Wir müssen allein klarkommen

Seit es Menschen gibt, dürften kalte und heiße Kriege ihren Alltag bestimmt haben. Oft auf sich allein gestellt, muss der Einzelne erkennen, dass die vertrauten Mitstreiter unzuverlässig sind. Man ist Leuten nachgelaufen, die es nicht wert gewesen sind und somit noch selbst schuld. Freunde lassen uns im Stich, sind anderweitig beschäftigt, sagen sie, wenn wir um Hilfe bitten, obwohl Gefahr droht von Fremden, die mal offen, dann wieder aus einer Deckung heraus getarnt angreifen. Manche werden immer herumgestoßen, bis sie das erste Mal aufbegehren im Leben, andere merken es früher. Der Erkenntnis, dass Nachzugeben mal besser sein kann, trauen wir nicht gern. Dem christlichen Vorschlag steht eine Erfahrung gegenüber, die wir letztlich alle machen. Sich dem anderen zu öffnen, eine Flanke ungeschützt lassen, kann das Kassieren eines empfindlichen Treffers bedeuten. Wer nicht wagt, der nichts gewinnt, heißt es. Die Rangelei beginnt damit, dass ein Individuum begreift, eines zu sein und plötzlich losmarschiert für das besondere Ziel. Wir leben in unweigerlicher Beziehung zu den anderen. Unsere Erde ist voll mit Menschen. Sie bestimmen das Erscheinungsbild des blauen Planeten beinahe überall. Das kann für den Einzelnen bedeuten, sich weitestgehend an den jeweiligen Partnern oder aufgrund von Furcht auch an möglichen Gegnern auszurichten, dass Ängste sämtliche Aktivitäten bestimmen. Keine gute Ausgangslage, sich zukünftig lebendig zu entwickeln und leider doch oft genug Realität in mancher Gesellschaft.

Unfreiheit ist der Grund, irgendwann aufzubegehren. Der freie Mensch ist nicht nur dort zu finden, wo das Land, in dem er lebt, den entsprechend liberalen Rahmen schafft für jedes Individuum. Innere Freiheit noch vor allem anderen, also über sich selbst verfügen können, gibt uns erst die Voraussetzung, nötige Bewegungen nach außen hin zu definieren. Es ist die elementare Aufgabe eines jeden Systems, die Grenze zu ziehen. Es gilt also zunächst, zuallererst und besonders für die kleinste Einheit, den Menschen. Das soll heißen, hier jedenfalls ist es so gemeint, sogar im Gefängnis gibt es selbstbewusste Insassen. Andere ordnen sich überall unter, leiden doppelt. Freiheit muss gelernt werden. Sei es unbewusst mit der Muttermilch, wie nebenbei in der Kindheit lernt man, sich auf natürliche Weise abzugrenzen oder hart erkämpft, begreift mancher erst spät, wie das geht.

# Die Freiheit hat ihre zwei Seiten

Vor einigen Jahren habe ich ferngesehen, eine Region in Russland, Dokumentation. Das Thema, die demokratische Entwicklung nach dem Zerfall der Sowjetunion. Wir sind als Zuschauer eine Zielgruppe, die rundum bunten Wohlstand, selbstverständliche Freiheit gewohnt ist, und sahen, berührend aufgezeichnet von westlichen Journalisten, hauptsächlich öde Betonbauten, frustrierte Menschen. In einer nicht ganz unbedeutenden Stadt wird ein Bewohner zum miserablen Zustand der Umgebung befragt. Vieles könnte besser sein, die Leute sind unzufrieden, der Reporter hakt nach:

„Wer ist schuld daran?“

„Der Bürgermeister.“

„Aber Sie haben den gewählt?“

„Ich gehe doch nicht zur Wahl.“

Resignation russisch, der Mann lebt faktisch in der Vision von Orwell. Es geht auch andersherum: Bei uns in der westlichen Freiheit auf Fehmarn etwa gibt es jetzt einen Barfußpark. Ein Bauer hat ein wenig totes Land verkauft. Man hat einen Zaun drum gemacht und ein Klohaus hingestellt, reetgedeckt, ganz hübsch und mit integrierter Kasse (wie bei Hagenbeck) wurde es gleich vorne zum besseren Eingang hingebaut. Plakate bewerben die Freiheit, hier ohne Schuhe was zu erleben, und das funktioniert. Das ist kein Grundstück auf dem Mond, das wir kaufen sollen oder Luft aus einer guten Gegend in Flaschen, nein, dies hier gilt nicht als Beschiss. Die Leute, Familien besonders stehen Schlange davor. Sie sind bereit, dafür Geld auszugeben, ohne Schuhe laufen zu dürfen? Das ist perfekter Selbstbetrug, und die Menschen sind sogar glücklich. Warum so etwas möglich ist? Alles, was man sich vorstellen kann, werden Menschen probieren hinzubekommen, besonders wenn sie selbst andere überreden können mitzutun und Geld damit machen. Ähnliches wurde schon beschrieben in dem Buch „Schöne neue Welt“, eine Utopie von Aldous Huxley. Ich möchte behaupten, diese Vision ist bereits unsere Realität (im Westen). Glückliche Idioten, wir sind in der Zukunft angekommen. Die Diktatur verarscht die Bürger ihres Landes? In der Demokratie verarschen wir uns selbst.

# Gutmenschen sterben nicht aus

„Gutmensch“ oder „Quotenneger“, derartige Ausdrücke gelten als Unwörter. Diese Begriffe konnten sich nicht etablieren, weil es schlimme Menschen gibt und solche eben böses Vokabular nutzen. Das wird ja behauptet. Bedenklicher finde ich, sich als besserer Mensch hervorzutun, statt unspektakulär Zivilcourage zu leisten. Das wäre selbstlos und genug des Guten. Der intellektuelle, mit Worten geführte Krieg schafft erst die Basis für reale Gewalt. Unsere Welt ist widersprüchlich. Es gibt viele Wahrheiten. Wir können nur Kommunikation und subjektives Erleben nutzen, um uns der Realität bestenfalls anzunähern. Worte bilden die Basis unseres Denkens. Begriffe mögen Platzhalter für Tatsächliches sein. Was sie dem, der sie in den Mund nimmt, bedeuten, kann sehr verschieden zum Erleben eines anderen sein, der ebenfalls davon spricht.

Dieser Text ist mit dem Titel „Haut“ versehen, weil es mir um Selbstfindung geht, die nackte Wahrheit also und außerdem mein aktuelles Projekt, ein wie gewohnt großes Bild, das ich mit Acrylfarbe male. Das aber erst zum Schluss.

„Gewaltverzicht“ ist durchaus ein Modewort. Wir begegnen den Mahnern jeden Tag, die sich wichtig nehmenden Menschen, die uns erinnern, Gewalt dürfe nie das Mittel in einer Auseinandersetzung sein. Auf Aggression zu verzichten, wird ins Feld geführt, um mit dieser Forderung zu kämpfen wie mit einer Waffe. Smarte Menschen gefallen sich darin, Gewalt bloß verbal einzusetzen. Sie sticheln, spotten, belehren und reden von oben herab. Man respektiert einander nicht, verhandelt strittige Themen nicht auf Augenhöhe. Das Ergebnis ist wie gewünscht Unterwerfung oder doch irgendwann ein Angriff der Gegenseite. Wir gefallen uns (selbst dann) weiter darin, vom Aggressor zu reden? Wir sprechen vom sogenannten Angriffskrieg und sind doch schuld dran. Provokation führt schließlich zum Schlag mindestens mit der Faust. Wut ist ein Gefühl, dass selbst Gott nicht verbieten kann. Das zeigt uns ein Paradoxon des sozialen Miteinander, und es ist nicht neu. Wer sich auf Christus beruft, und der gilt als Erfinder dieser Idee vom Gewaltverzicht, muss trotzdem einsehen, dass dieser Heilsbringer so lange redete, provozierte, mit beinahe allen Leuten Streit hatte, seine Gefolgsleute ebenfalls belehrte, dominierte, bis er schließlich ans Kreuz genagelt wurde als renitenter Aufrührer.

Seinen Nächsten lieben wie sich selbst, heißt den Satz umgekehrt lesen zu dürfen. Dann liegt die Betonung darauf, bei sich zuerst anzufangen. Das ist nicht einfach, weil wir die Bereitschaft und Befähigung benötigen, unsere Gefühle überhaupt spüren zu können, um persönliche Ziele als angemessen zu definieren. Immer allen nachzugeben, hieße wohl, sich beständig selbst in die Pfanne zu hauen. Eigene Räume zu verlangen, bedeutet dass andere Platz dafür lassen müssen. Bestenfalls ruckelt sich das Leben also liebevoll zurecht. Unsere Realität ist aber die Auseinandersetzung überall. Wir sollten anerkennen, das kommt nicht von ungefähr. Es bleibt eine Aufgabe für jeden.

Glücklich ist, wem gelingt, auf Gewalt zu verzichten.

# Unsere Blöße ist da, wo es wehtut

Hätte Christus sich selbst auch ein wenig gern gehabt, könnte er wohl besser auf seine Gesundheit geachtet haben, hätte auf diese Weise seine Reputation nicht nur bei den Gefolgsleuten gewahrt. Milde gestimmt, wäre es ihm wohl möglich gewesen, Barmherzigkeit auch seinen Feinden gegenüber zu leben (der eigenen Lehre gemäß), dass diese ihn in Ruhe ließen? Das hieße, ein wenig leiser zu predigen, die Wunder ohne Spektakel nebenbei erledigen. Er wäre zum weisen Mann gealtert, geachtet – und bald vergessen worden. So kommt es, dass die Gläubigen vom Opfer reden, das er uns gegenüber erbrachte. Seinen Leib gab der junge Mann her für die große Idee, Gottes direkter, echter und einziger Sohn sein zu wollen. Diese Behauptung zu glauben, gefällt noch immer vielen. Wie wichtig ist, dass das Ganze fleischgewordene Wahrheit ist, wenn doch diese Erzählung allein durch ihre Langlebigkeit beweist, wie nötig sie weiterzuerzählen ist und menschliche Realität bedeutet? Christus gibt das Beispiel, wie es uns ergeht, wenn wir allzu laut für unsere Ansichten eintreten. Vor allem, weil seine Positionen viel mehr sind, als nur irgendeine Meinung. Es geht uns alle an, was jeder Einzelne fühlt, der sich isoliert wiederfindet, um Hilfe bittet, sie nicht bekommt. An wen wendet man sich ganz allein gelassen, verzweifelt?

Die Bibel probiert, ihre Antwort zu geben, und manche probieren, das Geschriebene anzuwenden.

Adam und Eva gelten als nackt, die ersten Menschen spielten unbefangen und unbekleidet in ihrem Garten, heißt es. Das ist lange her. Seitdem Kloppe, Mord und Totschlag allerorten: Noch immer gibt es Landstriche andauernden Gemetzels. Wir erleben es leider, im Zentrum von Gewalt zu stehen bis heute. Eine lange Tradition hat die kriegerische Auseinandersetzung. Es kann zur traumatisierenden Erfahrung werden, dass man am Schauplatz von unvermeidlichen Kämpfen lebt oder der Ort solcher Schlachten in Person ist, derjenige, den die anderen treffen wollen in ihrem sich selbstüberhöhenden Hass. Gruppen drehen die Bewertung einer Wahrheit, bis sie recht haben. Das genügt Menschen, die sich für besser halten, einen Mob zusammenzubringen für Rache, die sie dann Strafe nennen, die dem Angegriffenen gebührt als Täter, der er sei.

Das Terrain, auf dem der Konflikt ausgetragen wird, ist auf der großen Bühne ein armes Stück Land im Grenzbereich. Das kann die Ukraine sein, Palästina, was weiß ich, und bedeutet mir im Kleinen mein Heimatdorf, letztlich meine Oberfläche als nackter, öffentlicher Mensch. Ich trage meine Haut zu Felde auf diesem Schlachtfeld mit dem nur einigen bekannten Namen westlich der weltweit bekannten Metropole am schönen Fluss im Norden unseres Landes.

Genau berichten, aber doch vage beschreiben, wieso?

Allgemeine Formulierungen zu suchen, ist eine Notwendigkeit im kalten Krieg, den wir hier austragen in der Provinz. Weil die anderen maskiert agieren, sind sie zum einen unscharf auch für mich und müssen andererseits sowieso verschleiert beschrieben werden. Das ist eine Spielregel. Sonst hätten wir bald heißen Krieg und ich das Nachsehen. Direktes Anprangern machte aus den Bösen rechtmäßige Gutmenschen, die sie eigentlich sein möchten. Ich muss aufpassen: Verletzte ich Persönlichkeitsrechte mit meinen Kreationen, wäre manches hier nicht länger als Kunst zu werten und gelte als strafbare Beleidigung. Andererseits ist es unabdingbar nachzudenken, wohin die Reise gehen soll für einen, der unterwegs ist, und das ist man ja als Maler und Mensch. Viele werden bloß mitgerissen, manche führen uns an der Nase herum. Das kann sich die Kunst nicht gefallen lassen. Regeln sind ja gut und schön. Wir aber testen die Grenzen aus mit der Malerei und den Wortgemälden, übertreten sie auch mal. Ich wollte nicht geschmacklos sein. Das scheint inzwischen aber unumgänglich.

# Einleitende Worte also, und dann kommt noch Neues

Wir haben Sommer, nur das Wetter hat es nicht begriffen. Es ist Juli, und wieder fällt mir manches ein aufzuschreiben. Vierundzwanzig Jahre sind demnächst rum, lange schon dauert dieses neue Jahrhundert. Mit sechzig hat man weniger Zukunft, aber reichlich Vergangenheit. Das macht mir gelegentlich zu schaffen. Gott und die Welt, meine kleine, sind das Thema, und was es mit mir macht, was dabei Kreatives für die Leinwand herauskommt, soll hier niedergeschrieben werden. „Selfexecuties“ ist fertig, hängt im Atelier und nun?

Ich möchte beschreiben.

Konventionen geben uns einen Rahmen. Das hilft den neuen, jüngeren, in die Gesellschaft nachrückenden Menschen, sich in der bisherigen Welt ihrer Eltern zurechtzufinden. Das Leben ist ein Geschenk. Es wird aber zunächst an einem Ort entdeckt, wo jeder ungefragt hineingeboren wird. Regeln nützen, sich ein Bild davon zu machen, wie man lebt. Handlungsnormen des Verhaltens sind auch das Instrument der Macht, andere zu manipulieren, instrumentalisieren, hinzurichten. Sie werden zur Waffe in den Händen skrupelloser Anwender. Es gibt Dämonen, die sich oft beängstigend enger Grenzen bedienen als Werkzeug, die eine Regel uns aufzwingt. Gruppen bilden sich, werden aufgestachelt mitzumachen. Die Meute fordert, was niemand erleben möchte, der nur fühlt, was in seiner Lage das Natürlichste ist. Da wird das Dasein ungemütlich.

Wie es passieren kann, im Dorf zum unerwünschten Alien zu werden, obwohl man bloß vom Städtchen nebenan kam? Leute sind hier aktiv, die, mit durchaus gehöriger Macht ausgestattet, sich anschicken, eine diffuse Belehrung anzuordnen, was für einer man sei. Eine Botschaft, die fertig machen soll, aber verdeckt, feige ankommt. Eine Drohkulisse, der man sich als Betroffener kaum entwinden kann, ist nicht angenehm.

Das kann ich erzählen.

Dahinter steht unverhohlen die Absicht dieser Meute, ihren Mitbewohner aus der Gegend mindestens umzuändern, emotional zurechtzustutzen, ihn einnorden, teeren, federn, dass er’s begreift, besser schließlich zu vertreiben oder sogar auszumerzen wie krankes Unkraut, das noch infiziert.

Rufmord möchte töten: Das so verspritzte Roundup macht, zum Verdruss der Anwender dieser bösen und heimtückischen Medizin, mich, den nackt damit eingeseiften, öffentlich vorgeführten, beschämend und unfreiwillig geduschten (für immer kontaminierten) Künstler (ungewollt) hart, widerstandsfähig, kreativ.

Wir stehen scheinbar unentschieden und unversöhnlich im Patt gebunden am selben Fleck seit einiger Zeit.

# Ein schönes Feld hier!

Allgemein Kirchen oder politische Parteien werden gegründet, weil Menschen lügen können oder sogar selbst glauben, Lösungen bereitzuhalten für beschreibbare Probleme. Darum gibt es Politiker, Ärzte, Polizisten; sie behaupten, etwas für sich und andere oder für Zeitgenossen, die das so allein nicht hinbekämen, in Ordnung bringen zu können. Manchmal stimmt das ja auch. Scheitern solche, Helfer sind es im weitesten Sinne, Anführer einer Gruppe, endet ihre Karriere in dieser Sache oft mit einem Sturz. Das Weitermachen wird ihnen untersagt. Wie es aber in der Natur von Innovativen liegt, starten sie alsbald mit einem leicht abgewandelten Ansatz neu und versprechen denen, die es glauben, das nächste Ding. Das größere Problem erleidet also, wer anderen nachläuft und ihnen allzu viel glaubt. Die eine Partei nennt die andere Populisten, will besser sein, mehr Menschen fangen. Probleme, die viele betreffen oder überhaupt Schwierigkeiten, die jemand anderes hat, übernehmen, ordnen, also die Sachen anderer Leute ins Reine zu bringen, ist eine kaum lösbare Aufgabe in den meisten Fällen. Das ficht Weltretter nicht an, und man muss ja zugeben, dass vieles ohne Anführer nicht klappen würde. Gemeinsame Stärke ist nur dann gegeben, wenn solche Gruppen zielgerichtet marschieren. Furchtlose Anpacker und fachlich kompetente Menschen braucht jede Gesellschaft. Oft wird aber versprochen, was sich später als unhaltbare Vision entpuppt.

Die Politik mit ihren je nach Partei voneinander abweichenden Schwerpunkten darf eine Zeit lang die jeweilige Richtung bestimmen und wird dann von der Opposition in die Zange genommen, bis diese sich an der Lösung gesellschaftlicher Probleme versuchen darf. Die Gesellschaft hat neue Sorgen, die von der aktuellen Regierung nicht erkannt werden. Die aktiven Politiker meinen ja von sich, an den Aufgaben dran zu sein, für die sie vor der letzten Wahl angetreten sind, diese zu lösen. Inzwischen ist die Zeit aber weitergegangen. Die sich über die typische Blindheit von Regierenden ärgernden Berufsgruppen zeigen auf, wo ihnen der Schuh drückt. Das ist nicht nur auf dem Dorf um’s Eck bedeutsam oder in unserem Bundesland Schleswig-Holstein, in Hamburg, der Metropole, in Deutschland oder anderswo. Der Lauf der Welt ist überall so verschieden gar nicht. Mensch ist Mensch, und das auch nicht erst seit gestern.

In der aktuellen Migrationsdebatte meldet sich ein Polizist zu Wort.

Manuel Ostermann kritisiert die Innenministerin Nancy Faeser in mehreren Punkten auf Yahoo.

Zitat:

„Bestes Beispiel: die Ausschreitungen am Rande des AfD-Parteitags am Wochenende, bei denen auch Polizeibeamte brutal angegriffen wurden. Faeser nannte sie „linke Chaoten“ und verniedlichte damit das Problem. Diejenigen, die in Essen auf meine Kollegen losgegangen sind, waren waschechte Linksextremisten und damit Verfassungsfeinde“, sagt der Ordnungshüter. (Yahoo, 2. Juli 2024, Überschrift: Focus, Gastbeitrag von Manuel Ostermann – Polizist rechnet mit Faeser ab: „Eine Unfassbarkeit reiht sich an die nächste“).

Zitat Ende.

Dieser Mann wird bei der nächsten Wahl probieren, eine konservative oder sogar extreme Partei zu unterstützen, mutmaßt man beim Lesen seiner Wutrede gegen das Schönreden einer Gewalt und das Verurteilen der anderen. Es ist eine unbedingte Qualität der Demokratie, dass diese verschiedenste Meinungen erlaubt. Wir haben Parteienbildung überall in der Gesellschaft, nicht nur in der Politik, auch beim freiwilligen Engagement oder im gewöhnlichen Freundeskreis finden sich die Unterstützer individueller Ansichten grüppchenweise zusammen.

Eine Unternehmung (als System gesehen) muss finanziert werden. Geld oder freiwillig eingebrachte Werte, Leistungen kennzeichnen eine Verbindung. Jede größere Vereinigung kann wie ein Geschäft verstanden werden. Eine Gruppierung ist jedenfalls eine Struktur, die zumindest ihre Kosten decken muss bzw. Motive abbilden, die den Laden innerlich zusammenhalten. Geld beschreibt den Wert einer Sache. Geht es weniger um das Geschäftemachen, ist der ideologische Gehalt von Bedeutung, der Grund, warum man sich organisiert hat. Werte stehen als Motivation bereit, dafür etwas zu leisten, sich arbeitend – und sei es ehrenamtlich – einzubringen. Dann bedeutet die gegenseitige Wertschätzung vermeintlich identischer Ansichten mehr als ein Gut, ist etwas, das den verbundenen oder sogar hinsichtlich der zielgebenden Motive verschworenen Mitgliedern Halt gibt im Leben. Wem also soziale Gemeinsamkeit viel bedeutet, das kollektive Streben nach Idealen, der möge sich wo einfügen und dabei sein.

Mich interessiert als Künstler und Mensch der umgekehrte Weg, möglichst unabhängige Selbstständigkeit, innere Freiheit, das Verlassen von einengenden Bindungen, Abgrenzung zum Drumherum. Es mag überraschen, aber ich lernte, mich zwischen die Stühle zu setzen und fühle mich allmählich wohl dabei. Ein Lernfeld ist Schönefeld*, meine Heimat seit über zwanzig Jahren. Ein fröhliches, mit einem Stern ausgezeichnetes „ö“ möchte uns alle daran erinnern, dass hier ein Wortgemälde nur meine ganz persönliche Wahrheit erzählt, und ich das sehr wohl weiß als Künstler. Objektivität ist zugegebenermaßen gerade nicht das Ziel, um das ich mich bemühe! Ich bin angekommen, weil ich schließlich nicht so dazugehören wollte, wie es sich im Dorf gehört. Meine Versuche der Anpassung als zugezogener Quiddje scheiterten und haben doch geholfen, das Glück eines individuellen Profils zu entwickeln. Das dürften auch andere anderswo erleben: Man entwickelte vielleicht Annahmen aufgrund der Beziehung zu jemanden, aus der Mitgliedschaft in einer Gruppe, die sich nicht erfüllten? Erfahrung sollte uns helfen, klüger zu werden, genauer zu beobachten, malen, was da ist, das Denken schärfen.

# Meine kleine Welt

Kunst ist mehr als harmlose Deko. Wer sagt etwas, und wo wird es wahrgenommen, spielt eine oft entscheidende Rolle. Wenn im Dorf der Freund der Bürgermeisterin das falsche Bild ins Rathaus stellt beim Weihnachtsmarkt, gibt das der Welt keinen Ruck, die diese aus den Angeln heben könnte. Niemand fände Anstoß am Gepinsel des Unbekannten, es sei denn, jemand, der dich aus der Nachbarschaft kennt und Morgenluft wittert, sich selbst zu erhöhen und noch einige zu motivieren mitzumachen. Da tritt dir also eine alte Ziege ans Schienenbein, pisst dich an, vorgeblich den Planeten vom Porno zu säubern. Kunst und Politik, das kracht schon mal. Wie unwichtig ich tatsächlich bin, das könnte man übersehen haben?

Größere Künstler bewältigen größere Probleme.

Ich erinnere, Louis Armstrong, der unpolitische, gab einer unbedeutenden Zeitung nebenbei sein Interview, das eigentlich die Musik zum Thema haben sollte, aber gerade waren die Rassenproteste in Little Rock eskaliert. Louis hatte es im Fernsehen gesehen. „Der junge Reporter kam ins Hotel, wahrscheinlich wegen eines Artikels, wie sie Kleinstadtblätter gern über Besuche von Berühmtheiten haben wollen“, notierten die Autoren Jones und Chilton für ihre bekannte Biografie, „Die Louis Armstrong Story“.

Ein ehrlicher Wutanfall ist immer das Beste, Eindruck zu machen: Der Trompeter und Weltstar nahm zornig kein Blatt vor den Mund. Das schlug wie eine Bombe ein in die damalige Medienlandschaft.

Auch die Beatles polarisierten auf manche Weise.

John Lennon hat das erlebt.

Zitat:

„,Populärer als Jesus‘ (englisch: ,More popular than Jesus‘) war eine kontroverse Anmerkung, die von John Lennon, Sänger und Gitarrist der britischen Rockband The Beatles, 1966 gemacht wurde. Lennon sagte, dass sich das Christentum im Niedergang befinde und die Beatles populärer als Jesus Christus geworden seien. Die Bemerkung blieb bei ihrer ursprünglichen Veröffentlichung im Vereinigten Königreich ohne große Wirkung, jedoch kam es zu erzürnten Reaktionen in christlichen Gemeinschaften, als die Anmerkung fünf Monate später in den Vereinigten Staaten gedruckt wurde.

Lennon machte die Aussage ursprünglich im März 1966 während eines Interviews mit Maureen Cleave für den London Evening Standard, das keine Reaktion der Öffentlichkeit nach sich zog. Als Datebook, eine US-amerikanische Zeitschrift für Teenager, Lennons Aussage Ende Juli 1966 in einem ihrer Artikel zitierte, brachen extensive Proteste im Süden, insbesondere im Bible Belt, der Vereinigten Staaten aus. Einige Radiosender stoppten das Senden von Beatles-Songs, ihre Alben wurden öffentlich verbrannt, Pressekonferenzen abgesagt und Drohungen ausgestoßen. Die Kontroversen fanden zeitgleich mit der geplanten US-Tour der Beatles im August 1966 statt, weshalb Brian Epstein und Tony Barrow, der Pressesprecher der Beatles, den Disput mit einer Reihe von Pressekonferenzen zu beschwichtigen versuchten. Vor einigen Konzerten kam es zu Störungen und Einschüchterungen, darunter das Aufstellen von Streikposten des Klu-Klux-Klans. Die Kontroverse trug zur Entscheidung der Beatles bei, nicht mehr live aufzutreten. Die US-Tournee von 1966 war die letzte, die sie unternahmen.‘“ (Wikipedia).

Zitat Ende.

Meine kleine Geschichte ist so banal dagegen.

Ist Christus noch ein Thema, Religion heute?

# Damals, als alles begann

Christus kam vor den Beatles, und davor suchten die Menschen das gelobte Land. Als sie dort angekommen waren, wurde die Lage nicht wirklich besser für die Flüchtlinge aus Ägypten, meine ich zu erinnern. Noch heute ist in dieser Gegend Krieg – deswegen? Die ersten Staaten haben sich gebildet, weil selbsterklärte Leader Menschen an sich binden konnten. Die Beschreibung von Mose, wie er seine Leute um sich schart, definiert als ein zusammengehöriges Volk, das weg möchte (behauptet Moses) vom Pharao, macht deutlich, wie dieser Anführer alle Register zieht, innere Struktur zu formen mit etwa den Gebotstafeln oder Stärke nach Außen zu kreieren. Er  droht, was alles geschehen wird, deutet Wetterereignisse als Ergebnis seiner Macht, um den Pharao zu beeindrucken aber in erster Linie seine eigene Gefolgschaft. Je fester der Verbund solcher Gläubigen ist, desto mehr sind diese Leute bereit, dafür nötige Unbill vom gefährlichen Marsch ins gelobte Land (etwa durch die Wüste) auf sich zu nehmen. Es braucht keinen real aktiven Gott, wenn es dem Menschenfänger, der vor allem seiner Eitelkeit Genüge tut, gelingt, was auch immer passiert, als göttliche Zeichen zu erklären, die er, der Gehilfe des Allmächtigen, zu deuten weiß. Selbst wenn Moses nie gelebt hätte, wer will das so genau wissen, und da gar kein Pharao gewesen ist, der Menschen zurückhielt, so lässt sich mit dieser Geschichte allein schon manche Seele fangen, diesen Worten und dem, der sie feilbietet, als Heilslehre zu folgen.

Das ist ja mal eine gute Sache: Eine zugkräftige Wortmalerei ist das Instrument eines jeden Anführers, die Masse zu mobilisieren, Leute mitzureißen. Wir alle stehen auf den Schultern derer, die vor uns da gewesen sind. Man darf Glaube und Religion daher nicht abtun als gestrige Tradition. Gott bedeutet eine Gegenwärtigkeit und ist mitnichten bloß ein Wort damaliger Geschichten in unserer, wie viele denken, verschrobenen Geschichtensammlung, der Bibel. Glaube ist wirksam: Ohne die Macht der katholischen Kirche, den weltweit sich vernetzt empfindenden Christen und den sich zur Arbeiterbewegung formierenden Polen, die ihren Mann in Rom wussten, den eigenen Papst, hätte es den Zerfall der Sowjetunion so nicht gegeben.

Glaube vereint die Menschen für eine lohnende kämpferische Aktion.

Das ist mehr als Tradition, Religion, das Richtige, natürlich Gegebene letztlich mitzutragen, Freiheit einzufordern, damit im Geiste beseelt loszumarschieren. Wer mit sich im Reinen ist, kann dieses Wohlgefühl erleben, am richtigen Platz und zur passenden Zeit zu laufen. So zu fühlen, und es häufiger zu genießen, eine breite Akzeptanz zu spüren, dem dürften Kämpfe vorausgegangen sein? Man musste sich nicht nur das umgebende Terrain sichern. Es ist das gelungene, innere Zusammenraufen, das sich allen zeigt, denen man begegnet und den Weg frei macht zum spontanen Lächeln, das sogleich erwidert wird.

Was der moderne Mensch aus vielen Beschreibungen lernen kann, ist entweder selbst so einer zu werden, der andere leitet, sogar manipuliert, oder umgekehrt sich solcher Fremdbestimmung erfolgreich zu entwinden. Wir können das große Ganze nur teilweise verstehen. Die Behauptung, Prophet zu sein und mit dem Chef im Himmel befreundet, ja verwandt, ist mehr als kühn und dürfte in der Regel als Fake auffliegen. Es sei denn, alles ist so lange her, und die Leute meinen nur Bescheid zu wissen von einem, von dem andere sagten, er habe das gesagt, was er behauptete. Was den Einzelnen hingegen selbst angeht, ihn betrifft, dass er’s auch ändern könnte falls notwendig, dürften viele besser begreifen, wenn sie nur wüssten wie, als sie dem für gewöhnlich nachspüren. Ein Gläubiger ist in der Regel (leider) mehr das Opfer seiner Angst als der Stärkere, wie er es von sich meint zu wissen (gegenüber der ungläubigen Masse und weil er seinen Partner im Himmel erkennt). Das ist kein Wissen, sondern starkes Wunschdenken. Es gibt schon Kraft, sich’s vorzustellen, dass Gott besondere und größere Liebe denen verschenkt, die an ihn glauben, bleibt aber der bedenkliche Versuch, sich mit einem Griff ins eigene Haar aus dem Sumpf ziehen zu wollen. Wer einsehen kann, was ihm unmöglich ist zu wissen und erkennt, wo hingegen Erkenntnisgewinn möglich wäre, dürfte sich auf einem guten Weg befinden. Weniger glauben, heißt bereits mehr zu wissen. Es bedeutet erkannt zu haben, was man sich eingeredet hatte, um Unangenehmes nicht spüren zu müssen.

Religionen nutzen sich selbst, weniger dem Menschen, der glaubt, auf seine angewiesen zu sein. Es gibt ganz verschiedene Glaubensrichtungen. Das sollte den Gläubigen irritieren und seine Denkweise hinterfragen machen. Ultraorthodoxe Juden findet man bei uns seltsam. Indische Religionen betrachten wir als fremd. In ihrem jeweiligen Umfeld geben sie den dort lebenden Menschen eine natürliche Denkweise, die wir aber mehr als sonderbar fänden, sollten wir aufgefordert sein, unseren Alltag nach ihrer Art zu leben. Auf Youtube entdecke ich das Video einer jungen Frau aus Kambodscha, die schon gut deutsch spricht, bei uns studiert. Sie beklagt das willkürliche Aufstellen von Buddhafiguren im Westen als Gartenschmuck oder mit Beleuchtung auf der Fensterbank als Deko. Man solle andere Religionen respektieren, fordert die Studentin nachdrücklich. Buddha ist heilig in ihrem Land, muss entsprechend als Heiligtum gewertet werden, steht über Kopfhöhe der Personen in einem Raum und nicht als Dekoration eingequetscht zwischen den Büchern unten im Regal.

Martin Luther war ja einer, dem manches nicht passte.

So begründet sich auf seinem Widerspruchsgeist das Wesen vom modernen Heiligen Geist für einige, und die anderen gehen weiter wie bisher. „Der Kluge sieht das Unglück, die Einfältigen gehen weiter“, könnte sein Sinnspruch heißen, dem er folgte? Die Bibel sagt es aber so: „Der Kluge sieht das Unglück und verbirgt sich, die Einfältigen gehen weiter und erleiden Strafe.“ In Deckung gehen, ist mal nicht schlecht, wenn Gefahr droht; bemerkenswert ist das Ende – „und erleiden Strafe“. Der liebe Gott, er straft auch, denken nicht wenige? Es dürfte schon mal Schwierigkeiten machen, den genauen Zusammenhang zwischen böser Aktion und göttlicher Strafe aufzuzeigen. Dieses Denken ist weitverbreitet bei nicht wenigen Gläubigen. Hier beginnt etwas Gefährliches. Das setzt den Anfang des Krankmachenden beim Glauben, falls wir zu denen gehören, die sich selbst als geleitet begreifen. Fassen wir Religion so auf, dass ein Pastor oder Guru unser Welterklärer wird, der uns anleitet, das Gespräch, die Nähe, das Vertrauen zur höchsten Macht zu suchen, die uns, wenn wir gefällig leben, liebt und andernfalls straft, beginnt eine zunächst gelinde Form von Wahn. Wir stellen uns ein Gegenüber vor, von dem wir schließlich annehmen, dass es wirklich existiert und nennen das Ganze Glaube? Den spirituellen Kontakt zur höchsten Macht aufnehmen wollen, ist ein riskantes Unterfangen. Mit dem Öffnen dieser Tür, so zu denken, glauben, öffnet sich auch die, hinter der die Überzeugung lauert, nicht länger glauben zu müssen, sondern vermeintlich Bescheid zu wissen. Das kann nicht gut gehen in unserer Gesellschaft.

# Das Luftschloss da oben im Himmel

Auf einer Website wird eine Erklärung dargeboten, die mannigfaltig beschreibt, warum Jesus einen der mit ihm Gekreuzigten Gnade gewährt beim Vater im Himmel. Dieser mit Christus zum selben Schicksal verurteilte Mörder verdiente sich seine Schuldbefreiung vor dem späteren, höchsten Gericht, weil sein Fürsprecher, der Sohn Gottes, zufällig nebenan angenagelt, bestimmte Merkmale der Reue und Sinnesumkehr festgestellt habe, meinen die Betreiber dieser Plattform. Sie listen zahlreiche Punkte auf, was und wozu sich schließlich der (ehemalige) Verbrecher bekannte, beeindruckt von der Präsenz des neben ihm Hängenden, und was er nicht leistete, das steht da auch detailliert. Es ist quasi eine Anleitung. Eine Art Katalog stellen diese eifrigen Bibelleser zusammen, was allgemein dem reuigen Sünder hilft, sich wieder in die Nähe des rechtschaffenen Menschen zurückzubewegen.

Dazu kommen Notizen, was dem Gekreuzigten noch hätte gut zu Gesicht gestanden, er aber nicht vorbrachte. Andere Sünder, die sich wo bekehrten, irgendwo in der Bibel beschriebene Menschen, die auf ihre Weise reuig handelten, nützen den Autoren bei ihrer Beschreibung, was es für Umkehrmöglichkeiten gäbe, das Herz Gottes zu erweichen. Es ist eine Phishing-Webseite ganz offensichtlich. Sie wird aber nicht von Cyberkriminellen betrieben. Man möchte unser Gehirn waschen, beileibe nicht den Computer infizieren. Hier predigen gute Menschen! Das sind Verhaltensmaßregeln für uns heute, um dennoch sicher in den Himmel zu kommen, falls wir mal sündigten? Die versteckte Drohung ist eine Erinnerung an den Allmächtigen. Das Vorhandensein der Hölle wird nicht erwähnt: Sie ist der Elefant im Raum. Divinatorische Ängste werden geweckt und geschürt. Wir, die wir nicht gekreuzigt bereits am Ende sind, mögen das als mahnende Worte und wohlfeiles Angebot vom Herrn begreifen, den die Internetpastoren offenbar gut kennen. Diesem in der Bibel beschriebenen, dem Tode nahen Mann blieb bekanntlich nicht mehr allzu viel Zeit, noch Abbitte zu leisten. Manche Tat, die ihm möglicherweise zum Guten angerechnet würde, konnte der Gekreuzigte nicht mehr machen von dort oben am Holz.

Jesus rettete seine Seele in letzter Minute vor dem Tod. Weil ihn sein Leben reute, durfte der Mann mitfahren nach ganz oben. Und wir können’s auch, behaupten die Theologen, die meinen, das begriffen zu haben. Sich schon mal grundsätzlich schuldig fühlen, hilft, glaubt man denen. Irgendwas verbockte jeder mal. Solche Menschen für den eigenen Laden fangen, Menschenfischer sein und ihnen einreden, hier in dieser Kirche würde man das dumme Gefühl los, das ist nicht nur die Methode mancher Sekte. Das ist das Prinzip Glaube. (Es könnte mehr sein). Man versteht als religiöser Laie, wie ein theologisches Studium daherkommt. Diese Abhandlung, die einen wissenschaftlichen Ansatz hervorkehrt, baut eine komplette These mit Schlussfolgerung zusammen, wie ernsthaft gemeint zu verstehen sei, was Gott gegebenenfalls zur Gnade bewegte und was nicht. Das setzt voraus, dass da ein auf uns persönlich, spezifisch reagierender Allmächtiger überhaupt regiert in einem Himmel über uns allen. Wer will das wissen? Glaube bedeutet für die Anhänger einer entsprechenden Lehre, aufgrund einer bloßen Annahme, Stein um Stein weitere Behauptungen obendrauf zu mauern auf die Fiktion. „Eine feste Burg ist unser Gott“, sagen sie und ähnliches. Sie schauen dich an mit ihrem gleunigen Blick, beseelt. Bescheuerte; da verwundert es nicht, dass so viele Menschen krank werden, die sich einlullen lassen davon. Ihre diesseitigen Leben scheitern gerade nur aus diesem Grund und im Versuch, wenigstens nach dem Tode eine Belohnung zu bekommen für ihr sinnfreies Herumirren auf Erden.

Das tut weh zu begreifen.

Insofern ist die beste Umkehr im Leben eine, die den Beschwatzten frei macht von dieser Selbsthypnose. Da bleibt dem so Geläuterten noch allemal reichlich nach, offene Fragen, die keiner beantworten kann. Sie als solche zu erkennen, ihnen den Platz zuzuweisen, hilft auch dabei, selbst Räume zu finden, zu leben. Gott genug, finde ich, diesen anzuerkennen ist das, und keinesfalls Anlass, ein Bild zu studieren, eine Fata Morgana anzubeten, die man selbst projizierte, weil andere vorgezeichnet haben, wie’s gehöre. Malen nach Zahlen ist was für Doofe.

Was Glaube sein kann, was unbestreitbar Aberglaube ist, muss jeder selbst für sich herausfinden. Das dürfte oft genug nicht passieren. Eine eher unbestimmte und also vage Hoffnung kommt auf, wenn das eigene Begriffsvermögen schwächelt, wir trotzdem Sieger über bedrückende Emotionen bleiben möchten. Keiner mag Frust. Nicht wenige sehnen sich nach Anerkennung. Sie sind nicht zufrieden mit sich und dem, was sie tun. Viele schimpfen auf die anderen, die Frechen, die sich über Regeln hinwegsetzen. Sie möchten, dass wenigstens die bestraft werden, um selbst ein wenig Luft zu bekommen, weniger Angst zu haben vor solchen. Gläubige halten sich für bessere Menschen. Sie beten Mittwochs mit anderen für den Frieden. Das tut ihnen irgendwie gut, so gegen Putin und andere Stellung zu beziehen. Die Schwächen der Religion lassen sich aber leicht auflisten. Das ergibt die gesündere Addition als die erwähnte Skizze vom Theologen (mit Doktortitel). Dort steht stets das Gutsein im Vordergrund. Das bildet Jünger heran, die nach dem Wertekanon zu leben streben, der in ihrer Religion gilt. Was richtig ist zu tun, beinhaltet manche soziale Abmachung der jeweiligen Zeit. Deswegen probieren die aktuellen Gläubigen eine fortwährende Anpassung ihrer Überzeugung. Vielleicht haben die Evangelien dazu beigetragen, dass die Todesstrafe in vielen Gesellschaften abgeschafft wurde, man vernünftigerweise nicht auf eine zu späte Gnade im Himmelreich warten wollte? Das wäre wunderbar.

Dieses Ausrichten aufs imaginäre Gegenüber, um eine Reflexion spüren zu wollen (sich diese einzureden, auch wenn der Himmel wieder einmal schweigt), man sei auf dem korrekten Pfad, vom Wohlwollen des Allmächtigen gestützt, entwirft das Leitbild des Richtigen an sich. Das macht krank, weil es falsch ist, es das Richtige und Gute so allgemeingültig nicht geben kann. Schlimmer noch wirkt sich die fiktive Rahmung unseres Daseins auf den Gläubigen aus, wenn dieser einen persönlichen Engel oder doch sogar allmächtigen Beobachter da oben annimmt und eine gezielte Bewertung jeder individuellen Aktivität. Dieses auf eine erdachte Norm fixierte Dasein dürfte Ängste schüren, die reale Bedrohungen eines tatsächlichen Überwachungsstaates übertreffen. Das aber nur, wenn es dem Gläubigen am Selbstbewusstsein mangelt und die Partnerschaft zum Universum ohne Eigeninitiative funktionieren soll.

Was ethisch korrekt zu vertreten ist, wechselt nach Auffassung der Umgebung. Es gab kämpferische Kreuzzüge im Namen des Christentums. Viele weitere Widersprüche, wie sich’s gehöre, Gutes zu tun, fallen auf, schaut man zurück. Manches verstört, im Vergleich zum heutigen Denken. Das Wort vom Tierwohl z. B. ist noch ganz neu. Frühere Menschen, die sehr wohl überzeugte Gläubige gewesen sind, fanden den Walfang richtig, den Stierkampf. Es ist bekannt, Schwule galten lange als krank. Sie mussten sich zwanghaft etwa einer Hormonbehandlung unterziehen. Das passte auch der zeitgenössische Kirche gut ins Bild (teils ist das noch heute die Auffassung), obwohl gerade Pfarrstellen nicht selten mit Homosexuellen besetzt sind. Zur Zeit des Nationalsozialismus unterstützten viele Kirchenleute Hitler. Noch heute sind Menschen gegen die Abtreibung, während andere vehement für Frauenrechte und die Selbstbestimmung der Weiblichkeit eintreten. Sie berufen sich auf Gottes Wille. Es war nie einer unter den Menschen, von dem wir tatsächlich wissen, dass es der Sohn des Allmächtigen gewesen ist. Die Bibel ist das Werkzeug derer, die wissen, mit einer Behauptung umzugehen. Ein dickes Buch gibt uns manches Bild, die Geschichte zu instrumentalisieren.

Die Ansichten sind immer neu verschieden, was zu gelten habe in der Welt. Es hat Kannibalismus gegeben. Tod durch Enthauptung galt lange als ggf. nötige Bestrafung. Nach Auffassung mancher Katholiken, haben Frauen in der Kirche bis heute nichts verloren usw. Das mag die vom jeweils zeitgenössisch geprägten Glauben überzeugten Kirchgänger dran erinnern, wie sehr sich die Auffassungen moralisch gewünschten Lebens wandeln je nach Zeitalter und Landstrich. Die Leute glauben nicht an den Gott von Jesus Christus. Sie haben sich immer einen ausgedacht, der ihnen gut in ihre Zeit passt. Wenn sie heutzutage aus ihrem Betschuppen wieder raus in die helle Sonne treten, sich vielleicht noch einen Reisesegen mit auf den Weg sprechen lassen für den Urlaubsflug nach Spanien, ist das nur Theater. Sie möchten anderen, den Kindern, der Familie Kultur bieten, wie sie anderntags „gegen Rechts“ demonstrieren und veganes Zeug kauen, weil’s Mode ist. Die einen gehen hin, weil es ihnen Wirkung bedeutet. Andere treten aus demselben Grund aus der Kirche aus.

Alles ganz eitel, wusste schon Salomo.

Wer nicht wahrhaben will, dass Gut und Böse soziale Bewertungen sind, muss scheitern. Wer sich eine Abhängigkeit einredet, wo tatsächlich die Freiheit zu handeln gegeben ist, wird krank. Wer nicht erträgt, dass das eigene Leben vollständig enden könnte mit dem Tod, betrügt sich um sämtliche Chancen im Hier und Jetzt. Wenn jemand annimmt, die Zeichen in der Umgebung deuten zu können als auf gerade ihn zugeschnittene Hinweise, wo andere lapidar Zufälle ausmachen, steht bereits mit einem Bein in der Psychose. Wer alle diese Wegpunkte religiösen Wahns in sich vereinen kann, ohne verrückt zu werden, dürfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine kapitale Krankheit ausbilden, bei der eine psychosomatische Komponente nicht ausgeschlossen werden kann. Die wenigen, die trotzdem zurechtkommen, sind jedenfalls alles andere als die toleranten, barmherzigen Mitbürger, die sie sein wollen, sondern in der Regel rechthaberische Menschen, die danach trachten, ihre Umgebung zu manipulieren, missionieren.

Es gibt doch so viele Religionen, aber nur eine Welt.

Wir sind ein multikulturelles Land. Es gibt keinen allgemeingültigen, traditionellen Rahmen, den alle gleichermaßen annehmen könnten. Wenn wir entschieden gläubig auftreten, missionieren wir die meisten anderen automatisch. Man wird uns an die Grenzen bringen. Das Wollen der anderen können wir nicht beherrschen mit einer schon mal wahnhaften Idee. Sich auf den eigenen Weg zu besinnen, ob es einer ist, der uns gut tut, wird immer auch Toleranz und Empathie fordern, eigentlich selbstverständliche christliche Werte. Das aber unter der Prämisse leben zu wollen, von oben dafür geliebt zu werden, ist ein krankes Denken (und mitnichten Glaube im besten Sinne), das zum Missbrauch geradezu einlädt. Wer sich selbst dahingehend manipuliert, mehr begriffen zu haben als andere, wird nur zu empfänglich dafür sein, schließlich irgendwo mitgeschnackt zu werden.

Glaubensgemeinschaften sind kollektive, soziale Verbünde. Sie kennen einen Vorstand, den Anleiter ihres Tuns, der für sie, die Herde, den zu denkenden Weg beschreibt auf Erden – inklusive der Verheißung, nach dem Tode eine Belohnung zu erhalten bei pflichtgemäßer Ausübung der Rituale im jeweiligen Laden. Das ist staatenbildend in der menschlichen Vergangenheit und nur logisch ab einer nennenswerten Größe von Gruppen, dass diese Welterklärer hervorbringt, die kämpferisch eine besondere Identität ihrer jeweiligen Familie definieren, danach trachten, diese auszuweiten. Ein Mensch, der weiterdenkt, kommt nicht umhin, einen Rest des eigenen Verstehens, ein Wissensvakuum auszumachen. Manche nehmen das hin, andere begreifen, dass es so ist, und wieder welche nutzen das aus. Sie erklären das nicht zu Erklärende. Das hat den menschlichen Fortschritt vorangetrieben. Ohne diese Denkarbeit wären christliches Verzeihen und freie Demokratien undenkbar. Die negativen Seiten kollektiven Glaubens sind aber unübersehbar, extremes Mitlaufen.

# Das starke Selbst

Glaube schließt Selbstbewusstsein nicht aus. Die Kirche, so wie wir sie heute erleben, wird nicht mehr von allen insgesamt getragen. Es gibt in unserem Land keine Gesellschaft, breite Masse wie früher, die sich weitgehend katholisch oder evangelisch aufteilt. Da sind so vielfältige Auffassungen, was den Glaube betrifft bei uns, dass dieser grundlegende Wandel Anlass gibt, sich diese Menschen genauer anzuschauen, die in der gewöhnlichen Kirche bleiben. Sind nahezu alle im Lande religiös und auf wenige Blöcke verschiedener Glaubensgemeinschaften verteilt, wie es in Deutschland typisch war, finden wir auch alle Charaktere, sämtliche Spielarten des menschlichen Daseins in den Gotteshäusern vereint. Wenn man in die Kirche geht, weil es sich eben so gehört, treffen sich dort auch welche zum gemeinsamen Beten, denen es ansonsten im Leben wichtiger ist, ihre individuelle Existenz auszugestalten. Heute verbleiben hauptsächlich unsichere Typen, emotional labile Menschen und viele Frauen in den Gemeinden. Die Weiblichkeit erkennt ihr neues Terrain, sich gerade hier in der Kirche zu beweisen. Verbliebene Männer werden vom Rest der Gesellschaft nicht ernst genommen. Das eigentlich Traurige dieser Entwicklung ist, dass der Eindruck entsteht, Gläubigkeit sei was bloß für Idioten oder Extremisten. Nicht nur der Islam bietet seinen fruchtbaren Boden, darauf bösartiges Saatgut hochzuzüchten. Man muss nur über den großen Teich schauen, sich die Republikaner um Donald Trump anschauen, um eine Idee davon zu bekommen, wo die Reise hingehen könnte.

Selbstbewusstsein hat so viele Gesichter, wie es individuelle Ansichten gibt, die lohnen. Es gibt keinen Gott, der schlichtes Mitlaufen fordert. Wohl aber haben wir die (früher so genannten) Bauernfänger. Sie benötigen naive Menschen, in ihrem Verein die Masse zu bilden. Was nun eigentlich selbstbewusst zu sein bedeutet, mögen einige Beispiele anschaulich machen. Sie möchten diese uns allen dringlich nötige Qualität schmackhaft machen, sie zuallererst zu erlernen und erst anschließend sich dem Gegenüber zu öffnen. „Erst komme immer ich und dann die Umgebung“, klingt nach dem Vorschlag, zum Egoisten werden zu müssen: Mit dieser Headline dürfte man scheitern, als Ratgeber ernst genommen zu werden. Die Erfahrung lehrt aber, gesundes Leben bedingt, dass sich der Organismus zunächst um die ihn selbst betreffenden Belange kümmert und erst anschließend Ressourcen freigibt für andere. „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“, ist ein bekannter Aphorismus. Absolut selbstlose Hilfe erkennt man nur im äußersten Notfall, wo der Mutigste alles riskiert, noch wo Leben zu retten. Unser Alltag ist nicht so.

Nötig ist also weniger eine Abrechnung mit dem Glaube, ihn zu verdammen. Viele wenden sich zornig von der Kirche ab. Tatsächlich begreifen Austretende, dass sie von einer sozialen Struktur verarscht werden, die kaum etwas mit ihren Vorstellungen zu tun hat. Niemand kann Schluss machen mit Gott, aber sehr wohl mit Götzenbildern. Aus der uns umgebenden Allmacht des großen Ganzen tritt keiner aus, weil wir über unser Dasein nicht vollumfänglich verfügen, nicht durch unseren Willen, nicht mithilfe der Wissenschaft oder Technik. Auch die Behauptung, Atheist zu sein, befreit niemanden davon, als Teil der Welt sich mancherlei beugen und anpassen zu müssen. Wie ein Glaube jenseits der Kirche aussehen könnte, wollte ich wissen. Mich schreckt die triviale Einfalt unserer Dorfgemeinde, das intrigante Besengtsein. Noch länger Teil dieser doofen Weibsen zu sein, ist vollkommen unnötig. Ich zahle meine Kirchensteuer, und gut ist. Ich bete nie.

Unser Dorf als ein Lernfeld, Selbstbewusstsein zu entwickeln? Es wurde langsam Zeit, das ist das eine, sich weiterzuentwickeln, und dann sind die hier ja so blöd. Das, mal so dahin gesagt, ist mein hilfloser Versuch, sich in dieser Sache zu erklären. Kein „Ich“ wäre denkbar ohne das jeweilige Umfeld. Das ist schon mal ein guter Grund, die eigene Position ganz allgemein hinsichtlich Beziehungen aller Art zu überdenken. Mir ist inzwischen klar, dass niemand mich respektierte. Politik, Kunstkreis, Kirche, da gehöre ich nicht hin. So wie ich mich selbst gesehen habe, wurde ich jedenfalls nie wahrgenommen. Ganz sicher ist das auch heutzutage nur allerhöchstens ein ganz klein wenig besser. Kaum jemand scheint mich so zu schätzen, wie ich’s mir wünschen würde. Meine innere Einstellung und die Wahrnehmung meiner Befindlichkeiten, das Bild vom Gegenüber, nicht nur im Dorf, meine Sicht auf die Nachbarn, also quasi mein Weltbild, die Einschätzung, was von den anderen zu erwarten ist, haben sich aber deutlich geändert.

Was Selbstbewusstsein überhaupt sein könnte, erweist sich mir allein schon als lohnende Aufgabe, denn es ist keine feste Größe, wechselt immer ein wenig mit der Situation. Das wirft uns wieder zurück auf unser Schicksal, einen Boden unter den Füßen vorzufinden, einen Himmel mit Wettergeschehen über uns, und manche Begegnung mit anderen kommt vor. Wie dem Ganzen gegenübertreten? Das dürre Gerüst meiner kirchlichen Ausbildung zum kaum besseren Laien in Glaubensfragen nach der Konfirmation, hat manche Enttäuschung bereitgehalten. Die psychiatrischen Hilfsangebote, die ich zwingend annehmen musste, weil ich erkennbar nicht klargekommen bin, haben sich hingezogen und einen Leidensweg zum normalen Alltag werden lassen. Mir geht es heute besser, aber mit sechzig ist das Leben weitestgehend vorbei. Ich habe mich wie ein Idiot verhalten, das jedoch gilt nicht als Dummheit. Man nennt es Erkrankung. Die Idioten sind also diejenigen, die es nicht hinbekamen, mich auf den rechten Weg zu geleiten, Eltern, Lehrer, Kirchenleute und nicht zuletzt die Psychiater versagten, darf man’s so sehen? Das wiederum kauft dir niemand ab. „Selbst schuld ist er“, denken die Leute (auch wenn sie es nicht direkt aussprechen).

Mir doch egal. Einige Beispiele, was mir heute Selbstbewusstsein bedeutet, mögen folgen. Das wird keine Belehrung oder Ratgeber. Mir war nicht klar, wo ich hingehöre oder wie man mich sieht, weil ich mich selbst nicht wahrnehmen konnte. Es ist nicht schwer, wenn man irgendwo im Café sitzt und Zeit hat, vorübergehende Leute anzuschauen, ihre so unglaublich individuellen Haltungen, die persönliche Kleidung, ihren Ausdruck zu beobachten, um bald einen Eindruck davon zu gewinnen, ob sie sich ihrer selbst bewusst sind oder eher nicht. Wie viel schwerer es sein dürfte, andere effektiv zu unterweisen, was diese ändern könnten, ja müssten, um vitaler zu leben, kann man sich ausmalen. So bleiben dem, der dazulernen durfte, das bin ich, einige Beschreibungen.

# Illustration

Ich bin einem Beruf nachgegangen, bevor ich Künstler wurde. Ich studierte informative Illustration bei Gero Flurschütz an der Armgartstraße, der Fachhochschule in Hamburg, wo man heute den Mediencampus erkennt. Ich machte ein Diplom mit Bestnote. Dann startete ich erste Versuche zu arbeiten. Dabei klappte zunächst gar nichts. Offenbar hatte ich nie weitergedacht, als bis zum Abschluss der Ausbildung. Eine gute Note wollte ich und das Lob, die menschliche Nähe meiner Lehrer. Die Berufswelt ist anders. Es genügt nicht, sich beliebt zu machen. Mein Talent war hier nur so viel wert, wie es dem Auftraggeber nützlich schien. Es ging also beim Bewerben nicht darum, was in der Mappe mal unter den damaligen Bedingungen entstanden war, dafür Bewunderung einzuheimsen, sondern ob ich angesichts meiner kreativen Wurzeln eine Persönlichkeit repräsentierte, die zukünftig zielgenau und termingerecht ablieferte. So weit dachte ich nie, schaute nicht nach vorn. Ich begriff nicht, was die Kunden genau brauchten und ich ihnen ihre Themen genauso machen sollte wie die bisherigen (die sie gut verkauften). Ich bewarb mich bei verschiedenen Sachbuchverlagen. Wenn ich überhaupt einen Auftrag bekam, fand ich es zudem schwierig, die Aufgabe umzusetzen. Alles war ganz anders als in der Schule.

Bei einem für mich vielversprechenden Verlag (mit Dependance in Hamburg) scheiterte ich nach einigen Anläufen. Es kam probeweise zu einem größeren Maling. Ich galt als Nachwuchs und hielt mich für talentiert. Das Thema für ein Kindersachbuch waren die Urmenschen. Eigentlich eine lohnende Aufgabe, doch ich kam überhaupt nicht zurecht mit der Realität eines Buchillustrators. Ich musste nachträglich einen Blitz in das Bild einarbeiten, weil der Auftraggeber unzufrieden war. „Wie kam das Feuer zum Menschen?“ Dafür reichte keine stimmungsvolle Szene nach dem Motto, die Kunst liege im Weglassen. Ein Illustrator erzählt: Der Blitz fährt vom Himmel. Ein Gebüsch fängt Feuer. Menschen klauben unter Lebensgefahr ein brennendes Scheit aus dem Haufen. Andere kümmern sich um die Jagd. Sie schlachten einen Bären. Ein Bild habe einen Vordergrund, eine Bildmitte und einen Hintergrund, wurde ich belehrt. Ich „könne nicht zuhören“, schalt mich der für Illustration Verantwortliche F. im feinen Flottbek.

Die Besprechungen fanden zur Weihnachtszeit bei ihm zu Hause statt. Ich erinnere, er hatte sich einen doppelt gewachsenen Weihnachtsbaum vom Händler gekauft oder auch selbst im Wald geschlagen. Ich sollte mir das ansehen. Der Baum stand bereits geschmückt am Fenster. Der Stamm teilte sich gleich oberhalb vom Fuß. Dort wuchsen zwei armdicke Stränge zwillingsgleich bis unter die Decke mit ihren Spitzen nur wenige Zentimeter auseinander. Der Verlagsmann war sichtlich eingebildet auf diese Besonderheit, dass ihm eingefallen war, gerade diese Tanne genommen zu haben, die sonst keiner wollte. Ein Lebemann mit Stil, dunkles Mobiliar, feine Teppiche, eine kleine Villa oder doch ein Bungalow mit Garten; so genau weiß ich’s nicht mehr. Dieser Herstellungsleiter des wichtigsten Sachbuchverlages hielt nichts von meinem Professor. Das ließ F. schon durchblicken, ich wäre nicht der erste, der gekommen sei und es nicht konnte: Er spottete über meinen Lehrer, der habe keine Ahnung. Das war eine Demütigung, mehr noch als eine Lehrstunde. Diese Kritik belebte nicht. Ich hatte mit Auszeichnung abgeschlossen und erfuhr, dass ich das, wofür ich ausgebildet wurde, nicht beherrschte? Es schien zu stimmen. Ich gab innerlich auf in diesem Moment. Vielleicht hätte ich, angemessen unterwiesen, besser illustriert? Was wir machten, galt als Studium. Heute möchte ich sagen, dass es das, jedenfalls für mich, nicht gewesen ist. Andere lernen anderswo mehr in kürzerer Zeit.

Das Bild mit dem nachträglich eingemalten Blitz wurde gedruckt.

Das war’s. Der letzte Donner offenbar, anschließend Funkstille: Bei diesem Marktführer des Kindersachbuchs bekam ich nie wenigstens „ein Bein an’ Grund“, wie wir in Hamburg sagen. Ich probierte es einige Jahre später noch einmal, dort einen Auftrag zu bekommen. Ich arbeitete zu der Zeit für einen Kollegen, der ganz gut mit diesem Verlag zurecht kam. Der Illustrator hatte seinen Abschluss an der besagten Schule „Armgartstraße“ wenige Jahre früher gemacht. Einige Jahre älter, wurde K. uns Neulingen im Beruf auch vom Professor (mit dem wir gern Kontakt hielten), empfohlen, ihn kennenzulernen und von seinen Erfahrungen zu profitieren. Es gab inzwischen ein kleines Büro für Illustration, das K. als Spezialist für Jugendsachbücher mit einem Partner in Altona angemietet hatte. Diese Künstler waren umtriebig, den Nachwuchs insgesamt zu einem Hamburger Pool für gerade solche Zeichner zu etablieren. Wir versuchten also bei einer Art Sammelbewerbung mehrerer Studenten, die dieser Illustrator um sich scharte, mich ins Geschäft zu bringen. Ein anderes Thema, und ich musste nicht selbst vorstellig werden. Ich hatte K. davon berichtet, wie schief das damals mit den Urmenschen gelaufen war. Wir glaubten, ein neuer Anlauf könne doch über die Qualität der Arbeit gelingen, und ich selbst als Person wäre eben bloß Mitarbeiter beim versierten Profi. Ich scheiterte erneut. Der liebe Kollege, der dort ein und aus ging beim Verlag, geschätzt als zuverlässiger Macher, präsentierte allein vor Ort die Arbeiten mehrere Nachwuchsillustratoren insgesamt.

Mein Name fiel, und F. sagte (wurde mir berichtet):

„Bassiner. Guter Maler, aber kein Illustrator.“

# Delius Klasing und „Yacht“

Ich probierte, zu meiner Spezialität zu finden. Im maritimen Sektor fühlte ich mich besser aufgehoben. Ich bin Segler. Durch hartnäckiges Wiederkommen in der „Edition Maritim“ gelang mir, so weit Eindruck zu machen, dass ich zur Segelzeitschrift „Yacht“ weiterempfohlen wurde. Damit begann eine jahrelange Zusammenarbeit mit dem Delius Klasing Verlag. Ich wurde Teil der Digitalisierung. Mit dem Mac gekonnt zu zeichnen, festigte mein Vertrauen dazuzugehören. Ich war nun einer wie die anderen und richtig im Beruf. Es hat aber nicht ewig funktioniert: Das moderne Tun beendete schließlich genauso meine berufliche Karriere wieder, weil ich nicht verstand, meine Arbeitsweise weiterzuentwickeln entsprechend der voranschreitenden Zeit. Ich lernte nie zu denken. Ich tat, was ich anfangs nach dem Studium begriff: Jeder bekam Aufträge, der überhaupt einen Computer verwendete.

Das ging dann eine Zeit lang so gewohnt.

Es hat mir gefallen, Infografik zu machen. Wir lieferten zunächst die Daten auf Diskette. Dann brannten wir CD-Rohlinge. Man setzte sich in die U-Bahn und brachte seine Werke zum Kunden. Eiliges transportierte „Der Kurier“ oder „Die Funkpiloten“, und wir Künstler malten gelegentlich noch auf Schöllerhammer. Das musste abfotografiert werden für den Druck. Später wurde vielerorts digitale Sendetechnik installiert. Man telefonierte vorab: „Helmut, schalte den Leonardo an. Ich schicke dir zwei Karten, eine ist für Martin, der Mittelmeer-Törnbericht, die andere kommt … usw.“ Wir nutzten erst spät die E-Mail, um die Grafiken nun als Anhänge zu versenden. Das ungewohnte Medium schien uns nicht vertrauenswürdig. Die Technik erwies sich anfangs als nicht leistungsfähig genug für die erforderliche Datenmenge. Die neue Entwicklung verlegte bald die Verlagsproduktion ins Internet. Die Printmedien verloren an Auflage. Ich realisierte nicht, was das für meine Tätigkeit mit sich brachte. Im Verlauf des Arbeitslebens müssen alle Flexibilität entwickeln. Es genügt nicht, bloß mitzubekommen, dass Neues aufkommt. Kluge Menschen passen sich an. Das gelang mir nicht.

Mein Fehler ist ein Mangel an sozialer Kompetenz und nicht die technische Entwicklung. Das macht es für mich noch schwieriger zu durchschauen, warum ich scheitere (bis heute). Ich sehe unsere Welt durch eine Brille und weiß nicht, dass ich diese trage, noch verstehe ich, ohne sie scharf zu sehen. So könnte man meine Macke beschreiben.

„Herr Bassiner, Sie haben jetzt alles digitalisiert, was es an Segelbüchern gab im Verlag.“

„Machen Sie denn keine neuen Bücher mehr?“

„Die kaufen wir fertig in England ein.“

Oder, das Scheinselbstständigengesetz von Gerd Schröder, das sollte gerade uns helfen? Es betraf mich als Person wie folgt bei Europas größtem Segelmagazin, für das ich wöchentlich zeichnete: „John, wir reduzieren unsere Mitarbeiter auf Honorarbasis, reduzieren auch die Grafik, benötigen deine Karten nicht mehr. Geh los, mache Akquise woanders. In einem halben Jahr musst du aufhören.“

„Kann ich bei euch eine Festanstellung erreichen?“

„Wo denkst du hin? Das halte ich für ausgeschlossen.“

Ich wurde dank der Buchherstellung, meiner Zuverlässigkeit wegen im geringen Umfang weiterbeschäftigt. Einmal fiel dieser Satz, mich darauf aufmerksam zu machen, wie sehr ich mich dem Hause anpasste: „Ich bin ja nicht ihr Chef, Herr Bassiner.“ Ich empfand mich offenbar wie angestellt? Ich schätzte die Kollegialität, ohne nenneswerten Verdienst einzufordern, Sozialabgaben zu erhalten. Ich sorgte nicht für meine Existenz, wie man es tun muss.

Mal verschob ich den eigenen Urlaubsbeginn um ein paar Tage, weil der Lektorin gefiel, sämtlich die gemachten Karten in einem Detail der Beschriftung zu bemäkeln. Sie hatte recht. Ich sah meinen Fehler ein. Ich korrigierte, lieferte ab, fuhr mit der Bahn nach auf die Sonneninsel, wo meine kleine Familie sich bereits im Urlaub befand. Im Herbst wunderte ich mich, dass nichts zum fertigen Büchlein geschah, erfuhr nebenbei von der Herstellung, man habe das in die Frühjahrsproduktion geschoben. Mit mir hatte das nichts zu tun. Hätte ich’s gewusst, wären die Nachbesserungen problemlos zwei Wochen später durchgegangen.

Hier gilt es nicht, die Strukturen der anderen zu kritisieren: Ich kümmerte mich nie um mich und meine Belange, sah nicht nach vorn, segelte der Zeit hinterher, trat nicht für mich ein, entwickelte kein eigenes Standing. Heute denke ich anders. Wir fahren noch immer im Sommer an die Ostsee. Einige eher amüsante Zeilen fallen mir ein zu beschreiben. Was macht schon, wenn der Rücken aufbegehrt, wir haben Urlaub.

Uns geht es gut!

# Abgeschossen

Mit kapitalen Rückenschmerzen lahmgelegt, setze ich mich auf den Beifahrersitz, erster Urlaubstag, meine Frau muss fahren, weil ich das nicht kann. Zwei Wochen in der Ferienwohnung stehen an. Ich benötige genau eine Woche, um diesen Ischiasnerv freizubekommen mit mancherlei Turnerei. Hexenschuss, jeden Tag schießt dazu noch meine liebe Gattin verbale Kanonen auf mich ab:

„Geh zum Arzt. Lass dir eine Spritze geben. Nimm eine Ibuprofen. Man fährt nicht in den Urlaub, um dann in der Wohnung Übungen zu machen. Man möchte an den Strand. Das mache ich jetzt eben allein, und wenn du so doof bist und lieber leidest – usw.“

Für mich stellt sich die Sache als faszinierende Aufgabe dar! Die ersten drei Tage probiere ich noch, meine Beschwerden auf der mitgenommenen Isomatte am Boden unten wegzubekommen. Dann begreife ich leider, dass zwar eine leichte Besserung durch Versuche, etwa das Becken wie sonst zu rollen, gelingt, und manche erlernte Bewegung hilft mir auch, aber es ist schier unmöglich, nur irgendwie auf eine gewohnte Weise wieder hoch zu kommen. Dabei tut es schließlich doch wieder weh. Anschließend mancher Krabbelversuche und unter Inanspruchnahme der Möbel, Tisch und Stuhl, mich dran hochzuziehen, komme ich in den Stand – mit denselben Schmerzen wie vorher.

Das ist Vergangenheit.

Ich wurde besser. Ich übte im Sitzen auf einem Stuhl, übte aufzustehen, mich hinzusetzen, Schmerzen zu minimieren. Ich schwankte im Stand, wie einst gelernt vom israelischen Physiker Moshé Feldenkrais. Ich legte mich auf die Couch, lernte wieder aufzustehen, und es ist einfacher, kann ich sagen, als vom Boden hochzuwollen. Nach einer Woche sind diese Schmerzen beinahe komplett weg gewesen. Mein Frau schimpfte täglich, wie beschrieben, ich könne gelähmt werden. Tatsächlich war der Zwischenraum zwischen dem Großen Onkel links und der anschließenden Zehe taub jeden Morgen, wenn ich aufwachte. Die ersten Schritte nach dem Liegen auf der weichen Matratze waren mühsam. Die zweite Woche verlief schmerzfrei, wenn ich nicht längere Zeit am Ipad zum Schreiben saß. Dann war das Aufstehen nicht ganz einfach.

Warum ich das alles erzähle: Sich selbst bewusst zu werden, nicht vom Boden aufstehen zu können, ohne die abenteuerlichsten Bewegungen machen zu müssen, zeigt doch so wunderbar, dass Selbstbewusstsein eben nicht heißt, toll aussehend herumzustolzieren.

# Ein Pfeiffer

Beim Bäcker kenne ich mich nicht aus. Ich gehe nach rechts, wo welche scheinbar warten, nehme dort eine Zeitung, begreife, die beiden Kunden vor mir werden (doch) schon bedient. Sie bekommen jetzt belegte Brötchen und ihren Kaffee. Die bleiben? Ich orientiere mich also nach links, aber da steht inzwischen an der Spitze einer Schlange der nächste Mann, der wohl annehmen könnte, dran zu sein? Jetzt kommt ein Mädchen von hinten, auf der anderen Seite vom Geschäft, schaut mich direkt an, fragt: „Wer ist dran?“ Ich hebe spontan, ohne überhaupt zu überlegen, die Hand, sage: „Ich!“, und trete beherzt genau vor den Fremden an den Verkaufstresen.

„Moment mal!“, entrüstet sich der andere Kunde.

Ich zögere keinen Moment:

„Oh“, sage ich erstaunt, „waren Sie eben auch schon da?“ Mir kommt diese Erklärung gelegen, weil sie wahr ist: „Ich ging ja gleich zu den Zeitungen“, entgegne ich, „bis ich begriff, die beiden da“, dabei zeige ich auf die Leute, „sind Gäste drüben im Café.“

Einlenken scheint angemessen: „Aber bitte“, sage ich allerfreundlichst, „gehen Sie ruhig vor, möchten Sie?“ Er winkt ab, und ich bekomme meine Brötchen.

Die Verkäuferin zögert gar nicht und grient mich extralieb und allerfeinst an.

Gleich danach:

Dann bin ich unten, mein Fahrrad freizuschließen. Da kommt der Typ von eben, unterwegs zu seinem Wagen, direkt bei mir vorbei. Ich schaue hin, schon eine Freundlichkeit auf den Lippen, denke noch, etwas Entspannendes zu sagen. Aber – der Mann schaut mich nicht an. Er sieht demütig aus, pfiffelt eine unklare Tonfolge, ist unsicher. Das ist weniger als eine Melodie: „Füt, füt fü-üt.“ Der tappert so längs. Ein Vogel Strauß passiert.

Wir sagen nichts.

So lebe ich heute. Früher, ich erinnere mich, einmal war das nach dem Dienstagssport, da ging K., ein Freund, direkt an mir vorbei. Offensiv ignorierte der mich! Er schien durch mich hindurchzusehen.

„Hallo K. – ich …“, zwecklos.

Der Grund? Schräg hinter mir packte F., ein bekannter Segelmacher bei uns, seine Sporttasche. Und das war es, K. hatte den im Blick. Es galt ihm, zügig ein bereits begonnenes Gespräch mit dem – für ihn – wichtigen Partner weiterzuführen! Mein Freund spazierte direkt an mir vorbei ohne Reaktion, um dem anderen zu sagen:

„F., was ich noch …“

Dann erörterten die beiden ihr Thema. Ich werde das nie vergessen. Eine vollkommene Belanglosigkeit und definitiv keinerlei böse Absicht, aber mich kränkte dieser Moment, den ich mir bis heute ins Gedächtnis rufen kann.

Jeder macht so etwas und denkt sich nichts dabei.

# Weiter und mehr davon

Ich kaufte mir einen gebrauchten, weißen Golf. Das war bei einem VW-Händler. Ich hatte keine Ahnung, fragte vorsichtshalber: „Hatte das Fahrzeug einen Unfall?“ Der Verkäufer verneinte. Ich bezahlte bar, dann fuhr ich ab. Das Auto behielt ich mehrere Jahre. Als ich mit meiner späteren Frau zusammen kam, beschlossen wir, unsere Fahrzeuge zu verkaufen. Wir benötigten keine zwei Autos. Ein größerer, aber zukünftig gemeinsam genutzter Wagen schwebte uns vor. Wir waren gerade in eine Wohnung zusammen gezogen, und zwar in Bahrenfeld, im Hamburger Westen. Ich bot den gebrauchten Golf an, und einige Interessenten kamen, bis ich das Auto schließlich verkaufte. Jeder dieser möglichen Käufer benötigte nur einen einzigen Blick auf den hinteren Kotflügel: „Das ist ein Unfallfahrzeug.“ Sie fragten nicht. Sie stellten es fest und zeigten mir genau, was gemacht worden war. Es war einfach zu erkennen, wenn man nur ein ganz klein wenig von Autos versteht. Die waren freundlich, diese Leute, nicht bereit, das Auto zu kaufen, und ich lernte dazu. Die am Fahrzeug Interessierten unterstellten zunächst, ich wolle was vertuschen? Sie begriffen, dass man mich getäuscht hatte, ich den Golf arglos gefahren war. Die Versierten wiesen auf die Ungeheuerlichkeit hin, mir wäre der offensichtliche Betrug, den Gebrauchtwagen unter Verschweigen der Unfallhistorie zum vergleichsweise guten Preis anzubieten, in einem Hamburger Autohaus passiert. Der Händler ist auf solche Fahrzeuge spezialisiert. Man riet mir, weniger Geld zu verlangen. Der den Wagen schließlich kaufte, wollte ihn im Ausland gebrauchen, sah keine Probleme, obwohl auch er den alten Schaden genau unter die Lupe nahm. Ich hatte meine Preisvorstellungen angepasst. Das Auto ging in den Kosovo.

Dann kauften meine Frau und ich zusammen einen grünen Kombi. Auch das geschah in einem Autohaus. Der Opel hatte wenig Kilometer gelaufen und einen bezahlbaren Preis, fanden wir. Als wir anderntags nach einer kurzen Besichtigung zur Probe fuhren, bereits das Geld im Portemonnaie, schlug der Tacho nicht aus. Wir kamen zurück mit dem Wagen, Sekt war bereitgestellt für uns. Auf der Wiese vor den Schaufenstern mit ihren Autos standen drei obere Opelaner und hatten Blumen für meine Frau in der Hand. Da merkten wir den Fehler an. Dem Verkäufer war das hochnotpeinlich. Ein bis zu diesem Moment ausgesprochen smarter junger Mann; er hatte auch einige Geschichten erzählt über den Vorbesitzer, der sich spontan entschlossen habe, den ganz neuen Nachfolger dieses Modells zu kaufen und seinen grünen Liebling dafür abzustoßen. Der Händler reagierte erschrocken, als wir das vom nicht anzeigenden Tacho berichteten. Ein unglaublicher Patzer. Sein Gesicht rötete sich. Er schwitzte. Das erinnere ich genau. Meine Frau und ich, wir dachten uns gar nichts dabei. Mir ist das erst später wieder eingefallen. Offenbar war die Sache leicht zu reparieren? Es dauerte nur Minuten. Man befestigte den Überträger am Instrument, und wir fuhren ab mit unserem ersten gemeinsamen Auto.

Nach nur einem Jahr war die Kupplung im Arsch. Inzwischen mit Kind ins Grüne umgezogen, fanden wir unsere Werkstatt am neuen Wohnort. Die Fachleute rieben sich die Augen: Eine teure Reparatur und ungewöhnlich früh für das Alter, die bereits gefahrenen Kilometer. Sie hielten sich vorsorglich bedeckt auf meine Überlegungen hin. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Mir hat man immer gleich angesehen: „Mit dem kann man’s machen, der merkt nix.“

Jeder hat mich übergangen, und ich merkte nichts.

# Die Freiheit wollen wir, und was kommt dabei heraus?

Hier geht es um die Frage nach dem freien Willen, und sie kann bekanntermaßen nicht beantwortet werden. Wer sich also auf sich selbst besinnt, mag von anderen gelegentlich als Egoist oder Narzisst beschimpft werden, und wenn es keinen freien Willen gibt, dann hat Gott diese arme Sau zum Scheißesein gezwungen, weil es eben so festgelegt wurde? Das ist dann seine Strafe auf Erden, mag sich jemand einreden, wenn er sich darin sonnen möchte, als Gutmensch zu glänzen. Paradoxer geht es nicht, als einerseits anzunehmen, gottesfürchtig zu wandeln und andererseits alle abzustrafen, die es nicht tun, wenn letztlich kein Zufall oder eigene Verantwortlichkeit gültig wäre. Sich selbst dahingehend zu erkennen, was dem eigenen System, der Struktur, dem Körper im Raum seitens des eigenen Verhaltens gut tut und was nicht, den Weg gemäß solcher Erfahrungen anzupassen, gelingt nicht jedem gleich gut. Wer sich als Wesen lieben lernt und freundlich zum Selbst wird, kann kaum sein Umfeld ignorieren, wird Freundlichkeit schätzen. Wer hingegen, wie er meint, und weil er’s glaubt zu müssen, lieb in den Wald hinein ruft, mit der bedingungslosen Erwartung auf ein freundliches Echo, sollte sich nicht wundern, wenn die Bäume ausschlagen, ihn treten wie böse Pferde und nicht nur grün im Mai.

Wir werden abgezockt, falls wir schwach sind. Das ereignet sich immer dann, wenn ein Geschäft zu machen bedeutet, dass der Händler einseitig einen Vorteil hat von Beginn an. Es kommt, weil das beispielsweise ein Fachmann ist, und wir so gesehen abhängig sind. Das gibt diese Berufe mit einem Machtvorsprung, wo wir auf die Redlichkeit unseres Gegenüber angewiesen sind. Der Staat sollte unter unseren Augen transparent sein, und manchmal durchschauen wir seine Fehler, die uns Geld kosten, weitere Gefahren heraufbeschwören. Politiker werden abgewählt, wenn sie uns bescheißen. Polizisten hingegen sind nicht einfach zu durchschauen. Man braucht schon mal des Anwalts Hilfe. Wenn jagdgeile Ordnungshüter uns auf dem Kieker haben, nutzen sie das Gewaltmonopol des Staates zum einseitigen Vorteil ihrer Behörde für sich aus. Ebenso die erwähnten Autohändler können dem Käufer überlegen sein. Die haben gegebenenfalls einen Wissensvorsprung, wenn wir von Fahrzeugen keine Ahnung haben. Ärzte können uns erheblichen Schaden zufügen. Die Liste ließe sich noch fortsetzen.

Wir armen Menschen. Viele richten sich an anderen aus statt an den eigenen Bedürfnissen. Das ist das Ergebnis falschen Lernens zu leben. Eine Erziehung ging dem voraus, die auf subtile Weise Kontrolle erzwingen wollte, weil diese Eltern unreife Menschen gewesen sind. So werden Kinder zu Jugendlichen, die schließlich Erwachsene genannt werden, ohne das zu sein. Von Beginn an in ihrer Entwicklung unterdrückte Lebewesen, erkennen ihre eigenen Motive, die Emotionen, die sie antreiben, vordringlich auch die Ängste nicht, weil sie auf die Erklärung von Außen warten, was ihnen geschieht. Sie sind anfällig, anderen nachzulaufen, entwickeln eine Anpassung, die sich am Umfeld ausrichtet, ohne notwendige Selbstreflexion. Sie glauben schließlich alles Mögliche. Das sind die, die heute noch beten wie im Kindergarten, es sind die, die an Verschwörungstheorien glauben. Sie lassen sich manipulieren, werden psychisch krank und glauben dann dem Arzt, was der ihnen sagt. Wenn sie sich doch mit dem Psychiater zerstreiten, gehen sie anschließend jemand anderes auf den Leim. Ein anderer Arzt oder auch sonst wie ein Lebenspartner nimmt sie aus. Die meisten dieser Zeitgenossen werden nie erwachsen, obwohl es ihnen möglich wäre, das nachzuholen, wenn sie nur wüssten wie.

# Ärzte verdienen

Alle haben irgendwann ihren Krebs heute, so scheint es. Mir kommt das wie ein großes Geschäft vor, ein Geschäft mit der Angst. Vor einigen Jahren, das war noch in der Pandemie, bin ich mit meinen nicht aufhören wollenden Magenbeschwerden zum Arzt gegangen. Dieses Unwohlsein mit Sodbrennen, es wird als „Reflux“ bezeichnet, habe ich noch immer. Ich machte die angeratene Magenspiegelung nicht, ging nicht wieder hin zu dem Arzt. Das lief wie folgt: Ich war misstrauisch. Der Arzt schaffte nicht, mein Vertrauen zu gewinnen. Das war ein Test für mich, mein früherer Hausarzt ist Rentner geworden. Ich probierte diese Praxis hier in der Nähe aus auf eine Empfehlung. Der Arzt hörte sich meine Beschreibung an:

„Sie sind aber lebhaft.“

Ich erklärte, was mich plagte, aber nach wenigen Worten winkte er ab: „Sie müssen nicht weiterreden.“

Er fühlte meinen Puls, das war alles. Ein Männchen ohne Muskeln, klein, ganz in Weiß, auch die Maske; der nahm die FFP2 nie ab. Es war ja noch Corona. Ich kenne sein Gesicht nicht bis heute. Der Mann erklärte ohne weitere Untersuchung (er fasste mich nicht an), ich hätte vermutlich aufsteigende Magensäure. Genaueres wüste man erst nach einer Spiegelung. Der Arzt verschrieb Säureblocker und fertigte eine Überweisung für den Gastroenterologen an. Er gab mir eine Visitenkarte dazu, welche Praxis das machte, seine Empfehlung. Der Mediziner erklärte vielsagend, es könne auch Magenkrebs sein. Er fragte mich: „Kennen Sie Theodor Storm?“ Ich bejahte.

„Der hat darüber geschrieben.“

Er machte eine bedeutungsschwere Pause.

Dieser schmächtige Weißkittel im überdimensionierten Armchair beugte sich hinter dem Arzttisch vor. Er betonte dramatisch, durch die Maske näselnd, die sein eher kleines Gesicht nahezu verschluckte, eine weiße Schnauze, die Worte des großen Dichters:

„Ein Hauch nur, dass man es bemerke.“

Menschen erkennen offenbar einen Feind im Körper, den Krebs, und kämpfen dagegen, wie sie sagen, mit den jeweils empfohlenen Therapien. Ich bleibe ausgesprochen skeptisch, inwieweit ein solcher Kampf nicht auch das Kreieren einer Fiktion ist. Gegen sich selbst zu kämpfen, erscheint mir ein sinnloses Unterfangen. Der Krebs als Krankheit bekommt durch seine Benennung etwas Stoffliches, Fremdes, und tatsächlich können Tumore raus operiert werden aus unserem Körper. Dann kommt „der Krebs“ aber oft zurück, und wir definieren mit dieser Begrifflichkeit zunächst einen Gegner insgesamt. Wir sagen nicht, der Tumor wäre zurückgekommen, sondern der Krebs. Wie wir umgehen wollen mit einer generell tödlichen Krankheit, steht uns frei in einer Zeit, wo so viele medizinische Möglichkeiten unser Leben verlängern können.

Wir dürften uns erlauben, darauf zu verzichten?

# Haut alles drauf auf unsere Haut

Eine gerade von mir entdeckte Stelle am Unterarm, gibt erneut Anlass, darüber nachzudenken. Hautkrebs ist omnipräsentes Thema wie jede andere Ausprägung dieser Erkrankung. „Gut behandelbar“, ist so eine Phrase, die man hört, wenn frühzeitig dagegen angegangen würde. Muss man das machen? Die Sonne greift uns an, denke ich, der Arzt verbal: „Sie müssen kämpfen –, wann wollen wir operieren?“

Von allen Seiten dringt etwas auf uns und sogar in uns hinein, macht kaputt.

Einen Gott jedenfalls, der gerade mir hilft aus dem Grunde, weil ich dran glaube, kann ich nicht erkennen. Wer räumt mir Brocken aus dem Weg, wenn nicht ich selbst? Wo ich mich dazu aufraffe, Probleme zu definieren, werden mir Lösungen in den Sinn kommen. Blockaden und Feindseligkeit erkenne ich überall, weil ich unterwegs bin. Widerstand ist normal. Ich klopfe an, und manchmal hilft jemand, ein anders Mal geschieht es nicht, dass eine Tür aufgeht. Das Gebet bleibt eine unsinnige Telefonleitung ins Nichts, es sei denn, ich blende sämtliche Kümmernisse meines Lebens duldsam aus, nehme das als Prüfung vom Herrn? Dann freute mich aber nicht einfach, dass etwa der Bus kommt, wie ohnehin im Fahrplan angezeigt. Ich glaubte (als so eine Art Gläubiger), dass es meinetwegen geschieht, wenn er in dem Moment auftaucht, wo mein Blick ihn in der Ferne erkennt, sagte: „Endlich. Wusste ich doch, er kommt.“ (Ein Beispiel von Watzlawick zugegebenermaßen). Dafür, nun zufrieden zu sein, genügte eine fröhliche Haltung insgesamt und einfache Geduld. Es bleibt Optimismus gefragt. Ohne eine aktive Einstellung zum Ganzen geht hier gar nichts auf Erden. Gläubige möchten scheinbar, dass die Naturgesetze ihretwegen pausieren zu gelten? Sie reden sich’s ein, wo immer das geht. Ich jedenfalls war genau so einer. Das muss nicht sein. Es genügt, die tatsächlichen Wunder dieser Welt zu schauen, um zu verstehen, wie groß die Chancen sind, überhaupt eine Sache gut zu tun.

Es sind die Forschung oder Kunst, mit ihren Werken, der unnachgiebige Kommissar, der einen Täter überführt, der Feuerwehrmann, der Leben rettet, die ihre einzigartige Realität zeigen. Bewusstsein hilft und nicht Schönreden, man sei extra geliebt durch ehrfürchtiges Einschleimen irgendwo oben.

So ein Bus, auf den wir warten und mit dem wir auch rechnen können, weil der seinen Fahrplan hat, das scheint ein zu profanes Beispiel, gegen alberne Gläubigkeit anzureden? Dergleichen dürfte einen aufs Schicksal Vernagelten nicht irritieren. Aber der Bus fährt definitiv nicht unsretwegen. Die Betreibergesellschaft erkennt einen allgemeinen Bedarf auf der Strecke. Sie legt den Fahrplan fest. Der Busfahrer hat ein persönliches Motiv, pünktlich zu sein. Dödelt er rum, riskiert er seinen Job. Er ist gehalten, pünktlich zu fahren. Kommt der Bus mal nicht, wie anzunehmen, mag ein Stau oder Unfall auf der Strecke einen plausiblen Grund abgeben und nicht, weil Gott wollte, dass wir nicht loskommen und uns damit vor etwas bewahrte, das auch noch. Das hält Verschworene nicht davon ab, genau so etwas anzunehmen. Die meisten denken aber nicht immer so. Viele leisten sich die individuelle Freiheit, mit der Logik nach Belieben umzuspringen? Wenn sie pünktlich, ganz normal fahren, spielt das Nachdenken über den öffentlichen Nahverkehr und was dieser mit ihrem Lebensweg zu tun haben könnte keine Rolle in ihren Überlegungen. Wer nun glaubt, „die Müllers“, also irgendwelche Bekannte, kämen „heute“ auf unserem Wege vorbei, weil Gott es wolle, dem sei geraten weiterzudenken. Die Müllers haben ihre Motive loszugehen, wie der Busfahrer morgens seinen Bus startet. Die Vögel am Himmel haben ihre Gründe zu fliegen, genauso wie jedes andere Element hier unterwegs ist. Spricht man all diesen Einzelwesen die Berechtigung ab, für sich zu sorgen, ihren Antrieben nachzugehen, dann ließe sich wohl das Weltbild des typischen Gläubigen skizzieren, ein Drumherum als gottgewolltes Schicksal, das seinetwegen abgespult würde? Eine Mammutaufgabe für den Allmächtigen, wenn dieser es für jeden gleichermaßen perfekt hinbekommt. Da wird eine lebenslange Neurose, sogar Psychose kultiviert, wenn jemand, wie es ja hin und wieder geschieht, mit Überzeugung sagt: „Es gibt keine Zufälle“, uns belehrt, das alles hier begriffen zu haben. Es sei denn, man drückt auf diese Weise lapidar aus, wie verzahnt die Ereignisse weltweit letztlich jeden von uns betreffen. Das sagt alles und nichts. Was hat man davon, Binsenweisheiten zu verklären?

Am Schlimmsten dran sind diese Gläubigen, die es wie Glücksspieler angehen. Man kennt das von Spielsüchtigen, die regelmäßig ins Casino gehen. Es ist bewiesen, dass die Apparate letztlich immer gewinnen. Das hält Besessene nicht ab, auf die persönliche Glückssträhne zu vertrauen, die schon bald kommen wird. So macht es der Religionskranke: Bei ihm manifestiert sich die Annahme, vorausschauend wandeln zu können, weil man besondere Zeichen deuten könne. Das ist aber eine Sache der Interpretation. Auch nicht gläubige Menschen erleben faszinierende Zufälle. Jeder kennt Déjà-vu-Momente. Man begegnet jemandem und wird stutzig: „Sieht aus wie …“, und während man noch grübelt, passiert es einige Augenblicke später, dass derjenige tatsächlich daherkommt! Genau genommen hilft so etwas ja nicht. Es sei denn, man nutzt die Vorstellung, gewarnt zu sein, falls es eine üble Type ist oder auf seinem Wege bestärkt, weil das Geschick die langersehnte Begegnung mit der Angebeteten ermöglicht. Dergleichen nicht nur zu erleben, sondern dabei noch Steuerungsfähigkeiten zu genießen, mag dem fiktiven Luke Skywalker seine Macht sein; das ist ein Film. Wer nun hier in unserer Realität annimmt, einer besonderen Gnade anheimgefallen zu sein, dem sei geraten, wieder beim Busfahren anzufangen mit dem Nachdenken. Der öffentliche Personennahverkehr ist besser geeignet, mit der spirituellen Esoterik aufzuräumen als Hokuspokus, weil es um schnöde Fahrzeuge und Fahrpläne geht und nicht etwa um Liebe, die Auserwählte und solche Sachen.

# Kirche, Glaube im Alltag

Wir haben bei uns im Dorf bekanntlich ein Einkaufszentrum mit dem schönen Namen „Staddi“. Ich habe es gelegentlich in Texten erwähnt. Wie überall an solchen Orten mit viel Publikumsverkehr befindet sich eine Bushaltestelle vor dem Eingang. Mehrere Linien verkehren regelmäßig. Da tritt man nach dem Einkauf blindlings zu jeder Zeit raus auf den Gehweg an der Straße und wird doch recht bald einen passenden Bus bekommen für die Heimfahrt. Unser sogenanntes Stadtzentrum gilt gehoben als „Einkaufstempel“. Das Wort, ein Begriff, den das Tageblatt gern verwendet, gefällt mir gerade jetzt, wo ich vom Glaube schreiben möchte. Vor unserer kleinen Stephanskirche ist natürlich auch eine Bushaltestelle, das nur nebenbei.

Über die Woche im gewöhnlichen Trott berührende Erfahrungen zu machen, kann die scheinbare Allmächtigkeit lebendig werden lassen, die unsere Umgebung bereithält. Ständig müssen wir reagieren. Es genügt nicht, einen Willen zu haben, den täglichen Weg geradeaus nach Plan zu gehen. Landmarken zu respektieren bei unserer Navigation durch das Leben, ist geraten. Religion darf aber nicht missverstanden werden, eine private Sondernutzung der Natur gebucht zu haben. Gläubige scheinen oft zu meinen, mehr zu verstehen als die Wissenschaft vom Ganzen. Wirkliche Kraft gibt die Einsicht unserer Bedeutungslosigkeit angesichts der Größe vom Universum und nicht der Wahn, sämtliche Erkenntnisse der Menschheit zu ignorieren, weil man ja von Engeln geleitet wandelte.

Die nüchterne Statistik bei dieser Sache, man spaziert vor die Tür und gleich kommt der Bus, stimmt mit der allgemeinen Wahrscheinlichkeitsrechnung überein. Es geschieht häufiger, einen kleinen Moment warten zu müssen, bis ein tauglicher Lift kommt, ins Dorf zu fahren. Die unzähligen Male, wo das so ist, könnte man ausblenden, sich aber die seltenen Gelegenheiten raussuchen, wo gerade der Bus ganz wie gewünscht erscheint und man selbst an der Haltestelle eintrifft? Das überzubewerten, ist jedoch riskant. Nun deswegen extra die Liebe Gottes zu spüren für dieses Geschick, ist krank, macht krank und verblödet den, der es sich erlaubt, so zu denken. Es ist das Spinnen des Spielsüchtigen mit all seinen Folgen. Man kann nur warnen davor, diese Fantasie zu pflegen und solchen Irrglaube noch weiter zu verfeinern. Das ist die Macke, die ich meine, und sie ist so harmlos nicht. Das wäre ein Rat von schlechten Eltern – buchstäblich.

Im berühmten Buch „Der Pate“, von Mario Puzo, findet sich irgendwo dieser Satz: „Jeder Mensch hat nur ein Schicksal“, und das kann man auf zweierlei Weise verstehen. Für jemanden, dem wichtig ist zu behaupten, es käme eben, wie’s kommt, mag sich hier die Bestätigung widerspiegeln, es sei ohnehin alles festgelegt. Man könne ja nicht einmal denken, was man wolle, ist so eine Erkenntnis dieser Art. Das kann nicht überzeugend widerlegt werden. Wenn ich beschließe, vor die Tür zu gehen, um einzukaufen, mag manches Gesehene mich ablenken und zu einem kleineren oder größeren Umweg veranlassen. Das Ziel wird immer auch durch äußere Umstände bedingt. Liest man Puzo aber nach der Art, wie individuell verschieden jeder Mensch sich entwickelt, bedeutet der Aphorismus das genaue Gegenteil von zwingender Bindung ans Gegebene. Das Schicksal wäre dann ein Programm, demnach wir wachsen würden, wie etwa eine Eiche kein Ahorn werden kann, aber wie genau sich ein Mensch entwickelte, dafür gäbe es keine Vorhersage. Auch was ein Baum an Ästen in welche Richtung austreiben könnte mit den Jahren, vermag wohl der Fachmann nicht zu prophezeien? Hier fänden sich unendliche Möglichkeiten, was alles noch anzufangen wäre, für einen jeden Menschen, der seine Talente ernsthaft erfahren möchte, wissen will, was in ihm steckt. Könnten wir nur zulassen, manches auszuprobieren, gäbe es mehr tolle Wege, hieße das, als wir für gewöhnlich annehmen. Das als Leitspruch anzunehmen, verlangte gerade nicht, wie jemand anderes handeln zu müssen oder einer Überzeugung, der besonderen Moral zu folgen, die man uns lehrte. Es hieße nur, dass wir alle persönlich sind, das einzigartig Besondere des Individuums ist gemeint. Schaut man sich die anderen genauer an, lässt der Neid nach, der zunächst aufkommen mag etwa gegenüber den Existenzen mancher großartiger Leute. Unsere Lebenswege sind nicht austauschbar. Jedem gefällt, etwas Bestimmtes auf eine individuelle Art zu machen. Wir fänden heraus, untersuchten wir, warum Menschen zum unverwechselbaren Entschluss kommen, sogar genetisch gleiche Zwillinge kommen nie beieinander an.

„Die Natur reimt ihre Kinder nicht, noch schafft sie je zwei völlig gleiche Menschen.“ (Ralph Waldo Emerson).

# Am Anfang war das Wort

Ich ging in Wedel in die Kirche als Junge, genauer in Schulau, da bin ich aufgewachsen. Unser Pastor K. stellte sich anfangs kurz vor, ward dann während der gesamten Zeit, die zur Vorbereitung der Konfirmation gedacht war mit regelmäßigen Unterweisungen, nicht mehr gesehen. Der tolle Pastor fand seine Vorliebe, in Afrika gefertigte Jutebüdel auf dem Marktplatz feilzubieten. Der Gute erklärte uns das Leid der Armut auf diesem Kontinent. Dafür baute er manchen Stand auf mit diesen Produkten und wirkte öffentlich. Der wurde in der Zeitung gewürdigt für sein Engagement. Für uns Daheimgebliebene fand er keine Zeit. Er überließ die Ausbildung dem Nachwuchspastor W. (oder ein Diakon war es anfangs). Der Mann hatte keine Lust zu arbeiten. Er konnte mit der Kirche selbst nichts anfangen? Später hat dieser im Städtchen durchaus umtriebige Sozialarbeiter Arbeitslosenhilfe gemacht. Er wies uns damals, während dieser Zeit, wo wir eigentlich lernen sollten, einen Platz zu, die Stunden abzusitzen in der Kirchenbibliothek und verschwand in seinem Büro. Er machte gar nichts.

Ich las sämtlich die umfangreichen Aufklärungsbücher, genau genommen pornografische Schriften, wie diese dort reichlich herumstanden! Eines der Bücher begann im Vorwort mit dem Hinweis, das erinnere ich noch, der Penis würde durchgängig als „Schwanz“ bezeichnet (in dieser Lektüre, das mache man so heute). Was ich an geilen Sachen fand, ich lernte zum Beispiel dieses Wort, musste ich wöchentlich den anderen rapportieren aus meiner Schulklasse, die nicht das Glück hatten, solche Werke lesen zu können. Bald entdeckte ich das dicke Buch: „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, von Christiane F. im Regal. Das war damals neu. Ich habe es ganz durchgelesen. Das war meine Konfirmandenzeit. Der eigentliche Pastor erschien zwei Wochen vor der Prüfung unseres Wissens – und war entsetzt. Er reagierte finster. Ein strenger Mann, der böse auf uns war. Ich als Kind begriff zunächst gar nicht: „Wer ist das, was will dieser Typ?“ Der offizielle Oberpastor schalt uns, wir wären faul gewesen? Wir wussten überhaupt nichts vom Herrn Jesus, bekamen aber eine Sparversion der Bibel geschenkt, das neue Testament allein für sich, in neuem Outfit gestaltet und in zeitgemäßer Sprache. Ich besitze es noch immer. Das Taschenbuch ist im weichen Einband mit allerlei Zeitungsschnipseln gestaltet. Sie möchten Headlines sein: „Die Gute Nachricht“. Innen im Buch finden sich die Evangelien im modernen Deutsch der Siebziger Jahre? Ich kenne nur diesen Einband. Der ist hellgrau. Die Schriften der Zeitungsüberschriften sind weiß. Sie haben unterschiedliche Typo.

Ich habe nie drin gelesen.

„Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“, ist mein Konfirmationsspruch. Mich rührt, dass auch ich selbst – so gesehen – „gemacht“ bin. Ein winziges Teil von allem, das nicht weiß, warum ihm das Hiersein geschieht, ist der Mensch. Das Wahrscheinlichste ist das absolute Ende unseres Empfindens mit dem Tod. So unbedeutend, wie unser wuseliges Tun zu Lebzeiten letztlich ist, gemessen an allem, was je war, sein wird, bedeutet, alles andere zu denken nur totale Selbstüberhöhung. Da nützt schon, sich drüber klar zu werden: Kreativität ist ein gegebenes Geschenk. Gerade die Freiheit, eine bislang übersehene Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten zu entdecken, als jeweilige Möglichkeit, so oder anders sich zu entscheiden, auch gegen die allgemein übliche Empfehlung, hilft. Das ist mir mein Glaube wert, diese Welt anzunehmen, zu bejahen, wie sie ist. Es entspannt, macht froh.

Jeder stirbt doch irgendwann.

# Wunschdenken macht krank

Seien wir doch ehrlich, die Momente, denen wir zuschreiben, eine unerklärliche Kraft habe uns geleitet, beschützt, die Dinge zum Besseren für gerade uns gerichtet, ein Zeichen sei es gewesen, das uns rettete, das Schicksal –, sind selten und verwaschen ein wenig mit der Zeit, was ihre Glaubwürdigkeit als Wunder betrifft. Derartige Eigenartigkeiten lassen sich anderen nicht so gut erzählen. Wir werden belächelt schlimmstenfalls und beginnen selbst, mehr und mehr zu zweifeln, ob Gott oder ein Engel uns half bei dem, was uns Großartiges geschah. Auf der anderen Seite stehen und geschehen uns unendliche Pannen jeden Tag, eben was alles nicht so gut lief. Obwohl wir es nicht vorhatten und doch einigermaßen auf der Höhe im Alltag agieren, weichen unsere Zielvorstellung und das erreichte Ergebnis schon bei jeder banalen Handlung leicht voneinander ab. Wer beginnt, darauf zu achten, kann schnell einsehen, dass tagtägliches Geschehen, wie wir es motivieren, immer ein wenig, jeweils zum Teil misslingt. Perfektion bleibt ein unerreichbares Ideal. Es hilft uns niemand von oben. Im Gegenteil, ein höher hausendes Arschloch geradezu stellt sich quer, eine böse Macht scheinbar, Murphys Law, und an manchen Tagen ist es schlimmer, mischt sich in beinahe jede Handlung. So kann es einem vorkommen, geschieht alles wohl bloß, um gerade uns zu schaden? Ein wenig zu viel an Anspannung im entscheidenden Moment lässt den Schützen das Tor verfehlen, und so ist es auch beim banalen Geschehen eines jeden, der etwa Kaffee verschüttet. Zum selbstgemachten Ungemach gesellt sich die Bösartigkeit und kriminelle Energie um uns herum. Es kann der friedvollste Mensch nicht ungestört bleiben, wenn der böse Nachbar es so will und mehr davon. Dann noch das Wetter, die Natur mit den Katastrophen und die Gefahren allgemein, selbst daheim oder im Bett droht uns was. Ist das der böse Gott oder wie? Recht selten sind die wundersamen Momente seines Liebseins.

Nicht wenige erklären sich zum modernen, aufgeklärten Menschen, sind konfessionslos und treten teilweise entschieden gegen die Kirche, Religionen allgemein auf. Sie haben viele Argumente, Glaube grundsätzlich abzulehnen. Dann gibt es auch noch welche, die Kirche als Institution verachten, aber privat für sich Spiritualität anerkennen als einen Teil des Lebens.

Dass wir frei sind, wählen zu können, sogar im Glaube, scheint bereits durch im Psalm.

„Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“

Gott ist so groß, dass er uns und alles einschließt, wir das Ganze schon deswegen nicht wirklich begreifen können, denke ich. Mit Freiheit klarzukommen, ist nicht immer einfach. Dem einen hilft der Glaube, andere geben sich stark, dergleichen nicht nötig zu haben, aber allen Menschen gemeinsam ist das Erleben von Angst als elementares Gefühl, dass uns von Zeit zu Zeit zur Entscheidung nötigt und sämtliche Wahlmöglichkeiten, was angenehmerweise zu tun wäre, drastisch reduziert auf eine harte Gegenwart, die uns unmittelbar fordert. Jetzt gilt es, ob wir tapfer handeln, feige einknicken oder den Verstand verlieren. Die Religionen behaupten ihre Vision vom Leben nach dem Tod. Dieser Glaube an eine Seele, das friedliche Sein im Himmel oder gar ein Weiterleben hier auf Erden verspricht sich mancher von uns. Wie weit kommt einer mit solchem sich’s Einreden (das ist es ja), dem dieser Glaube bislang gute Dienste leistete, wenn der Tod tatsächlich vor der Tür steht und unmissverständlich anklopft, zu verstehen gibt, dass der letzte Gang zu gehen ist? Die Menschen lassen sich manches einfallen, maskieren sich wie mit einem Plakat, das sie vor ihr Gesicht und ihr tatsächliches Selbst stellen möchten, treten anschließend vor einen Spiegel und schauen sich so von außen an, wie sie sich sehen möchten. Das geht nur solange gut, wie man die Maske festhalten kann, die eigenen Beine auf dem Weg uns tragen, wir einen Spiegel haben oder eine Bühne für Auftritte bekommen. Wer einen Rollstuhl braucht oder krank im Nachthemd liegen muss, kann sich nicht länger vormachen, etwas ganz Besonderes zu sein oder exklusiv, göttlich geliebt auf Erden zu wandeln. Wer Hilfe allein schon dafür benötigt, sich den Hintern abzuwischen und die Pfleger aber sagen: „Keine Zeit im Moment!“, ist auf dem Boden der ganzen Erbärmlichkeit seines Daseins angelangt.

# Das möchte ich erzählen

Als meine Mutter tödlich erkrankte, verbrachte sie die letzten Wochen bis zum Ende im Hospiz. Sie war schon im Rahmen des Umzuges aus ihrer Wohnung, der unumgänglich wurde, latent psychotisch und keinesfalls mehr in der Lage, selbstständig zu handeln. Die Angst zu sterben, hielt sie fest im Griff. Bei dem hilflosen Versuch, dass keiner ihre Furcht bemerken sollte, hatte sie auf den letzten Metern ihres Lebens noch den Verstand verloren. Sie blieb der Realität entrückt und starb exakt nach vier Wochen in dieser Einrichtung, der typischen Zeit übrigens, die Menschen dort sind, bis sie sterben. Wir waren täglich zu Besuch, saßen (Treppe hoch rechts, wieder rechts, dann links ab am Ende vom oberen Flur) im Zimmer an ihrem Bett, aber sie redete dummes Zeug. Einmal hat P. sie besucht, und die beiden sind noch mal draußen gewesen auf einen Spaziergang. Mit R. war ich bei ihr, eine alte Dame, Freundin seit der Jugend meiner Mutter, die ich mit unserem Auto hingefahren habe. Sie ist dann wenige Jahre danach ebenfalls verstorben. Meine Schwester hatte sich nahebei einquartiert. Verwandte kamen regelmäßig zu Besuch, und alle weinten wir immer wieder.

Zweimal probierte meine Mutter fortzulaufen und wurde dann in einigen hundert Metern Entfernung vom Hospiz wieder eingesammelt.

Ein gutes Haus! Ich habe den sympathischen Herrn B. einiges gefragt bei meinen Besuchen. Das war ein Betreuer aus dem Leitungspersonal, der den Angehörigen (und den tödlich Erkrankten selbst) zur Seite zu stehen sollte, dort extra deswegen angestellt war und psychologisch begleitend arbeitete. Ich wollte auch wissen, ob es seiner Erfahrung nach Menschen gäbe, die stolz und stark blieben bis zum Schluss, also quasi erhobenen Hauptes dem Tod entgegen gingen, ohne je Angst zu zeigen? Das wäre nie so ganz der Fall, irgendwann erwischte die Panik jeden hier an diesem Ort, meinte B. und beschrieb auch den extremen Fall eines solchen Bewohners, der sich einiges an Theater hatte einfallen lassen und der Situation, im Hospiz zu leben, (zunächst erfolgreich) trotzen konnte.

Der gab sich heiter alle Tage.

Das Ganze wäre wohl ein geradezu reizendes Spiel, das alle mit ihm (und er selbst natürlich auch) bloß inszenierten, hier zu wohnen wie im Hotel, meinte der Mann. Alles verleugnend, gab er sich höflich, Geschirr mit abzuräumen und überhaupt Nettigkeiten vom Stapel zu lassen, kleine Geschichten zu erzählen, Anekdoten zum Besten zu geben. Er wollte souverän obenauf schwimmen, und vielleicht hatte er das sein ganzes Leben lang so gemacht? Da hat er manches verpasst, statt eine gute Strategie bereitzuhalten; solche andauernde Vermeidung, denke ich.

„Sie und ich, Herr B., wir wissen doch beide ganz genau, dass ich diese tödliche Krankheit gar nicht habe, und bald ziehe ich einfach wieder aus, kehre in meine Wohnung zurück –, nicht wahr?“

Herr B. sah den ausgemergelten Körper des Mannes, kannte die Krankenakte, erzählte er mir. Der Betreuer beschloss, das Spiel, wie der Bewohner es nannte, behutsam nicht mitzuspielen, jedenfalls gegenzuhalten.

„Doch, doch, Sie sind schon sehr krank mein lieber Herr … und wissen auch, dass Sie hier sind, weil Sie bald sterben werden.“

„Nei-ein. Ach was. Das sagen Sie bloß. Kommen Sie, geben Sie’s zu: Sie belieben zu scherzen.“

So ging es eine Weile.

Dann aber kam doch der Moment, wo der Alte Rotz und Wasser heulte, sich eines Nachts an B. ankrallte geradezu, ihn mit seinen knochendünnen Ärmchen umschlang und jammerte, klagte, weinte. Der Mann hatte alles Theater aufgegeben, war wie ohne Maske nur noch das Gerippe selbst und schließlich bei sich angekommen. Der letzte Tag, die letzte Nacht: Er presste seinen abgemagerten Schädel fest an den braven Herrn B. und schrie in seiner Todesangst.

Am nächsten Morgen ist er verstorben, ganz friedlich übrigens.

So wurde es mir erzählt.

Angst schon heute, zu Lebzeiten gezielt wahrzunehmen, führt dazu, Wege zu finden, die besser sind. Zwanghaft gerade das Jeweilige tun zu müssen, wie man’s meint und nicht eine Alternative zu bedenken, ist die Angewohnheit vieler. Man kann lernen, auf die anderen Möglichkeiten zu achten, die meistens vorhanden sind, innehalten, nachdenken. Das sollte gelehrt werden.

Angst ist nicht irgendwas. Sie bedeutet konkret Muskelkontraktion oder spontanes Loslassen gewohnheitsmäßiger Anspannung. Sich selbst dahingehend zu erforschen, kann die Augen öffnen, den Atem frei machen, den Gang leicht. Bewusstheit wird uns manche Zusammenhänge, Auswirkungen auf das eigene Verhalten im Gegenüber einer Situation verdeutlichen, das System aus Körper und Geist in seiner untrennbaren Einheit sichtbar machen. Das hilft, besser damit klarzukommen, was geschieht und mögliche alternative Reaktionen zu erdenken und umzusetzen. Das ist mitnichten Nihilismus, Ungläubigkeit, weil so viel nachbleibt von dieser Welt, das keiner versteht. Warum sollte Gott wollen, dass wir einer Konvention angehören, wenn es viele davon gibt? Es gibt nur eine Welt oder keine (und nicht ich habe das gesagt). Die kollektiv blökende Herde zu verlassen, muss kein neues goldenes Kalb bedeuten, dem man künftig folgt. Vom Schaf bildlich gesehen nun bloß zum Rind zu gehen, ist aber der gewöhnliche Weg unzufriedener Leute.

# Es könnte besser sein

Das Angst der Schlüssel sein könnte, sich selbst eine Tür ins Innere zu öffnen und dort mit dem Entdecken von zugemüllten Räumen oder schlecht vermieteten Leerständen aufzuräumen, sollte gelehrt werden. Menschen wissen oft gar nicht, wovor sie sich fürchten; die anderen sind es in der Regel, denen man sich unterordnet. Eigenverantwortung abzugeben, wenn es besser wäre, das Risiko selbst zu kalkulieren, feige einen mutigen Schritt nicht zu tun, um etwa eigene Träume anzugehen, ist so selten nicht. Man macht die Dinge wie gesagt und verpasst das Leben.

Mir ist es passiert.

Stürzt ein Flugzeug ab, machen sich die Fachleute wie Detektive auf die Suche nach dem Grund. Wenn Menschen psychisch erkranken, sollten Helfer sich genauso bemühen, Ursachen dafür nicht nur zu beschreiben, sondern für Abhilfe des Problems Lösungen anbieten, die konstruktiv sind. Das geschieht in der Regel nicht konsequent genug. Man braucht Glück, einen Arzt zu finden, der wirklich daran interessiert ist und entsprechende Befähigung mitbringt, seinen Patienten gesund zu machen. Meistens wird die Verwirrung noch größer, und man wird abhängig vom Therapeuten. Damit ist ein Teufelskreis geschlossen und fest installiert: Wer psychisch erkrankt, ist bereits unselbstständig. Anschließend zum Doktor zu laufen, machte nur dann Sinn, wenn dies eine Notfallbehandlung auf Zeit wäre. Doch daraus einen Bund fürs Leben zu machen, besiegelt das Schicksal und verkümmert den Menschen auf eine Rolle als Patient für immer. Das müsste nicht sein, aber kaum jemand glaubt scheinbar, dass geistige Gesundheit auch für Menschen erreichbar ist, denen man diese bereits wiederholt absprechen konnte. Psychos sollen welche bleiben, sind Sündenböcke für vermeintlich normale Menschen, werden stigmatisiert und können sich nicht einmal solidarisieren. Das genau ist ihre Macke: Sie sind zu gesundem Sozialverhalten nicht fähig. Die Medizin, die ja vorgibt, als Anlaufstelle der Partner der Erkrankten zu sein, weiß in der Regel nicht mehr daraus zu machen, als die Gestörten zu begleiten. Die Gesellschaft stört manche Menschen so effektiv, dass anschließende Eskalation unvermeidlich ist und dann wird eben weggesperrt, zugedröhnt, therapeutisch begleitet. Ein gutes Training wäre effektiver als das.

Das aber dürfte kaum in unserer Gegenwart zu etablieren sein.

Schwänge sich einer auf, statt typischer, psychiatrischer und medizinischer Hilfe ein Training zur Selbsthilfe anzubieten, gehörte dazu die Ehrlichkeit, dass die Sache ohne das Ausleben von Gewalt beim in seiner Entwicklung Gestörten nicht funktioniert. Die Bereitschaft eines Helfers, spontane Attacken mitzutragen als nützliche Erfahrungen, die sein Zögling machen muss, wird gering sein. Man betont ärztlicherseits immer wieder, wie selten psychotische Menschen aggressiv werden. Das stimmt, aber die Mehrzahl bleibt nicht zuletzt auch wegen der Behandlung schizophren ein Leben lang. Diejenigen, die aufbegehren, haben meiner Meinung nach die besseren Karten, es noch zu schaffen, gesund zu werden. Pauschale Rache an der Gesellschaft gesteht man niemandem zu? Aber dieser stigmatisierende Brei (nachdem bereits die leiblichen Erzieher versagt haben) ist doch der Störenfried, der solche Menschen zu Gestörten machte. Menschen, denen wichtige Entwicklungsstufen im Leben vorenthalten geblieben sind, können nie reibungslos integriert werden, wenn das Ziel vollständige Gesundheit heißt. Da müsste der selbsterklärte „Trainer“ psychisch Kranker, wenn er so etwas toleriert, seinen Laden gleich wieder dicht machen. Wir bestrafen Gewalt. Die Gesellschaft toleriert keinen Ansatz, dessen großzügige Unterstützung psychisch Kranker darin bestünde, dass diese unsere Heimat als Spielwiese für nachzuholende Erfahrungen eines Halbstarken missbraucht. Psychiatrie funktioniert nur, weil die Ärzte gegenüber dem Ganzen postulieren, sie verhinderten Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen und ihrer Umgebung. Die Psychiatrie leistet einen Dienst an der Gesellschaft insgesamt. Sie schützt Gesunde genauso wie den Kranken vor sich selbst. Sie gibt der Polizei gegenüber Gutachten ab, veranstaltet Stuhlkreise, verschreibt Pillen wie die anderen, richtigen Ärzte. Man trägt einen weißen Kittel. Damit ist diese Institution unangreifbar aber eben auch der Apparat, der nicht selten das Schicksal des Kranken bestimmt, einer zu bleiben.

Hier möge noch einmal der schon eingangs zitierte Polizist Manuel Ostermann zu Wort kommen. Das ist ebenfalls ein Ausschnitt aus dem erwähnten Gastbeitrag. Verrückte sind scheinbar noch schlimmer, wenn sie Ausländer sind? Eine aktuelle Gewalttat nimmt der Autor zum Anlass, seine Auffassung von Schuld nachdrücklich klarzustellen. Er ist als Polizist keinesfalls bereit, Gewalt als gesamtgesellschaftliches Problem anzuerkennen, sondern weist den Fehler dem Täter als seinen direkt zu. Er fordert quasi, Gewalttäter möglichst schon vor einer möglichen Gefährdung anderer Menschen nachrichtendienstlich zu erkennen, falls sie einreisen möchten, das zu unterbinden, falls sie dennoch im Lande als Zugereiste entdeckt würden, sie umgehend aus Deutschland zu entfernen. Mehrfach vorbestrafte Menschen sollten ihr Bleiberecht verwirken, wenn sie als Ausländer bei uns leben, weil neuerliche Taten wahrscheinlich sind, ist der Tenor. Viele würden das unterstreichen, und es wirkt, als habe die Politik es nicht im Griff. Die Polizei geht, so müssen wir Lesenden annehmen, besonders wenn ihre Personaldecke aufgestockt würde, davon aus, dass ihre Beamten die Fähigkeit hätten, noch nicht geschehene Taten gezielt vorherzusagen, sie Menschen, die infrage kämen, Terror zu verbreiten, erkennen kann. Das können die Leser von Boulevardzeitungen auch. Nur unsere Innenministerin scheint das nicht draufzuhaben? Man weiß doch, kennt seine Pappenheimer, es sind die Ausländer, vorgeblich Asylsuchende, islamistische Fanatiker, das sieht man denen doch an, was die wollen?

Einfach scheint es für den einfachen Geist zu sein. Ein Däne, der bei uns lebt, ist ja kein Ausländer. Die Wahrheit ist: Ab einer noch zu definierenden Menge an fremd wirkenden Mitbürgern, fremd für die, die das wichtig nehmen, kippt die Stimmung. Schon deswegen hat der Polizist recht. Man darf die Migration nicht verharmlosen, wenn vermehrt reißerische Berichterstattung die Wahrheit zeigt, wie oft Menschen aus Syrien oder Afghanistan Straftaten bei uns begehen. Es überzeugt keine Seniorin: „Dass so was hier passiert!“, auf den Lebenslauf von gescheiterten Menschen zu verweisen, weil man denen, die nur zu gern von Täter-Opfer-Umkehr reden, unnötigerweise Argumente liefert. Es ist nur legitim, Zuwanderung zu begrenzen.

Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht.

Zitat:

„Doch der eigentliche Punkt für mich sind Nancy Faesers Pannen. Hier reiht sich bei der Innenministerin eine Unfassbarkeit an die nächste. Im Fall Bad Oeynhausen hat die Ministerin den berühmten Vogel rhetorisch komplett abgeschossen. Nach tagelangem Schweigen im Walde lässt Faesers erster Kommentar zu dieser bestialischen Tat viele in diesem Land fassungslos zurück. Faeser führte die Tat auf ,nicht gelungene Integration‘ zurück und insinuierte so eine Mitschuld der Gesellschaft am Tod des Gewaltopfers. Der Bundesvorsitzende meiner Gewerkschaft, Heiko Teggatz, brachte es auf den Punkt: ,Das ist einfach nur unfassbar! Ich bin sprachlos. Das ist an Pietätlosigkeit nicht mehr zu überbieten.‘“ (Yahoo, 2. Juli 2024).

Zitat Ende.

Verschiedene Probleme der Gesellschaft, Abschiebung von Menschen mit unzulässiger Asylabsicht, Integration von Fremden im Land, Straftaten von bereits Vorbestraften oder die Attacken von psychisch Kranken gleich welcher Nationalität auf unserem Boden werden von der Polizei aus ihrer Perspektive betrachtet, das ist die direkte Konfrontation. Unser Bundeskanzler ist nicht Polizist. Die Minister stehen nicht in Uniform neben der Demo, sitzen stattdessen im Büro oder reden was. Eine Regierung hat mehr zu tun, als bloß Ordnungshüter zu sein. Die Polizei ist in jeder Hinsicht beschränkt. Sie denkt eindimensional, wie ja auch der Wachhund eines Grundstücksbesitzers nicht mit einem intelligenten Tier vergleichbar ist, das in der freien Natur unterwegs lebt. Die Qualität unserer Demokratie liegt gerade in der Vielschichtigkeit von Zuständigkeitsbereichen. Die umfangreichen Sicherungen des Rechtsstaates zu seinem eigenen Schutz sind ja, dass der Straßenpolizist nicht auch noch vor Ort richtet und seine von ihm als solche erkannten Gegner direkt beseitigt.

Eine allein gelassene, kaputt gesparte Polizei wird sich aber zu Recht Luft machen und für ihre Sicht kämpfen.

Als Künstler sind wir Soziologen und sogar Polizei, schauen hin, aber ohne Staatsanwalt, Richter, Gefängnis dahinter. Wir zeigen nur Erkennbares auf, das manche nicht wichtig nehmen. Kreative wissen um ihre Täterschaft, weil sie Opfer der Normalität sind, die alles nivellieren möchte auf ihr Mittelmaß. Wir fabulieren, malen, zeichnen, spielen auf unserer Bühne, halten einen Spiegel in der Hand, entblößen uns selbst, gehen in das Gefängnis, für unsere Freiheit zu reden.

# Bis es knallt

Psychisch Kranke schränken sich gegenüber ihren Ansprüchen an andere ein oder reagieren über. Sozial unangepasstes Verhalten ist der Spiegel einer ungerechtfertigten Haltung gegenüber den eigenen Bedürfnissen. Zunächst also begrenzt so jemand sich selbst, wo es sich gehören würde, Stellung zu beziehen. Dann wieder werden die Zügel der Selbstkontrolle über die Maßen gelockert und die Situation eskaliert. Eine medikamentöse Einstellung der Patienten möchte diese psychischen Spitzen glätten und Stabilität in das Leben von Betroffenen bringen. Anschließend einer Notfallbehandlung ist das die beste Lösung. Wer mit einem Hexenschuss in die Praxis vom Orthopäden kommt, kann beispielsweise nach einer Spritze schmerzfrei herumlaufen, dann beruhigt sich die überspannte Muskulatur, anschließend sind aber weiter keine Medikamente nötig. Der Arzt verschreibt eventuell noch einige Behandlungen bei einer Physiotherapeutin.

Beim Psychiater läuft die Sache anders. Seine Verpflichtung gegenüber der Situation insgesamt und die Verfügbarkeit von pharmazeutischen Stoffen, die den Geist (was immer das sein soll) beruhigen möchten, nötigt ihn, das gewünschte Normalverhalten eines gut angepassten Zeitgenossen mithilfe seiner speziellen Mittel, die ihn ja auch erst zum Facharzt machen, einzustellen. Das technisch anmutende Wort passt in eine Zeit, die normal findet, den Menschen auch anderswo zu flicken wie ein Auto in der Werkstatt. Der Spezialist degradiert ihn zu einer Art Maschine, die er, der Arzt kennt, sie korrekt zu ölen. Das bedeutet in der Regel eine Fahrt auf gebahnten Schienen. Der Rahmen einer sicheren Spur gibt so lange Halt, wie der Patient willens ist, auf ihr zu fahren. Dann eskaliert es wieder, und man gibt dem Kranken die Schuld: „Er habe seine Medikamente eigenmächtig abgesetzt“, heißt es. Der Gedemütigte steigt erneut in den Kreislauf ein, macht nun wieder, wie der Arzt es verlangt, bis das Ganze sich wiederholt. Ein Leben lang immer dasselbe? Das Gegenteil ist möglich. Nicht einfach: Da auszubrechen und das Schicksal endlich selbst herauszufordern, nötige Kämpfe erfolgreich bestehen –, ich konnte das, bin stolz drauf.

Wie reißt man sich zusammen, könnten wir fragen, geben uns die feste Bahn im Leben? Schon mit dieser Frage wird klar, dass es Muskeln braucht zum Reißen. Ein kranker Geist oder besser ein nicht korrekt arbeitendes Gehirn benötigt und nutzt seinen Körper, die Muskeln wie andere auch und wird allerlei Blödheiten vom Stapel lassen. Binden wir nun ein gestörtes Gehirn medikamentös, dürfte das nicht ohne Auswirkungen auf die Muskulatur bleiben. Sonst wirkt das Medikament nicht. Da spricht man von Wirkung und Nebenwirkung.

Ich muss an den Hinweis einer Bekannten denken, die ein Schild an ihren Gartenzaun zur Straße hin machte:

„Das hier ist kein Unkraut. Es ist Begleitgrün.“

Der Nutzen einer Sache ergibt sich aus der Perspektive dessen, der ihn definiert und einen Namen dafür findet. Medizin gilt als gut, wirksam. Was unerwünschterweise mit dazukommt, ist Nebenwirkung.

Wie schaffen Normalgesunde, mit ihren Gefühlen klarzukommen, da sollten wir auf die Atmung merken. In einem Buch habe ich gelesen: „Wenn Sie unbedacht eine Straße als Fußgänger überqueren und der Autobus kommt mit lautem Hupen auf Sie zu, werden Sie schneller atmen, egal wie oft Sie in einem Kurs die ,richtige‘ Atmung übten.“

Stress wirkt sich aufs Atmen aus.

Obwohl das beinahe eine Binsenweisheit und jedermann bekannt ist, wie Atmen mit Wohlfühlen oder Angst mit gestörter Atmung einhergeht, kümmert sich die Psychiatrie nicht darum, dass die Patienten sich wohlfühlen, im Gegenteil. Man nutzt die stabilisierende Wirkung von Anspannung, rahmt den pharmazeutisch Gehaltenen in ein Korsett, wie das auch Normalgesunde mit ihren Muskeln machen. Viele sind steif und kennen gar nicht anders zu leben. Menschen gehen arbeiten und sagen von sich, sie funktionierten. Solche Leute sieht man ja überall. Sie funktionieren. Es geht auch anders, natürlicher. Deswegen schauen wir so gerne Sport, hören Musiker. Diese Spezies lebt, lacht, liebt, schreit (Fußball), tut mehr als der Normale, der doch ständig auf alltägliche Spinner herabschaut, die sich nicht beherrschen können.

Auf YouTube wird mir ein Video vorgeschlagen. Eine junge Frau, die ein Geschäft führt und regelmäßig Videos produziert, gibt das Ende dieser Betätigung bekannt. Sie berichtet, auf einem Sofa sitzend, sie sei nun erst einmal für einige Wochen im Ausland in der Wohnung eines Freundes im Urlaub zur Erholung. Es habe ja schon lange kaum noch neue Videos gegeben. Sie sei vollkommen überarbeitet. Bei diesem anrührenden Post glaubt man ihr sofort und mitfühlend sind die unzähligen Kommentare. Es fällt schon auf, dass sie sich die Sätze ein wenig zurecht legen musste, und es gibt einen oder zwei Schnitte, wohl um nicht gelungene Aussagen ein zweites Mal besser hinzubekommen für einen insgesamt wenige Minuten dauernden Clip. Außerdem ist unverkennbar, wie sie mit jeweils einem Stoß ihrer Atmung jeden gesprochenen Part geradezu aus der Lunge katapultiert. Die Sprechende ist bemüht, den jeweiligen Satz kontrolliert auszusprechen. Das fließt nicht. Da kommt wie notwendigerweise, weil es eben sein muss, ausgepustet jede einzelne Phrase raus. Es fällt ihr nicht leicht, uns das Ende ihres Traumes als selbstständige Werkstattleitung bekanntzugeben. Sie lässt sich ein Hintertürchen offen. Erstmal diesen Sommer im Urlaub würde alles ruhen. Das gäbe ihr die nötige Zeit nachzudenken. Diese stoßende Atmung und ihre Erregung, die sie doch verbergen möchte, berührt.

„Alles Gute dir“, lauten die vielen Anmerkungen entsprechend.

Reden ist tröstlich, hilft aber nicht genug, mit sich und den Problemen ins Reine zu kommen. Als Zuschauer weiß man’s ja nicht, ist es nur eine Pause einfordern, die Erschöpfung und eine nötige Neuausrichtung oder ein Arztbesuch steht noch an, weil nichts mehr geht?

# Burnout

Medikamente sind im Notfall unumgänglich, helfen dem Menschen auf Dauer nicht wirklich dabei, einen besseren Weg einzuschlagen. Diejenigen, denen zu leben wie von selbst gelingt, wissen oft nicht, wie sie das tun. Erfahrungen gehören dazu, wenn das Leben eine positive Progression sein soll. Im Falle psychischer Probleme ist es unumgänglich, dass man das eigene Verhalten am Leib spüren lernt. Das geht nur dann, wenn ein zum Patienten erklärter Mensch merken kann und spüren lernt, wie’s ihm geschieht. Ein gesunder Organismus kennt die außergewöhnlichen Vorgänge im System bei einer schockierenden Ausnahmesituation gut genug, um anschließend zurück ins ruhige Funktionieren zurückzufinden. Ein grundsätzlich schlecht aufgestellter Mensch kommt mit Stress nicht klar. So jemandem fehlt die Erfahrung heftiger Atmung, die sich schließlich normalisiert. Wer seinen Brustkorb tagtäglich gewohnt ist einzuschnüren, mag damit sein emotionales Gleichgewicht zunächst halten. Das genügt im alltäglichen Trott. Er bleibt aber angreifbar wie eine spröde Stange, die nicht biegsam abfedert bei einem Schlag gegen ihre Mitte und schlimmstenfalls bricht. Medikamente wollen den Kranken in eine Rüstung stecken und bedeuten eine Zukunft in emotionaler Kastration. Ohne pharmazeutische Hilfe jedoch scheitert ein bereits Kollabierter, und das möchte die Medizin vermeiden.

Vermeidung heißt aber nicht begreifen, lernen, sondern unreif bleiben für immer.

Eine selbstständige Existenz gestalten, muss nicht bedeuten, Chef zu sein. Emotionale Unabhängigkeit, von fixen Ideen Abstand nehmen, ist nötig für ein gesundes Leben. Jeder findet seine Herausforderung auf seinem Gebiet. Mir käme es nicht in den Sinn, an Autos schrauben zu wollen, eine eigene Werkstatt zu betreiben. Ich habe Videos gesehen, wo Menschen aus extremer Höhe ins Wasser springen. Das möchte ich nicht probieren. Für jeden ist etwas dabei auf unserem Planeten und in der Zeit des eigenen Lebens, das die individuelle Gefahr bedeutet, sich ihr zu stellen. Vermeidung von Risiken, die doch dazugehörende Klippen wären, wenn es gilt, sich einen Wunsch zu erfüllen, kann nicht wirklich genügen, wenn wir Gesundheit wollen statt nur irgendeine Anpassung, die andere nicht stört.

Ich habe diesen Text begonnen mit allgemeinen Beschreibungen, um den, wie ich hoffe, lesenswerten Boden zu bereiten für ein kleines Gewächs, es hier vorzustellen, mein aktuelles Projekt. Picasso soll gesagt haben, Malerei sei Entwicklung und deswegen wäre sinnvoll, die Bilder zu nummerieren, als dass also eines auf das nächste folgte und so gesehen undenkbar wäre, ohne die zuvor gemalten. Heißt Kunst verkaufen? Ein Geschäft anzufangen, beinhaltet das unternehmerische Risiko, finanziell zu scheitern. Eine Firma aufmachen, kann ebenso bedeuten, an die emotionale Belastungsgrenze zu kommen. Ist zu leben, eine Existenz überhaupt, bereits ein Geschäftsmodell? So etwas ohne Geld und Wertetausch hinzubekommen, probieren nur wenige. Sie brechen auf, ganz allein im Dschungel, der Wüste oder auf dem Meer zu überleben, machen ihr Geschäft direkt mit der Natur. Wie riskant so etwas ist, wusste schon Jack London zu beschreiben. Als Jugendlicher habe ich gelesen, wie ein versehentlich ins Eiswasser Gefallener, der eine Unsicherheit im Schnee übersah, es schließlich nicht mehr hinbekommt, das überlebenswichtige Feuer anzuzünden mit zitternden Fingern.

Es ist eisekalt, und er ist allein in weiter, weißer Wildnis.

Er ist klatschnass.

Der auf sich gestellte Mann in dieser extremen Notlage ist nicht unerfahren im Gelände. In Windeseile sucht er sich brauchbares Holz für ein Feuer zusammen. Er befreit die gefundenen Stücke vom Schnee. Er klaubt dürres Anmachzeugs zusammen, das leichter Feuer fängt, und schichtet ein kleines Häuflein auf in einer Mulde aus Eis.

Der Mann probiert, mehrere Streichhölzer anzureiben, aber die sind nass, brechen ab und dann endet die Geschichte.

Von grundsätzlicher Vermeidung, dem Leben auszuweichen, Emotionen zu kanalisieren, statt auszuleben, jegliche Aggression und mögliche gewalttätige Reaktion sich zu verbieten – und die Psychiater sind ja Meister darin, ihren Patienten das als den richtigen, zumindest für solche Sonderlinge nötigen Weg aufzuschnacken – war bereits die Rede. Auch von der Taktik, mit Nettigkeiten und Witzen, Anekdoten, dem vorgeblichen Glaube an Gottes Hilfe, das spätere, belohnende Jenseits mit seinem ewigen Frieden sich einzureden, das Leben dabei doch tatsächlich, was es sein könnte, zu verpassen, habe ich geschrieben. Der Versuch, Konfrontationen aus dem Wege zu gehen, es allen, also eben den anderen, recht zu machen, ist mein Thema und die schließliche Erfahrung des Scheiterns aus nur diesem Grund; ich wollte deutlich machen, wie dumm das ist, weil ja – gerade ich habe es lange so gemacht. Man laufe anderen nicht nach, das ist das eine, und man lerne, die Auswirkungen des Verhaltens auf den eigenen Körper spüren, um relativ besser (zukünftig) zu navigieren, möchte ich sagen. Was das konkret bedeutet, muss jeder selbst herausfinden. Was aber heißt es für mich als Maler? Das kann ich erzählen.

Ich liebe es, noch Umwege zu machen, komme später zum Punkt, als manchem das recht ist.

Wer aus einem Text aussteigen möchte kann es tun, wer eine Malerei nicht mag, sieht sie sich nicht an. Jeder hört die eigene Musik. Das haben nicht nur die digitalen Plattformen erkannt mit ihren auf uns zugeschnittenen Vorschlägen. Wir empfinden individuell. Das Umfeld regt uns an, manche laufen weg, andere bleiben.

Ich sehe mich um.

Einige Beschreibungen: In diesem Dorf, das inzwischen meine Heimat ist, fährt einer oft langsam mit seinem Fahrrad rum. Jeder scheinbar kennt diesen Mann. Das ist ein dicker Schnacker, ein Grüßonkel, und er war lange in der Politik, auch im Fußballverein. Sein Herz schlägt links, sagt der frühere Maurer von sich, einer für alle ist das? Will man Asterix verstehen, das gallische Dorf, so bietet unsres einen allgemeingültigen Spiegel dafür.

„Schönen guten Tag!“

Leutselig weiterempfohlen, glänzt man gemeinsam, aber nur die Sauberen strahlen.

„Unser Künstler.“

Das war einmal. Inzwischen genügt ein stilles Handzeichen, so reserviert wie höflich grüßen wir Stadtbekannten einander, die wir doch gemeinsam haben zu schnacken. Jeder hat jetzt seine Leute oder doch alle, aber zur jeweiligen Zeit und für sich allein.

Schon drollig, wo ich doch gefährlich sein soll, dass der Briefträger vorsichtshalber versichert: „Ich habe keine Angst vor dir.“ Die Bürgermeisterin verlässt den Radweg und wechselt auf die Fahrbahn, riskiert lieber fahrende Autos, wenn ich ihr zu Fuß entgegenkomme. Besser ist das. Sie scheint zudem zu den Etablierten zu gehören, die auf eine für mich mysteriöse Weise Bescheid wissen, mir zu begegnen – oder eben nicht. Wie mag es funktionieren? Es löst seit Jahren paranoiden Grusel aus, nicht nur bekannt zu sein, sondern einem unerklärlichen Tracking zum Opfer zu fallen, was aber unübersehbar eine Tatsache geworden ist mit der Zeit. (Ich besitze kein Smartphone). Die Spötter möchten ja doch irgendwie glänzen mit einem verbotenen Wissen, warum sie, obschon wir Fremde sind, gerade mich ansprechen und was durchblicken lassen, ein intimes Detail meines Daseins. Gehe ich beim Bäcker vorbei, grüße einen der mir oberflächlich bekannten Gäste (am Tisch beim Kaffee mit weiteren Leuten), höre ich noch im Nachhinein, schon einige Meter weiter, wie man einander sagt:

„Das ist der Bassiner.“

Der.

Man kennt sich. Dicke, dünne, wichtige und unwichtige Menschen treffen sich, reden ein wenig. Es gibt immer wieder auch Bekannte, eigentlich nicht unsympathisch, die sich scheinbar ein wenig drüber wähnen, oberhalb von mir jedenfalls, weil sie sich ihre Existenz, den Lebensunterhalt täglich verdienen oder im ebenso wohlverdienten Ruhestand befindlich leben. Mein Hiersein ist kein verdientes, nur geduldet. Das steht dahinter, wenn wir reden. So kommt mir das vor. Wer malt, ist der Beknacktheit verdächtig und als Mann sowieso. Frauen dürfen pinseln. Niemand nimmt sie ernst. Sie laden einander gegenseitig ein zur Vernissage. Trutschen unter sich, das sind Kunstkreise und ihre Preise. Richtige Männer arbeiten richtig: Die Schlauen sind ökonomisch und zielgerichtet, wissen Bescheid, was falsch läuft in Deutschland (meinen sie). Solche Menschen gibt es, und man ist ihrer Präsenz und Welterklärung ausgeliefert. Sie spazieren nicht nur so herum.

Sie fahren mit dem Auto zum Einkaufen.

# Majestix, der Chef, Verleihnix, der Fischhändler, Troubadix, der Barde

Wir sind Charakterköpfe. Noch so einer, der anderen die Welt erklärt, fällt mir ein. Er erklärt sie mir. Der fährt auch mal Fahrrad, war Sportler. Heute ist für ihn bereits einfaches Radfahren eine dramatische Aktion, weil er sich eine Wampe angefressen hat. Die ist unbeschreiblich, quillt über, hängt drüber, benötigt Übergröße, sie einzukleiden. Der Mann kann einem leidtun. Das macht Rückenschmerzen und weitere Krankheiten drohen? Der Erwähnte hat ein Geschäft, man sieht sich und trifft einander auch sonst mal. Im Supermarkt, an der Kasse gemeinsam anstehend, bin ich wie üblich zu Fuß dort, einmal quer durchspaziert vom Dorf bis zur Siedlung. Das muss sein, weil der andere Laden renoviert wird, der besser erreichbar läge, wo ich für gewöhnlich hingehe, der aber eben geschlossen bleibt für Wochen. Jetzt kaufe ich nur ein Stück Fleisch und Gemüse für’s Mittagessen. Der über jedes Maß fette Mann hat sein Einkaufswägelchen voll, fragt mich: „Kriegst du eigentlich Beklopptenrente?“ Weil ich immer rumlaufe und er muss arbeiten, macht der sich seine Gedanken. Er hat zu leben begriffen, aber nicht das Natürliche:

„Ich habe keine Freunde“, sagt er im Brustton der Überzeugung. Er versteht die Welt dahingehend, dass alles scheiße ist.

„Meine Frau ist auch weg.“

Er erklärt, jetzt allein zu wohnen, seine Freiheit.

„Abends vier, fünf Bier, lass’ ich mich volllaufen.“

Das sind so die Normalen.

Normalität ist keine Qualität. Es ist durchschnittliches Funktionieren. Eine Anpassung, die sozial ausgerichtet ist, benötigt keine besondere Leistung. Man hat seinen Platz gefunden, einige Kniffe gelernt, andere wegzustoßen, sich Stärkeren anzupassen. Menschen, die psychisch erkranken, sind sensibler, einfallsreicher, lernen nicht selten etwas besonders gut, aber nicht, es damit in der Gesellschaft zu was zu bringen. Extrem wie der Autist, der ein Telefonbuch auswendig hersagen kann, begreifen die abfällig noch als geisteskrank Bezeichneten nicht, wie unnötig es für die anderen ist, das zu können und noch weniger, dass etwas, was ihnen gefällt zu tun, allein deswegen, weil sie es gut beherrschen, noch nichts zum Lebensunterhalt beiträgt. Damit ist so jemand abhängig von anderen, die seine Existenz finanzieren. Wer sein Geld nicht selbst verdient, gilt bei uns so wenig wie seinerzeit ein Urmensch, der sich in der Wildnis nicht zurecht findet.

Die Malerinnen, die ich kenne, haben einen Mann mit Geld geheiratet. Maler, die von ihrer Kunst leben, kenne ich eher keine (so genau weiß man ja nicht, ob das Einkommen vom Malen kommt). Die bekannten Künstler sind oft Männer, das stimmt. Die sind aber zu berühmt, um sie hier ums Eck anzutreffen. Nur wenige schaffen überhaupt, sich mit Kunst finanziell zu etablieren. Die dauernden Ausstellungen hier über die Dörfer rundum werden mit einem Zeug bestritten, das niemand braucht. Es ist reine Liebhaberei. Hier schaffen pinselnde Frauen, oder sie legen am Strand gefundenes Treibholz in eine Vitrine.

Das ist ihre Kunst.

Ich habe mir für ein paar Euro Eintritt eine Ausstellung von Armin Mueller-S. angesehen. Es ist einige Jahre her. Das war im Senator-Thomsen-Haus, Burg auf Fehmarn. Wir waren wie so oft im Sommer dort und haben Urlaub gemacht. Mueller-S. ist mir als Schauspieler ein Begriff. Ich wusste nicht, dass er malt. Darum habe ich die zwei Euro bezahlt und bin in den Ausstellungsraum hinein gegangen. Eine Kulturdame saß dort, passte auf, kassierte. Sonst war niemand drinnen. Die Bilder hingen brav an der Wand auf einigen Quadratmetern, nicht so groß das Ganze. Die Formate überschaubar in ihren Abmessungen, durchschnittlich. Die Werke empfand ich ebenfalls als durchschnittlich, ja langweilig. Ein Abklatsch der etablierten Dekokunst. Wie seichter Mainstreamjazz, den man im Fahrstuhl hört. Ich möchte mich dazu versteigen, wenn dieser Künstler nicht bereits bekannter Schauspieler wäre, würde man sich das kaum ansehen wollen. Er wäre dann einer der vielen Talentierten, die keinen Durchbruch schaffen. Ein blasiertes Gesicht machen, dürfte kaum ausreichen für Kunst.

Das kann Neid sein, natürlich: Reichte ich selbst dort eine Bewerbung mit meinen Bildern ein, könnte ich glücklich sein, schickte man mir das Bewerbungsmaterial überhaupt zurück: „Zu unserer Entlastung.“ Eine Ausstellung gelänge mir in derartigen subventionierten Kulturstätten niemals.

Im Thomsen-Haus stellte in einem der letzten Jahre auch Katharina D. aus. Die Künstlerin und einen Bruder Tobias kenne ich flüchtig persönlich. Der berühmte Vater ist früh verstorben, der Mutter bin ich vor einigen Jahren begegnet. Mit dem dritten Geschwisterkind Johannes ist das eine hochaktive Künstlerfamilie. Tobias lebte zu der Zeit, als ich mir seine Bilder anschaute, in Frankreich. Wir waren vor Jahren als Studenten zusammen beim selben Professor (für ein Semester) und erkannten uns bei seiner Ausstellung (in Trittau) wieder. Mir fiel ein und ich erinnerte daran, Tobias und ich wären die einzigen Schüler im Typografiekurs gewesen, die der alte Hans K. lobte, auf Anhieb Schriften mit Bleistift scribbeln zu können, dass diese ihre typischen Merkmale erkennen ließen. Das wusste er nicht mehr. Er hatte bei Almut H. gemalt. Da war ich auch gewesen, und diese Zeit schätze ich bis heute. H. mochte mich, aber ich war nur zwei Semester dort. Ich wusste nicht, was ich wollte. „Sie können zeichnen“, meinte diese kluge Frau, und das war ein Lob. Sie selbst könne es nicht so gut, gab sie zu, das mache manches schwierig. Sie wäre auf Fotos angewiesen, sagte sie. Bei dieser Malerin machte Tobias eine Ausbildung, auf die er sich berufen kann, und natürlich ist er das Kind eines großen Künstlers. Ich begriff das nicht gleich: „In Frankreich kann ich nicht ausstellen“, meinte er auf meine Frage. Einige Bilder zeigten Landschaft aus seiner Wahlheimat. „Warum kannst du nicht in Frankreich ausstellen?“, fragte ich ihn. Tobias hat ganz leuchtend blaue Augen.

Das erinnere ich genau.

Er schaute mich damit nur an und sagte gar nichts.

Normale Berufe sind so: Einfache Handgriffe beherrschen, Maschinen bedienen können, Schnelligkeit, Teamfähigkeit, soziales Miteinander, eine Hand wäscht die andere, ein Rädchen greift ins nächste. Das entscheidet über die gelungene Integration, man spricht dieselbe Sprache, Pünktlichkeit, Sauberkeit, passende Kleidung. So wie die anderen es gewöhnt sind, muss man sein. Dann ist jemand nützlich. Wer „Abseits“ erklären kann, gehört dazu. Wer uns weismacht, er habe die Relativitätstheorie begriffen, spinnt rum.

Das habe ich erfahren, eine Chefin mit Ausschank im Restaurant schimpft über den neuangestellten Mann: „Er kann kein Bier zapfen. Dauert ewig, nur Schaum, das Bier steht rum, und er begreift es nicht. Er argumentiert mit mir, statt das zu lernen.“ Sie schaut mich an: „Ich habe ihm gesagt, du kannst es nicht. Und er erklärt mir sonst was.“ Gut möglich, das ist ein Studierter ohne adäquaten Job in seinem Gebiet. Der muss nun mit über Fünfzig am Tresen stehen, will sich nichts sagen lassen? Er wäre dann intelligent, aber nicht klug genug für Normales, denke ich.

# Der Dorfmann

Aus Fehmarn zurück, fällt mir noch manches ein. Weiter geht’s mit dem Dorf hier. Normal ist es ja, durchschnittlich, norddeutsch. Es könnte Dünkelfeld heißen. Vom Mauersmann zum Gewerkschaftler, zum amateurhaften Politiker aufgestiegen und im Alter noch als Welterklärer unterwegs? Solche sind soziale Könner. Sie bekommen es hin zu leben. Sie tragen ein Gesicht vor sich her. Meine Geschichte findet mitten unter ihnen, den Augen ihrer Normalität statt.

Der erwähnte rote Häuptling, als er das noch gewesen ist, ich habe schon angedeutet, dass er heute nur noch die Leute anquatscht, meinte, als ich noch einen Ruf hatte als „Künstler“ und interessant für welche wirkte, die dergleichen Nähe zur Kunst zu schätzen wissen: „Wir wollen dich bekannter machen. Komm doch in die Fraktionssitzung, mal da was.“ (Bei einer anderen Gelegenheit: „Willst’ mal Stegner kennenlernen?“ Ich durfte Schenkel an Schenkel mit dem Wichtigen sitzen, seinen Worten lauschen! Eine Ehre, dabei gewesen zu sein, danke).

Brotlos ist die Kunst. Das mit der Fraktionssitzung lief so: Die Feierabendpolitiker tagten des Feierabends im Gemeindesaal der Kirche (ohne Stegner). Sie mussten sich mit ihrem rudimentären, eigenen Verstand begnügen, den sie, als spät zur Politik Berufene naturgemäß haben, probierten, die Geschicke vom Dorf zu sozialisieren. Die waren ernsthaft bemüht, sich ihre Einfalt nicht anmerken zu lassen. Ich schaute, arbeitete mit meinem Bleistift, radierte, zog verbesserte Linien, scherzte. Dabei brütete ich mein Kuckucksei aus, es hier, erst heute zum Besten zu geben. Ich saß also zwei Stunden mit den Sozialen, und eine schöne Zeichnung wurde fertig. Später habe ich die dem bei uns hochangesehenen Mann und seiner rotparteilichen Dorfgemeinschaft angeboten. So zwischen hundert und fünfhundert Euro kann man wohl denken, ist eine Sache in dieser Qualität wert. Das kam nie zustande, das von mir erhoffte Geschäft. Der mit allen Sabbelnde hat mich eine Zeit lang vertröstet. Ein dummer Junge, so kam ich mir vor, überhaupt ernsthaft dran geglaubt zu haben, hier was zu verdienen. Das Bild steht noch immer im Atelier. Ich hatte es gerahmt. Der Sozi als solcher, man kennt das ja, redet viel, und das ist nur Luft gepupt.

Als das nichts wurde mit dem Verkauf, stellte ich die Zeichnung online auf diese Website. Da blieb sie einige Zeit im Menü mit anderen vereint. Die roten Socken sind gut erkennbar. Jetzt kürzlich bin ich auf einer Vernissage eingeladen. Das war einige Örtchen weiter weg im schönen Schleswig-Holstein. Man fährt über die Autobahn hin, so viel kann ich sagen. Ich komme also mit der Künstlerin ins Gespräch. Sie kleckert amateurhafte Hafenbildchen zusammen. Die Dame ist talentiert, aber naiv, deswegen merkt sie nicht, sich zu entwickeln. Eine typische Frau fortgeschrittenen Alters, die wenigstens noch aufgebrochen ist, denke ich. Wir reden über die Kunst. Ich bleibe höflich. Dabei kommt raus, sie weiß, wer ich bin, und man habe wohl eine Zeichnung von mir? Die sei, von ihrem Mann gerahmt, bei ihnen an der Wand zuhause gehängt. Ich begreife nicht recht, dann kommt anderes zur Sprache. Nun lerne ich den Ehemann kennen. Er ist auch vor Ort zur Eröffnung dieser Ausstellung mit den Bildern seiner lieben Gattin. So ein erfahrener Gemütsmensch mit einem weißen Bärtchen rund um den Mund herum (wie man früher seinen Bart hatte) ist das. Ich meine, ihn schon mal gesehen zu haben? Der will mich aber nicht bewusst kennen, obschon wir im selben Städtchen leben. Doch – ich denke, ihm bereits begegnet zu sein. Wir reden. Der Mann beschreibt: Er helfe noch ein wenig im Ehrenamt, Reparatur. Er sei aktiv bei der Integration von Jugendlichen, früher habe er Politik gemacht.

„So, so“, sage ich, „interessant.“

Zuhause schaue ich nach: Der ist Teil dieser Zeichnung, die ich vor Jahren anfertigte. Ich mutmaße, der hat einen Screenshot abfotografiert bei mir? Dann hat der Gute, ein lieber sozialer Onkel, die Zeichnung ausgedruckt und kostengünstig gerahmt. Seine Frau, die Künstlerin, war zu doof, das als Ausdruck zu begreifen. Geblendet vom Goldrahmen wird sie gesagt haben:

„Das bist ja du!“

„Das hänge ich gleich über’s Sofa an die Wand.“

So wird es gewesen sein?

# Dorf

Die sind ja hier alle vernetzt und schachern sich Jahr für Jahr reih um den Ehrenamtspreis gegenseitig zu: Ein altes Ehepaar betreibt einen Treffpunkt in einer größeren Anlage bis jetzt, tat dort viel Gutes, Ausländer zu integrieren. Jetzt hören die beiden altersbedingt zum Jahresende auf, und meine Geschichte ist bereits Dorfklatsch. Was ich noch nicht beschrieben habe, ist wie es zu einem Gemälde kam für diese Leute in der Häusersammlung mit Treffpunkt. Der Ehrenamtler meinte: „Mal uns doch die Anlage“, und ich dachte, das wäre ein Auftrag für die Verwaltung. Eine Illustration erwartete ich für eine Anzeige, dort Wohnungen anzubieten, für Honorar. Aber die lieben Alten wollten nur ein Bild für sich, es im Treffpunkt an die Wand hängen. So schön wäre es doch hier, besonders auch bei Schnee im Winter oder wenn die zwischenstehenden Bäume frisches Grün trügen, fand seine Frau.

Ganz schön frech, das so für nass zu fordern.

Man nimmt mich nicht ernst, denke ich. Maler sind nur zweite Klasse in der Gesellschaft. Die haben das Bild, als es fertig gewesen ist, ein gelobtes und feierlich im Club aufgehängtes Werk, für ohne Geld gemalt von mir und fröhlich verschenkt, vermutlich inzwischen abgenommen (und womöglich vernichtet).

Persona non grata: Ich soll hier weg, lieber tot als lebendig, glaube ich.

Muss ich (noch einmal) erzählen weshalb?

# Willst du …

… den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht: Unser Dorf, ich bin angekommen. Man lernt. Hier ist es wie anderswo. Der Fisch stinkt vom Kopf, das meine ich. Unverdrossen bleibt nur, wer über sich selbst zu lachen lernt! Es gibt fröhliche Momente, gibt auch tolle Frauen, man mag einander tatsächlich, und einige handfeste Zeitgenossen haben wohl manches klargestellt, auch was mich betrifft, das ich nicht blicken konnte. Ich muss nicht alles wissen. Meine Fehler sind bekannt. Die anderen machen ja keine.

Nie wieder Politik. Das große Übel in Berlin ist das eine, der Ärger im Kleinen, im Dorf – das tut weh. Mit mir sind viele andere schockiert vom armseligen Herumeiern der Ampelregierung. Es ist absolut salonfähig geworden, über Politiker herzuziehen. Wir sind als begeisterte Demokraten in unsere Leben gestartet und erleben heute eine gesamtgesellschaftliche Dekadenz, dass es nicht zu fassen ist. Ganz vornan erkennt man die Unfähigkeit der Staatenlenker und ihre Gehilfen in den Ministerien, eben weil alles so transparent ist. Das ist eine Qualität unseres tollen, freien Systems. Wir dürfen spotten, unsere Meinung frei sagen. An die Grenze der freien Meinung stößt einer nur, wenn es zu direkten Konfrontationen mit echten Menschen kommt. Eine Polizistin, ein Staatsanwalt, eine Bürgermeisterin, die dich persönlich kennt, wird danach trachten, dir mindestens einen empfindlichen Tritt zu verpassen, wenn das ihre Position beleben könnte, einen persönlichen Vorteil bedeutet, die Karriere anschiebt womöglich.

Wer hat was zu verlieren und wie viel Geschick, seinen Platz zu beanspruchen? Das ist eine Frage, die aufkommt in der Debatte um die Gefährlichkeit von Menschen (und wie man mit sogenannten Gestörten umzugehen habe, nicht nur im Zusammenhang mit Migration). Erst nachdenken, dann reden und wenn das unmöglich ist, handeln im Sinne aller Beteiligten, ist dem Staat wohl geboten, wenn dieser sensibel und klug gestalten möchte, langlebig sein am Regierungsort. Eine Frau, die, wie sie von sich meint, Meisterin unserer Politik ist und mit ihrem gutem Draht zur Kripo glänzen möchte, eine, die los trabt nach dem Motto: „Ich mache das mal selbst“, habe ich kennengelernt. Sie hält sich für eine extra befähigte Königin, sogar gewählt von den Bauern hier, die zwar keine Alternative bekamen, aber was macht das schon?

# Die kleine Keinwahl im Kaff

Ich lerne von Donald Trump, Polemik geht über die Fakten. Ich kenne die Zahlen nur ungefähr. Es mag im Tageblatt gestanden haben, wie wir wählten? (Ich selbst habe nicht gewählt). Das Blättchen lese ich nicht mehr, seitdem es ausschließlich online angeboten wird. Ich lese das Pinneberger Tageblatt, das gibt es beim Bäcker. Pinneberg ist die Kreisstadt und gleich nebenan. Dort wurde nichts über uns berichtet, meine ich mich zu erinnern. Es stand bei Bastian. Das ist auch besser recherchiert, was der Mann auf die Beine stellt. Dieser Bote wird gelesen. Ich halte mich also an die moderne Sicht, kenne die Zahlen nicht und behaupte trotzdem was.

Demokratie vom Dorf geht so, zwanzigtausend leben hier, und es gibt keinen Gegenkandidaten. Dreitausend gehen zur Wahl hin. Zweitausend stimmen mit Ja. Das sind die, die immer: „Ja!“ sagen. Es ist die Herde, die mitläuft. (Zwei Drittel der Leute sind Nazi gegebenenfalls). Bei uns entscheiden sich etwa tausend gegen die Amtierende. Die stimmen (trotzig) mit Nein. Bote Bastian, das alternative Käseblatt, meint: „Klar gewonnen!“

Herzlichen Glückwunsch.

Weiter so.

Ich bin fertig mit dieser Frau, riskiere meine Website (wieder) und missbrauche die Kunst für meinen Spott, egal. Wie wichtig ist das? Dem Namen nach bloß eine Köchin vom Hofe, hat die Alte das Zepter der Macht an sich gerissen, umklammert den Stab. Eine Majestät, überzogen, eingebildet, vom eigenen Geblahe begeistert, profiliert sich an der Spitze einer Gurkentruppe, lehnt im höchsten Stock vom Kaff weit aus dem Fenster, hält Ausschau, schaut hin, regelt die Verkehre (wickelt mich ab) und fürchtet aber doch, sie könnte tief fallen?

Der angeblich Verrückte, abiturisiert, studiert, als Grafiker etabliert mit Reihenhaus und existentiell sehenswertem Zubehör: Ehefrau, Familie, Auto, Boot und reichlich Beziehungen, Freunden im Gepäck – so sehe ich mich, dürfte sich anders gebärden als ein drogensüchtiger Asylant.

Solche werden natürlich ungestraft einfach weggetreten.

# „Peter“ ist heute eine Frau

Das „Peter-Prinzip“ gibt uns seine These, Menschen werden bis in die Inkompetenz befördert. Auch eine Krankheit unserer Demokratie scheinbar. Unsere Freiheit ist so, eine Person wie Frau Ricarda Lang, Mitglied des Deutschen Bundestages, die Grünen-Chefin, frisch verheiratet, wird gewählt. Was befähigt sie für diese Position? Ihre gesellschaftliche Akzeptanz, sie verdient ihr Einkommen damit, geschieht auf nicht nachvollziehbare Weise. Sie ist omnipräsent, erklärt, was wir tun müssten und darf diese Worte ablassen am ihr zugestandenen Platz. Das ertragen wir, obwohl scheinbar jeder (selbst flüchtige Bekannte sprechen es gern an) diese Frau als absolut unmöglich ansieht. Und ich bin mit einigen in Gesprächen über Politik auf dieses Thema gekommen. Das ist ganz unvermeidlich. Ihre Körperfülle stößt ab. Die Gesichtsmimik wirkt komplett hilflos, aber sie redet ununterbrochen. Ihre Stimme, die Argumentation, das polarisiert extrem negativ, dass sich alle einig sind.

Wenn „die“ spricht, schalten wir ab.

„Wir werden gesteuert von Laien, die nichts gelernt haben“, sagt Wendelin Wiedeking, 72 Jahre alt, von 1993 bis 2009 Porsche-Chef, in der Bild am Sonntag (15. September 2024).

Über Robert Habeck, aktuell Wirtschaftsminister, urteilt Wiedeking vernichtend:

„Ich glaube, wichtig ist, dass die Politiker, die Verantwortung übernehmen, auch Kompetenz haben, dass sie wissen, wovon sie reden. Und das fehlt mir heute. Ich glaube, das Zurückwünschen ist akademisch. Wir müssen nach vorn schauen. Wir müssen auf starke Persönlichkeiten setzen, die jetzt Sach- und Fachkompetenz haben. Dem Habeck spreche ich diese Sachkompetenz im Sinne von Wirtschaft völlig ab.“

Der Manager ist der Meinung:

„Wir haben heute eine überzogene Politik, die getrieben wird durch grüne Ideologie, die mit Realitätsnähe nichts mehr zu tun hat.“ (BamS 15.9.2024)

# Wie kommt das?

Ich denke da weiter an beispielsweise Daniel Küblböck. Er wurde populär. Es gab reichlich Bewunderer, obwohl er schreckliche Geräusche machte, das für Gesang hielt. So gibt es mehr Leute. Menderes Bağcı ist ähnlich untalentiert und penetrant vorgegangen. Er hatte schließlich viele Unterstützer, ist immer selbstbewusster geworden in dieser Rolle. Michael Wendler behauptet sich. Das regt an, reflektiert zu werden: Einmal angenommen, man forderte die Deutschen auf, sich für oder gegen solche Künstler auszusprechen? Die Mehrheit ignorierte den Aufruf. Diese Sänger sind der Gesellschaft insgesamt egal. Wer hingegen einen Daumen hoch setzt, will sich selbst im Ergebnis sehen. Eine Fangemeinde kann mobilisiert werden. Ablehnung, die mit einer Aktivität einhergeht, dürfte schwieriger in Gang kommen. Das bräuchte einen, der ruft: „Seid dagegen!“ Uns muss die Sache angehen, das kommt dazu. So werden Demonstrationen auf die Straße gebracht. Die bilden aber nicht das Verhalten in der Wahlkabine ab. Dort wird man nicht gesehen. Soziale Gesetze wandeln sich mit der Zeit, müssen respektiert werden. Junge Wähler informieren sich anders. Politik oder Influencer zu sein, nähern sich an. Donald Trump hat scheinbar die halben Vereinigten Staaten auf seiner Seite, obwohl wir schon wissen, was passiert, sollte er wieder gewählt werden. Er ist faul. Er wird nichts machen im Amt, außer den Wahlkampf fortführen wie aktuell.

Ich sehe mich selbst übrigens durchaus in dieser Liste, in einer Nische zwar, aber für viele bin ich einfach nur der Spacken. Mit einem Unterschied: Ich stelle mich nicht zur Wahl, maße mir nicht an, Wirtschaftsminister zu sein und präsentiere meine Behauptungen bloß im eigenen Schaufenster. Wo gehöre ich hin, wollte ich wissen, meine Freiheit, wie groß kann sie sein? Eine Parallele zwischen Kunst und Politik finde ich sogar im Kleinen. Zu sein, bedeutet auch der Frage nach Akzeptanz zu folgen. Richtet sich jemand einfach an seiner Nützlichkeit aus, passt sich als fleißiges Rädchen ins Getriebe ein, geht alles klar. Wer sich um eine Stelle bewirbt, stellt sich bereits einer Wahl. Wie ist es mit der Kunst? Wird jemand daran gemessen, wie nützlich er sich macht, also wie gut sein Verkauf läuft oder schauen die Menschen sogar hin, wer das ist, wofür jemand steht und ob es durch seine Kunstfertigkeit zum Ausdruck kommt?

Von den in Deutschland lebenden Millionen geht das Amt der Bürgermeisterin die Menschen an, die im dazugehörigen Einflussbereich leben. Das wird ihnen gesagt. Wir haben diese Demokratie nicht erfunden oder selbst auf die Beine gestellt. Man rät uns, den Apparat zu pflegen, verweist auf aktuelle Unrechtsstaaten und die Geschichtsbücher. Das motiviert mäßig. Zur Wahl aufgerufen, stimmen letztlich nur einige im Dorf positiv ab. Das sichert aber eine persönliche Existenz. Wer zur Wahl antritt, beweist Mut. Den meisten Deutschen ist egal, wer irgendwo in einer Kleinstadt regiert. Selbst viele der Einwohner halten es so mit der Politik vor Ort. Sie wählen nicht. Die Mehrheiten sind relativ zur Wahlbeteiligung.

Was hat es mir zu tun?

Die Frage muss man sich stellen. Ich, der Maler John Bassiner, nütze dem Land nicht oder kaum mal, wähle niemanden, bin verstockt, trotzig. Mein kreativer Beitrag ist klein. Ich bin unbekannt. Würde ich Schafe auf dem Deich, Leuchttürme in Friesland pinseln, verdiente ich wenig. Es wäre ein Almosen, gemessen am typischen Einkommen der anderen. So, wie ich male, meine speziellen Themen (niemand will das mit mir zusammen verantworten), bekomme ich noch weniger, nämlich gar kein Geld, nichts.

# Kunst bedeutet Meinungsäußerung

Werke zu veröffentlichen, kann polarisieren. Es ist eine Qualität, abgelehnt zu werden. Man muss es begreifen. Das Geschehen im Dorf hat mich nicht davon abgehalten, weiter meine Sachen zu machen, und siehe da, inzwischen bin ich integriert. Man gibt mir die Hand zur Begrüßung, winkt mir fröhlich zu, schnackt. Als gewöhnlicher Grafiker fiele die Begeisterung, mich zu sehen, noch geringer aus. Mit dem Plus auf dem Konto müsste ich mich trösten, wenn der Auftraggeber sagt: „Montag muss es fertig sein!“ Als einfacher psychisch Kranker, der regelmäßig spinnt, erlebte ich weder Akzeptanz noch vertraute man mir was an und bezahlte mich. Ob ich mich befreien konnte von diesem Albtraum, interessiert kaum; aber so fühlt es sich an.

Ich verteidige meine Unabhängigkeit, notfalls mit der Faust. Ich habe schon zugeschlagen und stehe dazu. Rufmord kann nur schwerlich bewiesen werden vor Gericht. Gemobbte kennen das Problem. Provokationen darf man nur zulassen bis zum noch erträglichen Grad. Wer zu frech auftrumpft, bekommt verdient Haue. Meine Texte enthalten radikalen Frust, nicht selten Frauenverachtung. Meine Bilder gelten als sexistisch. Die Größe meiner Gesundheit (oder umgekehrt ihr Kleinsein) nehme ich hin als unbekannt. Verschiedentlich kommen Schmerzen, in meinem Alter nicht selten. Was sie bedeuten, bleibt unabgeklärt, verborgen. Ärzten zu vertrauen, ist für mich unmöglich geworden. Psychische Not, auch das erlebe ich, bestreite ich ausnahmsweise, wenn es nicht anders geht (und ich das merke!) mit Pillen, deren Haltbarkeit seit Jahren abgelaufen ist. Diese Strategie konnte mir bislang nicht verboten werden: Ich musste mittels Anwalt gegen eine Interessengruppe vorgehen, mutmaßlich meine aufs Erben versessene Familie!

Denen ging ihre Abzocke nicht schnell genug.

Ich kann mir helfen.

Man muss allein klar kommen im Leben, darf aber nicht alleingelassen bleiben. Wir müssen uns trauen, um Hilfe zu bitten. Es steht dem Menschen frei, wen er bittet, und so können wir normalerweise wählen. Ich bin aber in den Augen vieler nicht normal genug für diese Selbstbestimmung. Ich gebe zu, mithilfe von Diebstahl an geeigneter Stelle im Gesundheitssystem, so was ist rezeptpflichtig (man benötigt Beziehungen), halte ich eine Notfalldosis meiner Medikamente in genügender Menge vor. Mein früherer Psychiater ist Rentner. Ginge ich in einer Krise zu einem neuen Arzt, wünschte bloß schnell eine Packung Psychopharmaka zum Eigengebrauch, was würde passieren? Da forderte so jemand wohl, mich auch zu therapieren. Ich gehe davon aus, dass man mich zwingend manipulieren möchte, ich bräuchte Behandlung usw. Deswegen muss ich ohne Hilfe auskommen. Ich verlange, meine Integrität zu behalten. Ich probiere, als Mensch behandelt zu werden, der selbst darüber bestimmt, ob er Patient sein möchte, respektiert wird in dieser Gesellschaft, die so verlogen ist, wie nur was. Im Normalfall verzichte ich auf jegliche Behandlung aller Fakultäten, die Einnahme von Tabletten grundsätzlich (außer dem Gang zum Zahnarzt; ein Freund). Diesen Preis meines Glückes trage ich. Ich male was ich will, habe (unverdientes) Geld (d. h. geerbt), Besitz und eine eigene Meinung.

Meine Existenz konnte ich ausgestalten – danke! Deutschland ist trotz allem ein geiles Land, denke ich. Wir haben einiges zu verlieren.

# Nackt

Ja, das neue Bild, ich möchte nun endlich erzählen davon. Es soll „Nudisten“ heißen. Ich bereite es schon lange vor. Eine große Leinwand trägt bereits Spuren von Untermalung. Dann aber habe ich abgebrochen, weiter zu übertragen, was ich mir ausdachte. Ich ändere aktuell am Entwurf noch manches. Das muss sein. Später soll es weitergehen. „Könnte man’s in Worten sagen, müsste niemand malen“, fand Edward Hopper. Und David Hockney meint, man solle schon genau hinsehen, wie einer malt, und was er dazu sagt, ob es auch im Bild enthalten ist. Klappehalten wäre mal besser, denke ich – und doch sind einige Überlegungen so schlecht nicht.

Das Nacktbaden hat Tradition, aber die Zeiten haben sich geändert. Abbildungen von nackten Menschen erregen uns. Besonders Männer schauen Pornos. Man muss nicht selbst an einen Strand gehen. Es genügt, einen Computer zu besitzen oder ein Smartphone. Schon die hundsgewöhnliche Suchmaschine Google geleitet uns in alle möglichen Lusträume. Anfangs des neuen Zeitalters fanden sich noch reichlich Contest-Bilder der Nudisten. Dort waren auch kleinere Kinder zu Gruppenbildchen aufgestellt, nackt, mit Sandalen und alternativ ganz nackt standen sie mit ihren Nummerntafeln in der Sommersonne und dachten sich nichts dabei. „Wer ist die Schönste?“, sollte hier herausgefunden werden. Und Mama und Papa sind ja auch immer nackt dabei. Solche Kiddys machen auch Sport. Sie werfen Dartpfeile, tanzen Limbo und baden, treffen sich indoor an Geräten oder üben Klavier. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt, und die Betreiber der Seiten haben immer auf erfolgreich abgewiesene Klageschriften hingewiesen. Nacktheit an sich sei kein Porno und frei erlaubt zu zeigen, stand unten in kleiner Schrift. Inzwischen bringt Google diese Bilder nicht mehr. Vermutlich sind sie noch irgendwo? Man benötigt wohl kriminelle Energie, sie zu entdecken. Die allgemeinen Nudistenseiten sind immer noch leicht zu finden. Aber man sieht keine nackten Kinder mehr. Das Problem dürfte sein, dass mancher Lust auf mehr bekommt und nach der Devise „wehret den Anfängen“, werden die Kritiker dieser Abbildungen erfolgreich gewesen sein, dass es nicht mehr gleich obenan kommt. Gut so finde ich, denn nackt am Strand oder im stillen Kämmerlein auf der Suche nach Wichsvorlagen unterwegs, ist nicht dasselbe. Der Nacktbadestrand ist so harmlos nicht, wie Nudisten behaupten. Männer bekommen Erektionen in der Öffentlichkeit, wenn sie dort lustwandeln. Das passiert schon mal. Man soll also bitte nicht so tun, als ginge es bloß um eine Natürlichkeit an der frischen Luft ohne jegliche sexuelle Komponente.

Damit ich mich entscheide, ein Bild zu malen, braucht es verschiedene Motivationsstränge. Das Beschriebene ist einer davon.

Wie lange die Kindheit dauern solle ohne die Erkenntnis erwachsener Sexualität, wird diskutiert. Wir können aber nur bedingt Einfluss darauf nehmen, was unsere Kinder mitbekommen und wie sie das im Kontext begreifen. Auf einer Busfahrt im öffentlichen Linienverkehr, irgendwo zwischen Stresemannstraße und Musikhalle, Gänsemarkt darf ich miterleben, wie die Moderne sich ausgestaltet. Drei Jungs, noch keine vierzehn Jahre alt, sind zugestiegen und unterhalten sich über das, was auf ihren Smartphones geht und was nicht. Zwei von ihnen haben ungehindert Zugang zu allem, wie ich als Erwachsener es gegebenenfalls hätte. Ich habe ja kein Telefon dabei wie alle anderen. Ich lebe aber nicht auf dem Mond oder dahinter. Ein wenig Mäuschen sein bei diesen Gesprächen macht Spaß. Das eine Kind zeigt den anderen, was bei ihm gesperrt wurde von den Eltern. Niemand macht sich lustig, aber sie checken, was auf YouTube oder Google läuft bei ihnen, und was der Freund nicht ansehen kann. Die wirken recht erwachsen für ihr Alter. Ich möchte es nicht bewerten. Das Verhältnis der kleinen Gruppe, zwei zu eins für freies Internet, zeigt aber, dass unsere Möglichkeiten als Eltern, die Kinder vor digitalen Gefahren abzuschirmen, nur teilweise erfolgreich sind.

Der dritte Aspekt, warum ich mein Bild so gestalte, ist der Schrecken, der mich erfasste, als auf der Dokumenta ein riesiges Gemälde, eine Zeichnung nach der Art eines Wimmelbildes, abgehängt wurde. Man stellte antisemitische Bildsprache fest. Nach Diskussionen über einen kurzen Zeitraum von einigen Tagen entschied Claudia Roth gegen das Bild. Die Künstler mussten es entfernen. Da wäre eine rote Linie überschritten, die Bildsprache der Nazis sei erkennbar und deswegen müsse sie einschreiten, fand die Ministerin. Das mache man bei Nazimusik ja auch, wird sie gedacht haben. Tatsächlich fand die öffentliche Debatte statt, nachdem das Bild gezeigt wurde und dann setzte sich der Tenor schließlich durch, es müsse weg. Die Menschen stürzten um, was ihre Haltung in der Sache betrifft wie Dominosteine. Die Kreativen hatten ihre Arbeit getan, und dann war es eine Tat, und Täter bestraft man. Es war quasi „entartete Kunst“, aber das ist ein Unwort heute.

Was mich auf den Weg brachte, mein Bild trotz allem zu entwickeln, waren verschiedene Aussagen in den öffentlichen Medien der letzten Jahre, wo es um Lust und alte Männer, junge Frauen ging. Da wäre zum einen die tragische Geschichte um Michael Wendler, aber das ist weniger durch meinen Kopf gespukt bei der Bildfindung. Ein Satz der Ehefrau vom italienischen Ministerpräsidenten damals blieb hängen. „Unsere Männer heute machen mit Zwölfjährigen rum.“ Dann gab es die Geschichte mit dem Gymnasiallehrer und einer Schülerin. Das Mädchen schaffte es nach eigener Aussage, den coolsten Typen an dieser Schule für sich zu gewinnen, ihren Lehrer. Sie teilte dieses Geheimnis nur mit einer engsten Klassenkameradin. Der verheiratete Mann mietete eine kleine Wohnung und versprach Liebe, spätere Heirat, so genau weiß ich’s nicht mehr. Eine Zeit lang lief alles bestens heimlich. Dann sickerte was durch, und nun landete die Sache vor Gericht. Der entscheidende Punkt, der alles änderte, war das Begreifen der Schülerin: „Nach einiger Zeit ging es ihm nur noch um Sex.“ Weiter las ich die Beschreibungen eines der Mädchen auf diesen Partys mit Epstein und dem Bruder von Charles: „Wir mussten uns immer weiter ausziehen und wurden wie Spielzeuge herumgereicht.“ Das ganze Konglomerat dieser mitbekommenen neuzeitlichen Anpassung, was Männer, Frauen und Jugendliche betrifft, sollte ein Bildthema sein, fand ich. Das habe ich am Strand konzipiert, weniger böse als vielmehr wie eine Illustration, nachdem ich nicht damit zurecht kam, eine Lustparty nach dem Bunga-Prinzip zu inszenieren. Jetzt bin ich allmählich bereit zu malen. Alles wurde am Computer komponiert. Aktuell beschäftigen mich kleinere Korrekturen im Bildaufbau. Bald kommt Farbe auf die Leinwand. Wie das denn schließlich wird und ob es etwas bewirkt, kann ich natürlich nicht sagen. Es lohnt aber, innerlich aufzuräumen im Kopf, um zu wissen, was einem das Steckenpferd Kunst bedeutet.

# Meine Geschichte

„Schreiben ist das Sichtbarmachen von Gedanken“, erklärte uns Martin Andersch. Das war mein lieber alter Professor an der Armgartstraße. Der ist schon so lange tot! Da weiß ich, wie alt ich selbst jetzt bin. Ich habe ein Buch von Alfred Andersch. Das war der Bruder: „Die Kirschen der Freiheit“, aber das steht bloß im Regal. Ich habe es Martin zuliebe gekauft, glaube ich, als Student. Ich wollte dazugehören, las es nie.

Ich habe alles von Böll gelesen. Otto Ruths hat ihn einmal getroffen, in Schottland oder so. Sie hatten in einer Wanderhütte zusammengesessen, geredet. Als ich wieder einmal zu Besuch in Blankenese war, wohl noch als Student, nahm der Maler ein Buch aus dem Regal. Auf dem Titel war ein Foto von Heinrich Böll. „Schau dir das Gesicht an“, meinte mein Professor: „So sieht einer aus, der immer in die Fresse kriegt.“

Max Frisch war es, den ich zuerst las. (Vorher nur Karl May und dergleichen). Frisch, das kam anschließend der Schule. Wir bekamen „Homo Faber“ im Deutschunterricht als Aufgabe mit vielen Facetten, die wir beleuchten mussten in Referaten. Im Netz finde ich jetzt was zu diesem Berühmten, das ich nicht wusste.

Zitat:

„Im selben Jahr erfuhr er im Rahmen der Fichenaffäre, dass er seit seiner Teilnahme am internationalen Friedenskongress 1948 wie viele andere Schweizer Bürger von den Behörden bespitzelt worden war. Am 1. August 1990 erhielt er (zensurierten) Zugang zu den behördlichen Aufzeichnungen und verfasste vor Ende 1990 dazu den Kommentar ,Ignoranz als Staatsschutz?‘, in dem er zu einzelnen Aktenteilen Stellung nahm: Seine Fiche sei ,ein Dokument der Ignoranz, der Borniertheit, der Provinzialität‘. Der Text wurde 2015 bei Suhrkamp als Buch veröffentlicht. (Wikipedia).

Zitat Ende.

Frisch hatte das Nacktbaden auf Sylt kennengelernt. Deswegen muss er hier erwähnt werden, nicht nur, weil ich manches gelesen habe von ihm, sondern weil mir eine bestimmte Textstelle gefällt, meine Motive zu beleuchten für das angefangene Bild. Die kann ich aber nicht wiederfinden. Zuerst habe ich einiges quergelesen. Dabei habe ich schnell im „Tagebuch 1946-1949“ das hier entdeckt:

Zitat:

„Man badet hier ohne alles, und das ist herrlich, man verwundert sich höchstens, wie selbstverständlich es ist. Heute liegen wir in einer Gruppe, es kommt ein junges Paar, beide im Badkleid, Bekannte, und als sie uns auf dreißig Schritte erkennen, bleiben sie stehen, machen das einzig Geziemende, streifen ihr Badzeug herunter, nehmen es in die linke Hand und kommen zur Begrüßung –.“

Das schreibt Max Frisch auf Seite 355 im Tagebuch, Kampen, Juli 1949.

Zitat Ende.

Das ist aber nicht die von mir so dringlich vermisste Textstelle. Ich suche einen Absatz, wo es so ungefähr über eine (übrigens örtlich wohl auf Sylt ganz ähnliche) Situation heißt, wie absurd es sei, nackt am Strand so zu tun, als bemerke man diese Blöße nicht, und das Ganze wäre so normal wie beim Kinobesuch, Konversation im Foyer zu machen oder anderswo, im Büro, Alltag. Das steht irgendwo, und zunächst dachte ich in „Montauk“. Ich las alles quer. Ich las schließlich eine Biografie komplett, nicht quer, und da fand ich es auch nicht. Ich nahm mir „Montauk“ wieder vor. Das ist dünn, unterhaltsam. Ich habe es kürzlich ganz gelesen, das erste Mal seit zig Jahren, habe ich wieder Frisch gelesen. Es hat mir gefallen. Ich lese sonst nie mehr ein Buch, nur Zeitungen. Es steht aber nicht in „Montauk“, was ich suchte. Dann ging ich an den „Faber“, las ihn quer. Ich fand den gesuchten Absatz nicht. Ich ging dran, widerwillig, den ganzen „Homo Faber“ neu zu lesen. Es hat mir doch gefallen. Dieses Buch hatte ich in der Schule nicht nur gelesen, wir arbeiteten das durch, und das ist mehr als lesen. Anschließend, nach dem bestandenem Fachabitur (mit Willi, unserem Deutschlehrer), las ich freiwillig den „Homo Faber“ ein weiteres Mal. Das musste damals irgendwie sein.

Jetzt nochmal: Ich kann sagen, das Gesuchte ist nicht darin.

Ich fand ein Interview im Netz mit einem Sohn Peter Frisch. Der Mann hat erfolgreich gesegelt und betreibt ein Fachgeschäft. Ich überlegte, den anzuschreiben – und habe diese Idee verworfen.

Ich machte mich dran, „Stiller“ zu lesen, nachdem Querlesen nicht erfolgreich war. Ich habe jetzt beinahe die Hälfte von dem dicken Roman hinter mich gebracht! Es ist anstrengend. Das Buch nervt mich, besonders die Wildwest- und Amerikageschichten. Frisch macht kaum Absätze. Seitenlang nur Wörter. Seine Sätze sind toll, aber lang. Er setzt keine wörtliche Rede. Da kommen beständig Satzendzeichen, und dann es geht klein weiter. Manchmal ist das schön, dann wieder verwirrt es. Er platziert manchen Gedankenstrich noch vor dem den Satz abschließenden Punkt ganz am Schluss. Was soll das? Es gibt ständig die alten Schreibweisen. Sie machen einen darüber nachdenken, warum es so oder so gehören könnte?

Sollte ich das Ding durchhalten und die gesuchten Worte auffinden, zitiere ich sie noch korrekt hier am Schluss. Das habe ich mir vorgenommen. Man könnte es irgendwann nachtragen. Wir fahren nächste Woche nach Fehmarn. Ich nehme den „Stiller“ mit in unseren Urlaub und kann „Mein Name sei Gantenbein“ anschließend (am Strand) lesen, sollte es nicht im „Stiller“ stehen. Täuscht mich die Erinnerung? Mir geht es um Genauigkeit. Um zu erklären, warum ich mein geplantes Bild „Nudisten“ genau so malen möchte, und um es mir selbst klar zu machen, ist das nötig, die eigenen Gedanken aufzuräumen. Ich habe von Risiken geschrieben und dass sie meiner Meinung nach zum Leben dazugehören, als individuelle Aufgaben angenommen werden müssen. Für unseren Briefträger stelle ich keine Gefahr dar, wie dieser lachend mir gegenüber mit seinem polnischen Akzent zum Ausdruck bringt. Das steht hier bereits im Text. Ich habe ja angedeutet, dass sich die Bürgermeisterin vor mir fürchtet womöglich? Wovor ich selbst Angst habe, dass ist auch, dieses Bild zu malen. Darum mache ich es.

# Never underestimate your power!

Man sollte nicht alles vorweg nehmen. Hier ist noch eine Textstelle. Ein unerwartet veröffentlichtes intimes Tagebuch der Tochter des amerikanischen Präsidenten wird zum Anlass für einen Artikel genommen.

Zitat:

„Zumal nun feststeht: Die schockierenden Auszüge aus Ashley Bidens gestohlenem Tagebuch über sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit und das gemeinsame Duschen mit ihrem Vater stammen wirklich von ihr. Entgegen anfänglicher Zweifeln wurde bescheinigt: Sie sind echt und unverfälscht. In einem kürzlich veröffentlichten Gerichtsdokument bestätigte die 43-jährige Ashley Biden: Ja, sie selbst war die Verfasserin dieser Aufzeichnungen.

,Wurde ich missbraucht? Ich glaube schon.‘

Neben ausführlichen Einzelheiten über ihren Drogenkonsum schrieb die damals 37-Jährige in einem Auszug vom Juli 2019: ,Übersexualisiert in jungen Jahren. Was ist der Grund dafür? Wurde ich missbraucht? Ich glaube schon.‘ Und weiter: „Ich kann mich zwar nicht an Details erinnern, aber sehr wohl an ein Trauma … . Ich erinnere mich, dass ich mit Carolin (Anmerkung der Redaktion: ihre Cousine) sexualisiert wurde; dass ich in jungen Jahren Sex hatte; ich habe mit meinem Vater geduscht (was wahrscheinlich nicht angemessen war); ich war erregt, wenn ich es nicht hätte sein sollen.‘

Auf der Suche nach möglichen Gründen für ihre Sucht listet Ashley eine Reihe von Stichpunkten auf: ,Mutter emotional nicht für mich da gewesen‘; ,Decke weggenommen‘ – oder ,ließen mich nicht allein auf die Toilette gehen.‘“

(Yahoo Website FOCUS-online-Korrespondentin Sandra Ward, Do., 27. Juni 2024).

Zitat Ende.

Mir gefällt dieser Satz: „Ich war erregt, wenn ich es nicht hätte sein sollen.“

Deswegen suche ich nach dem Text bei Frisch. Frisch beschreibt, wie Menschen, also Nudisten würde man heute sagen, so tun, als wäre nackt zu sein ganz normal. Das sei dringend nötig für uns, finden manche, es so anzusehen, endlich von jedem Tabu befreit sein müsste das Nacktsein. So herumzulaufen wäre nur natürlich und habe, so wie es betrieben würde, keine sexuelle Komponente. Jedenfalls gelte es, diese auszublenden. Im Tagebuch vom Schweizer Schriftsteller steht es damals lapidar als schönes Erlebnis wahrgenommen, aber die Worte, nach denen ich inzwischen verbissen und zugegebenermaßen genervt suche, waren anders. Der Autor – oder sein Protagonist in einem Roman, wenn ich nur wüsste, welches Buch, jedenfalls ein Theaterstück dürfte es nicht sein –, bekundet Unbehagen.

Der Schreibende greift den Umstand auf, dass nackt zu sein eben doch besondere Gefühle anregt, weil es gerade nicht normal wäre.

Auch der verstorbene Robert Lemke hat einmal gesagt, er fände nichts nötig zum alltäglichen Nacktsein (am Strand), das gäbe ihm nichts, was das solle? Das Entkleiden, also etwa das Oberteil einer Frau behutsam wegzunehmen, habe für ihn etwas vom Geschenkeauspacken. Das Schönste wäre es doch, und diese Vorfreude gehöre dazu, nicht alles gleich zu wissen, was einen erwarte. Heute dürfte man so etwas, so unverblümt, wie man es denkt, ja nicht mehr sagen. Das gäbe einen Shitstorm. Nacktheit, und besonders bei den Nudisten sind ja auch die Kinder nackt, wird mehr denn je zum Anlass genommen, Menschen fertigzumachen, die irgendwie angreifbar sind mit entsprechenden Darstellungen, die sie veröffentlichen, die ihre Gefühle darstellen; oder wenn sie sich selbst entblößen, gibt das Anlass zum Spott oder Verfolgung. Dies bedeutet das willkommene Material für Gutmenschen, verbale Hinrichtungen anzuordnen.

# Ich kenne das

Nacktheit ist mir als Zeichner vertraut. Ich habe sehr viele Aktzeichnungen gemacht nach Modell. Ich habe selbst nackt Modell gestanden. Es ist anstrengend. Ich habe auch mal einen Mann gefragt, dessen Beruf es ist – „Das Hamburger Modell“ nennt er sich –, bezüglich seiner Gefühle und möglichen Erektionen dabei.

„Das passiert mir nicht. Es wäre nicht professionell.“

Im Netz gibt es im unglaublich riesigen, pornografischen Angebot an Filmen und Fotografien, künstlerischer und derber Präsentation vom Allzumenschlichen auch einige entsprechende Produktionen, die sich der Sache annehmen. Videos haben sich zum Ziel gesetzt, diese Thematik „Aktzeichnen“ mit männlichen Modellen und jungen, zeichnenden Künstlerinnen, die (zunächst voll bekleidet wie üblich) arbeiten an ihrer Staffelei, in Szene zu setzen. Dann entgleitet ihnen die Sache. Gefühle kommen auf. Erst lutschen, dann selbst sich ausziehen und schließlich Sex. Ist das angemessen?

Wir sehen die allmähliche Aufrichtung zuckender männlicher Glieder gleich mehrerer Modelle im Raum. Dann entwickelt sich je nach Länge des Films und Länge der Stangen manches. So ist das eben im Porno.

# Fantasie verboten?

Das hier, was ich noch einkopieren möchte, ist auch interessant, weil diese weltweit genutzte Plattform nicht drumherum kommt, das Thema zu definieren.

Eine Bildersammlung für alle.

Zitat:

Pinterest ist kein Ort für Pornografie. Wir schränken die Verbreitung nicht jugendfreier und expliziter Inhalte ein oder entfernen diese. Dazu zählen Dinge wie Fetischbilder, Bilder von Nacktheit mit pornografischer Absicht, anschauliche sexuelle Beschreibungen und grafische Darstellungen sexueller Aktivitäten. Wir tun unser Bestes, um zwischen Pornografie und anderen Inhalten zu unterscheiden, die Nacktheit involvieren könnten. Beispielsweise könnten Kunst, Aufklärung oder Beratung zu geschützten Geschlechtsverkehr sowie politische Proteste legitime Gründe für das Merken von Inhalten mit entblößten Körpern bzw. nicht jugendfreien Inhalten sein, jedoch spielen Kontext und Absicht hierbei immer eine wichtige Rolle. Es ist auch zulässig, sich Inhalte über sexuelle Gesundheit, Stillen, Mastektomien usw. zu merken.

Wenn du einen Pin siehst, der explizite sexuelle Handlungen enthält und deiner Meinung nach gegen unsere Community-Richtlinien verstößt, kannst du … usw.

Zitat Ende.

Wann ist es Kunst, wo beginnt Porno und was wäre strafbar? Ist, was zu bestrafen nach Gesetzeslage möglicherweise möglich ist für einen proaktiven Jäger (der verbotenen Bilder), auch ein Verbrechen? Werden gesellschaftliche Grenzen überschritten oder Menschen traumatisiert, gefährdet durch eine Darstellung? Macht es die Menge der Bilder, ob das Zeug der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde? Wie beim Falschgeld: Ist es welches, oder wird es dazu erst dann, wenn es in den Umlauf gelangt?

Ist ein Bild strafbares Material, weil eine Staatsanwältin es so will und bedeutet das ein Verbrechen, eine Verletzung, eine Gefahr für Menschen, dass deswegen welche, Frauen, Kinder zu Schaden kommen, leiden werden, und muss deswegen ein Täter als solcher definiert werden, büßen?

Das entscheidet ein Gericht und nicht der Mob nebenan.

Die Polizei nimmt sich der Sache an, die Nachbarn bilden eine Bürgerwehr: Wenn ein aus dem Gefängnis entlassener Sexualstraftäter nebenan einzieht, werden sie ihn fertig machen. Die Kunst müsste das Thema der unangemessenen Gefühle, wie Ashley Biden das nennt, aufgreifen, aber man kann nach dem Lesen der Pinterest-Richtlinien ahnen, wie heikel so etwas ist. Pornografie außerhalb von dieser Plattform Pinterest kann nicht verboten werden wie Prostitution rund um den Bahnhof jeder Großstadt zu unserer Welt gehört. Unsere Kinder, Frauen, nicht nur auf der Straße, im nächtlichen Park unterwegs, auch in der Ehe, müssen wir als Gesellschaft schützen. Das steht außer Frage. Aber das Thema ist so viel differenzierter in allen Facetten seines Vorkommens, als manche uns glauben machen möchten und nie perfekt in den Griff zu kriegen, weil wir Gefühle zwar als unangemessen bezeichnen können, deswegen aber wohl eher der Umgang mit ihnen problematisch ist und nicht das Vorhandensein von Emotionen.

Wir reden von Heterosexualität als der am häufigsten vorkommenden Ausrichtung menschlichen Lustempfindens. Dazu kommen die gesellschaftlichen Ansprüche der vage erfassten sogenannten Normalität, was die Leute hinnehmen und worüber sie sich’s Maul zerreißen, etwa, wenn ein Mädchen jung und der Mann älter ist. Da sich hier eine persönliche Erfahrung bei mir im Lebenslauf aufdrängt, zur Kunst gemacht zu werden, gibt mir das Thema einigen Anlass, darüber nachzudenken, wie wir heute leben in Deutschland. Mit der Erfindung der Pille und weiteren, gut verfügbaren Verhütungsmethoden ist es einfacher geworden, die natürlichen Abläufe gemäß den geforderten Konventionen einer modernen Gesellschaft auszuleben. Dabei klafft, oft nicht wahrgenommen, eine gewaltige Lücke auf zwischen dem Beginn der Geschlechtsreife junger Menschen und der Realität ihres Familienlebens (mit Kindern entsprechend dem natürlichen, früheren Geschehen). Was machen die Mädchen, wenn es spürbar losgeht mit ihrer Reife, bis zu dem Moment mit nicht selten erst dreißig Jahren, wo ihr erstes Kind zur Welt kommt? Wie erleben sie die Jahre ihrer Kindheit, bevor sie geschlechtsreif werden mit etwa zwölf? Wir können davon ausgehen, dass unsere Mädels einigermaßen rechtzeitig „geklärt“ werden im Vergleich zu uns Alten, wie wir es erlebten.

Ich habe in einer Warteschlange vor der Haspa Zeit gefunden, mit einer jungen Frau zu diesem Thema ins Gespräch zu kommen. Das ist noch nicht lange her, zum Ende der Pandemie kam es am Monatsanfang zu reichlich Andrang an unserer Filiale. Sie hatte ein kleines Kind auf dem Arm, weil es danach verlangte, aus der Karre genommen zu werden. Die attraktive Fremde, so im Studentenalter und wie ich eine Kundin der Bank, zufällig neben mir in der Reihe wartend, hätte zu Hause noch das ältere Kind „Nummer zwei“, wie sie mir fröhlich erzählte, zurückgelassen und war damit erstaunlich früh eine Doppelmutti. Nur alte Leute standen vor dieser Filiale. Sie selbst mache für gewöhnlich Onlinebanking, das ginge auch des Nachts, meinte sie, man wäre unabhängig. So plauderten wir. Es fiel auf, wie selbstverständlich sie mit dem Kleinkind alles tat, was nötig wurde, Aufnehmen aus der Karre, mal links, mal rechts sich an den Leib drücken, knuddeln, schmusen, brabbeln, Verständnis zeigen. Das Kleine schrie nie. Eine wohlduftende, herzlich liebe Mama mit dem größtmöglichen Verständnis ist es gewesen.

Sie gefiel mir!

Ich quatschte sie hinein in meine Überlegungen wie beschrieben, und sie meinte nur: „Ja, aber die gleichaltrigen Jungs (sind doch blöde, unbrauchbar als Vater); mit dreizehn sind sie Kinder, und wir werden zur Frau.“

Das stimmt. Es ist aber gesellschaftlich gemacht. In grauer Vorzeit hatte niemand die Wahl einer konventionellen Bestimmung bei der Dauer von Kindheit. Die Fünfzehnjährigen waren Familienväter und der dazugehörigen Existenz verpflichtet, entsprechende Probleme zu lösen. Wir wollen allerhand, bis wir der Jugend zugestehen, erwachsen selbstständig zu leben. Da wird man schon mal dreißig, bis alles stimmt. Das schafft ganz neue Verhältnisse mit ihrer eigenen Problematik.

„Wir können nicht zweimal leben und unsere Kinder heiraten“, sagt Hanna in „Homo Faber“ so ungefähr zu Walter. Aus der Sicht einer Frau stellt sich die besondere Realität, über die man nicht offen spricht, anders dar, aber viele Männer verlieben sich im Alter nicht altersgerecht neu. Deswegen sind diese dickbäuchigen Lustmolche ja nicht alle behandlungswürdig krank, bloß weil sie geil werden beim Anblick der Mädels von der Schule. Es kommt wohl darauf an, was als angemessen gilt, akzeptabel bleibt, Grenzen respektiert, sich entsprechend zu verhalten und nicht, was angemessene Gefühle wären.

Deswegen probiere ich, mein Bild jenseits der modernen Hexenjagd zu etablieren.

# Eis und Pussy

Wieder warten. In der Schlange zu stehen, dieses Mal vor dem Eisladen im Sommer, gibt mir zum Schluss die passende Anregung, um über unpassende Erregung am falschen Ort und zum verkehrten Anlass zu fabulieren. Das nimmt Bezug auf solche unerwünschten, von Ashley Biden angesprochenen Emotionen, von denen die Tochter des amerikanischen Präsidenten meint, diese besser nicht haben zu sollen. Ich habe mich ja positioniert. Es ist Unfug, sich Gefühle zu verbieten, weil es nicht geht. Das dürfte so unmöglich sein, wie etwas absichtlich vergessen wollen, das regelmäßig hochkommt. Sexualtherapien werden angeboten, nicht weil sie zielführend wären, sondern weil Menschen Geld damit verdienen, es Kundschaft bedeutet, wie es Leute gibt, die einen Barfußpark aufsuchen und anderen Quatsch.

Jahrelang probierte man, Schwulsein als krankhafte Form des Empfindens darzustellen und diese Menschen umzutherapieren. Es hat nicht funktioniert. Das hält Psychiater:innen nicht davon ab, weiter Menschen sexuell umerziehen zu wollen? Sexualstraftäter werden sogar verpflichtet, dergleichen Therapie zu machen, aber es kann doch gar nicht helfen. Wenn es nicht möglich ist, Homoerotik wegzureden, warum sollte es bei anderen, untypischen sexuellen Empfindungen klappen, sogenannte Patienten umzuerziehen? Es misslingt auch regelmäßig. Die unzähligen Berichte über Wiederholungstäter belegen, wie sinnlos solche Versuche sind. Das sind nutzlose, die hehre Absicht bekundende Instrumente (tatsächlich eine unredliche Behauptung), sich selbst als Spezialist, drüberstehend und mit erhobenen Zeigefinger zu adeln. Da möchten sich Juristen und Ärzte von der Schuld am unvermeidlichen, zukünftigen Missbrauch befreien. Sie wollen sich vorauseilend reinwaschen.

Ich stehe also mit anderen vor dem Softeis an. Es ist warm. Die Menschen sind entsprechend sommerlich angezogen. Einmal mehr kommt mir in den Sinn, wie ich mir die anderen ansehe, warum tragen wir überhaupt Kleidung? Das ist ja nicht zuletzt eine gesellschaftliche Abmachung. Natürlich haben die Leute warme Sachen im Winter an, und das ist keine Abmachung. Ein Polizist trägt seine Uniform. Wir anderen ziehen an, was wir wollen, aber was motiviert unsere Wahl? Wir sind nicht immer frei. Junge Menschen werden gemäß dem Umfeld erzogen. Ihr Erscheinungsbild muss etwa sein, wie Mama es will. Kinder sind zur Anpassung an vieles gezwungen. Manchmal bestimmen Regeln, wie man sich anzuziehen habe. Ein Sakko mit Krawatte im Geschäft, das religiöse Kopftuch, weil vorgeblich Gott das so bestimmt hat, oder das Wetter zwingt uns zur Regenjacke.

Eine Anekdote: Ich war Soldat im Wehrdienst und bin vom Schützen, als der ich anfing (mein erster Dienstgrad anschließend meiner Musterung), aufgestiegen, befördert wie jedermann bei uns über den Rang des Gefreiten bis zum Obergefreiten. Die Schulterstücke wurden jeweils angepasst. Sie sind Teil der Uniform. Der Rang des Soldaten ist aus seiner Kleidung ersichtlich. Die Farbe der Uniform zeigt an, wo der Mann eingesetzt wird. Zu meiner Zeit war der Apparat durchgängig männlich bestimmt. Das begrenzte praktisch die Auswahl an nötigen Vorräten in der Kleiderkammer. Wir im Nachschub fuhren unsere Lastwagen in oliv. Die Marine trägt blau, so gibt es manche Differenzierungen bei der Bundeswehr. Das sind Vorschriften. Ich habe noch an Reserveübungen teilgenommen und irgendwann meinen Sack mit den Sachen aus dem Keller holen dürfen, alles im Zeughaus wieder abgegeben. Der reguläre Weg damals. Wir wurden durch das Tragen der Uniform zum besonderen Verhalten mit dieser speziellen Kleidung dienstverpflichtet. „Ist heute Sommer befohlen?“, fragt bekanntlich der Soldat, wenn es ihm bei warmen Wetter erlaubt ist, die Ärmel hochzukrempeln.

Die zivile Gesellschaft trägt ihre Kleidung aus mancher Motivation heraus. Das Natürlichste daran ist der Zweck, sich im Winter vor Kälte zu schützen, bei der Arbeit oder beim Sport passend, der Tätigkeit angemessen angezogen zu sein, und dann kommen die vielen anderen Gründe, warum wir dieses oder jenes anhaben.

Gelegentlich wurden bis vor nicht allzu langer Zeit abgelegene Fleckchen Erde entdeckt, wo tatsächlich Menschen lebten, die nicht mitbekommen hatten, was uns die Moderne bedeutet. Die Menschen dieser Urvölker sind immer ganz nackt gewesen, wenn sie das erste Mal beobachtet wurden. Man kennt alte Fotos. Die Indios (ein unzulässiges Iwort) wurden umerzogen, sich wenigstens untenrum zu bedecken, mindestens zum Einkaufen im Supermarkt. Der Einkaufstempel wurde ihnen als Errungenschaft der Welt präsentiert. Manchmal tanzen die Indigenen wie früher nackt. Als Ritual darf man’s sogar auf YouTube zeigen. Das sind so Abmachungen. Die Regeln ändern sich immer ein wenig. Dort am Amazonas oder sonst, wo es solche Relikte menschlicher Ursprünglichkeit bis heute gibt, ist es nicht kälter geworden. Der Grund, warum sich auch die Indigenen zu mehr Kleidung haben überreden lassen, ist jedenfalls nicht die Einsicht, man benötige grundsätzlich Klamotten zum Leben. Es ist sozialer Druck, den sie so bislang nicht kannten. Das erforderte eine Anpassung.

Das Geld bestimmt, was erlaubt ist. „Naked and Afraid“ gibt es bei Google nur mit unscharfen Stellen. Die Macher der Sendung möchten verdienen. Ich nehme an, im Bezahlfernsehen kann man voll draufschauen auf die Geschlechter. Warum darf ich die Pussys der Indigenen auf vielen Plattformen offen und gratis frei Haus anglotzen? Sie wurden mutmaßlich nie gefragt. Die jungen Frauen werden nicht aufs Alter hin geprüft, bevor eine Kamera läuft, bekommen zum Schutz ihrer Persönlichkeit keine Hilfe geboten oder anteilig Geld pro Aufführung ihrer haarlosen, kindsgleichen Venus? Dafür genügt ein Internetzugang (es sich reinzuziehen, abzuwichsen), den man ohnehin bezahlt, und wiederum diese Anbieter verdienen mehr, wenn es Aufregendes zu sehen gibt. Auch die ganze Urheberdiskussion rund um YouTube scheint klammheimlich eingestellt worden zu sein. Wer würde kontrollieren, was manche gern regeln wollten? Eine kommerzielle Masse hat erdrückend gesiegt. Wir wollen weiter die unglaubliche Vielfalt der Videos ansehen und nicht eine zurechtgestutzte Fassung, bei der ich etwa den Erben von Fats Waller GEMA zahle, bevor der alte Stride-Pianist sein Solo hinzaubert.

Scheinbar nötige Anpassungen sind nicht selten kommerziell motivierter Zeitgeist. Wir wollen woke sein, aber das Wort wird zur bloßen Mode. So etwas wird schließlich missbraucht, instrumentalisiert. Unendlich viele Beispiele lassen sich aufzählen, die unser Verhalten betreffen, wie wir uns der besonderen Zeit, in der gerade wir leben, dem jeweiligen Umfeld allgemein anpassen. Selbstdarstellung ist gruppendynamisch geprägt. Wer heute einen Hut trägt, ist kein normaler Mann, sondern legt Wert auf einen besonderen Stil. Früher trug die Masse der Herren so etwas. Das ist damals gerade das Gegenteil, eben nichts Besonderes gewesen. Man benötigt den Hut zum Herumlaufen nicht. Gegen das Wetter schützt eine Mütze besser. Heute gibt es neue Zwänge. Ein Fahrrad beispielsweise fahren wir notwendigerweise mit den Füßen. Die Pedale zu treten, ist eine Bedingung für die erfolgreiche Funktion voranzukommen und überhaupt aufrecht zu radeln. Eine Kopfbedeckung hat mit dem Radfahren an sich nichts zu tun, dennoch wird vermehrt Helm getragen. Ich mutmaße, weil es ein Geschäft bedeutet, diese Dinger herzustellen und zu verkaufen mit dem Vorwand der höheren Sicherheit. Man kann Statistiken lesen, wo deutlich wird, wie furchtbar die Kopfverletzungen sind bei Gestürzten, wie diese zugenommen haben. Das stimmt. Damit werden Ängste geschürt. Genauso gibt es Statistiken, die sagen, dass mehr Menschen durch herabfallende Kokosnüsse getötet werden als durch Haiangriffe. Weil wir weder Palmen bei uns im Norden haben noch Haie die Ostsee bevölkern, konnten sich in Schleswig-Holstein bislang keine passenden Forderungen, den Schutz der Bürgerinnen und Bürger betreffend, durchsetzen.

Unsere Moderne verstört mich: Warum gibt es diese dickbäuchigen Senioren bei uns, neuerlich mit dem E-Bike unterwegs und einem monströsen Helm ausgestattet, die doch besser dran wären, weniger zu essen, normal zu radeln? Sicherheit wird ins Feld geführt, Nachhaltigkeit. Das sind Schlagworte einzig mit dem Ziel, Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Sozial motivierte Abmachungen zielen auf Konsum. Zum Radfahren braucht es weder Elektro noch Helm. Überhaupt die Leute, oft sind es junge Frauen, sie stehen an der Straßenecke mit dem Rad, Kopfhörer im Ohr, schauen auf ihr Smartphone. Dann biegt der Lastwagen neben ihnen ab, und sie sind tot. Das liegt nicht am Kraftfahrer. Das kann kein Abbiegeassistent in den Griff bekommen, dass etwa junge Mütter oft abwesende Automaten geworden sind. Es gibt genügend Beispiele, die, wenn man’s nur drastisch genug in Worte fasst, deutlich machen könnten, wie unsere Probleme künstliche, selbstgemachte sind. Wie mögen die Urvölker hinbekommen haben, Sexualität und Nacktheit sozial und entsprechend ihrer Gemeinschaft, angepasst und gleichzeitig nebeneinander zu erleben, wie moderne Nudisten bloß behaupten, es zu tun? Auch ein indigenes Volk kommt nicht umhin, Übergriffigkeit als schädlich anzusehen und notwendige Regeln zu haben.

Wir Zivilisierten können mit unsrer Natürlichkeit nicht so viel anfangen, wie wir müssten.

Ich stehe also vor der Eisdiele, es ist Sommer, und die Mädels sind angezogen, wie es jetzt üblich ist. Sie sind nicht nackt, sehen aber nackt aus. Das ist Absicht. Sie wird gerade mit modernen Hosen erreicht. Im echten, heißen Hochsommer trägt man die nicht, aber hier gibt es norddeutsche Sommer. Es ist nur mäßig warm, windig, schauert schon mal. Da bietet sich das geile Zeug an. Dieses Outfit kopiert Prostituierte vom Straßenstrich hinein in unsere Normalität. Als solche Beinkleider neu waren, trugen die jungen Damen zunächst ein weißes Shirt drüber, das ein wenig tiefer endete als der Schritt. Das ist einige Jahre her. Die Schamgrenze wurde nach oben verschoben und ist nicht mehr gültig. Jetzt geht die Hose sichtbar bis über die Hüfte. Erst darüber beginnt die obere Kleidung. Man kann alles sehen, Arsch, Lippen, und wie fit eine ist, ob es Hüftgold gibt oder eben nicht. Diese Superhosen sind toll. Mich stimuliert das, bewegt was, macht hart unten. Für meinen Geschmack können diese hochglänzenden, hauchdünnen und auch mal fleischfarbenen Teile nicht oft genug genutzt werden, um meine versaute Fantasie zu beleben.

Ich stehe vor der Eisdiele, es ist norddeutscher Sommer, und unweit vor mir in der Schlange wartet eine Familie. Mama, Papa – fettleibige Menschen, wabbelig, aber locker angezogen – und ihre zwei Töchter. Die eine im Kleidchen, speckig wie die Mutti, interessiert mich nicht. Das Kleid ist, wie Kleider sind. Ein Kindchen im Kleidchen ist unverändert zum Gewohnten, wie ich das kenne. Die Mama stößt mich ab. Ich nehme sie nicht als Frau wahr. Sie ist prollig und fett, einfach furchtbar anzuschauen. Der Vater, erkennbar ein Einfaltspinsel, das ist ein Idiot. Nicht nötig, ihn je kennenzulernen. Die beiden Mädchen sind zu jung, als dass sie mich interessieren dürften? Ich bin beinahe sechzig Jahre alt, und das sind Kinder. So zehn oder zwölf, noch keine vierzehn, fünfzehn Jahre alt könnten sie sein. Schwierig bleibt es für mich, das Alter zu schätzen. Das Wort „frühreif“ ist unzuverlässig geworden.

Die Ältere erzwingt mein Hinschauen unweigerlich. Die ist kaum dick. Sie hat ein freiliegendes Bäuchlein, nackig sind ihre fleischigen Ärmchen, einen süßen Zopf blonder Haare hat sie sich gebunden und bereits ein kiebiges Backfischgesicht. Sie ist deutlich zu jung für eine nur irgendwie erlaubte erotische Fantasie, die ich mir zugestehen dürfte. Nichtsdestotrotz glotze ich so unauffällig, wie’s nur geht, in ihre Richtung. Mich fasziniert die schwarze, glänzende Hose, die alles zeigt. Da das Mädel bauchfrei ist, verstehe ich, wie es kommt, dass sie ganz nackt aussieht. Nur eine Farbe, wie durchgehend schwarze Haut von Beginn der Hose unten (knapp unter Kniehöhe), bis rauf zum Bauchnabel. Im Schwimmbad, wenn die Mädchen einen Badeanzug oder Bikini tragen, setzen Hose und Oberteil farbige Marken, die diese entsprechenden Bereiche als angezogene abgrenzen. Das ist hier nicht der Fall. Wie splitternackt ab Bauch abwärts, bloße Hüften, kleine Venus, schmale Lippen, alles sichtbar und nur schwarz glänzende Sprühfarbe drauf, so sieht es aus. Unten ohne. Bottomless. Teen und fast noch Kind und vor der Eisdiele. Das wären die Schlagworte. Ich benötige kein Darknet. Legal. Das ist alles hier und frei verfügbar für jedermann. Oben, nicht weniger exaltiert, deutet sich die junge Brust an. So kleine Hügel mit Nippel wölben sich durch das dünne Shirt. Ihre Füße sind blass und ohne Socken. Sie hat insgesamt einen hellen Teint und trägt sommerliche Schlappen.

Das Mädchen dreht und wippt immer locker mal auf einem, dann auf dem anderen Bein herum. Ich habe keine Mühe, die kleinen Schamlippen auszumachen, und das fasziniert mich auch. Da juckt sie was unten? Sie fängt nun an, sich alle Augenblick in den Schritt zu fassen wie Michael Jackson auf der Bühne. Mal ist die Hand da vorn davor, dann wieder weg, sie reibt sich da und quatscht über dies und das mit ihrer Familie. Diese ganze Gegend von den Oberschenkeln bis rauf über die Hüften, so weiche Buckel, genauestens anschauen zu können, macht klar, dass erotische Gefühle ganz unvermeidlich sind für einen Mann in dieser Situation. Das ist keine Krankheit und dürfte dem Normalempfinden entsprechen, worüber man aber nicht spricht. Keine große Sache und auch kein Grund, sich moralisch aufzuplustern. Man kauft Eis und vergisst wieder. Unser Alltag ist so, und wir können froh sein, dass Mädchen und Frauen jeden Alters bei uns nicht zum Kopftuch tragen gezwungen sind. Hier hilft keine Therapie gegen unangemessene Gefühle. Angemessenes Verhalten hingegen kann man lernen. Eltern könnten auch lernen, was es mit Männern macht, wenn ihre Mädels tragen, was sie wollen – aber wie wollen Erzieher verbieten, was nicht gut verboten werden kann?

Ich bin in den Achtzigern erwachsen geworden. Die Kindheit, was Sexualität betrifft, war lang. Die jungen Mädchen waren angezogen wie Kinder, solange sie als solche galten. Das waren damalige Konventionen. Stehe ich heute beim Eis an im Sommer, erwarte ich gewohnt Stadtleben und nicht Nacktstrand zu sehen. Wir Alten müssen da umlernen. Ich bin noch potent wie viele in meinem Alter. Unsere Ehefrauen sind aber, abwertend gesagt, ein Neutrum in sexueller Hinsicht. Wir sind aus mancherlei Motiv verheiratet, Sexualität ist nur ein Aspekt. Das Wort Liebe bekommt für einen älteren Herrn jedenfalls eine ganz andere und vielschichtigere Bedeutung, vergleicht man’s mit dem, was es uns in der Jugend geheißen (und verheißen) hat. Da Sommer inzwischen allgemein viel mehr Haut bedeutet, geiles Zeug getragen wird, ist jede belebte Gegend peep. Jünger heißt dünner, glatter, entspannter. Wir notgeilen Daddys leben wie optische Konsumenten nach dem Supermarktprinzip. Ein Auslage vor Augen, schauen wir auf das knackigste Gemüse.

Es kann keine optische Altersgrenze des nur Gedachten geben.

# Zwischenruf in eigener Sache

Zum besseren Verständnis mancher Passage müsste ich sagen, dass dieser Text über einige Wochen im Sommer zustande kam. Ich begann, vor dem Urlaub auf Fehmarn zu schreiben, machte weiter in Burgstaaken und finde nun, nachdem wir längst wieder zuhause sind, ein Interview im Tageblatt. Daraus möchte ich zitieren. Das passt an dieser Stelle hin und sollte, dazwischen geschrieben, seinen Platz finden.

Safiye Tozdan ist Sexualforscherin am Universitätsklinikum Eppendorf, heißt es in der Zeitung. Der Artikel befasst sich mit Sexualstraftäterinnen. Auch Frauen üben sexualisierte Gewalt an Kindern aus, erfahren die Leserinnen, Leser, Lesende. (Ich finde Gendern zum Kotzen). Eine Studie wird erklärt. Letztlich geht es im Interview um Pädophile, Männer wie Frauen und also auch um die, denen diese sexuelle Ausrichtung zugeschrieben wird, die aber nicht Täter sind. Wie auch immer man es belegen will, es ficht die Psychiater nicht an, ihre Wissenschaftlichkeit rauszukehren. Auf die Frage, Zitat: „Und wie viele Täter sind dann tatsächlich pädophil?“, antwortet Frau Tozdan:

„Es gibt unterschiedliche Zahlen. Man sagt, dass etwa 40 Prozent der männlichen Täter ein sexuelles Interesse an Kindern haben. Bei Frauen kennen wir diese Verteilung noch nicht.“

Eine weitere Frage, Zitat: „Und was kann man tun, um Missbrauch zu verhindern?“, beantwortet die Sexualforscherin so:

„Entstigmatisierung von pädophilen Menschen, die keine Straftaten begehen, wäre ein wichtiger Schritt (…).“

(Pinneberger Tageblatt, Mittwoch, 14. August 2024).

Das habe ich so noch nicht gelesen, und dieser Satz gefällt mir. Ich schweife kurz ab: Wenn jemand eine Covid-Infektion hat, sollte diese nachgewiesen werden können. Der Erreger kann durch Tröpfchen übertragen werden, und dann bekommt jemand anderes ebenfalls Covid. Pädophilie ist in diesem Sinne keine Infektion, sondern mit einem Begriff werden Menschen kategorisiert. Einen Nachweis dieser „Störung“ zu erbringen, dürfte weniger überzeugen als den einer „richtigen“ Krankheit im oben angesprochenen Beispiel. Eines aber gleicht sich. Menschen fürchten sich vor Angriffen durch etwas, dass sie nur schwer einschätzen können. Aus diesem Grunde werden Abwehrmaßnahmen erdacht. Das Wort pädophil wird zur Waffe. Verbaler Krieg: Man schreibt es anderen zu, fühlt sich zuständig. Ein Arzt, der andere gängeln kann, will mehr als nur helfen. Er selbst möchte „was sein“. Pädophil, das hat man, das klingt nach Diagnose. Nun werden Prozentzahlen in Statistiken geschrieben, wer alles betroffen ist. Die Spezialisten satteln drauf. Fachleute kreieren Krankheiten, benötigen neue Kollegen, die sich auskennen. Solche Ärzte möchten ein Stethoskop, einen weißen Kittel, dazugehören, als wären sie ernsthaft nötig wie z.B. die Chirurgen. Psychiater erfinden anschließend einer Grundannahme, dass es etwas gibt, bloß weil man ein Wort dafür hat, ganze Fakultäten. Darin besteht die eigentliche Gefahr, Wortakrobatik bietet höchstens Scheinlösungen.

Draufzahlen müssen immer die Kinder.

In den Nachrichten kommt, wieder einmal wurde ein Pädophilen-Netzwerk zerschlagen. Oliver Huth, Bund Deutscher Kriminalbeamter NRW, sagt:

„Die Täter sind im höchsten Maße IT- und technikaffin. Sie schützen ihre IT-Landschaft, den Server, ihre Computer. Meistens reicht ein Knopfdruck und dann ist alles gelöscht.“ (RTL-Nachrichten, 13.9.2024).

Ich behaupte, solche Menschen kann niemand heilen durch „Therapie“, weil dagegen nicht hilft, sie mit dem Begriff „pädophil“ zu belegen, um anderen als Facharzt die Kompetenz vorzugaukeln, man kenne sich aus und wüsste zu behandeln.

Ich unterstelle: Alle Männer schauen Pornos. Es ist so einfach geworden. Wer Internet hat, kann das tun. Man muss nicht in einen Kiosk gehen und ein Heft kaufen wie früher. Da ist eine Industrie entstanden. Porno ist ein gutes Geschäft, auch für die Polizei. Überhaupt, manche verdienen an der Lust und andere daran, sie zu verbieten. Nutten sollen etwa nicht am Bahnhof stehen. Prostitution gibt Anlass, gemaßregelt zu werden. Die einen möchten Freier bestrafen, andere die Frauen. Je nach Staat oder Region profilieren sich Menschen einzig aus persönlichen Motiven und behaupten, das wäre notwendig für benachteiligte Mitbürger und Mitbürgerinnen.

Neues Reden, der selbstgeschaffene Wortsalat ist den Leuten von Bedeutung. Zu gendern beispielsweise, vollständig wertschätzend zu schreiben, ist nur eine dieser aufgeblasenen Idiotien. Moderne Worte sind nichts als Eitelkeiten. Wie wichtig sich welche nehmen, die einen Begriff etablierten, tut weh. Ein gespreizter Intellekt gaukelt die Weltrettung vor. Uns wird beispielsweise erklärt, das wären gar keine Prostituierten da am Bahnhof oder wo sie dann anschafften? Es seien Sexarbeiterinnen, heißt es heute korrekt. Neue Namen begegnen dem Staunenden überall. Früher behindert genannte Menschen gelten nun als Gehandikapte (wahlweise Gehandicapte). So umständlich wie möglich möchte man sein, damit es allen wehtut, wir noch belehrt werden, man schreibe es so oder anders? Anglizismen helfen allenfalls demjenigen, der sie geschickt einzusetzen weiß. Man überhöht sich, vom N-Wort zu reden, spricht von Indigenen, demoliert Karl May, brandmarkt Zigeunerschnitzel, Negerküsse, stößt die kurzlebige Ikone Greta Thunberg vom Sockel als antisemitisch und vom Kurs abgewichene, unreife Göre. Der Veranstalter eines Zigeunerfestivals kämpft um diesen etablierten Namen. Als ein Nachkomme Django Reinhardts ist sein Problem, dass es mehr Volksgruppen gibt als nur Sinti und Roma, die früher unter dem heute verbotenen (oder mindestens verpönten) Begriff zusammengefasst als Zigeuner bezeichnet wurden. Das las ich vor einigen Jahren in einer Zeitung.

Es gibt scheinbar unendliche Möglichkeiten, neue Ausdrücke zu erfinden. Sie werden dankbar aufgenommen. Wie groß die kollektive Langeweile der Wohlstandsgesellschaft sein muss, lässt das erahnen. Mongoloide wurden zu Menschen mit Downsyndrom. Es hat ihnen nicht geholfen, behaupte ich. Während früher solche Eltern klarkommen mussten, probieren inzwischen viele, ihr Wunschbaby gezielt zu designen, es per Kaiserschnitt zum Wunschtermin geliefert zu bekommen.

# Down 2.0 – to be continued?

Fortsetzung folgt; heute sagt, wer zur Elite der Gutmenschen gehört: „Trisomie 21“. Geht’s noch? Weitere Beispiele für Eitelkeiten fallen mir ein. Nach Covid konnten die Warner nicht genug bekommen. Vor kurzem verbreiteten sich angeblich gefährliche Affenpocken in Europa, weltweit, auch da, wo gar keine Affen leben. Jetzt droht eine neue Variante der Krankheit. Sie muss aber „Mpox“ genannt werden, um die Affen wertzuschätzen, sagt man. Es gibt so manchen Kniff, sich in Szene zu setzen und den eigenen Auftritt bestens auszuleuchten für eine Punktlandung beim Publikum. Sängerin Céline Dion konnte ihre Karriere pushen, behaupte ich frech, mit dem Bekanntmachen einer Krankheit, von der bislang nur wenige wussten, dem Stiff-Person-Syndrom. Nach einer kreativen Pause hat sie sich bekanntlich einen Ruck gegeben und in Paris zum Auftakt der Olympischen Spiele gesungen. Wie die Leute, die an Long-Covid leiden, sie verlieren irgendwann die Lust am Leiden und kehren klammheimlich in die Arbeitswelt zurück. Dion hat gut recherchiert. Ihre neurologische Versteifung gibt es wirklich. Es ist eine Autoimmunkrankheit, die das Rückenmark schädigt. Das Krankheitsbild wurde früher Stiff-Man-Syndrom genannt. Die gute alte Zeit. Damals lernten wir im Segelscheinkurs das „Mann-über-Bord-Manöver“, heute heißt es:

„Person über Bord!“

Automechaniker sind jetzt Mechatroniker. Der Vollmatrose ist zum Schiffsmechaniker umgetüddelt. Wir haben uns daran gewöhnt, und das ist fatal. Berufe wurden umbenannt wie Straßen und Plätze, deren Schuld darin bestanden hatte, den Namen eines Nationalsozialisten zu tragen. Zeitgenossen behaupten, sie verbesserten unsere Welt, indem sie dergleichen fordern? Sie machen nur ihr Geld damit, fördern ihre eigene Karriere, helfen nirgends wirklich, spielen sich auf, ändern nichts.

# Bessere Menschen sind schlimmer

Während dieser Tage, wo ich hier noch frische Einfälle integriere, korrigiere, was mich stört, wurde die Revision einer Seniorin verworfen. Die heute 99 Jahre alte Quickbornerin ist im wohl letzten NS-Prozess dieser Art unter nachträglicher Schuldzuweisung zu einer Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Sie hatte als junge Frau in der Kommandantur des KZ-Stutthof gearbeitet. Mehr als 60.000 Menschen, vor allem Juden, wurden in Stutthof ermordet. Mehr als 15 Monate Prozessdauer hatten sich ergeben, und nun, nach etwa drei Jahren ist das Urteil nach Wiederaufnahme der Verhandlungen mit der verworfenen Revision rechtskräftig.

Der Tenor aller Beteiligten ist die höchste Zufriedenheit, das noch hinbekommen zu haben.

Das kann doch wohl nicht richtig sein? Bei mir kommt keine Freude auf, ganz ehrlich. Es drängt mich, an dieser Stelle den Namen von Werner Heyde, stellvertretend für andere NS-Verbrecher zu erwähnen. Dem hochrangigen SS-Mitglied war die Flucht vor einer Verurteilung nach Kriegsende gelungen. Der Psychiater konnte untertauchen, um dann unter dem Pseudonym Dr. Fritz Sawade mehrere Jahre als Arzt in Flensburg zu praktizieren. Er beging vor Prozessbeginn 1964 Suizid. Schon rasch nach seiner Verhaftung habe sich herausgestellt, dass etliche Juristen und Mediziner in Schleswig-Holstein Kenntnis von der tatsächlichen Identität Sawades hatten (erklärt Wikipedia). Die ganze Armseligkeit menschlichen Verhaltens, der Mediziner und Justiz wird deutlich, finde ich, realisiert man den Inhalt einer solchen Klammer, die wir abschließend um die juristische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit setzen könnten.

Wer sich heute freuen kann, dieser beinahe Hundertjährigen erfolgreich die Schuld am Massenmord nachzuweisen, ist nichts als eitel. Wer damals den bekannten Kollegen Heyde als Psychiater hat weitermachen lassen, wo der nach dem verlorenen Krieg aufhören musste, Menschen zu quälen, zu ermorden, ist jedenfalls nicht weniger furchtbar anzuschauen, als die sich in ihrer Begeisterung überschlagenden Juristen und Nebenkläger nach der Verurteilung der Stenotypistin von Stutthof. Es sind Menschen für die Tonne. Ich sehe solche mit meinen Augen als Leute an, denen man bestenfalls nie begegnen möchte. Das denke ich gleichermaßen über sowohl die feigen Mitwisser damals wie die heutigen Gutmenschen mit ihrer blödsinnigen Gerichtslogik. Ich lebe hier nicht gern. Ich muss. Man kann nicht weg. Es ist ein Überallproblem. Das ist eine Erfahrung. Mein Fazit ist, die Masse der Gesellschaft enthält als Mehrheit widerliche, charkterlose Zeitgenossen. Alle stellen sich bloß gut dar. Das gilt zu jeder Zeit, Epoche, in der ein Einzelner damit zurecht kommen muss.

Der Wunsch, immer alles richtig machen zu wollen, führt dahin einzusehen, dass es eine Unmöglichkeit ist oder zum Verleugnen der eigenen Lebenswirklichkeit. Unser Wissen vom Drumherum ist genau genommen minimal: Ich trete vor die Haustür auf den Gehweg meiner vertrauten Umgebung – und weiß tatsächlich weit weniger von diesem Dorf, als ich annehme. Hier leben knapp zwanzigtausend Menschen in diesem beschaulichen Städtchen, das heute meine Heimat ist. Auf dem Weg ins „Staddi“ trifft man sich. So nennen wir unser Einkaufszentrum, das gleichzeitig ein Stadtzentrum bedeutet. Eine ungefähr tägliche Laufstrecke (nur Hinweg) ist das für mich von etwa einem Kilometer. Da sind wir schon mal bis zu zehn Personen, die wir einander grüßen bei Begegnungen.

Man kennt sich, aber wie viel weiß man vom anderen? Die ganzen Häuser mit ihren Wohnungen, an denen ich vorüber gehe, weiß ich, was drinnen passiert? Die zahlreichen Autos, die unentwegt vorbei rollen, wer sitzt darin? Das ganze Getier in der Umgebung, was macht es, welche Arten leben hier? Wird es regnen auf dem Weg, oder wenn ich zurück komme; wie genau ist mein Wissen über das Wetter? Fahren die Busse heute oder ist Streik? Wird der Tag, wie mein Horoskop mir prophezeit oder anders? Die scheinbare Sicherheit einer bekannten Heimat, der vertraute Anblick von täglich an ihrem Platz stehenden Landmarken, könnte ein Trugbild bedeuten. Wacht man des Morgens im Urlaub auf, kennt sich nicht aus in der Fremde, gibt es schon mal Irritationen. Ein unbekanntes Hotel auf der Urlaubsinsel mit seinen eigenen Gesetzen, die Metropole in den Vereinigten Staaten besucht man oder erlaubt sich eine abenteuerliche Fahrt durch die Wüste? Ein unvergesslicher Moment lässt unsere Augen die Sonne sehen, wie diese über endlosen Sanddünen hochkommt, dergleichen könnte sinnigerweise auch Unruhe wecken, es drohe die Gefahr des Unbekannten. Zuhause laufen wir weniger aufmerksam rum, als wir das machten, versetzte uns ein Zauber plötzlich in einen Dschungel. Es könnte ein Fehler sein, sich allzu sicher zu fühlen im vertrauten Dorf?

Alle sollten bescheiden bleiben angesichts der unzähligen Unwägbarkeiten. Aber wer ist bescheiden? Selbstbewusstsein bedeutet den Leuten, andere zu dominieren aus Prinzip. Ihre vermeintliche Stärke ist bloß Lautstärke. Sie sind sich nicht bewusst, das behaupten sie nur. In Wirklichkeit ist es so, sie gewinnen Raum, und das fühlt sich für sie gut an. Menschen haben scheinbar kein Problem damit, vollkommen widersprüchliche Moralitäten im Gehirnkasten parallel zu lagern. Fein säuberlich getrennt, um selbst nicht dran zu leiden, wie inkonsequent das eigene Denken ist, führen die Leute mal die eine, dann die andere Logik ins Feld. Sie wollen bloß die momentane Kraft ihrer Argumentation genießen? Im Moment aufzutrumpfen mit einer Bewertung, was zu tun sei, kann sich leicht als vorschnelles Urteil erweisen. Die einfachsten Dinge haben komplexe Hintergründe, die wir objektiv gar nicht wissen können. Missverständnisse sind die Regel. Menschen überschauen die Lage nicht und wollen das nicht wahrhaben. Sie möchten mit Stärke glänzen, geben vor, Bescheid zu wissen. Sie mischen sich ein, machen tatsächlich die babylonische Verwirrung perfekt. In Wirklichkeit passieren uns allen ständig Fehler. Wir sind beschämt, es später einzusehen.

Man möchte sich keine Blöße geben. Bloß sein, heißt nackt sein. Dumm rüberkommen, das will man ja nicht. Angezogen mit angemessener Kleidung und bevorratet mit Argumenten gehen wir raus. In jeder Situation, besonders wenn andere bei einer Tätigkeit zusehen, kommt die Frage auf, wie man sich am besten präsentiert, souverän bleiben kann. Ein intellektuelles Schild gibt uns innere Haltung. Das gängige Repertoire gut gehender Thesen liefert passende Schlagworte, sie anderen um die Ohren zu hauen. Das heißt Fratzengeballer, falls die eigene Maske einreißt. Wer’s nicht drauf hat, verliert.

Ein banales Beispiel passt ganz gut. Totales aneinander vorbeireden passiert schon mal, und hinterher wundert man sich, wie blöd ist das denn? Der Bäcker vergibt Rabatte. Auf einer Karte im Postkartenformat sind Felder unterteilt, eben ganz wie bei einer alten Ansichtskarte. Man bekommt in einem Zeitraum von einigen Wochen entweder acht Brötchen einer bestimmten Sorte, soundsoviel Kuchen oder zwei Brote umsonst. Das denke ich jedenfalls über diesen Coupon. Weitere Angebote vervollständigen ein bunt gedrucktes Potpourri, welche noch, erinnere ich nicht. Vor einiger Zeit schon bekomme ich so ein Kärtchen zusammen mit meinem morgendlichen Einkauf dazu: „Vielleicht möchten Sie das mal ausprobieren?“ Ohne noch draufzuschauen, pinne ich das Teil in der Küche zuhause an. Zunächst kümmere ich mich nicht darum.

Es gibt was umsonst für Stammkunden, nehme ich an.

# Ein Missverständnis

Heute Morgen geht es mir ums Brot. Mir fällt ein, da war doch diese Karte? Fröhlich laufe ich damit in der Hand zum Laden und denke, nun ein Brot zu bekommen, ohne dass ich’s bezahle –, Pustekuchen! Ich muss verpflichtend zwei Brote geschenkt nehmen. Das ist mir zu viel. Ich sage es. Die Verkäuferin wird schnell aufbrausend, als ich probiere zu erklären, dass wir bloß zwei Personen im Haushalt keine zwei frischen Brote benötigen. Es sei ihr leider nicht möglich, sagt sie, mir nur eines zu schenken, weil, so sei das Angebot, man bekomme eben immer zwei zusammen. Ein einzelnes Brot müsste ich ich regulär bezahlen. Dann „kaufe ich mein Brot bei Harry“, sage ich (aus Trotz wegen dieser Idiotie) und lege die Karte, die man mir ja ungefragt zum Einkauf seinerzeit angeboten hatte, auf den Tresen.

„Ich brauche das dann nicht.“

Ich ordere mein morgendliches Brötchen, zeige unser provinzielles Tageblatt vor, das ich vom Stapel genommen habe.

Nun mischt sich eine Kundin ein: „Frieren Sie das andere Brot doch ein!“ Sie ist unsäglich fett, stützt sich mit einer Hand am Verkaufstresen ab. Die Haare scheinen ihr auszugehen. Ich erkenne Stoppeln mit Lücken, Folgen einer Chemotherapie möglicherweise? Die Arme, es sind Walzen, zeigen bloße Haut. Ihr Teint ist speckig. Das sieht wie krankes Fleisch und überhaupt ungesund aus. Weit geschnittene Lappen bilden ihre Kleidung. Sie strotzt vor Überzeugungen, das merkt man, die sie gern ausposaunt. Diese Person ist in meinen Augen ein abstoßend hässlicher Mensch. (Der Anblick nährt Vorurteile bei mir. Ich verallgemeinere innerlich. Frauen sind so was von bescheuert, denke ich jetzt. Ein pauschales Urteil, das ich wieder einmal bestätigt finde).

Ich schnauze sie an, zeige auf die Auslage:

„Da liegen zig Brote jeden Tag frisch aus. Es gibt überall Geschäfte, dasselbe mit frischem Gemüse, Leute!“, sage ich, „wie blöde seid ihr, Sachen einzufrieren? Es gibt doch überall alles frisch zu kaufen.“

Jetzt eskaliert es. Die Weiber halten nun alle zusammen, reden laut, sie fühlen sich insgesamt angegriffen für ihr alltägliches (und deswegen richtiges) Verhalten. Ich bezahle mein Brötchen, die Zeitung, verzichte auf Brot, verlasse diesen Laden. Man muss die Grenze ziehen.

Ein Mann darf sich nicht verbal infizieren lassen.

# Ach so!

Alles könnte ganz anders sein und eine kommunikative Verirrung. Schilda ist hier. Tags drauf entdecke ich einen ganzen Stapel dieser Rabattkarten frei zum Mitnehmen auf dem Tresen. Das ist mir nie aufgefallen, dass die da offen für jedermann liegen. Jeder kann sich so was nehmen? Es ist gezielt ein Mengenrabbat, und nicht etwa eine Treuekarte, die gerade ich bekomme, im dafür gewählten Zeitraum? Das habe ich so nicht begriffen. Also ist es ein Missverständnis, mein Fehler? Und das kommt, weil die Verkäuferin mir diese Karte mit den seinerzeit gekauften Brötchen in die Hand gedrückt hat. Als sei das nur für mich in diesem Moment nach dem Motto: „Weil Sie immer kaufen, gibt es heute ein Geschenk.“ Da bleibt die Frage, warum nicht draufsteht: „Kaufen Sie ein Brot, dann schenken wir Ihnen eines dazu, möchten Sie fünf Brötchen (mindestens), bekommen sie noch drei extra“, wie man das kennt. Es bleibt mir ein Rätsel. Allmählich frage ich mich, ob ich überhaupt richtig gelesen habe?

Es ist eine Masche?

„Rentnertrick, Sie haben gewonnen!“ Vielleicht gibt es Kleingedrucktes? „Geben Sie uns erst einmal hundert Euro, dann schenken wir Ihnen zwei (Brote)?“

„Hier spricht die Polizei. Unser Brot ist in Gefahr. Sie übergeben uns sofort ihre Goldbarren und bekommen an die Backen gebacken!“

Ich denke, so könnte man gratis ganze Schulklassen für Ausflüge versorgen. „Kinder geht los, Karten sammeln“, dann abzocken (in allen Filialen). Normalerweise schenkt dir niemand etwas, und nun gleich doppelt muss es sein, ein Vielfaches des Nötigen und sonst eben, da muss man’s bezahlen? Das soll mir mal der Bäcker erklären, wer hier die Welt nicht versteht; das ist doch das Prinzip Milchmädchenrechnung, Schildbürgerstreich, was weiß ich?

Sonst immer Abzocke.

Es lässt mir keine Ruhe. Ich rufe die Website der Bäckerei auf. „Ferienzeit heißt Coupon-Zeit“, steht dort. Tatsächlich, da ist das Ding, diese Postkarte für Backfreunde, in Originalgröße abgebildet. Ich untersuche nun, was gemeint ist. Aber es bleibt dabei, ich begreife es nicht. Da sind auch vier Summen drauf geschrieben auf den Coupon, in jedem Feld eine, die Sorten betreffend. Das hatte ich gar nicht bemerkt. Zwei Brote nach Wahl (bis 750g) für 7,20 Euro oder die erwähnten Brötchen. Acht Stück gibt es für 3,50 Euro, dann noch drei Franzbrötchen oder fünf Körnerbrötchen. Aber die Preise entsprechen dem, was ich ohnehin erwarte, für diese Auswahl zu bezahlen? Darum habe ich das kaum wahrgenommen. Da steht ja nun nicht: „Zwei Brote für einen Euro oder acht Brötchen für fuffzig Cent.“

Nach meiner Lesart sollte ich also acht Brötchen (gratis) „im Wert von“ dreifünfzig bekommen oder zwei Brote im Wert von sieben Euro und zwanzig Cent. Eine Offerte für alle, die regelmäßig in den Laden kommen, und solche treuen Kunden erhalten exklusiv die Karte. Das scheint mir (allmählich immer klarer) ein Denkfehler zu sein. Nur ich bin derjenige, der es nicht begreift, wie peinlich ist das? Es kommt mir vor wie in der Schule beim Kopfrechnen. Alle können das, und ich stehe da mit rotem Kopf. Keine Eingebung hilft: „An der Decke steht das Ergebnis nicht“, spottet der Lehrer, und die anderen Kinder lachen.

Ich probiere herauszufinden, was die Sachen original kosten. Ich nehme schon an, dass ich für die abgebildeten Brötchen etwa vierzig Cent bezahlen muss. Das machte 3,20 Euro für acht Stück. Stünde da aber, diese Luxusteile kosteten für gewöhnlich 55 Cent, würde sogar mir Künstler und Behelfsmathematiker klar, worin das Angebot bestünde. Die Brote, dass ein typisches Brot mehr als 3,60 kostet, habe ich bislang nicht bemerkt. Das kommt mir teuer vor. Mit den Preisen auf der Website könnte ich’s nachrechnen und verstehen. Ich bin offensichtlich zu dumm? Im entsprechenden Menü gibt es jedes Produkt mit genauer Beschreibung, was es enthält – aber ohne Preisangabe. Der Coupon zeigt jeweils einen QR-Code bei jedem Angebot zur Seite gestellt (von dem ich nicht drauf komme, worin es eigentlich besteht), den ich abspeichern soll und im Laden vorzeigen. Das hatte ich übersehen. Schwarze Feldchen im Schachbrettstil sind zeitgemäßer Tand. Das ist Quatsch, der mir nichts bedeutet. Ich zahle bar. Ich besitze kein Smartphone und kann mit diesem Hinweis nur anfangen, dass diese rhythmischen Sprenkel den elektronischen Bezahlvorgang ermöglichen. Dann kostet es also doch was? Es bleibt ein Missverständnis und mein komplettes Nichtbegreifen. Die Verkäuferin wusste gar nicht, dass ich glaubte, es gibt hier was umsonst aus Kundentreue? Sie verwendet ein System des Coupon-Rabattes, dass alle anderen Kunden schon kennen. Wir redeten aneinander vorbei. Erst in der Kombination mit dem Code, den nur die digitalen Lesegeräte entschlüsseln können, macht alles Sinn, worin genau die Ermäßigung besteht? Ich gebe es auf. Ganz sicher: Ich bin tatsächlich der Opa, der den Schuss nicht gehört hat. Die Zeit ist an mir vorbeigezogen. Das nächste wird sein, mein Enkel ruft mich an, und ich sage:

„Ja bitte?“

Dabei habe ich gar keinen Enkel.

Die späte Aufklärung, inzwischen habe ich im Laden selbst geschaut. Die auf dem Coupon bezeichneten acht Brötchen kosten Stück 0,53 Euro! Ganz schön teuer; also nachgerechnet: 53 Cent mal acht ergeben im normalen Geschäftspreis 4,24 Euro. Damit wäre die Gelegenheit, nur 3,50 Euro dafür zu bezahlen, der angebotene Rabatt und verständlicherweise an eine Bedingung geknüpft, in diesem Fall, acht Stück zu nehmen. Alles klar, (vielleicht ist es das: diese Sorte habe ich nie gekauft, sie sind so pappig). Die ganzen Brote kosten typischerweise von 4,60 Euro bis über 5,- Euro, wenn sie besonders groß sind. Es fiel mir nicht auf. Ich kaufe Brot meistens anderswo. Da kostet ein „Anno“ bei „Harry“ zweisiebzig oder so. Ich habe nicht darauf geachtet –, schlimm? Das zeigt wohl (weil ich es gar nicht registrierte), wie naiv ich bin; wie gut es mir finanziell geht, dass ich’s nicht mitbekam, wie stark sich Brot und Brötchen verteuerten, das Angebot nicht richtig las – usw.

# Beschiss ist das Normale

Bei allen Umwegen, mein Thema, und ich bleibe dran: Pornografie bietet manches Feld, sich einzubringen für ein gutes Geschäft. Der Staat möchte das regeln? Ärzte verdienen mit. Sie erfinden Störungen, wollen diagnostizieren, behandeln. Pillen werden verschrieben. Gutachten erstellt man, wie Fahrradhelme verkauft werden (unter dem Vorwand der erhöhten Sicherheit). Zur Soziologie im Selbststudium durch Inaugenscheinnahme der Umgebung gezwungen, versucht der Gewöhnliche, unser Sein zu begreifen. Ich denke, das Perfide ist die scheinbare Logik hinter allem. Populismus hat Methode und betrifft alle Lebensbereiche. Es ist das Mittel, den eigenen Einflussbereich auszuweiten. Der Zorn der Menschen, ihre Politikverdrossenheit ist selbstgemacht. Widersprüche verändern uns zu Ohnmächtigen.

Ein Leserbrief, auszugsweise zitiert:

„Da wird eines der saubersten und jüngsten Kohlekraftwerke abgestellt und abgerissen, während ältere und schmutzigere Kraftwerke weiterlaufen. (…) Symbolischer kann die Energiepolitik nicht beschrieben werden: chaotischer Rückzug aus sicheren Energiequellen und Ersatz basierend auf wetterabhängigen Technologien.“

Der guten grünen Idee leisten die, die sie sich auf ihre Fahnen schreiben, täglich den Bärendienst. Rote Politik genauso, Beispiele aller Couleur überschlagen sich in den Medien. Frau Faeser verbietet „Compact“, und wenige Wochen darauf kippt ein Gericht das Verbot. Die Unfähigkeit des Establishments treibt die Leute ins Extreme.

Unser Staat brandmarkt die Methoden in China. Wir wollen aber nicht die Dummen sein. Auch bei uns gibt es gefährliche Staatsfeinde. Wie man damit umgeht, demokratische Werte, die allgemeine Freiheit zu erhalten, andererseits rigide Maßnahmen installieren könnte, treibt Politiker um. Aktuell möchte das Innenministerium heimliche Hausdurchsuchungen erlauben. Niemand stört sich dran? Nur bei Terrorverdacht solle das sein, heißt es. Merken wir nicht mehr, dass hier ein Verdacht genügt, damit der Staat selbst Fakten schaffen kann, dass tatsächlich Terror gegen den Staat geplant ist? Wir geben kampflos alte Werte auf. Das Parlament ist ein Haufen von Pappkameraden. Neue Raketen der Amerikaner kommen, das wird durchgewunken. Wir Europäer haben kein Profil, Amerika bestimmt. Andere Länder machen vor, die Demokratie kann wieder abgeschafft werden. Wir Deutsche wollen das scheinbar, sind aber wie gewohnt die Letzten, die’s hinbekommen?

Wir belügen uns täglich.

Mich würde dieser Prozentsatz interessieren: „Wie viele Männer, die über fünfzig sind, schauen sich Pornos mit weiblichen Darstellerinnen an, die ebenfalls über fünfzig Jahre alt sind?“ Das wären ja dann die gesunden Männer.

Wir anderen sind alle krank? Das scheint die Behauptung zu sein, die sich breitmacht, weil Männer sich’s gefallen lassen, den Mund nicht aufmachen. Ich glaube, Frauen, wenn sie älter als vierzig sind, irritiert, dass ihre gewohnte Wirkung auf das andere Geschlecht nicht mehr funktioniert. Sie haben das größere Problem. Deswegen ihre Überreaktion, der Geschlechterkampf. Alle verlieren im Krieg. Das weiß man doch. Attraktiv sind zunächst nur junge Frauen, weil sie jung sind, aber ältere, die klug werden, sind genauso schön. Die im mittleren Alter sind gewöhnlich vollkommen verkrampft. Man kann nichts mit ihnen anfangen.

Das jeweils Akzeptierte gibt einen Rahmen, schafft ein etabliertes Denkgerüst in der Öffentlichkeit. Das vertraute Bild wird beständig beschädigt durch die moderne Entwicklung. Wir kommen nicht weit mit diesem Denken. Die Realität kann nicht bestraft werden. Insofern bedeutet Anpassung ein wechselseitiges Vorziehen derjenigen, die das Neue begreifen, aber ihr erneutes Zurückfallen, wenn sie nur einer Bewegung folgten, die sich schnell überholt. Zeitnahe Mitläufer üben Druck aus auf die Bewahrer der Konvention. Nach einiger Zeit beweist sich, was wirkliche Veränderung wurde. Was dem Tand der Wichtigtuer zugearbeitet hat, ihren Vorrat an Argumenten fütterte, die sie benötigen, andere platt zu reden, verblasst wieder. Viele Beispiele modernen Umgestaltens finden sich in Lebensbereichen mit sozialer Strahlkraft. Wo Menschen sich mit dem Prädikat schmücken, Helfer zu sein, möchten sie Helden sein ohne Fehler? Retter pochen auf ihre Wichtigkeit. Man hat das Martinshorn der Krankenwagen lauter gemacht bis zur Unerträglichkeit für Fußgänger, Anwohner, die an den bevorzugt genutzten Strecken dieser Fahrzeuge leben müssen.

Einen privaten Pkw mit Aufkleber sehe ich gelegentlich parken.

„Rettungsgasse bilden!“

Ein Panzer ist dargestellt, das Kanonenrohr weist auf den Betrachter: „Sonst kommen wir!“ (Der Halter ist vermutlich ein guter Mensch). Weltretter reden politisch korrekt und üben das zuhause vor dem Spiegel. Ungenießbar finde ich die Selbstbeweihräucherung von Autoren, die wichtiger sein möchten als ihre Inhalte. Sie werden als Schreibende bezeichnet, weil eine Autorin kein Schreiber sein darf? Manches stößt sauer auf: Für einen Bettler habe ich schon mal ein wenig Geld übrig, die Obdachlosenzeitung kaufe ich seit Jahren, lese aber kaum noch darin. Ich blättere das Heft inzwischen nur durch, lese quer, fange Artikel an, werfe schnell alles weg. Die Texte sind so vollständig mit Genderzeichen befrachtet, dass das Zeug nicht mehr lesbar ist. Im Fernsehen ist man bereits klüger geworden. „Die Soldatinnen und Soldaten beginnen ihre Ausbildung“, heißt es etwa einleitend.

Im weiteren Verlauf des Beitrags wird schlicht von „Soldaten“ gesprochen wie früher.

Dieser Text „Haut“ hier ist zugegebenermaßen kein durchgeplantes Wortgemälde, sondern das Flickwerk meiner auf den jeweiligen Absatz bezogenen Gedanken, ob sie noch ausgeschmückt werden können oder klarer gesagt. Deswegen bin ich aber nicht auf den Mund gefallen oder verbal dumm, nur weil ich meine Intention ständig anpasse und nicht das Geschreibsel solange optimiere, bis es perfekt ist und meinen Wortschwall erst anschließend online stelle. Wir haben schon genug Menschen, die so tun möchten, als redeten sie perfekt korrekt.

Beispiele, was es mit mir macht?

Die neue Hinz&Kunzt liegt vor mir. Ein Fußballer ziert den Titel. „Obdachlosigkeit: Wie können wir das bloß zulassen?“ Ich beginne mit dem Heft, lese Seite zwei. „Liebe Leserin, lieber Leser, Hamburg ist endlich wieder erstklassig (…).“ Das Editorial kommt ganz in meinem Sinne daher, beginnt mit Fußball, spricht mich an. Die aktuellen Themen zu reflektieren, macht neugierig und mein Geld für diese Ausgabe bei meiner Lieblingsverkäuferin investiert zu haben, scheint mir eine gute Anlage. Das wird mich emotional beleben, was hier steht. Auch meine Gesellschaftskritik dürfte sich in diesem Blatt wiederfinden? Hier werden nötige Ansichten vertreten, denke ich. Weiter, ich bin Grafiker; das Erscheinungsbild, Layout gefällt mir. Seite drei bietet schon mal einen Überblick. „Inhalt August 2024“, steht oben drüber. Ich überfliege die fett gedruckten Haltepunkte.

„Projekt Wohnschmiede, ein Zuhause für Obdachlose, die durch alle Raster fallen“ oder „Wasser, Abtauchen – aber sicher! Ein Wasserretter erklärt, wo man in Hamburg baden kann.“

Das klingt lesenswert. Nun blättere ich um. Die folgenden Seiten vier und fünf bilden aufgeschlagen eine Komplettansicht. Das ist ein großes Foto, ein gut gemachtes Bild aus kompositorischer Sicht. Links oben ragt ein schnöder Wohnblock hoch. Seine Farbe ist ein cremiges Englischrot. Der Himmel bleibt eintönig aber nicht unfreundlich hellgrau. Eine schwache Sonne beleuchtet die Szene. Unten ist viel Grün im Bild und ein Feld gibt sich hellocker. Im Hintergrund finden sich weitere Gebäude. Eine kleine Straße mit parkenden Fahrzeugen zeigt sich auf dieser schönen Doppelseite rechts, und da beginnt oben auch ein Text.

„Stellingen“, lese ich, „Erholung auf der Autobahn“, das ist die Überschrift. Ich fange an, gut gelaunt zu lesen.

„Dort, wo täglich 150.000 Fahrzeuge über die A7 in Stellingen brettern und Anwohnende –“

Anwohnende?

Weiter komme ich nicht. Ich breche ab. Ich lese nicht weiter. Eine Wut schäumt hoch, die ist über jedes Maß. Ich schlage das Blatt zu, werfe es in eine Ecke und beschäftige mich mit anderem.

Das zweite Beispiel dieser Tage ist so sensibel, überhaupt in Worte gefasst zu werden, dass ich mich frage, ob ich meine Gedanken nicht besser für mich behalte? Wieder hat es einen Angriff auf Menschen bei einem Stadtfest gegeben, Solingen. Der Täter sei noch nicht gefasst, heißt es in den Abendnachrichten. Man gehe von einem terroristischen Hintergrund aus. Die Besucherinnen und Besucher reagierten geschockt, wird berichtet. Davon, dass der Unbekannte auch eine Täterin sein könnte, geht offenbar niemand aus? Es spricht erfahrungsgemäß bei derartigen Eskalationen alles dagegen, dass schon allein deswegen die Nachrichtensprecherinnen und Nachrichtensprecher nicht von möglichen „Täterinnen oder Tätern“ reden.

Die Gesellschaft bestreitet grundsätzlich ihre eigene – der Gesamtheit so zu sein, wie sie ist, betreffende – Schuld an Terrorattacken oder bei Amoktaten, obwohl diese Angriffe ja hier passieren und nicht irgendwo. Ohne uns ginge es nicht, uns zu attackieren, aber das Opfer-Täter Prinzip, nach dem wir gewohnt sind, alles zu beurteilen, macht es dem gewöhnlichen Menschen unmöglich, die Zusammenhänge anders zu betrachten? Dabei dürfte unser Erscheinungsbild Fremden genügend Reibungspunkte geben, und wir machen es uns leicht, wenn wir darauf pochen, unsere Werte müssten verteidigt werden.

Sich zu verteidigen, heißt einen Kampf annehmen.

Wir sind eine verbal hochgerüstete Gesellschaft. Das allein provoziert schon mal. Ich probiere, das Unmögliche zu beschreiben. Zwei Frauen moderieren die Nachrichten abends im Fernsehprogramm, als erörtert wird, was wir wissen in dieser Sache in Solingen. Moderatorin P. fragt die Spezialistin für diese Inhalte, T., nach den Details. Meine unkorrekten Gedanken schweifen ab. Ich überlege, ob es mir gefallen würde, mit diesen Frauen zwei Wochen gemeinsam im Urlaub unterwegs zu sein (oder irgendein Projekt zusammen zu entwickeln), und meine Antwort ist Nein. Die beiden haben so eine Art von verbaler Perfektion drauf, dass ich „solchen Frauen“ lieber aus dem Wege gehen möchte. Es ist die Furcht, zugegeben, ihnen als Mann nicht gewachsen zu sein. Diese Fernsehmacherinnen haben jeweils ihre typische Art, den Mund zu formen für ihre wohlgekonnten Beiträge. Ihr Mund ist das Werkzeug, mit dem sie arbeiten. Sie haben nicht den Mund einer Frau. Sie tragen eine Schnute im Gesicht, und die feuert ab. Das gruselt mich. Die Angewohnheit von T. ist eine Muskelakrobatik, wie nur diese Frau es hinbekommt, und das Getue unterstreicht ihr Gutsein auf abschreckende Weise. Die Damen sind sehr schön anzuschauen, finde ich, aber sie würden mich dominieren, wenn ich eine falsche Sache versehentlich vertreten würde. Da müsste man sich im voraus eilenden Gehorsam jedes Mal auf die Lippen beißen.

Bei P. fühle ich mich angegriffen durch ihre Art und Weise, die Lippen zu spitzen. Sie flötet die Sätze geradezu raus, und mich macht es fertig: Die will so korrekt sprechen, dass ihre Technik, das zu tun, fasziniert – wie abschreckt. Das bringt mich vollkommen davon ab, nötigerweise ergriffen zu sein von der verstörenden Tat. Mich berührt das Schreckliche nicht? Mir bleibt nun jede Empathie für die Opfer weg, weil ich mich über die Sprecherinnen in der Sendung ärgere. Ein unpassendes Gefühl, aber so ist es nun mal. Wie kann das sein, frage ich mich? Ich selbst oder meine Familie, Freunde könnten betroffen sein, jeden kann dieser Wahnwitz treffen. Das weiß ich wohl.

Ich denke nun quer durch alle gesellschaftlichen Facetten.

Männer und Frauen leben bei uns mit so vielen verschiedenen Hintergründen, ihren entsprechenden Ansichten. Es gibt Gewalt an den unterschiedlichsten Orten aus den verschiedensten Motiven. Gewalt in der Partnerschaft kann durchaus auch von Frauen ausgehen. Die Amoktäter oder Terroristen, die pauschal eine Masse attackieren, kennen wir heute aber als typischerweise islamistische Männer oder psychisch kranke Männer. Frauen sind die Ausnahme, wenn an einer Schule gemordet wird, ich kann mich aber an mehrere Angriffe auf Menschen, die ein Volksfest besuchen, erinnern, und die Täter waren männlich. Auch die sexualisierte Gewalt, die Migranten gegen Kinder oder junge Frauen ausüben, geht von Männern aus.

Dieser absurde Gedanke kommt mir: Wäre ich nun der Kommisar und müsste ermitteln, käme ich jedenfalls niemals auf die Idee, in den beschriebenen Moderatorinnen Täterinnen zu sehen, die auf einer Kirmis wahllos Besucher attackierten.

Das darf man ja gar nicht schreiben.

Hier liegt bereits der Ansatz einer Beleidigung vor, werden welche meinen? Ich würde schwadronieren, sei Querdenker im Sinne vom Schimpfwort, hieße es. Die Leute sagen lieber leichthin: „Messer gehören verboten!“, und halten sich für klug. Fertig sind sie. Dies hier ist zu kompliziert. Man schaut drüber wie ich bei Hinz&Kunzt, gehört man zu denen, die im Flow vom Zeitgeist reisen. Wer hier liest, sucht allenfalls Eckpunkte, mich wegen dem anzugreifen, was ich sage. Das ist scheinbar einfach, weil die anderen, die öffentlich reden, es im Konsens tun. So wie hier dürfte ich in keiner Community schreiben. Es geht nur, wo es vollkommen unbedeutend ist. Aber genau das macht diese Damen im Fernsehen so sicher bei ihrer Berichterstattung. Auch wenn der Täter nicht bekannt ist, im Vergleich mit diesen Journalistinnen – ist es ein Alien.

Weiter, und so betrachten mich einige. Nicht den Künstler, sondern den Spinner, den „Psycho“ sehen sie in mir. Das lässt man mich schon spüren, weil ich manches zugegeben habe, was mir (mit mir) geschehen ist als Kranker? Ich mutmaße, einige nehmen mich eher als jemand an, der selbst Menschen abschlachten könnte? Das finde ich erschreckend. Grund genug, Partei zu ergreifen – nicht für Gewalt als wünschenswert, aber eine differenzierte Haltung, die unsere Realität tatsächlich abbildet. Wir stehen offensichtlich in gegenseitigen Lagern, diese perfekten Frauen und ich. Ihr Hochglanz ist kaum mehr als eine getragene Maske, die sie polieren. Ich bin einer, das darf ich annehmen, den diese Weibsen leicht als „bescheuert“ abtun, wenn sie nicht gerade im Fernsehen reden.

Das tut weh.

# Aufruf zum Widerstand!

Meine Kunst ist in Gefahr! Es wird dekoriert, was korrekt gefällt. Ich denke, wer als Mann offen anspricht, was ihn wo erregt, läuft Gefahr, allein deswegen als möglicherweise gefährlich bezeichnet zu werden. Da müssen wir Herren der Schöpfung gegenhalten, Stellung beziehen. Publizisten sollten für die freie Meinung kämpfen, die Wahrheit menschlicher Gefühle als nicht zu umgehende Realität deutlich machen. Sexuelle Regungen können nicht therapeutisch korrigiert werden. Etwas zu empfinden, ist keine Krankheit. Auszusprechen, was Menschen denken, darf nicht zur Anklage, Stigmatisierung und Bestrafung instrumentalisiert werden, wenn wir eine freie Gesellschaft möchten, die sich entwickelt. Bloß weil es unreife Menschen gibt und technische Möglichkeiten neue Verhältnisse geschaffen haben, können wir Mannen nicht zulassen, alle über einen Kamm geschoren zu werden. Die Staatsanwaltschaften, Polizisten und nicht zuletzt die Politik, alle müssen dazulernen. Jetzt gerade ist die Kunst gefragt, sich kreativ einzubringen, wo es doch vor allem um Bilder geht, Bilder von Menschen, die erregen. Dahinter stehen reale Leben. Wir müssen unseren Intellekt beleben, um zu überleben in einer künstlichen Welt, unsere Natur spüren, weil wir sie durch ein Smartphone anschauen.

Nackt am Strand lauern Gefahren? Das habe ich gefunden, unser Pinneberger Blatt kommt zwei Tage später mit einem weiteren Text, der ebenfalls passt, zitiert zu werden. In der Rubrik Schleswig-Holstein findet sich eine (der Urlaubszeit Rechnung tragende) Beschreibung moderner Strandeinsichten. Das fotografische Auge in der Kombination mit dem Internet treibt die Menschen um, neu über Nacktheit nachzudenken, und zwar die ihrer Kinder am Strand.

„Lassen Sie Ihr Kind nackt herumtollen?“

Unter dieser Überschrift probiert die Autorin, ein aktuelles Bild zu zeichnen mit Meinungen von Badegästen in Olpenitz an der Ostsee, die vor Ort befragt wurden. Zum Thema „Kinderbilder im Netz“ nimmt auch die Polizei ihre Einordnung vor und bekommt einen integrierten Zweispalter. Dort heißt es unter anderem, dass Facebook- und Instagrambilder in großem Stil auf pädokriminellen Foren landen. Durch entsprechende Berichte verunsicherte Badegäste, überlegen heute, was es bedeuten könnte, wenn sie ihre Kinder nackt baden lassen?

Ich zitiere (zusammengefasst) Bildunterschriften:

„Eine Frau aus Kiel macht sich noch wenig Gedanken darum, ob sie ihre Kinder Jonna und Jannis nackt ins Wasser schickt. Ein Vater aus dem Ruhrgebiet lässt seine Tochter nur bekleidet am Strand spielen und baden. Eine Mutter aus dem baden-württemberischen Münsingen passt bei ihrer Vierjährigen auf, dass sie immer was anhat.“

Ein im Beitrag erwähnter Sexualpädagoge Gloël kommt zu Wort.

Der relativiert aber:

„Es ist eine hypothetische Situation, dass da jemand sitzt und Fotos macht. Es wäre schade, wenn die natürliche Entwicklung und das Bedürfnis der Kinder darunter leidet.“

(Pinneberger Tageblatt, Freitag, 16. August 2024).

Eine kollektive Neurose hat die Gesellschaft erfasst.

# Epilog

Ich gebe zu, habe den Frisch nicht weitergelesen. Ich fand einfach keine Muße, hatte keine Lust dazu. Ist das heute noch ein Autor für die Schule, lesen die Leute weiter Böll? Horst Jansen war omnipräsent während vieler Jahre, die ich erinnere. Ständig kam was über ihn in den Medien. Es ist ruhig geworden um den Blankeneser nach seinem Tod. Der gute Zeichner verstand es, zu Lebzeiten Erfolg zu haben. So mag ihn nicht stören, vergessen zu werden –, falls er eine Seele hatte und die noch nachgrübelt über das, was war.

Das höchste Gericht soll nicht auf Erden sein, sondern bei Gott. Aber auch auf dem Planeten selbst, in unserem Kellerdasein menschlicher Zweideutigkeit gibt es Begnadigungen, wenn ein Geschäft zu machen ist. Bei uns unten regiert kein Gott: Hier behaupten sich Gier und Geld. Niemand weiß, wie das mit Jesus war. Die Geschichte „Bibel, gesammelte Werke“ verkauft sich trotzdem bis heute. Jesus starb, dann konnte man ihn als Textmaterial nutzen. Lebende, die in Verruf geraten, erfahren selten die Gnade der Öffentlichkeit, wenn sich rausstellt, dass sie zu Unrecht am Pranger standen. Manche hoffen auf die himmlische Vergebung, aber auch die später Lebenden bewerten alles anders. Die Chance des Künstlers, berühmt zu werden, bekommt dieser typischerweise erst nach seiner Schaffenszeit. Picasso, Banksy oder der (weniger bekannte) Hamburger Horst Jansen sind Ausnahmen.

Künstler jedoch, die zu Lebzeiten mit Anfeindungen zu kämpfen hatten, werden nach ihrem Tod gern wieder aufgenommen von der Gesellschaft. Sie gelten als interessant, wären verstrickt in Intrigen gewesen, erklären uns Autoren, die nun Deutungshoheit beanspruchen. Man erkennt im Nachlass gefundene Kunstwerke jetzt als schätzenswert, behauptet, der Maler wäre seiner Zeit voraus gewesen. Kunsthistoriker sind sich sicher, Missgunst brachte diese verkannten, genialen Menschen zu Lebzeiten fast um den Verstand. Neider bremsten sie aus, heißt es nun. Man nennt sie Unglückliche, mit denen erst nach dem Ableben das Geschäft floriert.

Eine Zeit lang galt Michael Jackson als pädophiles Schwein. Das passte all denen nicht ins Bild, die weiter mit ihm arbeiten wollten als musikalisches Genie, das er heute unbestritten war. Jetzt ist Michael tot, und niemand fragt mehr nach seinen sexuellen Vorlieben. Gerade kommt ein Musical über sein Leben auf die Bühne. So wird sich das auch mit dem Star-Regisseur Roman Polanski entwickeln. Die Feministinnen, die ihm heute zusetzen, verlieren vermutlich das Interesse am Rachefeldzug nach dem Tod ihres Hassobjektes. „Wenn der 90-Jährige nur endlich sterben wolle“, denken dagegen welche, die mit seinen Produktionen Kasse machen möchten. Sicher ist bereits eine Biografie geplant, wie es wirklich war, sein Leben. Man könnte das verfilmen. Das Leben anderer zum Stoff einer Erzählung machen und damit zu verdienen, verlangt eine verfügbare (und im Sinne seiner Dramatik formbare) Geschichte für den Autoren. Die tatsächliche Wahrheit eines noch Aktiven stört nur. Die eigene Story zu schreiben, wenn das Objekt der Begierde lebt, gelingt nur ausnahmsweise ungestört. Man benötigt die Einwilligung, Teilhabe des Interviewten, sein Vertrauen für eine ernsthafte Dokumentation. Ich erinnere, kurz nachdem Natascha Kampusch sich befreien konnte, gab es bereits eine nicht autorisierte Biografie in Großbritannien. Die Autoren hatten die Insel nicht verlassen, nie mit ihr geredet und doch ihr Ding draus gemacht. Man wird sich gesagt haben:

„Ein kleines Mädchen wehrt sich nicht. Wir schreiben frei nach Schnauze und kassieren unser Verlagshonorar. Die Leute wollen das lesen.“

Der beliebte Maler Emil Nolde galt zu meiner Kindheit als von den Nazis verfolgt. Alle Kunstlehrer lobten seine Werke, erzählten die Geschichte von den ungemalten Bildern: Nolde habe heimlich kleine Aquarelle gemalt, weil die geruchsfreien Wasserfarben im Vergleich zur Ölfarbe besser geeignet waren, seine Aktivitäten zu verbergen, argwöhnisch beobachtet von den Schergen der Nationalsozialisten. Vor einigen Jahren probierten Menschen, sich wichtig zu tun, Nolde als eigentlichen Nazi, der er gewesen wäre, darzustellen. „Angela Merkel hängt ihre Nolde Bilder ab“, war eine Schlagzeile. Inzwischen konnten sich diejenigen, die ganze Sammlungen etwa in Stiftungen oder Museen verwalten, durchsetzen und den Maler zurückbringen an die Front der Besucher, die gern bereit sind, Eintritt zu zahlen für eine Kunstschau. Jetzt gilt dieser Lebenslauf: Der Nordfriese habe zunächst nicht gegen den jüdisch geprägten Kreis der etablierten Maler um Max Liebermann in Berlin bestehen können. Das wären die Impressionisten gewesen, damals angesagt, und sie besetzten die Plätze. Nolde wandte sich den nationalsozialistischen Ideen zu aus Trotz und entwickelte seine expressive Bildsprache. Damit konnte er wieder Boden gut machen mit seinem modernen Ansatz, bis die Nazis ihn als „entartet“ definierten – und die bekannten Probleme seine Karriere demolierten.

Alles nur Beschiss auf Erden, hier gibt es keine gerechte Welt, über die ein Gott in einer Weise wacht, dass das Böse seine Strafe erhält. Der Kirche nachzulaufen, ist nichts anderes, als irgendeiner anderen Verschwörung anzugehören, die etwa nicht an die Mondlandung glaubt. Dies ist der üble Planet des Geschäftemachens. Menschen möchten Menschen binden. Kirchenleute schreiben Mitläufern Dinge vor, die diese ohne solche Gurus nicht benötigen würden.

# Religion ist heilbar

Gesund ist das nicht, aus dem Gebotenen strafbare Verbote zu kreieren, dass Menschen sich deswegen zum Richter aufspielen. Das hat kein Gott gewollt. Es kommt nicht auf die jeweilige Religion an; wenn alle gemeinsam eine Herde folgsamer Mitläufer für das besondere Kostüm ihrer Weltensicht wollen, regt das wohl an, zu widersprechen, dem Ruf nach Freiheit zu folgen, die eigene Wahrheit zu suchen. Allgemein Überzeugungen sind zu hinterfragen. Alles, was den Einzelnen motiviert, sich unterzuordnen, der Welt anzupassen ohne eigene Initiative, macht krank. Es gibt keine Beziehung, die uns uneingeschränkt geben könnte, was wir uns selbst am Besten schenken können, Vertrauen. Hintergangen zu werden, ist nicht ungewöhnlich. Unterstützung bekommen wir unter der Voraussetzung, dem Gegenüber ebenfalls ein Plus zu bedeuten. Aber Angestellter zu sein, sogar als Butler (also Diener) für einen Milliardär zu arbeiten, meint nicht, sich zum Sklave der Umgebung zu degradieren. Gott dienen? Da ist kein Gottesdienst geeignet, Stärke und Vertrauen aufzubauen, wenn die Gläubigen nicht auch selbst Zuversicht mitbringen für ihre Wege. Eine gute Gesellschaft wie auch jede Gemeinde sollte alle mitnehmen in diesem Sinne; das Gegenteil ist typisch. Intrigante Menschen bestimmen das Bild, so auch das Wesen der Kirche.

Schade – da steht viel Gutes in der Bibel.

Römer 12 ist wirklich lesenswert.

Zitat:

Das Leben als Gottesdienst

1 Ich ermahne euch nun, Brüder und Schwestern, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. 2 Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

Die Gnadengaben im Dienst der Gemeinde

3 Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich’s gebührt, sondern dass er maßvoll von sich halte, wie Gott einem jeden zugeteilt hat das Maß des Glaubens. 4 Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, 5 so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied. 6 Wir haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Hat jemand prophetische Rede, so übe er sie dem Glauben gemäß. 7 Hat jemand ein Amt, so versehe er dies Amt. Ist jemand Lehrer, so lehre er. 8 Hat jemand die Gabe, zu ermahnen und zu trösten, so ermahne und tröste er. Wer gibt, gebe mit lauterem Sinn. Wer leitet, tue es mit Eifer. Wer Barmherzigkeit übt, tue es mit Freude.

Das Leben der Gemeinde

9 Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. 10 Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. 11 Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. 12 Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. 13 Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. 14 Segnet, die euch verfolgen; segnet, und verflucht sie nicht. 15 Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden. 16 Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch zu den niedrigen. Haltet euch nicht selbst für klug. 17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 18 Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. 19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“ 20 Vielmehr, „wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“ 21 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Zitat Ende.

Eine geistreiche Erklärung unserer Lebenswirklichkeit bis heute ist das. „Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Die dem Bösen verheißene Strafe bekommt als intelligente Erweiterung hintenangestellt, in Erwägung zu ziehen, den Feind zu beschämen, dass dieser sich letztlich selbst zu Fall bringt. Es bedeutet offenbar Raffinesse, sich selbst im Griff zu haben, keine Gewaltspirale in Gang zu setzen. Der Schluss (besonders) ist eine Ermunterung zu probieren: „Überwinde das Böse“, und zeigt, dass die Alten wussten, Gefühle hat man. Der Sinn der Gebote liegt den Entdeckern dieser Weisheiten im Gegensatz zu denen, die solche Worte als mit Ausrufezeichen versehene Mahnung kopierten, noch darin, alles als Angebot zu begreifen. Wir könnten uns wie unsresgleichen sehen, müssten die Belehrten nicht vorauseilend bestrafen: „Du sollst!“ (sonst setzt es was).

# Timschal

Die Frage ist vielmehr, was mit uns, so wie wir eben sind, zu tun sei. Wir bekommen den Auftrag, bei uns selbst anzufangen. Das sind Sätze zum drüber Nachdenken, was dem Menschen an neuen Wegen offen steht, um besser zu werden, gesünder zu leben. Es ist wohl eine Kunst, Wut zu erleben, Rache in ein hübsches Gemälde zu verpacken, es noch zu verschenken? Das ist weniger als ein Tritt der noch gut gemeinte Denkanstoß. Reicht das nicht, bleibt ja noch der Tritt (ins Gesicht). Es ist nicht möglich, mit allen in Frieden zu leben. Das ist eine Wahrheit. Gleichgültigkeit wird nie gefordert außer vom Psychiater, der diese Stimmungslage medikamentös erzwingen will. Religion als Krieg gegen Schwächere zu nutzen, allgemein Überzeugungen den Leuten aufzwingen, die das mit sich machen lassen, das ist Manipulation. Die klügsten Ideen können missbraucht werden, wenn die guten Worte – niedergeschriebene, tatsächliche Erfahrungen – in den Händen radikaler Idioten zu willfährigen Mitteln werden, Unselbständige einzufangen.

Menschen, die verbale Macht ausüben, über andere bestimmen, können harmlos wirken. Onkel, Tante, Oma, Opa und vor allem Papa, Mama; sie kommen scheinbar freundlich daher. Wo das Gebot fürs Kind lautet, die Eltern zu achten, eben bloß, weil sie Eltern sind, erklärt dieser schöne Rat noch nicht, dass manches Kind genötigt wird, dem zu folgen, obwohl es missbraucht wird. Missbrauch der elterlichen Macht hat viele Gesichter, dass sogar diese Eltern sich selbst für gute Menschen ansehen, die ihr Kind kaputt machen. Am Schlimmsten ist die unweigerliche Folge, das Kind hält seine Eltern ebenfalls für gut und gewöhnt sich an, sämtlich die eigenen Empfindungen umzuprogrammieren. Die Schwierigkeit ist weniger einzusehen, dass man vergewaltigt wurde (gar nicht mal im sexuellen Sinne, meine ich), ganz allgemein abhängig bestraft ohne nachvollziehbaren Sinn und umgekehrt gelobt, wenn es gerade den Erziehern in den Sinn kam. Auch dass vieles wenig mit der eigenen Intention in Einklang zu bringen gewesen ist, bedeutet nicht das größte Übel, sondern wie man sich heute erfolgreich neu ausrichtet. In der Jetztzeit hören die Probleme mit den anderen nicht auf. Wir sind gewohnt, Rattenfängern zu folgen, bleiben gutgläubig, brav zum eigenen Nachteil oder reagieren zwanghaft, unkontrolliert trotzig, geraten vom Regen in die Traufe. Die Hilfe zur Selbsthilfe finden die wenigsten.

Ein bißchen reden mit dem Psychiater und morgens eine Pille einwerfen, dürfte kaum nützen.

Alternative Wege auszuprobieren, ist lohnend. Wir schärfen unser Profil. Es gibt Widerstand von vertrauten Menschen, Freunden, der Familie. Nicht wenige stützen, bestärken unser gewohntes Verhalten, weil es ihnen die Kontrolle gibt, damit umzugehen, was passieren wird. Wir werden entsprechend unserer Nützlichkeit bewertet. Es heißt Überzeugungskraft zu benötigen, wenn ein Individuum aufbegehrt. Wenn Freunde mauern, sich kritisch gegenüber unseren neuen Plänen positionieren, sollte uns das aufmerken lassen. Eine Wand hat auch Schwächen, zeigt präzise, wo stattdessen noch eine Tür für den individuellen Weg offen steht. Sich selbst zwanghaft festzulegen auf eine einmal beschlossene Haltung, heißt nur, bekannte Kritiker innerlich vorauseilend auf den Plan zu rufen. Deswegen sind Zwang und Angst ein Paar, dem man die eine Seite der Gleichung nehmen kann mit der Entdeckung einer alternativen Handlungsrichtung. Wenn der Zwang nicht besteht, weil man die Augen vor anderen Möglichkeiten verschlossen hatte, hilft es, mehr wahrzunehmen und nicht, den Kopf in den Sand zu stecken.

In voller Sommerhitze sehe ich eine Jugendliche vorbeispazieren. Sie gehört offensichtlich zum Islam. Die junge Frau ist mit dem ganzen Zeug, inklusive Kopftuch betüddelt, der von gerade ihrem Gott für nötig befunden wird. Das haben ihr die Eltern und andere gesagt, dass es so wäre, so gehöre. Sie würden auch mit einer Maßregelung aufwarten, falls ihr Kind aufbegehrt? Was Menschen sich auferlegen aus Angst, es könne Ärger geben, sich einreden, es täte ihnen gut; man fasst es nicht.

In einer heterogenen Gesellschaft wie der unseren, die vornehmlich westlich geprägt ist, funktioniert der Islam nicht so gut wie dort, wo diese Religion heimisch ist. Menschen, die sich am Äußeren ausrichten und eine höhere Macht oft wichtiger als sich selbst anerkennen, danach handeln möchten, bekommen das am besten hin, wenn die Leute drumherum vieles genauso machen wie sie selbst. Man schaut nebenan und sieht die anderen an wie seinesgleichen. Der Rat, was in einer besonderen Lage gegeben sei, wird entsprechend der Tradition gegeben. Die Geschichte der Gesellschaft und ihre Religion sind homogen. Das lässt sich so nicht auf das moderne Deutschland übertragen. Wir sind multikulti, ob man’s wahrhaben will oder nicht. Als ein sich schnell entwickelndes System, können wir nicht einfach in die Tradition unserer Eltern zurückschauen, noch werden wir verlässliche Antworten vom Zeitgeist bekommen. Unsere Kirchen sind unzuverlässig als Seelsorger. Der Begriff Seele ist zum altmodischen Wort verkommen. Man bedient sich in unserer Historie, wo es doch um Menschen geht, die heute Hilfe benötigen.

Wer bei einem Problem, das ihn aufhält weiterzumachen, einen allmächtigen Supervisor annimmt, der diesen Umweg befiehlt, macht sich die Sache doppelt schwer. Wie vernagelt wird man fixiert auf die Lösung seiner Sorgen verharren oder übertrieben neurotisch reagieren. Angst kennt diese beiden Reaktionen, und Angst bekommt jemand, der glaubt, ferngesteuert zu existieren. Ein fixer Glaube schafft die Bedrohung selbst, die dann durch Hoffen und Beten gelöst werden soll, wo andere gar keine Not erkennen würden und pragmatisch das machen, was noch funktioniert. So nähert sich der Vernünftige einem Problem, von einer neuen Perspektive aus und mit einem alternativen Ansatz.

Glaube kann mit einer Suchtkrankheit verglichen werden. Ein Raucher schafft sich den Stress des Entzugs selbst alle halbe Stunde. Dann steckt er sich die Zigarette an und entspannt. Nichtraucher kommen ohne diesen Rhythmus aus. Gläubige sind angehalten, wochentags zu arbeiten und Sonntags auszuruhen. Das ist immer weniger in Einklang mit unserer Lebenswirklichkeit zu bringen. Die dahinterstehende Idee war, dem Menschen einen Rahmen zu lehren aus Arbeit und Pause. Es ist nur vernünftig, heutzutage selbst nachzudenken, eigene Lösungen zu finden. Einen Gegenpol, dem wir unsere Wege auftragen: „Befiehl dem Herrn deine Wege, er wird’s wohl machen“, ist einer Sprache entlehnt, die heute mehr denn je wegführt von uns selbst. Es steht konträr zum Ankommen bei sich, das Selbst finden, obwohl dies genauso Gültigkeit hat. Nimmt man die biblischen Texte als Erstversuch, unser Dasein zu erklären, dürften sämtliche anderen Bücher weltweit hinzugezogen werden als ebenso gültige Ideen. Kein Blitz fährt vom Himmel, denjenigen zu strafen, der sich anderswo bedient, als mal gesagt.

Die Menschen in einer Kirche folgen ihrem Laden und halten die jeweilige Konfession für richtig. Für viele ist das kein antiquierter Ansatz von früher. Glaube ist immer aktuell. Wir dachten, der Nationalsozialismus habe sich erledigt? Ein Irrtum. Wir erleben weiter Glaubenskriege, aktuell rund um Israel, und auch bei uns ist islamistischer Terror Alltagsgefahr. Warum sollte Gott durch nur eine Glaubensrichtung korrekt dargestellt sein? Wenn ich aus Versehen mein Wasserglas umstoße, kann ich genauso gut annehmen, ein höheres Arschloch wolle das oder schnöde die Verantwortung übernehmen für meine Dusseligkeit.

Kinder löchern ihre Eltern: „Mama, warum ist das so?“, und die Sachverhalte werden je nach Inhalt der Frage aufgeklärt von den Erziehern. Als Erwachsene müssen wir uns damit abfinden, dass vieles unklar bleibt. Ein Kommissar ist bei seinem Fall, den er lösen möchte, mit Sonderrechten ausgestattet. Polizisten werden belogen und probieren, trotzdem ein Netz zu spannen aus wahren Aussagen, um ihr Problem einzugrenzen, den Täter schließlich zu zwingen, sein Geheimnis preiszugeben. Es kommt vor, dass nicht einmal vor Gericht geklärt werden kann, wie etwas gewesen ist.

Wir normalen Menschen können nie so beharrlich nachhaken, Aussagen zusammentragen von anderen, wenn wir das Gefühl haben, etwas ginge nicht mit rechten Dingen zu. Eine unklare Bedrohung empfindet man nicht so selten. Selbst Langeweile bedeutet bereits, dass eine Blockade uns davon abhält, das Nötige zu tun. Den „einen“ Schuldigen an unseren Problemen werden wir nie dingfest machen. Die Vorstellung, man müsste nur nachdrücklich in jemanden Bestimmtes dringen wie ein Polizist, bringt kaum weiter. Wir möchten einen festnageln, der uns die Wahrheit unserer Schwierigkeiten, die wir mit einigen Leuten haben, erklären könnte, gäbe er sein Wissen preis? Das führt in einen unangenehmen Kreislauf, dasselbe zu denken. Das Ergebnis ist immer, es fehlen die Mittel, Druck auszuüben. Wir könnten erfahren, dass alles ganz anders ist als unsere Vermutung. Man konfrontiert uns mit weiteren Lügen. Fazit, wir erfahren die Wirklichkeit durch Kommunikation. Unser Bild der Realität ist immer mangelhaft. Mut zur Lücke: Es hilft nichts, als endlich zu ertragen, wir müssen alleine klarkommen – wenigstens mit unseren Gefühlen.

Sich einen Lappen um den Kopf zu wickeln, mag noch als traditioneller Spinnkram belächelt werden. Den Selbstmordanschlag im Publikum einer Großveranstaltung zu planen, um der Vorstellung zu genügen, das sei gottgewollt, verdeutlicht, wie gefährlich instrumentalisierter Glaube ist. Das gelingt den Hasspredigern nur, weil unser Leben nun mal nicht mit bloßer Vernunft vollends erklärt werden kann. Der Gedanke, es könnte ein höherer Sinn dahinterstehen, warum es uns gibt, kann nicht verboten werden. Die meisten wollen nicht ertragen, dass unser Dasein auch eines ohne Zweck oder Sinn sein könnte? Wir Menschen, die Menschheit insgesamt könnte bloß ein Fehler sein oder weniger als das. Ein guter Grund, bei sich und den kleinen aber effektiven Möglichkeiten, etwas zu tun, anzukommen, nicht länger nach einer großen Bedeutung zu suchen. Das hieße, das Leben annehmen wie es ist.

Wir sind. Mehr nicht.

Die beliebteste Methode voranzutrotten, ist aber weiter das Verdrängen, das Hoffen und den irgendwann unausweichlichen Tod nicht wahrhaben wollen. Nicht genug, jeden Tag geflissentlich zu übersehen, wie viele Umwege ein Mensch sowieso gehen muss, um einigermaßen zu erreichen, was gerade ansteht. So kompliziert wird jede Banalität, wenn man diese perfekt oder doch wenigstens ungefähr wunschgemäß hinbekommen möchte. Bloß nicht merken, wie verzwickt manche Dinge sind oder lächeln, damit andere nicht bemerken, dass wieder etwas nicht klappt. Fluchen verboten? Überhaupt jede Regung zu unterdrücken, scheint eine vielversprechende Methode zu sein, die man sich antrainiert. Wer sich hingegen traut zu fühlen, wie das Leben individuell berührt, trifft und jeden von uns betrifft, wird tatsächlich frei. Der Mensch kann sich nur dann Luft machen, wenn er den Raum bemerkt, der da ist. Anpassung heißt auch zu wissen, wo man gerade rumläuft, unter Passanten oder einsam im Feld. Zuhause allein mit sich, ohne fremde Zuhörer im Zimmer abscheulich zu lästern, sollte ungestraft bleiben. Wer sich kasteien muss für jeden neurotischen Ausraster, provoziert die nächste Krise schon deswegen selbst. Niemand kann Gott den nötigen Tritt verpassen, der dem doch gebührt, der uns beständig in die Irre führt. Das ist eine Allmacht, der sich sogar unser Papst beugen muss und die jeder Ältere schließlich bemerkt, wenn die Kraft nachlässt, mit der man, jung gewesen, so vieles überspielte.

„Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es“, schrieb der römische Philosoph Lucius Annaeus Seneca.

Der Aphorismus skizziert eine Wahrheit, ist ein Bekenntnis, akzeptiert das Vorhandensein unsres Gegenüber und deutet die Welt mit nur einem Satz. Seneca gibt uns mehr Weisheit, Freiheit und Unumgängliches zum Nachdenken (und wie eine Hausaufgabe mit auf den Weg) als eine ganze Religion mit all ihren Behauptungen.

Die anderen Mädels hier im Dorf westlich von Hamburg ziehen an, was sie für richtig halten bei uns. Wie ist es möglich, dass eine denkt, sie müsse alles so machen wie gesagt und die anderen bleiben ungestraft? Das Beispiel Islam lässt sich auf jede andere Glaubensform übertragen, die ebenfalls traditionelle Vorschriften kennt. Das Denken mindestens muss ins Bild passen. Die erwähnten Proleten mit ihren unzüchtigen Kinderchen vor dem Eisladen, wie denken deutsche Kirchenleute drüber? Ich möchte es mir nicht ausmalen. Und wie diese Menschensorte, brave Leute in unserer Gemeinde über mich denken, das male ich denen ins Gesicht mit jedem Wort, das hier steht.

Dies dürfte ich nicht sagen in unserer Kirche, ich vermute, nachdem Gott mit seiner Sintflut probierte, uns Unkraut wieder zu beseitigen, machte der Herr den Fehler, die nachfolgenden Generationen baugleich seinem Erstversuch zu belassen. Er versäumte, die grundsätzlichen Macken seiner Erfindung Mensch zu korrigieren. Wir können nichts für unsere Blödheit, wurden falsch konstruiert. Gott versprach mittels Regenbogen, uns gewähren zu lassen, so zu leben, wie wir eben sind? Das nagt an ihm. Er hasst uns (seinen Fehler) heimlich weiter:

„Die Klimakatastrophe habt ihr Menschen selbst gemacht. Sauft ab im überlaufenden Ozean. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Ihr hattet die zweite Chance“, wird der Allmächtige meinen (dessen Macht nicht genügte, das Schicksal insgesamt zum Besten aller zu lenken).

Wir wurden nackt aus Edens Garten geworfen, und das Erste war dem Menschen wichtig anzuordnen, andere zu belehren: „Zieh dir was an!“ Menschen strafen, richten und biegen die Gedanken derer, die folgen müssen. Wenn wir anerkennen, wie unbedeutend unser Wirken ist, wie wenig wir genau genommen wissen, dürfte auch die Einsicht reifen, dass Friede besser ist als Krieg. Es fühlt sich besser an. Barmherzigkeit und sich selbst zuerst lieben, sind so weit nicht voneinander entfernt.

# Wir müssen erwachsen werden

Neues Denken tut not. Das Wiederkäuen von Standards verblödet. Wir konsumieren; die Gesellschaft lebt durch ihre wirtschaftlichen Strukturen, alle schauen auf ihren Vorteil. Dabei kann man sich selbst schon mal übersehen. Im Glaube, klug zu sein, verbirgt sich die Falle, nicht nur die besten Produkte zu checken, sondern eine fremde Denkweise gleich mit einzukaufen. Auf eine Werbung möchte niemand hereinfallen? Unsere freie Welt lebt aber davon, dass jeder quasi Verkäufer ist, sich mindestens selbst anbietet, bewirbt: „Ich bin gut in dieser Sache.“ Auch helfen oder Rat zu geben, bedeutet, der Anbieter probiert, andere von sich zu überzeugen. Dem Helfer nutzt, dass Menschen Schwächen haben, einsam sind, unglücklich. Viele möchten weg von sich, nichts merken und bekommen reichlich Angebote, wie das scheinbar zu bewerkstelligen ist:

„Migräne als ernsthafte Krankheit: Moderne Therapieansätze / Knapp 15 Prozent der Frauen in Deutschland betroffen“

So überschreibt unser Käseblatt einen Artikel im Ressort „Gut zu wissen“, und das ist so eine Denkfalle. Migräne ist keine Krankheit. Kopfschmerzen sind die Folge eines gewohnten Verhaltens, das als solches nicht mehr erkannt wird. Mit dem Hilfsangebot der Ärzte: „Jetzt nehmen wir Sie ernst und behandeln Ihre Krankheit“, verschleiert der Mediziner die Wirklichkeit (wie so oft).

Noch ein Beispiel?

Viele fürchten sich vor Terror. Der Staat, also Politik und Polizei versprechen Abhilfe, wollen „entschlossen“ vorgehen gegen Gewalt. Wer diesen Worthülsen glaubt, dürfte gleichermaßen dem Arzt Vertrauen schenken, der behauptet, ein Mittel gegen die „Krankheit“ Kopfschmerzen bereitzuhalten. Gewalt ist ein Wort, aber dahinter stehen Menschen und ihre vielfältigen Motive. Schmerzen geschehen uns und könnten nicht sein ohne uns. Es geht um den Menschen, dem etwas wehtut und nicht darum, einen Begriff zu behandeln, wollten wir ehrlich sein dem Problem gegenüber. Schmerzen kann man nicht bekämpfen. Es hilft nicht, ein Wort anzugreifen. Man greift den Ort an, an dem sich der Schmerz ausbreitet, und dieser Ort sind wir.

Ein Freund spricht von: „Mr. Parkinson“, der ihm zunehmend zu schaffen mache. Das Delegieren (und in diesem Fall nachweislich Personifizieren) von Angst hat selten geholfen, denke ich, aber man soll seine Freunde nicht missionieren? Das tun die Anhänger einer Glaubenslehre. Es ist ein weiterer Versuch, Bereitwillige von sich selbst wegzufischen, ihnen manches zu versprechen. Das Vorhandensein vom gezielt auf uns einwirkenden Gott kann nicht nachgewiesen werden. Die Relation von Wohlwollen, himmlischer Liebe oder Leitplanken der Strafe, die ein höheres Wesen an unseren Weg nagelt, bleibt unklar. Unsere Bereitschaft, dergleichen zu glauben, ist jedoch riesig, weil damit das Versprechen einhergeht, Kummer loszuwerden. Es bleibt ein Irrweg. Das Betäuben von Angst macht krank wie jede andere Droge auch. Wer seinen Part erkennt, dass er selbst Teil der geschaffenen Welt, der Schöpfung und des Schöpfers ist, muss diesen Umweg nicht projizieren. Die Annahme, ferngesteuert zu leben, nährt Paranoia. Da schaut man sich besser um, sagt sich:

„Heute geht einiges!“

Gibt es eine Pille, die unangemessene Gefühle ausmerzt: Wohl kennt der Pharmazeut, der Arzt solche Produkte, und wo gehören diese angesetzt, werden sie freiwillig konsumiert? Es bleibt eine existentielle Frage, wie erwachsen und verantwortungsbewusst Menschen mit der Integrität anderer umgehen, Grenzen akzeptieren. Die Sexualität und den Schutz unserer Kinder vor Übergriffen dürfen wir als Aufgabe nicht der Polizei allein überlassen. Polizisten denken eindimensional. Sie müssen so handeln. Das ist ihr Beruf. Staatsanwälte sind keine Menschen. Sie kennen unsere Gefühle nicht, nur ihre Eitelkeit. Der juristische Erfolg ist ihnen von Bedeutung. Sie warten auf die Wiedereinführung der Todesstrafe, Schwanz ab, den Rechtsruck. Wir anderen möchten frei leben. Die Ordnungshüter sollen nicht am Bett unsere Privatsphäre überwachen. Sie versagen regelmäßig, wenn es gilt, Frauen vor ihrem gewalttätigen Ehemann zu schützen. Die sozialen Anlaufstellen haben ihre liebe Not mit einem Problem, das uns alle angeht. Weil es eine gesellschaftliche Komplettaufgabe bedeutet, die sich jeweils wandelnden Gebräuche so zu gestalten, dass unsere Freiheit groß und der Schutz gefährdeter Menschen größtmöglich ist, möchte ich meine Sicht zum Thema kreativ beitragen.

Meine Kunst ist das Ergebnis eines ungewöhnlichen Lebens. Späte Erkenntnis geht nicht ohne Bitterkeit auszuhalten. Ein Traum von wahrer Liebe, die noch mal kommt irgendwann, hat mich bei der Stange gehalten? Was für ein Quatsch. Meine Kunst wurde motiviert durch den Glaube, mir stünde noch Glück zu als anfänglich verirrter Mensch? Den Gott, der mir so etwas arrangierte, gibt es nicht. Hier geht es nicht um das Erleben eines Traumes, den ich zu meiner Wirklichkeit machte. Ich probiere, Probleme zu lösen. Das ist mir nicht reibungslos gelungen. Ich wollte eine endgültige Antwort und muss erkennen, dass es diese nicht gibt. Ich konnte der Lösung näher kommen, die Puzzleteile sammeln, das Bild vervollständigen. Wenn es eine Million Teile gibt, nicht einmal ihre genaue Anzahl kenne ich, dann habe ich kaum mehr als ein paar davon. Das Sammeln ist aber weiter nötig, um mein Wohlbefinden zu stärken. Noch ein Bild hilft, den persönlichen Ansatz zu beschreiben, der zum unablässigen Antrieb geworden ist. Der Sinn meines Lebens, hier ist er. Eine letzte Anekdote zeigt mich selbst wie in einer Glaskugel, eine komische Figur? Ich habe beobachtet, ein Mann läuft täglich durch die Bahnhofstraße in Wedel. Er ist im Rentenalter. Den gibt es da tatsächlich, ein kleiner Mann in heller Kleidung. Das ist ein Einzelgänger offenbar, verschlossen, schon verschroben kommt er daher, und in Wedel bin ich aufgewachsen. Er trägt Handschuhe, hält in einer Hand eine große Tüte, in der anderen eine lange Greifzange für Müll, um den Gehweg zu säubern. Eine komische Mütze sitzt keck auf seinem Kopf. Der Alte ist privat unterwegs, diese Straße sauber zu halten? Ich habe ihn gefragt, wie er dazu kommt, wollte wissen, ob die Stadt ihn beschäftigt? Er ist akribisch beflissen, keinen Zigarettenstummel oder weggeworfenes Papier, Verpackungsmüll liegenzulassen.

„Mich stört der Dreck.“

# Nicht normal

Menschen haben Bock drauf, andere zu manipulieren. Sie meinen, sich das Recht nehmen zu können, legal oder illegal. Sie biegen sich die Wahrheit in ihrem Sinne. Mitwisser bleiben feige oder schauen hilflos zu, wie jemand wieder verarscht wird. Ich bin das, der Ausgespähte, von wem auch immer – und warte auf den Zorn. So viele haben gelogen, tun es noch immer, ich sehe es denen an. Leichthin einen Bescheuerten wegstoßen, raus aus der normalen Gesellschaft, war der Plan: „Da ist er noch selbst schuld. Wir provozieren ihn, bis er durchknallt. Dann sehen alle, wie krank der ist, gefährlich. Wir haben es immer gesagt.“

Bislang hat es nicht vollständig geklappt. Ich male noch. Man kann mich sehen wie der Narr, ein in Schach gehaltener Irrer, der sich um sich selbst dreht. Das ist der Erfolg der anderen. Wer ist glücklicher? Einige werden scheinbar unsicher. Man weiß, zu weit gegangen zu sein, schämt sich? Paranoia, so real, dass man diese leibhaftig trifft. Es ist heute schnöde eine kriminelle Sau, morgen eine andere. Da sind Schauspieler unterwegs, erkennbar unechte Menschen, die sich irgendwie in meine Nähe drücken, ein paar Schritte mitlaufen, dummes Zeug reden, fremde Leute. Die Truman Show, solchen gefällt, mich spüren zu lassen, dass sie zu dick auftragen. Das erdulde ich wie Lady Diana und warte auf meinen Tunnel, mein Schicksal.

Ich will das herausfinden, wer stärker ist, ob mein Magen bricht oder das Gute existiert, und ob ich es verdiene, das will ich wissen. Die Gnade, den Sinn erneuern, lernen? Ich möchte meine Gefühle und meine Gesundheit, beides, sonst interessiert mich diese Welt nicht mehr und meine Existenz.

Eine Herausforderung bedeutet mir zu malen, schreiben; es ist mein Berg, den ich beklettere, die Klippe, von der aus ich mich ins Badewasser stürze (und ein Video online stelle), mein sturmgepeitschtes Meer, das ich durchfahre, mein Blog.

Man suche sich’s aus, das zu bewerten, aber ich möchte deutlich machen, dass Vermeidung für mich nicht akzeptabel ist.

Ich suche unsere Grenze, und die ist Haut.

🙂