
Von Binnenland und Woterkant
Wie groß könnte der Schaden sein, den einer hinbekommt, der grundsätzlich zerstören möchte, so viel wie möglich vernichten; die Welt kaputt machen, geht das? Eine dumme Idee möglicherweise: Warum sollte jemand so etwas Blödes wollen, wäre also die Frage Nummer zwei, die sich aufdrängt bei dieser Rhetorik, aber ganz so absurd ist das hier nicht. Ein Motiv treibt jeden Wütenden an, sollte man meinen. Menschen müssten eigentlich realisieren, dass Zerstörung auch dem schadet, der etwas beschädigt. Ist das immer der Fall? Wenn wir Kurzschlusshandlungen ausklammern, bleiben schließlich erfolgreiche Racheaktionen vorstellbar mit einem Planer, der als Täter meint davonzukommen, der perfekte Mord etwa und im Großen ein siegreich gewonnener Krieg. Beim Betrachten von Gewalt müssen wir unterscheiden zwischen einem Aggressor, der überlegt handelt, auf seinen Vorteil bedacht und dem, dem das eigene Wohl egal ist. Schlimmstenfalls sind Selbstmordattentäter unterwegs. Vom Wahn getrieben, greifen extreme Täter die Gesellschaft an. Sie sind gläubig, sie sind krank.
Die Mitte fürchtet Terror, weil der schon alltäglich zu sein scheint, dabei übersieht die Gesellschaft sich selbst. Wir geben einen guten Nährboden ab für die Extreme. Sogenannte Zivilisierte bezeichnen sich als solche und beklagen schließlich unschuldige Opfer. Diese kurzsichtige Bewertung könnte eine Fehleinschätzung sein. Fanatiker stechen hervor aus einer Masse, die insgesamt nach Sinn sucht. Die Gesellschaft ist womöglich weniger stabil, als sie von sich meint? Wir haben einiges zu verlieren. Das weckt Begehrlichkeiten. Dabei trampeln viele drauflos, als gäbe es kein Morgen. Ein gefährlicher Brei: Der gemeine Mitläufer hat den Homo Sapiens verdrängt.
Digitale Rudel ziehen durchs Land. Solche haben keinen Gott. Die fragen nicht, woher sie kommen. Ihr Kennzeichen ist einfache Sprache, sie schalten eins und null. Zeitgeist hinterlässt Spuren. Ausgetretene Pfade, was heute richtig ist, wird morgen durchkreuzt. Das Gehirn überschreibt mancher wie eine Festplatte. Künstliche Intelligenz dupliziert intellektuelle Inzucht. Das werteorientierte Leben ist tatsächlich ein Fake. Man konsumiert vegan, markiert Klimaziele, meidet Mikroplastik? Dabei benötigt diese Gesellschaft mehr Kunststoffe, mehr Energie, mehr Militär. Wir beuten den Planeten aus. Wir beuten arme Länder aus. Wir schießen auf irre Asylanten und erledigen sie wie Unkraut. Gute Verdränger stören sich nicht daran. Die streben nach „Work-Life-Balance“ und kennen überhaupt manches smarte Wort. Scheinbar ganz normale Verwüstung kennzeichnet ihren Weg. Nicht wenige vernachlässigen sich selbst, ihre Kinder, und sie kommen klar. Häufig ist alltägliche Entropie. Banale Beschädigungen zeigen ein fatales Muster. Zeitgenossen, denen vieles egal ist, leben ein kaputtes Dasein und wissen es nicht. Dekadenz gefährdet alle.
Kultureller Suizid, Menschen räumen nicht mehr auf, was ihre Verantwortung wäre.
# Es geht anders
Das möchte ich erzählen, für eine Woche haben wir zu dritt eine Wohnung im Angebot des Airbnb gemietet. Da ist ein kleines Städtchen in Süddeutschland, wo wir sind; ein trauriger Anlass führt uns aus familiären Gründen im Sommer hier zusammen, kein Ferienort so gesehen. Die Räumlichkeiten im Zentrum hat mein Sohn ausfindig gemacht. Historisches Fachwerk, die Unterkunft befindet sich im obersten Geschoss eines alten Apothekerhauses. Im Treppenhaus hängt eine Liste der namentlich bekannten Apotheker bis zurück in das Jahr 1560, die belegen möchte, wie lange hier bereits mit Heilmitteln gehandelt wurde. Das an dieser Stelle nach einem großen Brand wieder aufgebaute Haus, in dem wir übernachten, erhielt seine heutige Gestalt in der Marktstraße schließlich Anfang des 19. Jahrhunderts.
Der Vermieter war (er ist der Sohn des letzen Apothekers, wie er mir erzählte), nach reichlicher Renovierung auf die Idee gekommen, die Wohnung seiner Eltern im Netz für Fremde anzubieten. Er ist hier aufgewachsen als Kind. Die Räume haben eine Altbau-Anmutung, wie man sich’s schöner nicht denken kann. Es gibt original Holzfußboden, der an einigen Stellen knarrt. Die Optik des Interieurs mischt Altes mit Neuem. Wunderschöne Möbel aus früheren Zeiten sind da und moderne Küchenutensilien. In der Wohnung gibt es digitales Fernsehen und Internet. Beim Umbau der Küche für eine zeitgemäße Nutzung wurde ein rissiger Deckenbalken sichtbar stehen gelassen, der die uralte Konstruktion erlebbar macht. An der Seite lugt entsprechend weiteres Fachwerk durch den Putz. Eine emaillierte Badewanne von früher steht im Bad für den Gast bereit. Die Toilette befindet sich in einem winzigen Kabuff recht weit entfernt an einer ganz anderen Stelle der geradezu weitläufigen Architektur. So war das früher. Schöne Teppiche liegen aus. Ein kleiner Balkon lädt zum Verweilen ein. Man schaut aus großer Höhe auf eine kleine Straße. Gegenüber geht der Blick auf historische Gebäude und den Stadtturm mit seinem klassischen Glockengeläut alle Viertelstunde.
Es wohnt sich komfortabel. Die Vermieter haben für alles gesorgt, das Hiersein angenehm zu gestalten. Man findet sofort alles zum Kochen in Schubladen oder im Regal. Gewürze sind da. Essig und Öl stehen bereit. Kaffee und Tee sind vorhanden. Es gibt einen Porzellanfilter und Melittapapier, Herd mit Ceranfeld und Backofen, einen Kühlschrank. Wer den Kaffee lieber mit der Maschine zubereiten möchte, kann das tun. Da gibt es einen nagelneuen Apparat plus dem nötigen Zubehör, so kleine viereckige Kapseln muss man einwerfen. Eine Bodum-Kanne wäre ebenfalls zur Hand, und für den traditionellen Aufguss steht ein schicker Wasserkocher da. Er ist gelb wie die Mikrowelle und der Toaster, die stilsicher eine Ecke der Ablage besetzen. Reichlich Messer für eine exzellente Küchenarbeit kleben griffbereit am Magneten seitlich der Wand. Sie sind scharf. Eine süße Küchenuhr „von Oma“ hängt da. Ein kleines Bücherregal ist in dieser Wohnküche mit original benutzten Werken wohl auch aus den Siebzigern? Spiele für Kinder warten in Kartons oder einer hölzernen Kiste etc. Eine Topfblume hängt hier und da etwa vom Türrahmen herunter. Die Decken sind hoch. Im angrenzenden, kuschligen Fernsehraum mit Balkonausgang steht neben dem Sofa ein alter Stuhl: Davor liegt ein großes Teppichei, auf das der ermüdete Gast gern seine Füße ausstrecken mag? In der Küche daneben sitzen wir am dunklen Holztisch mit entsprechend klassischen Stühlen. Sie haben glänzend grüne Polsterung, die augenscheinlich mahnt, pfleglich behandelt zu werden, beim Essen also nicht zu kleckern. Wunderschön und wie privat ist alles gemacht, das wir nutzen dürfen. Die altmodischen, unterteilten Fensterchen haben Doppelverglasung. Was könnte einer noch aufzählen! Man fühlt sich jedenfalls ganz zuhause und wohnt wie bei Freunden. Das nötigt dem Besucher eine behutsame Obacht ab, gut aufzupassen und mit Respekt dem Vertrauen Rechnung zu zollen, das in uns Fremde gesetzt wird.
# Ein anderer Flecken am Meer und eine andere Sicht
Ich schreibe überhaupt, um einen Vergleich zu beginnen, zunächst von unserem alljährlich wiederkehrenden Wohnen am ganz anderen Ort im Urlaub auf einer (hier nicht näher erklärten) Sonneninsel (an der Ostseeküste), und eine Parallele möchte ich riskieren, einen Denkanstoß wagen. Das führt in diesen zugegeben langen Stremel übergreifenden Betrachtens, soll meine Kunst sein.
Bei dem Vermieter W. (ich habe die Initiale geändert) mieten wir schon viele Jahre im Sommer eine Wohnung. Es folgen Urlaubsbeschreibungen, diesmal aus Norddeutschland. Unser Domizil befindet sich für gewöhnlich nah am Hafen und Strand, nicht weit vom Städtchen auf der schönen Insel im Meer mit seiner klassischen Festlandanbindung durch die weitgespannte Brücke über den Sund. So viel zur Lage. W., den wir übrigens sehr schätzen, weil das ein professioneller Vermieter ist und ein humorvoller Mensch überhaupt, selbstbewusst, klug und so weiter, kennzeichnet lustvoller Zorn:
„Die Leute werden ja immer dümmer.“
Diese Erkenntnisse gewinnen er und seine Frau, die selbst an der Westküste zu Hause sind und regelmäßig mit dem Auto quer rüber auf die Insel kommen, um vor Ort nach dem Rechten zu schauen, aus dem Vermietungsgeschäft, das sie gut beherrschen. W. gibt Kurse, hält Vorträge, um Gruppen das Verwalten von Immobilien zu lehren. Nicht nur mit dem, wie er sagt, nachlassenden, mathematischen Begreifen der Interessierten, was die Buchhaltung betrifft, hat er seine Sorgen, auch sonst leidet dieser sportliche, groß gewachsene Mann am typischen Gebaren der Mitmenschen.
Die angebotenen Wohnungen befinden sich in mehrstöckigen Neubauten. Sie sind Ferienwohnungen nur zu diesem Zweck. Einige Unterkünfte gibt es jeweils pro Haus mit Terrasse oder Balkon, schön gelegen in einer kleinen Straße, die, im Grün mäandernd, recht versteckt daherkommt. Die Bauten sind klassisch geklinkert, rot leuchten die Dächer. Eine blanke Niroplatte jeweils im Vorgarten bezeichnet sie als derselben Familie zugehörig. Außen bei jedem Gebäude befindet sich ein Schlüsseltresor. Ein Neuankömmling bekommt vor Anreise den wechselnden Code mitgeteilt, um dann seine eigenen Haustür- und Wohnungsschlüssel drinnen vorzufinden. Den für alle Neuankömmlinge nötigen Erstschlüssel legt man gleich zurück in den kleinen Apparat und verdreht die Zahlen neu.
# Unglaublich!
Das muss jetzt sein, eine an dieser Stelle nötige Beschreibung: Man muss doch wissen, wohin eine geplante Reise geht?
Dazu gehört, die Insel selbst, auf der man Urlaub machen möchte, zu finden und sein Auto vor dem richtigen Haus, in dem man die Wohnung buchte, zu parken. Das darf ein Anbieter von Ferienwohnungen annehmen, dass der Gast es hinbekommt. Bei zwei oder drei Adressen, kaum voneinander entfernt in einem Bogen der, wie gesagt, winzigen Straße mit ähnlichen Häuschen, sollte es vom Urlauber zu schaffen sein, vor der richtigen Tür den passenden Eingang zu erkennen, seinen eigenen Schlüssel entsprechend der Beschreibung dem Kasten im Treppenhaus zu entnehmen und so weiter?
Herr W. erzählte uns von einem Streitgespräch am Telefon, das so nicht zu erwarten gewesen war mit einem Feriengast, der bei ihnen gebucht hatte. „Der Mann rief mit seinem Handy an“, meinte unser Gastgeber, wäre „ein wenig aufgebracht“ gewesen, hörten wir. Der Anrufer sagte, er sei gerade angereist, käme aber „nicht ins Haus …“ Herr W. probierte, dem Verstörten klarzumachen, was ein Schlüsseltresor ist, die nötige Prozedur, und dieser kleine Kasten sei doch direkt am Türrahmen. Der Gast konnte das Ding nicht als solches erkennen? Man redete eine Zeit lang aneinander vorbei, und der Anrufer wurde allmählich zornig. Es wurde laut. Schließlich kam dem Vermieter, wie er uns erzählte, ein unglaublicher Verdacht: „Bitte gehen Sie einige Schritte zurück“, empfahl er dem Anrufer, „nehmen Sie ein wenig Abstand … vom Gebäude – und beschreiben Sie mir (bitte) mal, was Sie da sehen? Was hat das Haus, vor dem Sie gerade stehen, für ein Dach?“
„Na, das ist ein Reetdach.“
Oha!
Der arme Urlauber in dieser peinlichen Lage war ganz offensichtlich entsprechend der Privatadresse des Vermieters, die ebenfalls bei den Vertragsunterlagen im Impressum steht mit diesen, von ihm missverstandenen, Angaben, die er blindlings ins Navi tippte, hoch an die Küste gefahren. Er probierte da, an rauer Wasserkante „wo die Nordseewellen trekken an den Strand“, seine Ferienwohnung zu finden! Dieser Gast konnte die namentlich weithin bekannte Ostsee-Insel, wo er gebucht hatte für einen schönen Urlaub am Meer, nicht vom Landstrich der Nordfriesen auf der ganz anderen Seite der Region im Westen unterscheiden? Der war, ohne zu merken, losgedonnert mit seinem Boliden, Familie, Kind und Frau an Bord. Das gab eine fröhliche Fahrt mit allerlei Erwartungen von Sonne, Eis am Stil am Strand und Entspannung in privater Wohnatmosphäre? Man denke sich das Auto vollgeladen mit Urlaubsgepäck, Sandspielzeug, krähende Bälger – und nun das. Der so enttäuschte Gast am Telefon war nicht leicht zu beruhigen. Seiner Auffassung nach war er nicht schuld am Malheur.
Das ist Zeitgeist?
# Die Leute
Weitere Erkenntnisse kennen wir, nach denen Herr W. seine Räumlichkeiten für wechselnde Gäste gestaltet. Er lernte, unkaputtbare Lösungen zu bevorzugen. Ein Radio sollte jede Wohnung haben. Die neuen Geräte waren so, dass unser Vermieter sie fest an die Wand schrauben konnte, was er gemacht hat, nachdem ihm schließlich gelungen war, so ein Modell für alle Mietungen zu kaufen.
„Die Leute nehmen es als Ghettoblaster mit an den Strand. Nach nur einem Mal ist das Gerät voller Sand und kaputt.“
Er kaufte ein neues System für das Fernsehen, nachdem er einige Schäden zu verzeichnen hatte. „Die Fernbedienung, Herr Bassiner, hat nur noch zwei Knöpfe. So etwas müssen Sie erst einmal finden zu kaufen. Urlauber kommen in die Wohnung, und dann wollen die drei auf drei haben wie zu Hause. Die fangen an, zweihundertfünfzig Sendeplätze umzugestalten, bis alles so ist wie bei ihnen in Nordrhein-Westfalen (oder wo die herkommen). Schnell ist das Teil hinüber, und nichts geht mehr.“ Wir reden und haben Spaß, das alles zu hören. Ich sage: „Der neue Kühlschrank hat kein Gefrierfach?“ Frau W. meint dazu: „Die haben wir jetzt überall ausgetauscht, die Kühlschränke. Alle neuen sind wie der in Ihrer Wohnung, Herr Bassiner. Die Leute lassen diese schlanke Tür vom Gefrierfach offenbar weit offen stehen beim Befüllen mit ihren eingekauften Lebensmitteln und – man glaubt es nicht, sie stützen sich beim Bücken offenbar von oben mit der Hand dran ab. Dann rufen die an und sagen, das Türchen sei abgebrochen. Das kam immer wieder vor.“ Es gibt nur noch spärlich Klopapier oder Spülmittel vorab bereitgestellt, man muss nach Ankunft los, diese Sachen selbst kaufen.
Einmal besuchte uns Frau W. einigermaßen verstört, da sie gerade eine schlechte Bewertung im Internet lesen musste über ihre Haltung zu einem delikaten Problem. Sie berichtete uns von einem Disput mit Gästen, die sich über Baulärm beschwerten. Nicht wenige Handwerksleistungen gingen nur im Sommer, in der Saison zu machen. Es sei nicht leicht, überhaupt Handwerker zu bekommen, meinte sie. Es klang auch wie eine Entschuldigung uns gegenüber, nur zur Sicherheit. In einer Nachbarwohnung waren Umgestaltungen an der Reihe, und darüber klagten solche Urlaubsgäste – und schließlich anonym, verpassten sie ihren Vermietern noch einen schäbigen Tritt.
# Das ist unsere Heimat
Jetzt sollte man resümieren, einen Blick werfen über das ganze Land, uns als seine Gestalter, Beziehungsnehmer und -geber, die Menschen. Wo könnte die Reise hingehen bezüglich Vertrauensvorschuss des Staates in seine Bürger, dass diese sich pfleglich zur Umgebung verhalten? Regelungen, Strafen und Bürokratien um jeden Pups, was wollen wir? Wie wollen wir sein? Haben wir es überhaupt in der Hand, „die Leute“ zum Miteinander zu befrieden? Was könnte eine Strategie sein? Möglich, dass die Vermietungsneulinge der ehemaligen Apothekerfamilie in Baden-Württemberg naiv ans Projekt gehen; sie sollen als Beispiel gelten, wie liebevoll gemacht der Rahmen einer Herberge sein kann. Meine Erfahrung dabei ist, das köstliche Ambiente erzieht uns als Gäste automatisch. Man macht nichts kaputt und falls doch, ist es kaum empfehlenswert, feige abzuhauen.
Ein Land ist Heimatstelle für viele, wie die kleine Wohnung dem Einzelnen Schutz und Lebensgrundlage bietet.
Nicht ohne Grund wollten meine Einlassungen zu Gewalt, spontaner Wut den Anfang machen. Einen Bogen mochte ich schlagen, der zu groß gedacht sein könnte? Die schöne Perspektive kann manches besser machen, schafft Integration, Miteinander. Das sei ein Ziel für jeden bei der Verteidigung unserer Kultur und eine Einladung zugleich. Vertrauensbildung könnte man nennen, was eine Gesellschaft gemeinsam durchdenken muss, um eine lebenswerte Zukunft zu schaffen.
🙂