Mein Vater, der Fischhändler

Die Idee, dieses Bild zu malen, treibt mich schon lange um. Seit einiger Zeit ist die Sache konkret geworden. Jetzt, im März 25, bin ich soweit, dass es eine Vorzeichnung auf Leinwand gibt. Dem ist einiges an Entwurfsarbeit vorausgegangen. Parallel arbeite ich auch an „Nudisten“. Das Gemälde ist ebenfalls in Vorbereitung und schon farbig untermalt auf einer gleich großen Leinwand wie dieses Fischmarktbild. An anderer Stelle erläutert ein Text, warum ich zweigleisig an verschiedenen Motiven dran bin.

Die Ansicht vom Markt, die meinen Vater mit mir als Kind in unserem ersten Transporter zeigen soll, kann nicht vollkommen sein, was den geschichtlichen Zeitpunkt angeht, an dem diese Fahrt stattgefunden haben könnte. Ich denke, dass dieses Bild besser „Zeitreise“ heißen wird und habe versuchsweise ein Mädchen mit Smartphone hineingezeichnet. Das ist mehr als ein Gag. Der Grund ist mein Unvermögen, ein historisch korrektes Bild hinzubekommen. Ich weiß einfach nicht, wie es in einem ganz bestimmten Jahr dort unten am Wasser ausgesehen haben könnte. Ich finde nur ungefähr datierbare Vorlagen, die zudem aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen, nur Fragmente liefern. Dazu kommt meine Erinnerung an einige Mitfahrten zum Fischmarkt morgens. Natürlich haben uns nie Möwen die Fische von der Ladefläche geklaut. Ein Bild, so wie ich es verstehe, ist immer auch ein Stück weit Theater und so gesehen allegorisch. Mein Vater schaut hier nach vorn, aber weniger auf die Straße, den Verkehr. Und ich, das Kind, versuche zu begreifen, was gerade passierte, schaue mich um, zurück. Das ist unsere Geschichte. Erich, mein Vater, hatte die Schule, das Lernen im Unterricht gehasst. Ich umgekehrt sog alles auf, was der Lehrer zu uns Kindern meinte. Mein Vater war voller Ideen, etwas zu machen, anzufangen. Auf ihn passte die Bezeichnung „Unternehmer“. Dazu gehören aber auch Pflichten, weniger Spaß machende Sachen, wenn man ein Geschäft hat, und mein Vater konzentrierte sich eben auf die Dinge, die ihm gefielen.

Für dieses Bild habe ich mich entschieden, unseren ersten Transporter zu malen. Es gab einige davon im Laufe des Geschäftslebens meiner Eltern. Die späteren Fahrzeuge waren alle grau mit breiter Holzpritsche. Dieser erste VW ist blau gewesen mit geteilter Frontscheibe. Es war das erste Auto, das mein Vater fuhr. Wir hatten keinen Pkw. Das kam dann später, dass meine Eltern ein privates Fahrzeug zusätzlich zum Fischauto besaßen. Meine Mutter machte zunächst gar keinen Führerschein. Einzukaufen am Markt übernahm mein Vater und die Aufgabenteilung ansonsten sah vor, dass meine Mutter neben dem Verkauf die Buchführung beschickte.

Wir fuhren einmal auch zu dritt (ich saß in der Mitte), mit dem Transporter nach Büsum im Sommer in den Urlaub. Ich erinnere mich genau. Das war ganz am Anfang meiner Kindheit noch ohne meine Schwester und tatsächlich in diesem ersten, blauen Fischauto. Rechts vom Fahrersitz hatte der VW eine breite Bank. Darauf saßen meine Mutter und ich. Natürlich war niemand angeschnallt. Es gab gar keine Gurte dafür. Kopfstützen waren ebenfalls nicht dran. Das war damals nicht vorgeschrieben. Als der Urlaub in Büsum zu Ende war, fuhren wir zurück, und als mein Vater ein entsprechendes Straßenschild sah, machten wir einen kleinen Umweg. Wir hielten in Sankt Margarethen und stiegen aus. Das ist zwischen Brunsbüttel und Brokdorf. Ich bin keine zehn Jahre alt gewesen und erinnere mich doch genau. Wir gingen den Deich rauf und schauten auf die Elbe, den winzigen Hafen. Da lag tatsächlich eine Jolle. Das waren „Onkel“ H., ein Freund meiner Eltern und Tante M. (eine Nenntante; typisch war, Bekannte als Onkels und Tanten zu deklarieren). Wir entdeckten die Segler und machten ein paar Schritte runter zum Wasser. Ein kurzes Gespräch am Boot, das weiß ich noch: „Was macht ihr denn hier?“, und dann ging es weiter mit unserem Fischauto nach Hause, und ich saß in der Mitte.

Es ist eine Zeitungsanzeige zur Neueröffnung des Ladens erhalten. Dort ist der sechste November 1969 als Eröffnungstag angegeben. Demnach wäre ich fünf Jahre alt gewesen. Das kommt schon hin mit meinen frühesten Erinnerungen. Ich sehe meinen Vater vor meinem inneren Auge, wie der mit einem gewaltigen Hammer im Bereich der späteren Ladentür Steine wegkloppt. Mein Vater war kräftig, sportlich und Handwerker. Bevor Erich zum Einzelhandelskaufmann geworden ist, war er Maschinenschlosser. Er konnte arbeiten. Wir hatten das Haus und Grundstück komplett von Oma Lina übernommen. Erichs Mutter wurde rechtmäßig Eigentümerin, nachdem Opa Werner jedem Kind ein Haus mit Grundstück verschenkte (das wäre korrekterweise aus meiner Sicht der Uropa gewesen, aber er war bereits verstorben, als ich geboren wurde). Die Brüder meiner Oma erbten seinerzeit ähnliches, etwa im Hoophof war das, um die Ecke also, glaube ich. Das waren Erzählungen, mit denen ich aufgewachsen bin. Viel hatte dieser Opa Werner, ein als „Galoppschuster“ verspotteter Vorfahre, in Wedel erreicht, verdient und nach dem Tod zu vergeben. Nun überschrieb Lina das Ganze meinem Vater, und meine Eltern kündigten dem Mieter Wulff, eine Wäscherei. Wir richteten den Verkaufsraum ein, bauten einen Kühlraum ins Erdgeschoss, einen Arbeitsraum, und außerdem mauerte mein Vater eine Rampe zum besseren Ausladen der Fischkisten an die Hausseite.

Mein Vater achtete auf das, was man heute englisch Workflow nennt. Beim Aufladen der Waren am Fischmarkt zogen die Großhändler (oder mein Vater selbst) die eisbedeckten Fische in ihren Kisten mit einem eisernen Haken auf die Ladefläche der Fischautos. Dafür war die durchgehende Rampe außen am Gebäude etwas höher als die typischen Fahrzeuge. Der lange Eisenhaken, mit dem man eine Kiste picken konnte, machte möglich, diese flott über den Boden zu ziehen und schwupps eine kleine Stufe runter aufs Auto (wenn der Kunde gut geparkt hatte). Zu Hause mauerte Erich seine eigene Rampe ein wenig niedriger als das Auto. Damit ging es ebenfalls hinab mit den Fischen auf unsere Rampe. In den Arbeitsraum sollte man die Kisten nahezu stufenlos rüber bewegen können, und mein Vater veränderte auch hier die Tür.

Er beseitigte alle Widerstände.

Als neuer Chef dachte er sich einiges aus. Auf der Straßenseite, wo die Eingangstür war, änderte Erich diese entsprechend seiner Ideen. Er entfernte eine Stufe, die vorn am Haus gewesen war und passte den Boden des Ladens dem Gehsteig an. „Die Kunden müssen ebenerdig ins Geschäft, geradezu in den Laden fallen, ohne noch einen Schritt hoch zu müssen“, fand mein Vater.

Er entwickelte Techniken, die Fische zu schlachten. Da sollten bestimmte Messer bereit liegen. Es gab kein Sammelsurium von Werkzeugen, die hier und da erst gesucht werden mussten, wie Kollegen das machten, über die mein Vater die Nase rümpfte, wenn er so etwas bemerkte. Erich hatte ganz bestimmte, wenige Messer, Scheren für den jeweiligen Typ Fisch parat, wenn er arbeitete.

Das kann ich erzählen: Ein lebender Karpfen wurde auf die Schlachtplatte gestellt und bekam einen Schlag mit dem Knüppel auf den Kopf. Dann hörte der Fisch auf zu zappeln. Das Tier legte mein Vater anschließend auf die Seite, und wenn ich’s richtig erinnere, schlitzte er mit einer scharfen Spitze vom dafür geigneten Messer den Bauch auf. Dann griff er mit der Hand in die entstandene Öffnung und entfernte Innereien. Wichtig war, den Karpfen bei diesen ersten Handgriffen nicht zu gallen. Ich würde aus der Erinnerung sagen, dass nun ein großes Messer von der Bauchseite her durch den Fisch gestoßen wurde, oben hinaus schaute. Den auf der Seite liegenden Karpfen spaltete mein Vater bis ganz nach hinten am Schwanz, dass dieser, wenn er nun wieder aufgestellt wurde, wie mit Flügeln ein wenig auseinander klaffte. Ich denke, das war jetzt dran, mit diesem kräftigen Messer, das Sägezähne hatte, brach mein Vater vom Schwanzende her nach vorn durch die Stirn vom Karpfen, bis der ganze Fisch in zwei Hälften geteilt dalag. Die Lippen mochten zum Schluss noch aneinander hängen und wurden mit einer derben Schere getrennt? Ich bin mir unsicher, wie das war. Mit so einer Schere können auch Flossen gestutzt werden, aber beim Karpfen, macht man das da? Ich habe nicht mehr so oft welchen gegessen, seit meine Eltern gestorben sind. Es war jetzt vor Weihnachten, dass ich mir bei Meyer hier in Schenefeld auf dem Markt einfach für mich allein einen halben Dreipfünder gegönnt habe. Der lag aber bereits geschlachtet im Eis des Händlers. (Mein Leben hat schöne Momente. Ich versorge mich oft allein und koche regelmäßig. Unsere familäre Situation bringt mit sich, dass die Küche häufig der Ort ist, wo ich mir allein ein feines Essen gönne).

# Die Vergangenheit lebt in der Erinnerung weiter

Ich war als Kind oft dabei, wenn mein Vater im Hinterraum des Ladens Rollmöpse oder Salate machte. Erich war sehr stolz auf alles, was er sich ausgedacht hatte und ein fröhlicher, zupackender Vater. Dass er später so anders wurde, kraftlos und ärgerlich, verbittert über weite Zeit, depressiv und auf eine hilflose Weise zornig; es tut weh, dran zu denken – noch immer.

Was einer malen kann, der es kann und sich nicht schert um den Geschmack der Masse, diese möglichen Kunden, falls man wo ausstellt, das frage ich mich und schaffe zur eigenen Befriedigung diese Bilder. Ich muss nicht schnell fertig werden.

Ein wichtiges Detail gehört noch erklärt, warum das Bild gerade diesen Bereich vom Hamburger Seefischmarkt in Altona zeigt. Anfangs war ich noch klein, falls ich frühmorgens ausnahmsweise dabei gewesen bin, wenn mein Vater einkaufte. Damals gab es an einer Fassade diese Werbung:

„Hast Du keinen, leih Dir einen!“

Abgebildet ist ein Autofahrer ohne Wagen. Der Gemalte hält bloß ein Lenkrad in der Hand. Es ging also drum, sich ein Mietfahrzeug zu nehmen. Nun ist im Text eine Lücke gewesen. Der Spruch pausierte mit Gedankenstrich:

„Hast du keinen –“

Die Lücke befand sich in Kopfhöhe des Fahrers und an dieser Stelle sah man seinen Hut, bevor der Satz mit dem zweiten Teil abschloss.

„leih dir einen!“

Da ich meine erste Fibel bekommen hatte: „Fangt fröhlich an“ (die ich noch heute besitze), konnte ich das lesen. Es kam aber zu einem Missverständnis und beidseitiger Belustigung bis in meine spätere Jugend, wenn mein Vater und ich auf die Reklame zu sprechen kamen …

„Hast du keinen Hut, leih dir einen“, war damals meine erste Lesart.

🙂