Ungerer, Helnwein

„Nudisten“, „Fischmarkt“, die Website mit ihren Texten, meine Projekte zum Überleben entwickeln sich immer parallel. Mal das Eine tun, dann wechseln zum Anderen, Kreativität ist so. Man ist konsequent, oder man lebt, wusste Erich Kästner. Wir benötigen Orientierung. Ein Autor überhöht sich, wenn er sich auf Berühmte beruft, aber es stimmt, mich haben welche inspiriert, die es geschafft haben. Das kann man von mir nicht gerade sagen. Meine Bilder sind zu lahm, meine Versuche, mir damit einen Namen zu machen, habe ich aufgegeben. Das Unterbewusste treibt uns dennoch an. Das weiß ich noch: Die erste Zeichnung von Gottfried Helnwein, die ich sah, hing in beträchtlicher Größe als Druck bei Jutta Schwartau im Laden nebenan in Wedel. Das war Anfang der Achtziger. Dieses bekannte Selbstporträt mit dem bandagierten Kopf und den Gabeln in den Augen; ich bin damals bereits in Hamburg zur Schule gegangen, um mein Fachabitur zu machen.

Vor einigen Jahren sah ich einen Fernsehbeitrag über den Künstler. Ich gebe das aus der Erinnerung weiter, und so kann es sein, dass meine Worte nur ungefähr wiedergeben, was ich mitbekam. Der Zeichner arbeitete an großformatigen Gemälden. Es sei nicht seine typische Herangehensweise an ein Thema, aber in diesem Fall müsse es Malerei sein. Der Künstler war dabei, überlebensgroße Porträts zu malen, die gezeigt wurden, und was mich faszinierte, er hatte mehrere zugleich in Arbeit. So weit ich das noch weiß, waren die Motive vom eigenen Enkelkind inspiriert, das dafür Modell saß, aber herauskommen sollten keine lieben Familienbilder. Der Maler wurde auch gefragt, warum er so große Formate wähle, und warum er gleichzeitig an verschiedenen Bildern arbeitete? Darauf gab Gottfried Helnwein ganz pragmatische Antworten. Er könne kleiner die Details, auf die es ihm ankäme, nicht hinbekommen. An zwei oder mehreren Bildern arbeite er, um seine Motivation hoch zu halten. Abwechslung täte ihm gut.

Wikipedia schreibt über Helnwein u. a.: „Seine ersten Ausstellungen ab 1970 in Wien lösten immer wieder heftige Proteste aus, Ausstellungen wurden geschlossen und Arbeiten durch die Polizei beschlagnahmt.“ Ein Vorbild (natürlich auch und gerade deswegen). Ein Künstler im Konflikt mit Ordnungskräften ist auch der großartige Zeichner Tomi Ungerer. Da findet sich diese Textstelle online: „Ungerers Kreativität kannte nun auch keine Genregrenzen mehr, und er wandte gern alle Zeichentechniken an. 1969 erschien „Fornicon“, das später in England verboten wurde. Die Karikaturen stellten Potenzwahn, Sexismus und Gier bloß.“ Ich selbst weiß, wie harmlos ich mit meinen Bildchen gegen diese Kunstriesen bin. Die vermeintlich besseren Menschen hier in der Provinz möchten aber den Anfängen vergleichbarer Bildwerke bereits wehrhaft gegenüberstehen. Sie tun einiges, mein Dasein nach Kräften zu beschädigen, Veröffentlichungen auszumerzen. Die Politik und ihre Polizei, allgemein der Staat ist dumm wie bösartig. Wo immer man auf Denunzianten, vermeintliche Unterstützer vom Gesetz trifft, stellen diese sich als nichtsnutzige Faulpelze raus, deren Leben das Dasein des Schmarotzers ist, der andere beschuldigt. Ein Polizist arbeitet nicht. Er schafft nichts. Er fischt trüben Blicks im Trüben. Ordnungskräfte bekämpfen keine Verbrechen oder klären sie auf. Sie suchen nach „Straftaten“, das ist was anderes. Der Apparat möchte Handlungen belegen, die eine „Bestrafung“ ermöglichen. Das hilft nur dem, der seine Beute präsentiert. Eine miese Art zu denken habe ich, zugegeben.

Das hat sich entwickelt.

Bei Recherchen zum Schriftsteller Max Frisch findet sich diese Notiz: „Im März 1989 wurde bei Frisch unheilbarer Darmkrebs diagnostiziert. Im selben Jahr erfuhr er im Rahmen der Fichenaffäre, dass er seit seiner Teilnahme am internationalen Friedenskongress 1948 wie viele andere Schweizer Bürger von den Behörden bespitzelt worden war.“ Meine Aversion gegen den Staat nährt sich mit jedem Hinweis aufs Neue, wo Bornierte gegen Künstler vorgegangen sind. Nichtkreative streben das Beamtentum an. Neider erweisen sich als zu faul, noch etwas Richtiges zu beginnen im Leben. Sie suchen den einfachen Weg. Der Staat bietet ihnen Möglichkeiten, auf Kosten der Gesellschaft feige Macht auszuüben und sich als Freund und Helfer zu dekorieren. Man vergibt den Ehrenpreis, weil einer Döntjes erzählt und mit Oberen gut Freund ist. Nebenbei erzählt der Onkel Scheiße, und das nützt. So ist Dorf.

# Zeichnen gegen das Establishment

Von T. Ungerer habe ich zwei Bücher mit Abbildungen, „America“ und das kleine „Der Herzinfarkt“, die ich seinerzeit von Rüdiger Stoye empfohlen, in der Wartenau ausgeliehen habe und nie in diese Schulbibliothek zurück brachte. Ich gebe es zu. Manchmal schaue ich mir das an wie auch einen Band mit Bildern von David Hockney. Den, glaube ich, kaufte ich damals selbst. Es könnte aber durchaus sein, dass ich auch dieses schöne Buch aus demselben Regal klaute (mit dem Wohlwollen des erwähnten frischgebackenen Professors. Nachdem Siegfried gestorben war, hatte Rüdiger nach Ausschreibung gewonnen). Siegfried Oelke muss besonders gewesen sein. Ich bin ihm nur einmal begegnet. Ich wusste nicht, wer das ist. Ich verehre diese Zeichnungen, von denen ich zahlreiche Publikationen besitze, nachdem ich herausfand, was der beliebte Prof. gemacht hat. Ich habe auch Texte, die darauf schließen lassen, wie er dachte.

Das einzige Zusammentreffen war zufällig und geschah, kurz bevor der gute Lehrer auf Mallorca verstarb. Da ich alle anderen Professoren schließlich duzte wie sie mich, denke ich auch bei S. Oelke, als wäre es ein Freund, nenne ihn also „Siegfried“ im Geiste und bitte um Verzeihung für diese Anmaßung. Der aktive Illustrator hatte in Berlin großformatig auf Resten der Mauer (oder im Sinne einer Mauerbemalung auf Papier) Entwürfe gemacht und war kritisiert worden. Er ereiferte sich gegenüber Martin Andersch, mit dem er befreundet war, über triviale Auftraggeber, die nichts begriffen hätten. „Da haben die gesagt, das seien kaputte Gesichter“, schimpfte er, zeigte Martin einen Ausdruck, „weil ich das hier ins andere habe übergehen lassen. Die konnten es nicht erkennen; Idioten!“ Ich schaute den Professoren über die Schulter und sah mir diese Zeichnungen an. Ich fand die Kritik aber berechtigt, sagte es jedoch nicht. Ich konnte es auch nicht erkennen.

Das ist mein Thema, Kritik.

Ich möchte gemocht werden, und es misslingt ständig. Gerade hörte ich im Fernsehen, im Rahmen der Vorankündigung seiner Sendung erklärte ein Comedian, man könne keine Comedy machen, an der sich nicht doch wenigstens einer störe, der das Ganze nicht richtig fände oder nicht drüber lachen könne. Deswegen diese Einleitung mit der Erwähnung einiger Vorbilder, Helnwein oder Ungerer. Was man daraus lernen kann, es gibt keine Kunst, die allen gefällt.

# Gestört, verstört für immer

Noch ein Stück Wahrheit, das nicht ins Bild passt: Auf YouTube finde ich vor längerer Zeit zufällig ein Interview mit Feurstein. Er wird natürlich auch zu Natascha Kampusch gefragt. Im Laufe des Gesprächs werden die irrationalen Anfeindungen thematisiert, mit denen sich die Österreicherin immer wieder konfrontiert sieht. Es gebe auch Kampusch-Witze, kommt zur Sprache. Ob er wüsste, wie sie selbst damit umgehe, wird Feurstein gefragt? Der Kontakt zwischen den beiden dauert offenbar an. Der Journalist sagt auf emphatische Weise (die ihn prädestinierte, das erste Interview mit ihr zu führen), einen Witz habe Natascha selbst erzählt:

„Ich bin ja quasi kellergereift.“

Das könne kein Journalist heute im deutschen Fernsehen sagen, und das finde ich sehr schade. Ich habe mir zwei Bücher von Natascha Kampusch gekauft und gelesen. Das ist mehr als billiger Voyeurismus von mir, und mich hat etwa interessiert, wie gut sie Ratgeber sein kann für Menschen in Not. Ich lerne noch. Warum also diesen kleinen Text verfassen? Manche lesen das raus, andere nicht. Mein Talent, ich bin dabei geblieben. Die besondere kreative Erfüllung ist, würde ich sagen, selbst keinerlei Macht ausüben zu können im Umfeld, diese aber gegebenenfalls in die Kulissen rennen zu lassen. Das Resümee nach sechzig Jahren Hiersein auf unserem schönen Planeten fällt gemischt aus und, verglichen mit meinen Erwartungen an das Leben, ernüchternd.

🙂