Blühende Landschaften“, versprach Helmut Kohl. „Wir schaffen das“, probierte Angela Merkel, den Deutschen Mut zu machen, als sie nicht weiter wusste. Der Westen hat den Kommunismus besiegt, aber verblödete Menschen benötigen Zeit, klug zu werden. „Der Letzte macht das Licht aus“, lautete die Pointe im Witz nach dem Ende für Honecker. Ich denke an Tolkien: „Im Lande Mordor, wo die Schatten drohn“, da herrscht das Böse, und dunkel ist vielleicht auch unsere Zukunft. Der Kalte Krieg schien vorbei, wir wären von Freunden umzingelt, meinten wir, verschrotteten Atomraketen. Jetzt geht es wieder los, und nicht Russland ist schuld, sondern das den Hals nicht voll kriegen der Amerikaner. Das ist nicht erlaubt zu sagen? Es ist ein Virus, dass unsere Kampfkraft von innen raus zersetzt und Parteien wie Pilze aus dem Boden schießen lässt. Mit jedem Mal „Angriffskrieg“, das man bei uns in den Nachrichten hört, wendet sich jemand ab vom Kurs der Regierung. Das Gegenteil erreicht unsere positivistische Presse und macht aus den „armen Ukrainern“ ein Stück weit mehr das Narrativ des Westens, leistet der Hilfe für dieses Land den Bärendienst. Moskau kann geduldig weitermachen, während wir noch überlegen, ob die in Israel eigentlich Gute sind? Wir müssen lügen oder mindestens uns selbst beschwören, das Richtige als nötig zu begreifen, weil es das Gute so, wie wir es gern hätten, nicht gibt und diese Welt paradox ist seit Anbeginn.
Wir dürfen wählen. Und wir werden neu wählen, wenn wir denken, es sei Zeit und ginge uns schlecht. Das heißt einzusehen, als Brandmauern hochgezogene Grenzen halten nicht. Es ist verbale Aufplusterung. Nicht existierende reale Mauern, also einfache „rote Linien“ können leicht ignoriert werden von denen, die wissen, wie man’s anstellt.
Ich kann zugeben, habe Fehler gemacht. Ein wesentlicher Irrtum, Naivität. Ich glaubte manches, was gesagt wird. Als ich begriff, dass man mich verarscht, schlug ich zu, trat. Das sehe ich nicht als Fehler, aber die anderen tun es. Ich habe auch an unsere Freiheit als etwas Besonderes geglaubt. Lehrer zeigten die Gräuel der Nazis als abschreckendes Beispiel in der Schule. Im Elternhaus wurde von früher erzählt, und bis heute sind die Nachrichten voll davon. Deswegen dachte ich, die Bundesrepublik sei was Tolles. Das mag allgemein angehen. Im persönlichen Einzelschicksal erlebt jeder die eigene Geschichte. Meine gemachte Erfahrung ist vergleichsweise bitter. Da bleibt der Eindruck: „Der Staat ist niemals unser Freund“, und ich muss (mir) eingestehen, dieses Denken tut weh. Hass schadet dem, der ihn kultiviert, am meisten selbst. Ich weiß das, erlebe es. Nicht mehr zu ändern? Mir ist ein großes Stück des Glaubens an unsere schöne Demokratie abhanden gekommen. Ich gehe schon lange nicht mehr zur Wahl.
„Dann darfst du auch nicht meckern“, findet Bernd, ein Freund.
Bekannte regen sich auf über die Grünen und dass die Politiker „von heute“ nichts gelernt hätten. Das meinen einige, die ich gesprochen habe. Sie sind sauer, weil sie wählten und nicht bekamen, was sie erwarteten. Das pauschale Schimpfen, wie man’s kennt. Meine Erfahrung ist nicht allgemein, ist ganz persönlich. Ich drehe isoliert im Kreis mit meinen Bildchen, die keiner will. In Russland malen die Opportunisten den Präsidenten überlebensgroß an manche Fassade. Und ich glaubte, bei uns wären wir Maler frei. Im Froschteich hinter dem Hof zu segeln, ist meine Kunst. Küchenabfall schwimmt im Wasser.
🙂