
Wir waren Papst
„Eine Weltzuwendung der Kirche, die ihre Abwendung vom Kreuz darstellen würde, könnte nicht zu einer Erneuerung der Kirche, sondern nur zu ihrem Ende führen. Der Sinn der Weltzuwendung der Kirche kann nicht sein, den Skandal des Kreuzes aufzuheben, sondern allein der, ihn in seiner ganzen Blöße wieder zugänglich zu machen, indem alle sekundären Skandale weggeräumt werden, die sich dazwischen geschaltet haben und leider oft genug die Torheit der Liebe Gottes mit der Torheit der Eigenliebe der Menschen verdecken und so freilich einen falschen Anstoß geben, der sich zu Unrecht hinter dem Anstoß des Meisters versteckt.“
Joseph Ratzinger, auszüglich eines Vortrags auf dem Bamberger Katholikentag 1966.
Das läuft auf YouTube: „Shorts“. Es hat ein wenig gedauert bei mir zu verstehen, was der junge Kardinal eigentlich sagen will. Das klingt so verschroben, ist im Tonfall der damaligen Zeit geradezu abschreckend zu hören für einen Menschen von heute. Und doch, Ratzinger wurde im Alter noch Papst. „Wir sind Papst“, titelte bekanntlich die Bildzeitung. Es muss was dran sein? Zu knabbern hatte ich am Sinn der Formulierung „Torheit der Liebe Gottes“, gebe ich zu. Der Kardinal meint offenbar das Vertrauen von Jesus in seine Rettung. Die Liebe zu Gott, seinem vorgeblichen Vater, geht bei ihm so weit, dass Christus ein Tor, also Idiot genug gewesen war, das Geschehen seiner Kreuzigung hinzunehmen in Anerkennung des damit einhergehenden Beweises von Gottes Liebe. Dazu passen Beschreibungen mit dem später leeren Grab, die letzte Begegnung Jesu mit einigen Jüngern anschließend, seine Wundmale an den Händen, das Auffahren in den Himmel; wer das glaubt?
Gestern wurde die aktuelle Konklave beendet, und wir haben wieder einen neuen Papst, US-Kardinal Robert Francis Prevost. Der Kirche wird frauenfeindliches Festhalten an ihren traditionellen Vorstellungen vorgeworfen. Man prangert den Missbrauch an, der in ihren Reihen immer wieder geschieht. Das hält Menschen nicht ab, weiter Mitglied der Glaubensgemeinschaft zu sein. Weiter gehen Kräfte aus von dieser Geschichte in der Bibel, dass sie immer wieder neue Gläubige an sich bindet. Die scheinen zu verstehen. Ich probiere zu fragen: Wenn die Torheit darin bestand, an die Liebe Gottes derart zu glauben, das Christus also einer Kraft vertraute, die doch für alle drumherum seinerzeit ausblieb – der Gemarterte starb bekanntlich zunächst wie jeder andere, gewöhnliche Mensch – was ist mit der Torheit von der Eigenliebe der Menschen gemeint?
Manche werfen der Kirche ihre antiquierte Sprache vor. Das trifft besonders Katholiken. Wir sollten dennoch probieren zu übersetzen. Kurz zusammengefasst ist die Jesusgeschichte das brutale Ende eines jungen Aufrührers, der damals eine gewisse Popularität erreichte. Mit seinen Thesen konnte er ein überschaubares Grüppchen von Zuhörern gewinnen. Für die Inanspruchnahme seiner, heute würden wir sagen: Erkenntnisse, und die sich um ihn bildende Menge, geschah ihm neben der Anerkennung einiger Freunde dann doch so viel negativer Rummel, dass er getötet wurde. Das wird so stimmen. Es ist ein geschichtlich glaubwürdiger Vorgang. Das Ganze Drumherum mit der Wiederauferstehung bildet hingegen den Kern einer Weltreligion, die gerade nicht wissenschaftlich bewiesen werden möchte, und da setzt die Kritik vom jungen Kardinal Joseph Ratzinger ja an. Wir mögen bitte glauben, dass Jesus der Sohn Gottes war und uns durch sein dummerhaftiges Verhalten dahin führte, wie weit das Vertrauen in die Liebe Gottes gehen kann, ja gehen muss.
Nüchtern betrachtet, scheren sich viele nicht drum und vertrauen darauf, was angeblich auch Jesus sagte, man liebe seinen Nächsten wie sich selbst, und da ist der gleichwertige Beginn im Aphorismus unverstellt dabei:
„Liebe dich selbst.“
Man kann den Satz andersherum lesen.
# Religion ist heilbar
Ich sah’s auf einem Aufkleber: Religion sei „heilbar“, stand darauf. Was damit gemeint sein könnte, frage ich mich genauso, wie ich darüber nachgrübeln musste, was der junge Kardinal Ratzinger im eingangs erwähnten Vortrag sagen wollte? Er hat es verstanden. Der Kardinal hatte ein Manuskript und sicher lange nachgedacht über diese Worte. Der war auf einer Mission. Für mich aber klang das zunächst so was von bescheuert, gebe ich zu. Es bedeutet mir also meine Eigenliebe (auf die ich nicht mehr verzichten möchte), mich selbst ernst zu nehmen, zu hinterfragen, was ich offenkundig nicht verstehe. Tatsächlich halte ich die Jesusgeschichte für eine zugkräftige Verschwörungserzählung. Nichtsdestotrotz ist ihr Kern die Wahrheit, dass Menschen für ihre Ansichten angeprangert werden können. Nicht ohne Grund kleben in meinem Atelier Fotoschnipsel mit dem ängstlichen Gesicht von Sophie Scholl. Ich schaue jeden Tag drauf.
Vor wenigen Tagen war der Stolperstart in seine Kanzlerschaft von Friedrich Merz. Das Foto von zwei Grünen, die Parteispitze aus Haßelmann und Dröge, stand eine zeitlang obenauf der Tagesschau im Netz, bis es dann abends im zweiten Anlauf klappte mit der Wahl. Ein (nach Ratzinger sekundärer) Skandal, der sich kurz an die Spitze der Nachrichten drängen konnte, war das. Die beiden grünen Frauen gaben das typische Bild armseliger Wadenbeißerinnen, wie dieses Foto so treffend zeigte, dass die Abbildung zu Recht dafür genommen wurde, den spannenden Tag über einen oberen Platz zu bekommen. Ich musste probieren, das nachzuzeichnen und habe viel Papier gebraucht mit misslungenen Skizzen deswegen. Ich fand diese Visagen so ausnehmend blöde, dass mir der kindische Zorn derart im Weg stand, mich zu konzentrieren. Schließlich nach einer Pause war ich doch zufrieden und schrieb anschließend den nachfolgenden Text. So ist Tagebuch, ein zusammengestückeltes Bloggen, Torheiten hinschreiben, den eigenen Gedanken folgen, vertrauen usw.
Man kann angezeigt werden für seine Lautmeldungen, und das ist mir schon einmal passiert – von einer Frau (aus der Politik).
# Frauen!
Im Film „Forrest Gump“ sagt der Hauptcharakter (mit einem IQ von 75), gespielt von Tom Hanks, den in diesem Moment anrührenden Satz: „… aber ich weiß, was Liebe ist.“ Daran denke ich oft. Ich habe das im Kino gesehen, als der Film neu war. An meiner Ateliertür pinnt der Spruch: „Glück besteht darin, den Menschen zu finden, der an dir das schätzt, was für andere wertlos ist.“ Zitate mögen Wegweiser sein, aber solche stehen nicht an den Scheidewegen des Lebens, wusste Chaplin. Manchmal denke ich, mich ständig zu verlaufen. Falsch abgebogen? Zurück können wir nicht, und so ist das Leben nicht frei und hängt an manchem. Daran glaube ich und ans Verzeihen. Weniger Angst zu haben, bedeutet wohl, sich ein wenig mehr gern haben als früher. Das kann man lernen, und ich bin schon besser geworden.
Meine Kunst; ich schreibe, wie mir das damit geht.
Zwanghaft grün? Oder blau. Es kommt nicht auf die Farbe an. Eine kleine Geschichte möchte von einer verbreiteten Macke berichten. Hier könnte deutlich werden, wie fließend der Übergang vom verschrobenen Dasein zum behandlungswürdigen Gebaren ist. Wir begreifen Menschen danach, was sie haben, Geld, Besitz, ein bestimmtes gesellschaftliches Ansehen oder eben Krankheiten. Wir weisen dem jeweiligen Attribut einen Begriff zu. Man erschafft Karteien, benennt Diagnosen und übersieht dabei den Menschen selbst, was er ist (und nicht, was derjenige hat). So gibt es nicht wenige, die glauben, manches unbedingt tun zu müssen, weil sie einer bezwingenden Logik aufgesessen sind. Menschen möchten sich definieren und ein Ich kreieren. Dabei schießen einige über das Ziel hinaus. Sie stülpen sich eine Verkleidung über und merken es nicht. Die Kritiker neuer Sprachgewohnheiten gelten nicht selten als bloß konservativ. Man überhört sie geflissentlich. Eine Frau „ist“ Mutter, sei es also ganz und gar, fordert jemand zu sagen. Die Sprecherin (ein Video, das ich mir angesehen habe) weigert sich, von der „Mutterrolle“ zu reden; ein albernes Modewort demnach. Ich denke auch, das ist mindestens eine Aufgabe aber kein Theater, das man abends dicht macht, wenn der Vorhang fällt und anderntags wieder neu (den Leuten) präsentiert. Man kann wohl spielen, jemand zu sein und nimmt diese Rolle an? Mutter sein, heißt nicht spielen. Sprachpanscher werden welche genannt, die manche Mode beleben. Die althergebrachten Unkrautvernichter würden heute Pflanzenschutzmittel genannt, ereiferte sich mein Vater bereits vor Jahren. Wir sind smart. Wir vernichten nicht, wir schützen. Im militärisch konzipierten Brettspiel „Risiko“, das ich bei der Bundeswehr kennenlernte, wurden seinerzeit fremde Gebiete von uns Spielern laut Anleitung ganz offiziell angegriffen. Als ich mir später eine eigene Neuauflage für zu Hause kaufte, um das privat auch mit Freunden zu spielen, hieß es freundlich umformuliert im beiliegenden Text, das Ziel sei, fremde Länder zu „befreien“, und dafür schicke man seine Truppen hin. Der Ablauf ansonsten hatte sich nicht geändert. So auch im richtigen Leben, eine Gesellschaft wandelt sich, und ihre Störungen bekommen neue Namen. Das kann Verschleierung bedeuten. Wo sich die Sündigen früher kasteien mussten, wie sie meinten, sprechen die Leute heute vom „sich ritzen“ oder der Krankheit Borderline.
Mir ist dazu was eingefallen. Das liegt einige Jahre zurück. Ich schreibe aus der Erinnerung, ohne exakte Zitate bringen zu können. Es geht um ein Detail, das ich auch so hinbekomme, zu erzählen. Einer damaligen Freundin schenkte ich ein Buch mit dem Titel „Zwangshandlungen“, das diese nie gelesen hat, glaube ich. Ich selbst habe es gelesen.
Da wird unter anderem von einer Frau berichtet, die Schwierigkeiten mit möglicherweise nicht abgeschalteten Küchengeräten hatte. Auf dem Weg zur Arbeit musste die Arme zwanghaft regelmäßig umkehren, weil das Gefühl an ihr nagte, etwa die Kaffeemaschine sei noch in Betrieb und könne sich überhitzen? Sie drehte also immer wieder nach wenigen Metern um, schloss die Haustür auf, ging zurück in die Küche, um festzustellen, dass das Gerät doch aus war. Manchmal war der Drang nachzuprüfen extrem. Sie hatte bereits einen ersten Kontrollgang in der beschriebenen Art gemacht, war im zweiten Anlauf bei ihrem Auto angelangt und in Richtung der Arbeitsstelle morgens losgefahren. Nach wenigen hundert Metern oder einigen Kilometern tatsächlich kehrte die Frau aber wieder um und fuhr zurück nach Hause, um noch ein weiteres Mal nachzuschauen. Sie wusste, wie absurd das Ganze war und hatte eine Therapie begonnen. Mit dem Arzt besprach diese Patientin alles, aber der Durchbruch zur Besserung geschah ihr erst, als sie Unglaubliches tat: Sie schaltete die Kaffeemachine nach dem Frühstück morgens ab, zog den Stecker, packte das blöde Ding zusammen mit ihrer Tasche und einigen Utensilien, die sie für ihre Arbeit benötigte, ein, ging zum Auto, fuhr los. Sie erreichte das Ziel aber nicht, ohne einige Male beim Halten an der Ampel nachzuschauen, ob die Maschine sich auch tatsächlich abgeschaltet mit ihr im Auto befand! Schließlich erlebte sie an sich den Zwang, die mitgenommene Kaffeemaschine, die sich stromlos zu ihren Füßen in einer Tasche befand, während sie im Büro am Computer arbeitete, herauszunehmen und diese fernab der häuslichen Wohnung auf ihren Zustand zu prüfen. Das erzählte sie ihrem Psychologen. Sie sagte (so stand es im Buch) zum erstaunten Psychiater:
„Ich wusste in diesem Moment: Das bin nicht ich!“
Der Autor schrieb, von da an wäre es vorangegangen mit dieser Patientin. Sie habe ihre Absurdität und das daraus resultierende Paradoxon spüren können und wäre Schritt für Schritt bereit gewesen, bessere Wege zu gehen. Das könnte stimmen, was der Arzt da meinte, aber auch der Versuch sein, die eigene Therapie zu loben? Wir Lesenden können nicht nachprüfen, ob die Geschichte wahr ist. Der Auspruch: „Das bin nicht ich!“ erscheint authentisch. Ich finde das toll zu sagen. Hier begreift man die Not, die diese Patientin mit sich selbst hat. Wer regelmäßig gegen sich selbst handelt, das aber nicht weiß, ist dumm. Wenn jemand mitbekommt, sich zu schaden, aber außer Stande ist, das zu ändern, sehen wir ihn als krank an. Der Gang zum Arzt wird nötig, und nun beginnt eine Therapie. Das geschieht häufiger. Eine gute Sache, die Gesellschaft hat sich bewegt. Viele lassen zu, sich helfen zu lassen. Die Medaille hat aber eine Kehrseite. Bei manchen ist die Entwicklung zur Besserung gering. Das könnte verschiedene Gründe haben, aber der wesentliche wird meines Erachtens übersehen. Die Therapieansätze gehen von einer psychischen Störung aus und beschäftigen sich mit einem kranken Geist. Sie nehmen an, dass ein Problem im Denkapparat ihres Patienten vorliegt. Der Kranke ist aber als ganzer Mensch in die Praxis gekommen. Es gibt keinen Geist für sich allein. Immerhin ein Gehirn kann fehlfunktionieren, dann aber nur im Zusammenspiel mit dem zugehörigen Bewegungsapparat. Das kümmert den Therapeuten wenig? Der Fachmann möchte das Gehirn ändern, das ja nachweislich die Blödheiten befiehlt. Dabei überschätzt man das gesprochene Wort als Werkzeug. Gesetzt den Fall, der Psychologe weiß um diese Schwäche seiner Bemühungen, wird er zur Pharmazie greifen. Das ist nur im eskalierenden Notfall das Beste. Die modernen Wirkstoffe sind von hoher Qualität. Da ist sogar der Psychiater ein richtiger Arzt. Der Chirurg betäubt seinen Patienten, bis die Krise händelbar ist, und anschließend erfolgt die Rehabilitation. So auch bei schweren Depressionen oder Psychosen, man verabreicht die erprobten Medikamente, bis der Patient vernünftiger Argumentation zugänglich ist. Dann aber trennen sich die Wege von verantwortlicher Medizin in den anerkannten Fakultäten oder der Quacksalberei mancher Seelenklempner. Trost spenden hilft. Das reicht aber nicht.
Ein Profihelfer ist kein ehrlicher Freund, der uns einfach mal Gutes tun möchte. Wir bräuchten den Arzt nicht, wenn das nur ein netter Kumpel wäre. Um seine Ziele der Behandlung zu erreichen, probiert unser Gegenüber in der Therapie vorweg überlegte Gedanken aus, die in Wechselrede mehr sein müssen als Plaudern. Ein verantwortungsvoller Arzt macht sich Notizen, hat einen Plan und kontrolliert die Qualität der Diskussionen. Das ist kein spontanes Schnacken. Ein erfahrener Trainer sollte uns betreuen, und dann dürfte das Projekt „Helfen“ auch vorankommen. Leider ist die Sache oft weit weniger konstruktiv, als man sich’s wünscht. Der Doktor um die Ecke wird sicherlich nur das Nötigste der Behandlung hinbekommen. Man trifft sich regelmäßig und knüpft gesprächsweise ans letzte Mal an. Angesichts der komplexen Probleme, die ein psychisch Kranker mitbringt, bedeuten die typische Betreuung und Unterweisung, das Zuhören und Begleiten von Sorgen und die Lösungsansätze, die geboten werden, nicht selten doch nur eine Sparbehandlung. Mancher akzeptiert die üblichen Praktiken schon deswegen, weil seine Krankheit mangelndes Selbstbewusstsein heißt. Sich um einen qualitativ hochwertigen Therapieplatz bemühen, der intensives Arbeiten anbietet, bedeutet Demütigungen hinzunehmen, Geduld aufbringen. Das fühlt sich an, wie die Bewerbung um einen Job erfolgreich abschließen zu müssen. „Solche wie Sie nehmen wir gar nicht.“ „Die Wartezeit beträgt ein Jahr.“ „Wir nehmen niemanden mehr auf.“
„Tut mir leid.“
Nicht wenige dürften sich fügen und bequem zum bekannten Arzt im Städtchen gehen. Da ist das Wartezimmer immer voll. Der Therapeut probiert, den Patienten zu manipulieren. Das heißt zu lügen und gleichzeitig Vertrauen erwecken, man helfe. Therapie kopiert das sowieso allgemeine Verhalten der Gesellschaft hinein ins Sprechzimmer, kombiniert mit der Gemeinheit, dass der Patient glaubt, hingehen zu müssen (und sich seine Dosis Gehirnwäsche abzuholen). Selbstständigkeit des Patienten ist das Ziel. Wird es erreicht? Nicht selten dauern Behandlungen ewig und werden zur festen Installation im Leben. Viele wechseln ihren Arzt einige Male, ohne vom betreuten Beziehungsstatus dieser Pseudomedizin lassen zu können. Selbst wenn es heißt, die Medikamente, die man nehmen müsste, machten nicht abhängig: Der Hilfesuchende ist abhängig vom Doktor und genötigt, die Behandlung fortzusetzen. Waren erst die eigenen Eltern maßgeblich, und konnte man sich ihren Forderungen nicht entziehen oder auch die Lehrer in der Schule, und schaffte einer nicht, sich im Angestelltenverhältnis gegen den Chef oder aggressive Kollegen zu behaupten, ist krank geworden (deswegen), pfropft sich jetzt noch die Medizin obendrauf und fordert ihr Tribut! Geschehen neue Dramen, fragt der stirnrunzelnde Psychiater: „Warum haben Sie die Medikamente abgesetzt?“ Dem Arzt fehlt die exakte Handhabe, das verstörte Gehirn seines Gegenübers neu zu verdrahten. Deswegen wird herumgeredet und Pillen werden verschrieben. Das hilft mal mehr und mal weniger. Es könnte besser sein, probierte man, den Alltag der Betroffenen und ihr Funktionieren als ganzheitliches Bewegen anzuerkennen. Überhaupt, Menschen können es nicht lassen, andere Menschen zu belehren. Was es bringt? Vor allem ein positiver emotionaler Moment entsteht, von dem jedoch derjenige mehr profitiert, der den Ratschlag gibt. Der Doktor hat sein Auskommen.
Ein Psychiater muss keine gute Arbeit machen, ein Chirurg schon. Der psychiatrische Facharzt sollte im Rahmen der aktuellen Standards handeln. Das genügt. Ein Chirurg, der Ärztepfusch macht, wird angezeigt. Die Psychiatrie dient nach wie vor der Verwahrung von nicht lebensfähigen Menschen und wird vor allem zur Rechenschaft gezogen, wenn ein sich unter ihrer Obhut befindlicher Patient gesellschaftlich daneben benimmt. Das Ziel ist also nicht, Menschen gesund zu machen. Man verhindert nach Möglichkeit störendes Verhalten, und das ist ja schon mal was.
Kinder sagen vielleicht: „Ich war’s nicht!“, auch dann, wenn das unwahr ist, weil sie gerade gelernt haben, dass man damit durchkommen kann. Zu lügen ist möglich. Es kann nicht verboten werden. Unser Wirklichkeitsverständnis beruht aber auf Informationen. Wo wir nun häufiger mit dem Begriff Fake-News konfrontiert werden, wächst unser Bewusstsein dafür. Vertrauen ist lebensnotwendig, da jeder Einzelne in Beziehung zur Umgebung lebt. Im kuriosen Beispiel, wo die Frau sagt: „Das bin nicht ich!“, als ihr klar wird, was sie da eigentlich macht mit der Kaffeemaschine, steckt eine größere Wahrheit. Davon könnten alle lernen. Sich selbst nicht zu vertrauen, heißt sich selbst anlügen. Da ist scheinbar ein Motivator im Kopf installiert, der Befehle gibt und das ganze System Mensch vor sich her treibt. Die Vorstellung von einem Geist ist harmlos gegen diesen Spuk. Nicht erwachsen bleibt der Patientin eine Art nervende Mutti im Hirn, die fordert alle Tage dies und das bis heute – im Beruf, zu Hause und sonst wo, immer und überall. Die Adoleszenz sollte ein Ende haben. Unreife Menschen gibt es so zahlreich, dass man ins Grübeln kommt, wo eigentlich Krankheit beginnt? Es mutet ein wenig schade an, dass sich dieser Ratgeber „Zwangshandlungen“ auf die besondere Störung beschränkt, weil darin eine Schwäche der Therapie liegt, dass man Diagnosen so wichtig nimmt. Ich habe auch ein Buch „Migräne“ gelesen. So etwas verkauft sich. (Ein Buch „Menschen“ sollte geschrieben werden).
# Menschen
Eines unserer Probleme entsteht, weil wir Schuldige suchen, Falsches bekämpfen und dabei den Ansatz Integration zu selten probieren. Der Blick des Spezialisten ist fokussiert. Gerade in der psychiatrischen Behandlung würde nützen, den Menschen zuerst zu sehen und erst dann die Diagnose. Nicht nur Zwangsgestörte benötigten das Bewusstsein zu merken, was sie tun. Das geht uns alle an. Wenn meine Gesundheit sich dadurch verbessern könnte, dass ich eine Straftat begehe, sollte ich (sogar) das machen (finde ich). Es ist doch offensichtlich, dass dauerhaft andere zu betrügen, ihnen Leid zuzufügen, unser Leben zu einer so verzwickten Angelegenheit macht, dass man ein ganzes Netzwerk benötigt (kriminelle Mitstreiter), um damit durchzukommen. Das ist krank. Umgekehrt kann die Befreiung aus einer Unterdrückung sehr wohl mit einer Attacke gegen den Peiniger gelingen. Damit sollte klar werden, dass Gewaltverzicht aus Prinzip keine Lösung ist, sondern immer der Einzelne abwägen muss, inwieweit das Wohlbefinden individuell verbessert werden könnte? Allgemeine Gesetze rahmen unsere Gesellschaft vernünftigerweise. Der Einzelfall benötigt aber in jeder Lebenssituation flexible Strategien. Gesundheit kann so verstanden nie allgemein erklärt werden, es sei denn, man schaut über den Tellerrand der speziellen Störung hinaus und begreift das uns allen Typische. Dann stünde auch dem psychisch Kranken zu, sich zum Gesunden weiterzuentwickeln. Nehmen wir wie üblich das jeweils gültige Korsett des angepassten Verhaltens und schauen auf das spezielle Fehlverhalten eines sogenannten Gestörten, binden wir ihn dauerhaft an seine Macke, die jeder sehen kann.
Gibt einer seine Probleme preis, schwingt sich jedermann auf, gleich Rat zu geben. Ein Psychiater müsste mehr drauf haben. Fragt man einen Trompeter, wie er’s hinbekommt zu musizieren, wird der einiges dazu sagen. Geht man zum Künstler und erkundigt sich, wie das funktioniere zu zeichnen, bekommt man auch als Laie wohl seine Antwort. Niemand, der nicht bereits ein paar Vorkenntnisse mitbringt, kann nach einer solchen ersten Lehrstunde eine spezielle Fertigkeit ebenso meisterhaft ausüben wie der Lehrer oder die größten Könner einer Sache. Das sollte die Lautsprecher unter uns, die alles meinen zu erklären, kleinlaut machen. Es genügt nicht, ein Buch über das Blasen durchzulesen, und dann ein Horn zu kaufen, man muss damit probieren. Es ist nicht ausreichend, eine Zeichenschule bloß zu studieren, ohne selbst einen Stift in die Hand zu nehmen, wenn man die Kunst der Perspektive erlernen möchte.
Die dicht vernetzte Gesellschaft macht es möglich, dass auch individuell schlechte Arbeit genügt, ein Mensch trotzdem sein Auskommen damit hat. Das System nimmt Schwächere mit. Die wenig gute Leistung kann aus verschiedenster Motivation zustande kommen. Der Faule kann leben, der Lügner, der Behinderte, wenn die anderen seine Ungenügsamkeit auffangen. Dadurch kommt es immer zu Situationen, wo andere mehr tun (müssen). Um noch einmal zur Zwangsgestörten zurückzukommen: Sie macht zu viel. Sie misstraut sich selbst, ihrem Gedächtnis, dass sie viel Zeit für Nachprüfungen aufwendet. Die Patientin begreift sich als fremdmotiviert, dass sie meint, jemand anderes mische sich ein? „Nicht ich bin das“, erkennt sie schließlich. Sie handelt (für sie selbst bereits deutlich sichtbar) weit entfernt von ihrem eigentlich intelligenten Verständnis der Situation, dass ihr’s vorkommt, als machte jemand anderes die blöden Prüfungen. Da ist scheinbar eine fremde Person. Die hat von ihr die Kontrolle übernommen und fordert auch das Kontrollieren von allem anderen. Wer die Geschichte liest, stellt sich unweigerlich die inneren Befehle vor, denen sich die Unterdrückte niemals entziehen kann. Die Stimme sagt: „Hast du abgeschaltet, den Stecker gezogen, die Tür verschlossen? Sieh lieber noch einmal nach!“
Wären hier tatsächlich zwei Personen beteiligt, die eine mit der Aufgabe, den Lebensunterhalt für beide zu erbringen im Büro und die andere, die abschließt, abschaltet, wäre es mit weniger Einmischung in den fremden Aufgabenbereich besser. Gesundes Leben heißt, das Notwendige zu machen und nicht noch mehr die ganze Zeit. Dafür benötigt jemand das Augenmerk drauf, wie das eigene Handeln motiviert geschieht. Unter der betäubenden Wirkung seiner Pharmakeule und unter der Dauerbeichte beim Arzt und mit dessen Ratschlägen betreut, kann ein Kranker kaum Neues lernen. Der hier entworfene Vergleich, Zwangshandlung als Diagnose durch die Frage nach einem zweiten Ich zu erklären, zeigt seine Symmetrie zum Gedanken einer gespaltenen Persönlichkeit, der eigenständigen Diagnose „schizophren“, und das darf man hinterfragen. Es geht doch immer darum, ob jemand bei sich ist oder auf andere fixiert.
Eine Kunst draufzuhaben, reicht bei weitem nicht, in der Gesellschaft seinen Platz zu finden und mit dieser Fähigkeit Geld zu verdienen. Umgekehrt können die, die nur mäßig etwas hinbekommen, sehr wohl eine lebenswerte Existenz finanzieren, wenn sie bereit sind, der sozialen Struktur ihr Tribut zu zollen. Psychisch Erkrankte haben eines gemeinsam: Sie machen zu viel am falschen Ort. Solche Menschen werden schließlich immer ausgenutzt und trudeln für gewöhnlich in den Teufelskreis dauernder Wiederholung derselben Fehler. Da wir die Gesellschaft und ihr Sosein, dass sie das noch fördert, nicht ändern können, bleibt nur die Selbsthilfe. Wer merkt, gegen sich selbst zu handeln, kann Perspektiven entwickeln, wie er eigentlich sein möchte: „Das bin ich!“ Wer man ist, wird einem ja nicht gesagt.
Man urteilt uns ab.
# Auf ein Wort!
Da psychische Krankheit auch eine Definition ist (die Grenzen zur Normalität sind bekanntlich fließend, und was normal ist, wandelt sich ständig), denke ich, dass wir nicht nur Schwierigkeiten bei der Behandlung von Auffälligen haben. Es gibt eine breite Verstörung allgemein. Die Menschen sind insgesamt weniger gesund, als sie’s von sich behaupten. Eine überall psychotische Welt wäre gefährlich. Kein Wunder, dass Bestrebungen aufkommen, sich regional schärfer abzugrenzen. Einige empfinden bereits Überforderung, rufen nach Führung und Kontrolle. Andere möchten weitere Öffnung, neue Freiheiten für spezielle Gruppen. Nicht wenige merken gar nicht, wie es ihnen mit den Programmen geht, die sie vertreten. Der Einzelne legt sich manches auf, tun zu müssen. Die Schulabgänger heute wissen nicht wohin, weil es großartig sein muss, was dann kommt. Sie sagen: „Ich will studieren.“ Damit gewinnt man Zeit. Manche Mode treibt uns um. Gesunde Ernährung kann so zwanghaft werden, dass dieses Essverhalten krank macht. Politische Korrektheit kommt beim Gegenteil an und ist oft Mobbing pur. Fanatischer Feminismus kann das propagierte Ziel schon mal deutlich konterkarieren. Es gilt als unschön, das zu sagen, tatsächlich, man kann es so sehen: Wir haben ein Frauenproblem. Die moderne Weiblichkeit ist überfordert (ist meine Meinung). Die Frauen machen zu viel –, weil es heute möglich ist. Kranke Weiber bestimmen die Landschaft nach Quote. Es gilt ihnen aber als gesund, verkrampft die anderen, uns insgesamt zu belehren, grünes Zeug zu kauen. Da müssen alle mit. Die Weiblichkeit war auf ihre, wie es hieß, natürliche Bestimmung festgelegt und hat sich glücklicherweise befreit. Aber nicht alle Mädels kommen damit klar. Männer haben ein Problem mit dem neuen Rollenverständnis und die Frauen, ich würde sagen, mal so mal so nehmen sie die neuen Chancen wahr. Wer möchte denn zurück und eine naive Blondine lieben?
Ich spreche aus meiner Perspektive, Frauen, es fällt schwer, das Liebenswerte an euch zu bemerken, wenn ihr rechtfertigt, eure Stärke sei (eben) ein Problem der Männer. Man kann auch bloß stark tun und das gar nicht von sich wissen, sage ich dagegen. Nicht wenige kollabieren, ohne das mitzubekommen und drangsalieren uns alle leider.
🙂