
Berufen
Künstler zeigen ihre Arbeiten, heißt es gern zur Vernissage. Mich belustigt das. Wir Kreativen wollen (auch) was sein? Man arbeite wie die anderen Leute, die normale Bevölkerung, soll es das heißen? Meistens wird ja wenig verkauft hier über die Dörfer bei den Ausstellungen in der Provinz. Ich sollte neidisch sein: Ich habe da gar keine Chance, überhaupt eine Ausstellung hinzubekommen. Meine Bilder gehen nicht. Ich gelte als „bäh“. Aber auch die anderen, die Akzeptierten, dafür, dass sie „Arbeiten“ feilbieten, kommt wohl wenig bei rum? Arbeit wird in der Regel genannt, wovon jemand lebt. Man spricht vom Jahreseinkommen, das die Leute haben. Wenn die hochgelobten Mädels eines Kunstkurses oder diese Trutschen, die spätberufen noch zum Malen gefunden haben, ihre Arbeiten zeigen, dann verdienen sie damit nicht den Lebensunterhalt. Das macht der Ehemann, das mit dem Geld.
Der arbeitet.
# Bildstörung
Ich habe akzeptiert, dass ich nicht gemocht werde mit meinen Bildern, sie irgendwo im Café oder in einer Bankfiliale auszustellen. Ich bin ja nicht blöd. Ich weiß schon, was die anderen machen. Aber zu so was habe ich keine Lust. Das Übliche kann ja eine ganze Menge sein, vielseitig, das stimmt. Man bedient sich aus einem großen Topf. Pseudo-individuell stehen dem Modernen einige Modelle zur Verfügung. So ziehen sich die Leute an, so denken sie. So reden sie. Ein Baukastensystem ist anstelle der Wirklichkeit zum praktischen Denkmodell geworden. Schlagwörter definieren die Schubladen des Hirns: Tierwohl, Klimaziele, grüner Stahl. Negative sind: homophob, antisemitisch, sexistisch. Man redet von Toleranz, Hinschauen, Transparenz, sagt: „Das Wir gewinnt“ – und cancelt parallel, mobbt und ghostet, was das Zeug hält. Die Kultur des Lügens muss man beherrschen, um von Ehrlichkeit zu reden, sie von anderen zu fordern? Es bedeutet, die etablierte Anpassung smart draufzuhaben. Mit Begriffen jonglieren, erhöht das Tempo: „Relativitätstheorie, na klar, Einstein. Kenne ich.“ Man muss das Fachgebiet nicht studiert haben, kann trotzdem teilhaben am Wissen, wenn der Oberbegriff einer Thematik geläufig ist. „Der Strom kommt aus der Steckdose“, ist das Motto. Die Realität ist größer, aber kaum einer will es wahrhaben.
Da ist viel Arbeit dran, bis mich ein Gemälde zufriedenstellt. Musiker wissen ebenfalls um ihre Leistung: „Ich möchte mich selbst nicht schlecht hören“, zitiert eine Biografie Louis Armstrong. Künstler befriedigen in erster Linie eigene Bedürfnisse, ansonsten wären sie bloß Produzenten für Konsumenten und voll auf den Mainstream ausgerichtet. Was ist ein Massengeschmack: Der heute traditionelle Jazz war anfangs die modernste Musik ihrer Zeit. Die Kunst entwickelt ihre Definition, was sie sei, ständig weiter. Wenn man jung ist, probiert man das Vorhandene zu kopieren und wächst schließlich darüber hinaus. Bereits etablierte Darsteller inspirieren. „Das will ich auch können“, sagte ich mir bei mancher Malerei und musste viel üben, bis sich das Glück einstellte, Eigenes tatsächlich schaffen zu können.
Heute scheint es eine Abkürzung zu geben, was etwa das Bilder machen (und speziell die Kunst) angeht?
Meine Kreationen sind Theaterstücke, aber die anderen leben und erleben, was mein Spiel mit den Farben sein soll, scheinbar tatsächlich? Meine mühsam erlernte Fähigkeit, Inhalte gekonnt abzubilden, hat ihre exklusive Spezialität längst verloren. Alle können Kunst. Den Computer zu starten für eine kreative Bildfindung, ist einfach geworden für jedermann. Die Normalität hat als Schauspieler einer eigenen Wahrheit ihre Grenze zum Publikum längst überschritten. Konsument sein und Rezipient, gleichzeitig Kommunikator und Produzent andauernder Postings, das ist unser Dasein. Wir sind Radio, Fernsehen, Sender und Empfänger alle Zeit. Jeder ist eine Sendestation. Es gibt keinen Unterschied mehr zur künstlichen Darstellung. Niemand bleibt ungesehen im öffentlichen Raum. Viele werden heimlich im Privaten ausgespäht. Nicht wenige filmen sich selbst als Influencer ständig. Der Mensch beherrscht den Planeten, seine Produkte definieren die Umgebung. Sprache und Videos kreieren andauernd neue Welten. Jeder kann Konserven des Gesehenen machen, wir füttern das Internet. Die jetzt schon unerlässliche künstliche Intelligenz wird mehr Strom verbrauchen als alles bisher Dagewesene.
Der normale Mensch kann, was früher nur Spezialisten hinbekamen, Fotos manipulieren, Clips schneiden. Wenn alle Künstler sind, ist es keine Kunst, was die Leute tun. Jeder macht doch Bilder und Videos den ganzen Tag lang. Alles ist Fake. Niemand interessiert sich für die Wirklichkeit, das ist nur die Bühne. Die Menschen sind im eigenen Film unterwegs. Als andauernder Tourist fotografiert man sich vor jedem Hintergrund. „Ich bin hier.“ „Ich fahre jetzt.“ Auch zusammen funktioniert es: „Wir essen.“ Das Echte spielt die Rolle der Kulisse. Die Natur ist bereits tot. Nicht nur das natürliche Leben, jeder Felsen, auch die menschlichen Produkte werden zur Nebensache. Das Künstliche ersetzt den Menschen, die Lebewesen, so wie wir sie kennen, absehbar. Die Börse macht es vor, spiegelt uns selbst. Ein Wort oder eine Zahl bedeutet mehr, als was dahinter steht. Wir sind morgen. Die sozialisierte Zivilisation kennt nur das Wort als Platzhalter dessen, was es sagen möchte. Die dingliche Umgebung wird mit einer verbalen Fassade verkleidet. Unsere Kommunikation hat ihre eigene Realität geschaffen. Das Netz ersetzt den natürlichen Menschen und erwirkt ein neuronales Autonom. Wir bereiten den Weg und schaffen uns ab. Die Gesetze der sozialen Anpassung erzeugen den Druck, der alles formt, dem Individuum die Luft abquetscht, wenn es auf seinem eigenem Erleben beharrt.
# Der Mai ist gekommen, die Bäume …
… schlagen aus. Ein prophetisches Liedgut, denke ich. Wer gegen einen Baum rennt, mag blöd sein und eine Beule bekommen, aber die bloße Bezeichnung „Baum“ könnte bald ähnliche Schlagkraft bekommen? Das hängt davon ab, wie die aktuelle Einordnung den Begriff bewertet. Worte sind Waffen! Sogar normale Menschen gendern inzwischen durchgehend durch, wenn man ihnen ein Mikrofon vor die Nase hält, sie im Fernsehen sprechen sollen. Würde irgendwann „der“ Baum als männlich besetztes Wort erkannt, könnte sich die Mode etablieren, allgemeiner vom „Wachsenden“ zu reden? Man forderte möglicherweise, von den „Gepflanzten“ zu reden, um alles Grün wertzuschätzen (weil es von Baum keine weibliche Form gibt) den Sprießenden, Blühenden, wie man es jetzt mit Studierenden, Radfahrenden (usw.) macht.
„Wir schaffen das!“, sagte Angela Merkel bekanntlich 2015. In der aktuellen Debatte wird der früheren Bundeskanzlerin mancher Fehler vorgeworfen, den sie angeblich verbockte. Sie verursachte die „Flüchtlingskrise“, heißt es, aber man sollte diesen Begriff nicht mehr nutzen. Merkel verschuldete die Geflüchtetenkrise, fände ich passender. Da werden doch ständig Straßen und Plätze umbenannt, Schnitzel verboten. Höchste Zeit, alle alten Bücher neu zu schreiben und das Internet nach falschen Formulierungen zu durchforsten, die Vergangenheit zu korrigieren! Wir ändern, reformieren und verqueeren. Die Herrschenden werden retrospektiv entmannt. Heinrich Böll hat es kommen sehen. Gott geht gar nicht: „Jenes höhere Wesen, das wir verehren.“ So verlangt es Bur-Malottke im Klassiker „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“, jeden in Frage kommenden Passus seines alten Vortrags unbestimmt neu einzusprechen. Menschen kippen die alten Denkmäler vom Sockel, um neuen Populisten hinterherzulaufen. Weil sie sich selbst und ihr spezielles Fleisch-und-Blut-sein nicht spüren möchten, gelingt es Manipulanten leicht, die Massen gruppenweise zu knechten. Der Mensch ist schon heute ein glücklicher Sklave seiner Kunstwelt. Wir nutzen bereits die faszinierende Technik, die Aldous Huxley in „Schöne neue Welt“ beschreibt. Das Mittel, diese Vision auszugestalten, in der alles eine Täuschung bzw. Fälschung bedeutet, ist dauernde Kommunikation. Wer immer redet, denkt nicht mehr. Der Stream spült. Alle waschen sich gegenseitig die Gehirne dauernd. Sendeschluss ist ein vergessenes Wort. Aktuelles Geplapper wird gratis gern genommen. George Orwell beispielsweise kreierte das „Neusprech“ als willfähriges Instrument der Macht. Es ist unsere Gegenwart. Alle machen mit. Wir folgen.
Los doch. Ich könnte dabei sein? Dann wäre ich im Geschäft. Wie die anderen da draußen, wo nicht wenige stylische Typen den Alltag bestimmen, die unsere Zeit prägen, könnte auch ich mich am Akzeptierten bedienen. Serielles Arbeiten ist empfehlenswert. Die Türen der Galerien stünden auch mir offen, würde ich es nur begreifen. So gibt sich die gängige Bildsprache vielseitig. Die Szene bietet nicht wenige Ansätze. Da wären realistische Wasserdarstellungen (gerne mit Schiff) zu nennen. Schafe auf dem Deich, Leuchttürme und Hafenbilder, die man mit einem Hauch von Impression (nach Foto) dahinstreicht. Mit breitem Pinsel. Dann gehen auch alle Arten von undefinierbarem Zeug, dem ein zeitgemäßes Motto zugehörig erklärt wird, Krieg, Antisemitismus, Tierwohl, Umweltsachen, Klimakatastrophe, Misshandlung von Frauen usw. Das Thema ist immer Zeitgeist. Es darf nur nicht stören. Man sagt das nur. Jemand zeige „verstörende“ Arbeiten, heißt es manchmal. Das ist natürlich Quatsch. So etwas behaupten diese Leute bloß, um sich wichtig zu nehmen.
Der Wiedererkennungswert ist ebenfalls ein tückisches Wort. Leider ruiniert die eigentlich gute Idee, dass ein Künstler seine Individualität zum speziellen Werk ausgestaltet, nicht selten sein Ego. Nehmen wir den Autoren, der sich auf historische Romane spezialisiert, er dürfte sein Auskommen haben. Ich habe aber dieses Bild vom Altonaer Fischmarkt in Hamburg nicht begonnen, weil ich mir eine Existenz als geschichtlicher Maler aufbauen möchte. Ich bin mehr als Fischmarkt damals.
Mit den Kunstkreisen hier rundum funktioniert es bei mir auch nicht, dort auszustellen. Ich habe keine Lust mehr, mir Absagen einzufangen. Wenn ich mich bei solchen, genau genommen zweitklassigen Ausstellern bewerbe, geht es nicht, weil meine Malerei dort nicht hinpasst. Das stimmt sogar. Bewerbe ich mich bei renommierten Häusern, bekomme ich nicht einmal eine Absage. Die antworten nicht.
Bleibt das digitale Schaufenster: Ich arbeite an „Nudisten“ und parallel am gezeigten Bild, das wohl „Zeitreise“ heißen wird. (Das Wort „Arbeit“ soll möglichst oft genannt werden in diesem Text). Ich darf nerven. Das erlaube ich mir. Ich habe lange Jahre für einen bekannten maritimen Verlag gearbeitet, das nur nebenbei. Ich gestaltete auch Fassaden. Meine bunten Sünden stehen noch heute in Lurup rum. Ich war nützlich. Es gibt Kinder- und Jugendbuchliteratur mit meinen Illustrationen. Ich arbeitete wie die anderen Leute auch, bis ich probierte, meinen Traum zu verwirklichen als Kunstmaler. So nennt man uns ja nicht mehr. Ich könnte das übersehen haben, vielleicht der Grund meiner Probleme? Ich schaue gern zurück. Auf dem Bild bin ich das rothaarige Kind im Fischauto.
Früher redeten wir von Gebrauchsgrafik. Das sollte den Beruf des Grafikers in die Allgemeinheit integrieren, die nach dem Krieg noch nicht an die nun überall im Alltag sichtbare Werbung gewöhnt war. Es dauerte, Eltern daran zu gewöhnen, dass ihr talentiertes Kind keinesfalls Künstler würde und trotzdem künftig kreative Sachen produzierte als Gebrauchsgrafiker. Wer gebraucht wird, gehört dazu. Das ist unser Prinzip Gesellschaft. „Mache dich nützlich“, gibt auch Dr. Larch (sein Ziehvater) dem jungen Homer mit auf den Weg (in einem berühmten Roman). Eine Erfahrung, die überall gilt. Das musste ich lernen, meine Kunst wird nicht gebraucht. Auf der anderen Seite steht eine nicht weniger existentielle Erfahrung: Ich brauche mich. Das habe ich herausgefunden. Ich muss mich selbst als Individuum pfleglich behandeln. Sonst werde ich krank. Ohne meine speziellen Themen sehe ich mich selbst nicht. Mir genügt keinesfalls, eine übliche Sorte der Kunst zu verkörpern. Schenefeld, das ist jetzt meine Heimat. Ich gehöre dazu, habe Profil. Hamburg, Wedel, wo ich aufgewachsen bin, die Elbe, mein Segelrevier, darauf will ich nicht verzichten. Ich fühle mich wohl. Hier gehöre ich hin, bin ich zu Hause.
# Politiker sind Hasardeure
Die Politik lügt. Das ist eine Geschichte von Kaisern und Königinnen, von Diktatoren, Menschen, die Macht wollen und bekommen. Aktuell ist die Welt ein Spielball von Donald Trump, Wladimir Putin und einigen anderen. Sie werden bald Geschichte sein wie Boris Johnson oder Nigel Farage, die Großbritannien verspielt haben. Unsere Eltern fanden zur Demokratie, sie ist alltäglich geworden, und wir verschenken das Erbe. Die Gesellschaft läuft einer Politik nach, die nichts gelernt hat. Überall Idioten. Auch bei uns. Man schaut in die Region, das ist ganz interessant. In Wedel haben sie gerade ihren Bürgermeister abgewählt. Der war einfach nicht kompatibel. Die kleine Politik ist so böse wie die große in Berlin. Mit diesen Menschen kann niemand befreundet sein. Die machen sich gegenseitig fertig, die Politiker. Ein nützliches Lernfeld für einen wie mich, der Kränkungen nicht leicht abfedert, sich eine Spielwiese zu suchen, wo die anderen mit harten Bandagen kämpfen. Das übt. Ein Dorf ist das Spiegelbild der größeren Welt. Man benötigt die Handwerker, ein paar Geschäfte und die Müllabfuhr. Wenn die Verwaltungschefin krankheitsbedingt mal ausfällt, ist das weniger schlimm als ein Streik bei der Abfallentsorgung. Sowieso, man darf nicht zu sehr stören, dann läuft alles. Eine Bürgermeisterin tatsächlich ist bloß bessere Deko, und so ist es mit mir. Ich bin heute Lokalkolorit. Der Unterschied, glaube ich, was das mit der Eitelkeit angeht, ist, dass ich es von mir weiß. Meine Möglichkeiten, den Staat zu verarschen, sind gar nicht geringer als die Machtmissbräuche, die solche Dorftanten da oben draufhaben. Das ist die Quintessenz meiner Erfahrungen und tatsächlich ein Plädoyer für den Rechtsstaat!
Wir haben Mitte April, und so weit bin ich inzwischen (mit meiner Arbeit). Beide Projekte wurden bereits an anderer Stelle vorgestellt. Dies ist nur ein Update. Ich möchte zeigen, dass ich dran bin (arbeite), und wie das bei mir aussieht. Das Geld verdient meine Frau. Die arbeitet richtig. Ich lebe zudem vom Geld meiner Eltern. Die sind tot und haben ihr Leben lang hart gearbeitet. Das erzählte ich ja bereits woanders. Ich schäme mich nie, kein Geld mit meiner Malerei zu verdienen und scheinbar einfach in den Tag zu leben. Ich male, was mir Spaß macht. Arbeit, so wie die anderen diese verstehen, macht ihnen oft keinen Spaß? Sie haben ihre Jobs. Ich folge meiner Berufung. Nicht, dass ich mich lustig mache: Das ist Satire.
Satire ist eine Kunstform.
Natürlich bin ich Künstler. Ich kann was. Wenn normale Leute sich ein Bild kaufen, dann aber nicht solche, wie ich welche male. Das ist auch gut so. Mir ist schon klar, wie dumm die meisten sind. Ein wenig Spott steht mir doch zu?
Einen schönen Tag wünsche ich!
🙂