Nudisten
Was darf Kunst, wie weit können wir gehen, gibt es Grenzen, und was andererseits muss sein, damit sie sich von der Dekoration unterscheidet? Wie viel wir denken dürfen, sichtbar machen, entscheidet nicht nur über die Freiheit einer Gesellschaft, sondern auch über ihre Zukunft. Ästhetische Designrepertoires befähigen den Künstler, vielseitige Denkanstöße zu geben. Moderne Werke möchten mehr sein als bloß nette Raumgestaltung. Natürlich, auch Dekoration kann kunstvoll wirken. Ein schöner Schmuck für das Wohnzimmer; geschmackvolle Szenen sind nicht schlecht, weil sie gefallen. Ein vielseitiges Betätigungsfeld.
Die ersten Eindrücke von Malerei prägen mich bis heute. Wir segelten, hatten ein Boot, meine Großväter waren Kapitäne gewesen. Ich orientierte mich zunächst an Marinemalerei. Bei Opa Heinz im Möllers Park hingen sogar zwei echte Seestücke im Wohnzimmer an der Wand. Johannes Holst, Hugo Schnars-Alquist, Anton Otto Fischer und einige mehr inspirierten mich. Das realistische Abbild fasziniert, und so ist es kein Wunder, dass ich die Bilder von Edward Hopper bewundere. Diesen Maler lernte ich erst im Studium an der Amgartstraße kennen (die Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg. So hieß das damals). Hopper ist kein einfacher „Landschafter“. Da war nun etwas anderes dabei als nur die Wiedergabe der Natur. Der Amerikaner hat als Illustrator begonnen, aber seine Gemälde sind keine Illustrationen. Im Regal bei uns zu Hause stand auch ein Buch mit Bildern von Velázquez, und mein Vater malte selbst ein wenig. Er begeisterte sich für Picasso. Mein Talent entwickelte sich im familiären Umfeld und unter den Augen vieler Lehrer. Ich war beliebt bei allen, denen gefiel, in mir einen guten Schüler zu haben. Mich nahm der „Albogen“ von Menzel gefangen, das wollte ich auch machen, Kinderbücher. Mein Interesse an diesem Metier war geweckt, obwohl ich eigentlich im Bereich der Infografik eingeschrieben studierte. Siegfried Oelke starb damals gerade überraschend, und ich ahnte erst allmählich, wie es gewesen sein könnte, den profilierten Lehrer kennenzulernen. Auch Wilhelm M. Busch verpasste ich, sah die beiden legendären Professoren nur jeweils ein einziges Mal ganz kurz und zufällig. Sie waren ins Gespräch vertieft mit befreundeten Kollegen. Ich kann mich genau dran erinnern.
Angeregt durch Prof. Gero Flurschütz, kaufte ich mir beim kanadischen Verlag englischsprachige Bücher von William Kurelek. Die konnte man per Post bekommen. Ein paar Zeilen Schulenglisch genügten, dann mit gewöhnlichen Briefmarken bezahlen, so war das damals ohne Internet. Einige der großen (und großartigen) Bilder dieses wunderbaren Erzählers sah ich später wirklich, und zwar in Bologna zur Kinderbuchmesse ausgestellt. Dort in Italien bin ich als Student zwei Male gewesen mit Kommilitonen und Professoren. Das Studium erinnere ich als schöne Zeit. Ich verdrängte alle Probleme. Meine ersten Berührungen mit der tatsächlichen Malerei fanden an der Armgartstraße statt. Ich studierte bei Almut Heise zwei Semester Ölmalerei. Ein großes Familienbild auf Leinwand wurde nie fertig. Ich lernte Otto Ruths kennen. Er wurde mein wichtigster Lehrer. Ich interessierte mich gar nicht für die Illustration und merkte es nicht einmal. Ich lieh mir ein Buch mit Abbildungen von David Hockney aus der Bibliothek in der Wartenau und gab es nie zurück. Ich ahnte bloß, dass zu malen mehr sein könnte als abbilden.
Mein Professor Ruths hielt nicht allzu viel von Nolde möglicherweise, aber ich liebe diese Bilder. Er spottete über Warhol, und ich finde den toll. Mit den verpackten Gebäuden von Christo entdeckte ich einen Einstieg in die Moderne, las ein wenig über Beuys, die Fettecke – und begriff allmählich, wie sehr uns das alle prägt. Als ich selbst mit ersten Versuchen anfing, war ich bei weitem nicht so ein Freigeist wie heute! Ich kann aktuell wenig anfangen mit Ai Weiwei oder Banksy. Es gibt neben dem Anspruch von Qualität durchaus die Berechtigung für Geschmack. Wer gern Fisch ist, hat seine Vorlieben, wer Jazz mag genauso. Leute, die das nicht begreifen, haben wir genug.
Die Inspiration und Motivation finde ich zum einen aus meiner eigenen Entwicklung. Das bedeutet, ich knüpfe immer an und folge dem, was ich bereits gemalt habe. Meine Ideen kommen nicht aus dem Nichts. (Es dürfte schwierig sein, es jemandem zu erklären, der selbst nicht malt). Natürlich finde ich auch Anregungen durch öffentlich bekannte Gemälde, die ich irgendwo sehe. Über Pinterest habe ich etwa Arbeiten dieser Künstler entdeckt, die ich bewundere: Bo Bartlett, Kike Meana, Waldemar Kazak – „Task complete“, Paul Kelley, Nazanin Pouyandeh – „Der Aufstand der schwarzen Seelen“, Vincent Desiderio – „l’Liberati“, Jeffrey T. Larson, Dino Valls, Jeffrey Chong Wang, Lui Liu (Liu Yi).
Meine Ausbildung zum Illustrator ist keine zum Künstler gewesen. Insofern kann ich nicht wissen, ob ich einer bin. Da gibt es keine nennenswerten Verkäufe meiner Bilder, eine Szene der Liebhaber oder Sammler. Mich hat niemand lieb, so viel ist sicher. Kunst will oft nicht nett sein, aber ihre Anerkennung ist ein fester Bestandteil der Wertedefinition. Wer nur so pinselt, ist ein Hobbymaler. Nach dem Tode berühmt? Da pfeife ich drauf. Mich interessiert eine qualitativ anspruchsvolle Beschäftigung. Meinen Wert gebe ich mir insofern selbst, weil ich Schwierigkeiten effektiv meistere, die sich aus meiner grafischen Erfahrung bei der Organisation der Bildfläche ergeben, wenn ich parallel eine Aussage gestalten möchte. Aus einer langen Geschichte der eigenen Entwicklung beurteile ich die Kollegen. Es gibt mehr von ihnen als je zuvor.
Ich gehe nicht mehr in Ausstellungen. Ich habe keine Freunde unter den Mitstreitern. Sie sind mir menschlich egal. Überhaupt, Empathie ist mir abhanden gekommen. Spott definiert mein Leben. Solche Bitterkeit macht spontane Fröhlichkeit erst möglich, weil das eine willkommene Befreiung bedeutet vom alltäglichen Wutgefühl. Ich kann lachen, weil es zwanglos rausplatzt. Ich muss nicht. Ich bin gern in die Kunsthalle gegangen bis, ja – mit A. war ich das letzte Mal dort und dann nie mehr. Das muss hier nicht weiter detailliert erzählt werden. Ich empfinde es als beschämend, scheinbar Versuchskaninchen perfider Manipulation geworden zu sein, zum lustvoll ausgespähten Objekt degradiert, im wichtigsten Lebensbereich, der mich als Person am meisten definiert. Das zu bemerken, als alles mehr als offensichtlich wurde, die Perversität und Frechheit der Überheblichen, meinen vernünftigen Zorn als peinliche Umkehr vom Täter zum Opfer darzustellen, ein bloß paranoides Narrativ, dem ich als stadtbekannter Narr verfallen sei, verewigt meine Wut. Es kotzt mich an, daran zu denken und ist eben eine Erfahrung. Meine Vorgeschichte mit ihren Krankheiten und meine kreative Ausrichtung nutzten gerade die Menschen aus, denen ich Vertrauen geschenkt hatte. Es sind welche, die selbst – im Nachhinein ist dies meine Einschätzung – nur rudimentäre Intelligenz mitbringen, jedenfalls kulturell keinerlei sensible Qualitäten aufweisen. Machtkalkül bestimmt ihr Handeln. Denen lief ich nach, wie dumm. Ich meide alle Events, bin definitiv nicht mehr bereit für soziales Miteinander. Ich ertrage die Menschen nicht. Ich kreise um mich selbst, Schicksal möglicherweise. Nicht zu ändern.
Mir war vergönnt, Politik aus der Nähe zu erleben. Die persönliche Berührung mit sonst distanziert abgehobenen Figuren aus den Medien zeigt leider auf schockierende Weise, was das tatsächlich für Menschen sind, die uns regieren. Vom Bürger wird regelmäßig Zivilcourage gefordert, hinschauen. Ich habe das getan. Mein Blick dürfte zu scharf fokussiert gewesen sein, meine Haltung naiv. Das passt nicht zusammen. Ich denke heute, man sollte definitiv Abstand halten, keinen Vertrauensvorschuss in die jeweilige Wahl einbringen, große Hoffnungen. Volksvertreter werden uns immer enttäuschen. Die modernen Staatsformen sind das Ergebnis geschichtlicher Befreiungskämpfe. Bevölkerungsgruppen benötigen innere Struktur und Abgrenzung nach außen. Der Fortschritt und seine moderne Freiheit sind die Leistungen der einfachen Leute im Staat, die unsere Rechte erkämpften, die wir heute genießen. Die aktuelle Politik wird regelmäßig kritisiert, nur vorzugeben, Ansprüche an die eigene Regierungsarbeit zu haben, die wir als Bürger eher nicht erkennen. Außenministerin Frau Baerbock etwa, die eine hohe Meinung von sich selbst rauskehrt als Repräsentantin der weltbesten Gutmenschlichkeit, hat selbst nicht geschaffen, was wir zu verlieren haben, den Rechtsstaat. Nicht jeden überzeugt diese dick aufgetragene Haltung, allen zu sagen, wie sich was gehört.
Unsere gewählte Verwaltung gruselt mich! Der Wirtschaftsstandort Deutschland erlebt seinen Ausverkauf. Fachliche Kompetenz, menschliche Größe und Ehrlichkeit sollten die modernen Anführer mitbringen. Ich weiß, sie stehen im schwierigen Spannungsfeld zwischen vielen Ansprüchen. Da ist einerseits die große Erwartungshaltung, die wir Bürger formulieren. Ecken und Kanten sollen Politiker haben, eine eigene Meinung und den inneren Kompass. Auf der anderen Seite stehen die zu lösenden Aufgaben, nötige Gesetze zu machen, die was taugen. Angriffslustige Parteikollegen werfen dem, der etwas gestalten möchte, Knüppel zwischen die Beine. Die Opposition macht Probleme mit ihren populistischen Forderungen, die beim Wähler verfangen. Da stehen draußen die verbündeten anderen Staaten mit ihren Ansprüchen. Letzlich bedrängt sind wir noch durch die Bedrohung feindlicher Länder. Das ist zu viel für viele. Sie kollabieren und möchten trotzdem gut wirken.
Mich hat der Glaube an eine persönliche Beziehung und die schließliche Nichterfüllung der für mich dazugehörenden Erwartungen intim getroffen. Meine Preisgabe menschlicher Probleme brachte mich hinterrücks zu Fall. Meine Fehler sind bekannt. Dazu stehe ich. Das muss ich. Die anderen taktieren, wie es sich für solche gehört. Sie können lavieren. Es hat sich gezeigt: Da gehöre ich nicht hin. Ich bin verstört, verstockt und unbelehrbar inzwischen. Ich mache nicht mehr mit. Ich bin nirgends dabei. Vielleicht haben diese Leute mit der Mentalität der Blockwarte und ihre soziale Gehilfin aus der Chefetage damit das von ihnen angestrebte Ziel erreicht? Sie mögen stolz drauf sein, sich Orden anheften. Wie Hynkel das bei Hering machte im Film, so lächerlich sehe ich sie, menschenverachtend, eingebildet, frech. Ich habe mir die selbst gestellte Frage nach dem Grund meiner Erkrankung beantworten können.
Das ist mir die Sache wert.
# Isolation ist Notwendigkeit
Mich bindet keine Moral. Mir ist die Demokratie egal. Sich sozial oder ehrenamtlich zu engagieren, kommt nicht in Frage. Ich glaube nicht mehr an die Liebe, nicht wirklich an Gott, bin desillusioniert wie nie zuvor. Nach meinem Tod bleibt nichts, davon bin ich überzeugt. Kein Himmel, keine Seele, keine Reinkarnation, nur Verwesung und Vergessen. Das ist eine Befreiung. Ich kann zuschlagen ohne Reue, womöglich töten, wenn ich’s für richtig halte, der Moment es hergibt. Ich lebe in der Gegenwart und ohne Skrupel. Sich noch mit anderen in einer gemeinsamen Sache verbunden für ein hehres Ziel einzusetzen, ist nach meiner Erfahrung der letzten Jahre hier vor Ort (mit den gesellschaftlichen Strukturen, wie sie nun mal sind), vollkommen ausgeschlossen. Ich habe in einem Orchester gespielt, im Chor gesungen, war im Kunstkreis aktiv, in der Kirche tätig. Ich traf mich mit Politikern, nahm teil am gesellschaftlichen und kulturellen Leben der oberen Zehntausend vom Kaff, stellte meine Bilder im Rathaus aus und hatte Spaß daran. Das hätte ich alles ganz allein verkackt, dass es heute nicht mehr so ist, meint dazu „die da oben“ im Turm. Ich halte dagegen mit meinem Beitrag, der mir geblieben ist, eine isolierte Einzelleistung. Ich finde täglich Material, es zu katalysieren für die Masse, damit sie sich als solche überhaupt bemerke.
# Wir schaffen uns ab?
Heute schreibt das Tageblatt auf dem Titel: „Einstellungsstopp für Freiwillige; weil der Bund seine Unterstützung kürzt, besetzen Wohlfahrtsverbände weniger Stellen als sie könnten“, und auf der letzten Seite derselben Ausgabe heißt es: „Polizei gibt 2024 viele tödliche Schüsse ab.“ Die Gewaltkriminalität in der Gesellschaft habe zugenommen, konstatiert ein Beamter im Artikel. Das Geld ist alle nach dem Wumms. Wir verblöden, sind dekadent, kollektiv neurotisch, ist mein Eindruck. Ein aufgeheizter Brei voller Egoisten. Das muss ich mir nicht gefallen lassen: Ich allein habe gar nichts verkackt. Die Kacke, das sind die anderen, sage ich entsprechend konsquent und gebe gern den Ball zurück. Einige Zitate aus dieser Ausgabe vom Pinneberger Tageblatt mögen noch illustrieren, was in mir vorgeht. Wieder wurde eine von uns Psychos legal in Deutschland hingerichtet.
Eine wie ich.
„Im hessischen Schwalmstadt starb eine 20-Jährige am vergangenen Donnerstag. Die Frau ohne festen Wohnsitz soll laut Polizei eine Waffe auf Polizeibeamte gerichtet haben, die einer scharfen Schusswaffe ‚zum Verwechseln ähnlich‘ war“, heißt es im erwähnten Artikel und weiter: „Wenn ein Angreifer bewaffnet sei und sich womöglich mit hoher Dynamik auf die Einsatzkräfte zubewege, ‚kann es auch zu tödlichen Treffern kommen‘, sagt der GdP-Vorsitzende. Kopelke betont jedoch, für die Beamten sei das ‚mit das Schlimmste, was ihnen widerfahren kann‘ (…). Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) spricht sich zwar für einen bundesweiten Einsatz von Distanz-Elektroimpulsgeräten, auch Taser genannt, aus. Ein Allheilmittel sei das aber nicht, sagt Kopelke. Oft reiche es aus, mit dem Gerät zu drohen.“
Soweit das Pinneberger Tageblatt am Reformationstag.
Diese Leute haben mich reformiert! Ich war schon psychisch krank und in einem Ausnahmezustand. Man droht mir? Das ist gesellschaftlich gewollt. Unsere Politik ist armselig, die Polizei hilflos. Das sind meine Feinde – ganz klar. Sie sprechen es ja offen aus. Einer wie ich, also „so einer“, ist mein Eindruck, haben nicht wenige hier angenommen, sei ich und demzufolge gefährlich. Aha. Darauf gibt es nur die gespiegelte Antwort, mit „solchen wie euch“ will ich nichts zu tun haben. Für diese Helfer habe ich keine Sympathie. Der Mob drängt sich auf. Mir kommt es so vor. Heute eine nette Tante, morgen ein blödsinniger Typ, peinlich.
Ich scheiß’ drauf.
Die zahlreichen Frauen, die über die Dörfer ausstellen, sie befüllen Kunstkreise und gewinnen banale Preise, erscheinen in Zeitungsartikeln; das ist in erster Linie Blödsinn, was sie machen. Sie können in der Regel nicht zeichnen und vernissieren doch dauernd, was sie zustande bringen. Sie geben der Welt keinen Denkanstoß und glauben dennoch, etwas zu sagen zu haben. Ich stelle mich dem nicht, überhaupt dazuzugehören, bewerbe mich um keine Ausstellung und habe so gesehen noch weniger zu sagen? Ich sage es hier, und das bekommt niemand mit. Wir sprechen von invasiven Arten, wenn es um eingeschleppte Tiere geht, die schließlich ganze Landstriche aggressiv bevölkern und heimischen Lebewesen zusetzen, aber der Mensch selbst ist genauso. Er macht den Planeten und das andere Leben kaputt. Jeder Neuankömmling beansprucht einen gewissen Raum für sein Dasein. Ich beschäftige mich und habe mein Auskommen. Das ist meine Kunst. Ich mische mich ein, aber allein, habe ein Dorf zur Spielwiese gemacht. Das bedeutet nicht mehr, als schließlich genügend Luft zum Atmen haben und einen freien Spaziergang machen zu können, obwohl mich viele kennen.
Die Nachbarin fragt: „Malst du noch?“, und ich sage: „Natürlich.“ Ich zeige ihr meine Finger, es ist ein wenig bunte Acrylfarbe hier und da. Maria fragt nicht: „Was denn?“ Sie wünscht mir einen schönen Tag. Eine Bekannte spricht mich an auf dem Weg zum Einkaufszentrum: „Malen Sie noch?“ Ich sage: „Selbstverständlich.“ Sie fragt nicht was.
Das ist immer so.
# Beziehungen
Ich habe eine Sache gelernt in diesen harten Jahren, ohne Beziehungen geht gar nichts, aber man kann schon aussuchen, mit wem man ehrlich verbunden ist und wo andererseits oberflächliches Plaudern genügt. In einer Ehe zum Beispiel dürfte keine Seite allein etwas gewinnen, ohne dass dieses System insgesamt verschoben wird. Durchaus können beide Partner einen emotionalen Zugewinn erfahren. Einen Machtkampf unter Ehepartnern bezahlt die Verbindung insgesamt. Narben heilen, aber wenn es zu oft kracht, lassen sich die Leute scheiden. Wer hingegen auch in der Beziehung als Mann etwa nicht für seine Positionen eintritt, könnte als Pantoffelheld zum Idioten werden. Die Familie, die Freunde, die finanziellen Verbindungen, die wir alle benötigen und letztlich unser Beziehungsstatus zur Gesellschaft insgesamt, sogar die Bande zur Natur, dem Planeten dürften unter ähnlichen Aspekten begriffen werden, wie es die Erfahrungen im Kleinsten deutlich machen.
Wer sich dem Gesamten verweigert, wird quasi von Gott beseitigt. Modell Ahab: „Hier hast du mein letztes Eisen!“ Der Wüterich rammt die Harpune in den Fisch. Der Alte klebt auf dem Rücken des riesigen Tieres, verwickelt in unzählige Fangleinen. Der weiße Wal taucht einfach ab, bleibt bis zu zwanzig Minuten tief unter Wasser. Wale können das. Kapitän Ahab ertrinkt jämmerlich. Da kommt der alte Pottwal wieder hoch! Er nimmt Fahrt auf. Moby Dick rammt mit Höchstgeschwindigkeit seinen mächtigen Kopf vierkant in die Pequod. Krachend bersten die Planken. Der schöne Dreimaster hat sein Leck, versinkt im Strudel. Eine ganze Schiffsbesatzung bezahlt diese Reise mit ihrem Leben, und nur Ismael bleibt nach, das alles zu berichten, davon zu erzählen.
Wir können nicht gewinnen allein gegen den Rest der Welt. Ein paar Verständige braucht man. Der Mensch reift im Austausch seiner Ideen. Aber da ist durchaus Raum für Individualität, wenn es nicht sogar umgekehrt Sinn macht: Nur das besondere Individuum überlebt. Wer sich gegen alles stellt, ist genauso weg vom Platz wie derjenige, der sich überall anpasst und jede Persönlichkeit aufgibt. Ich habe ein paar Sachen akzeptiert, das musste sein, aber andererseits Profil hinzugewonnen. Das Ergebnis nenne ich Gesundheit.
Warum oder wie sich meine Malerei entwickelt, fragen selbst meine Freunde nicht. Das sind Segler, und sie haben Berufe. Einer bemerkte beim gemeinsamen Grillen: „Ohne deine Bilder würdest du verrückt werden.“ Das stimmt. Mich hat es sehr gefreut, das zu hören. Es kommt beinahe nie vor, dass sie sich dazu äußern. Kürzlich haben meine Frau und ich mit zwei Paaren plus unsrem Sohn beim Griechen zusammengesessen. Ich bin im Sommer sechzig Jahre alt geworden, und es klappte nicht mit einer zeitnahen Feier. Um wenigstens die hauptsächlichen Kontakte zu pflegen, luden wir bloß diese vier ein. Ein wunderbarer Abend bis spät zum Geschäftsschluss inklusive nicht wenigen Ouzo wurde draus. Ich muss Abstriche machen, mein Glück einzufordern: Mit keinem Wort kam das Gespräch auf etwa meine aktuelle Malerei. Niemand fragte, ob das Bild mit der Eisenbahn fertig wäre. Wir probierten tatsächlich, mein neues Menü „Planetarium“ aufzurufen, da ich ihnen den gerade frisch fotografierten Kometen zeigen mochte. Auch das ging von mir selbst aus. Im ersten Anlauf ließ sich auf einem der Smartphones die Website nicht aufrufen. Das digitale Gerät wurde ganzflächig rot: „Gefährliche Website!“ Dann klappte die Sache doch. Ein kurzer Blick auf eines der Himmelsbilder in nur Briefmarkengröße enttäuscht? Zunächst war es nicht möglich, das Bildchen zu zoomen. Ich musste hartnäckig bitten, und Peters Freundin kam auf die Idee (mir zuliebe, mein Geburtstagsessen), das mobile Gerät auf „Desktop“ umzustellen. Dann ging es.
„Oh, wie schön.“
Das sind keine Idioten. Mehr davon, mit dem ehemaligen Herstellungsleiter eines maritimen Verlages bin ich noch herzlich verbunden, auch mit M., ein Kollege aus meiner Zeit bei der Segelzeitschrift Yacht. Es sind kultivierte Menschen mit Intellekt und Bildung. Ein engster Freund unter den Seglern hat ein hohes Einkommen und arbeitet in einer Führungsposition der militärischen Industrie. Ich zähle solche Eckpunkte meiner Landmarken im Bereich sozialer Beziehung auf, Menschen, ohne die ich nicht leben möchte; sie interessieren sich herzlich wenig für meine kreative Aktivität. Gut möglich, dass die Welt anders tickt, aber ich weiß, was ich tue. Das ist Absicht, was ich mache. Deswegen male ich so, kann ich sagen. Ich weiß es selbst tatsächlich.
Ich möchte die Wahrheit des Seins direkt erleben. Dafür habe ich mir meine geschmacklosen Bildchen nicht ausgesucht. Diese Pornoscheiße ist zu mir gekommen. Ich werde immer angelogen, ist ein Fazit der letzten Jahre. Das scheint anderen umgekehrt genauso zu ergehen. Wir leben in einer Welt voller Verpackungen und wissen nie so wirklich Bescheid, was hinter den Fassaden passiert. Im Umfeld einer Gesellschaft, die ständig von Transparenz redet, erstaunt, wie die typische Unfähigkeit zu Reden insgesamt sprachlos macht. Und das in einer Zeit, die mehr kommuniziert als je zuvor. Der Staat will hinschauen. Dort arbeiten Spanner unter dem Vorwand, Polizisten zu sein und unser Freund und Helfer. Ich bezweifle ihr Gutsein. Natürlich, wenn ein alter Mann eine junge Frau vögelt, muss gegebenenfalls das Gesetz greifen, ein Verbrechen zu beenden. Dafür haben wir verschiedene Maßnahmen erdacht, nur die Umsetzung bleibt problematisch. Es gilt eine Altersgrenze, ab der so etwas strafbar ist. Und hier beginnt schon die Verdrehung der Realität. Eigentlich möchte die Gesellschaft ihre schwächsten Mitglieder vernünftigerweise schützen. Wir können aber nur über die nachträgliche Strafe eingreifen. Das Wort „strafbar“ macht deutlich, dass die Ordnungskräfte gar nicht auf die Tat selbst als Übergriff Einfluss haben, sondern nur durch anschließende Bewertungskriterien jemanden zum „Täter“ erklären können und eine Bestrafung anordnen.
Haben Jung und Alt freudig Sex miteinander, ist die Sache ab einem festgelegten Alter geduldet, wird in einer darunter liegenden Spanne als strafmildernd gewertet und schließlich, bei noch jüngeren Menschen, nennt man solche „Kind“, da ist jeder sexuelle Kontakt verboten. Was genau ein Kind ist, wie lange Kindheit dauert, bedeutet eine Bewertung vorzunehmen. Die Strafmündigkeit möchten Eifrige herabsetzen? Die Zeit, in der ein Kind als Opfer gilt, wollen dieselben lieber noch ein wenig länger ausgestalten. Das hat den guten Grund, dass junge Menschen vor der Raffinesse älterer geschützt werden müssen. Die Täter sind auf zweierlei Weise unterwegs. Die einen sind psychisch krank, andere sind einfach nur bösartig und wissen sehr wohl, was sie tun. Die Kinder sind nicht alle gleich. Einige sind in diesem Sinne keine Kinder, sondern bereits Jugendliche, manchen gefällt, frühreif zu sein, andere werden grundsetzlich vergewaltigt und können sich der perfiden Logik ihrer Umgebung nicht entziehen. Die Spielarten dieser Perversität sind so vielschichtig, dass ein gesetzlicher Rahmen schwer definierbar ist und die Umsetzung, hier maßregelnd einzugreifen, bleibt beschränkt.
Zu dem Ganzen gehört die Anfertigung von Bild- und Textmaterial, das solches Tun und bereits die lustvollen Gedanken beschreibt. Auch hier möchte der Staat Verbote ansetzen. Deswegen ist der Besitz kinderpornografischer Schriften verboten. Was genau damit gemeint ist, muss eine Gesellschaft wieder neu fragen. Hier geht es drum, aufzuspüren, wer pervers denkt und insofern gefährlich ist. Aber nicht nur der „Bereich“ Kindheit geht über in den der Jugend, und das bedeutet eine gewisse Unschärfe wie bei jeder Definition. Auch die Qualität des kreierten Materials, das von dieser Sexualität berichtet, reicht von Textfragmenten mit kruden Ideen über Skizzen bis hin zu Collagen mit beträchtlicher Realitätsanmutung. Das Zeug wird heute noch bereichert durch Künstliche Intelligenz oder zeigt im Video letztlich wahre, tatsächlich geschehene Verbrechen womöglich als Livestream.
Alle Männer schauen Pornos. Wir, die Mehrheit, sind befriedigt mit dem ganz normalen Kram im normalen, richtigen Internet. Zugegeben, wir sehen uns keine Fünfzigjährigen an. Es ist wie im Supermarkt. Man sucht sich das knackigste Gemüse. Mit Liebe und der Realität eines verheirateten Ehemannes hat das wenig zu tun. Das ist eine Parallelwelt, ein Lernfeld für die Gesellschaft und inzwischen fest etabliert. Niemand soll so tun, als ob diese Lust nicht existiere. Das ist ein Teil der Moderne, nicht schlimm. Ein gutes Geschäft für viele (und wird bleiben).
# Betroffen
An dieser Stelle scheint mir nötig, mich deutlich zum Rechtsstaat zu bekennen. Ich weiß, den juristischen Rahmen zu schätzen. Um es klar zu sagen, es sind die Verantwortlichen im Land, die mich anwidern, nicht das Land und seine freiheitliche Ausrichtung. Es wird immer dumme Menschen geben und Kranke, die wenig dafür können, genauso. Treffen solche aufeinander, bedarf es intelligenter Lösungen. Dafür stehe ich ein mit meinem Beitrag. Dem Staat gebührt die Aufgabe und uns Bürgern die Verpflichtung, zu verhindern, dass Unfähige regieren. Uns obliegt, dafür zu sorgen, der Polizei die Werkzeuge in die Hand zu geben, dass diese ihre notwendige Arbeit macht. Das bedeutet auch aufzupassen, dass die Ordnungshüter selbst nicht im eigenen System kollabieren, zum lynchenden, allein richtenden Pöbel mutieren.
Wie es über Christus heißt, er habe seinen Leib hingegeben für uns, kann ich resümieren (ohne dabei überheblich zu spinnen oder psychisch vom Wege abgekommen zu sein), den Leuten hier einen guten Happen hingeworfen zu haben, sich dran abzuarbeiten. Es ist mein Spiel, so nenne ich es. Das meint, im Zentrum von Anwürfen diesen standzuhalten. Die Umgebung bläst nach dem Motto „wo Rauch ist, müsste auch Feuer sein“ jede Info auf. Die Masse facht die Glut noch an, sich selbst zu überhöhen, Bescheid zu wissen, Jagd zu machen auf Bekloppte. Ich kann Kloppe inzwischen, danke dafür. Ich bin jetzt wie ihr, die Normalen, die ihr aber nicht einmal von euch selbst mitbekommt, zu provozieren, euch noch für gute Menschen haltet. Ihr, die Gesellschaft, merkt nichts und seid Egoisten, schimpft auf andere, welche zu sein? Ich motze gehoben. Das ist meine Kunst, und ich weiß zudem, dass ich von mir selbst ausgehe. Ich bin nicht objektiv, nicht tolerant, wie ihr von euch behauptet, es zu sein. Ich habe jeden Respekt verloren vor Menschen, die nur „so tun als ob“.
Ich habe Fehler gemacht, Dummheiten, breche schon mal die allgemeinen Regeln, gehe über manche rote Ampel. Mir ist es inzwischen bewusster als vielen anderen Zeitgenossen. Ich lerne dazu durch Beobachtung. Meine Augen sind Berufswerkzeug. Niemand kann vollständig korrekt leben. Auf Fremde schimpfen, sie zu denunzieren, lenkt ab vom eigenen Ungemach. Auch sogenannte normale, als gesund geltende Menschen merken vieles nicht. Davon bin ich überzeugt. Ihr typisches Umfeld bestärkt sie, was man machen darf und was nicht. Ich bekam lange Zeit nie mit, wie jede nur ein wenig gewagte oder irgendwie grenzwertige Aktion Angst vor allgemeiner oder persönlicher Vergeltung hervorruft. Das geschah einerseits, weil ich die ganz natürlichen Befürchtungen grundsätzlich nicht wahrnahm und andererseits Abenteuer auch vermied. Der Brustkorb muss sich bei Stress frei bewegen können. Meine Rippen hielt ich unbewusst fest. Ich wollte mich schützen vor Panik, aber es kommt auf die Flexibilität an. Wie auf dem Meer, wenn die Wellen höher sind als gewöhnlich, muss man angepasst reagieren. Ich hatte mir ganz offensichtlich eine innere Haltung verpasst, unangenehme Dinge nicht zu spüren mit der fatalen Konsequenz, wie hinterrücks überfallen zu werden von der eigenen Psyche.
Man könnte meinen, ein gutes und vollkommen regelkonformes Leben sei möglich? Das ist Unfug. Den einen oder anderen Fehler macht man. Pharmazie und Gesellschaft ermuntern den Psychiater, seinen Patienten ein betäubtes Dasein aufzuzwingen. Da gibt es keinen Fortschritt, kein Lernen. Man vermeidet, irritierende Momente bewusst zu erleben. So bleiben überraschende Schübe wahrscheinlich. Neuerliche Erkrankungen geschehen trotz pharmazeutischer Rahmung. Geländer können brechen. Wer weiß, dass da Abgründe sind, kann einen Fehltritt machen. So jemand lernt aber möglicherweise dazu, es allmählich nicht mehr zu tun. Wem die Schluchten des Alltags grundsätzlich verborgen bleiben, weil der Arzt das mittels medikamentöser Scheuklappen erzwingen möchte, muss unbedingt hinabstürzen und bekommt anschließend noch Vorwürfe.
„Sie hätten ihre Medikamente nehmen müssen!“
Der Staat möchte nicht belangt werden, wenn es zu Eigen- und Fremdgefährdung kommt. Der Apparat sucht Wege, bekannte Subjekte weiter auf dem Schirm zu behalten. Einflussnahme auch jenseits gesetzlicher Befugnisse erscheint wünschenswert für alle, die meinen, es ginge sie an. Ich bin unter Verdacht geraten, mehr als ein Spinner zu sein, so viel kann ich sagen. Überwachung? Ich glaube schon. Es geht jahrelang. Das hört nie auf. Ein Austesten unserer Grenzen. Mal habe ich Angst vor denen, dann bin ich obenauf. Ich wachse daran. Einmal, ein Typ mit Fahrrad probierte, mich zu beschatten, da machte der einen Anfängerfehler, und ich ließ ihn das merken. Eine kleine Geschichte in der Straße und später am Deich an der Elbe. Der Mann zollte mir Respekt. Er sagte immerhin, ich sei aber „ein harter Knochen“, und das nehme ich als ein Lob der Kunst.
Es bleibt eine Aufgabe der Gesellschaft, sich als solche zu respektieren. Wir haben also eindeutige Fälle, wo selbst ein juristischer Laie Einhalt zu gebieten fordern dürfte und die vielen Grauzonen einer jeden Gesetzlichkeit. Da muss die Kunst mitreden. Bisher ist es nicht gelungen, die reichlichen Unarten menschlichen Verhaltens abzuschaffen. Es gibt noch Krieg. Menschen rauchen. Leute fliegen nach Mallorca, trinken Alkohol, feiern, ficken, wählen Trump. Verbotene Worte werden gesprochen, Männer essen Fleisch usw. –, da können sich immer neue Sittenwächter als welche bezeichnen und vieles fordern. Wie bei allen Grenzziehungen regt sich Widerstand gegenüber der roten Linie. Die modernen Täter haben ein Darknet und manche digitale Tricks auf Lager für ihre Verbrechen und deren Verschleierung. Deswegen sollte die Kunst einfach gegenhalten. Buntstift und der Farbschmier auf einer Leinwand reichen bereits zum Nachdenken.
# Meine Aufgabe sehe ich hier
Seit gut einem Jahr beschäftigt mich schon mein Bild „Nudisten“, um herauszufinden, wo das Thema (mit mir) hin will. Inzwischen übertrage ich die Ideen auf Leinwand. Das Gemälde hat reichlich Ausmaß. Die Arbeit wird noch lange dauern. Es schon jetzt unfertig zu präsentieren, mag denen auf die Sprünge helfen, die einfach denken und schnell strafen möchten. Ist ein skizzierter, dahin gestrichelter Penis bereits eine erigierte Straftat (falls ein mit Aquarellfarbe laviertes Kind in Reichweite steht), oder greift das Gesetz erst mit voll ausgearbeiteten Farbtönen und Lichtreflexen? Muss das Opfer dafür in der Realität existieren und Persönlichkeitsrechte haben, die mit zunehmender Ähnlichkeit der Abbildung strafwirksam gewertet würden oder genügt der schmutzige Gedanke, der sich schon beim Skribbeln pauschal manifestiert? Wer will das Alter der Abgebildeten bewerten, wenn diese Jugendlichen, die es zu schützen gilt, als reine Fiktion gar nicht ermittelt werden können? Ist die Bedingung der Strafbarkeit gegeben, wenn die Öffentlichkeit das Werk etwa im Internet in Augenschein nehmen kann oder bedeutet eine im stillen Kämmerlein gemalte Idee bereits das Verbrechen an sich? Kann es sein, dass ein als Wichsvorlage kreiertes Bildchen sich unterscheidet von einer geistreichen Anmutung, die Denkanstoß sein möchte und gilt uns das erste Motiv als Verbrechen, das zweite aber als Kunst, Meinungsfreiheit? Eine Herausforderung und Aufgabenstellung durchaus, was zu beweisen wäre.
Ich erkenne meine Fürsorgepflicht als Künstler und möchte die Amöben unter den Bullen, die ihnen beigestellten, einäugigen Psychokühe, also insgesamt geistige Einzeller anregen.
Viel Spaß beim Entwickeln ihrer Gehirne wünsche ich denen.
🙂