Wir sind (gern) dekadent

Eine gefährliche Entwicklung setzt sich fort. Das armselige Regieren im Bund durch die Ampel hat uns eine Koalition unter Bundeskanzler Friedrich Merz beschert, die schon jetzt mit denselben Vorwürfen konfrontiert ist, man „bringe es“ nicht. Da waren wir im ganzen Land gespannt auf einen ersten Stimmungstest an der Wahlurne. Ich schreibe Mitte September und möchte auch eine Zeichnung einstellen. Es beschäftigt mich.

Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen im Herbst 2025, die CDU bleibt mit geringen Verlusten stärkste Kraft. Die SPD verliert deutlicher, die Grünen verlieren massiv an Stimmen, und die AfD kommt auf den dritten Platz. Damit stehen auch Stichwahlen an. Man macht sich Sorgen. Die als gesichert rechtsextrem bezeichnete Alternative fasst auch im Westen erkennbar Fuß. Sogenannte Demokraten probieren Allianzen gegen einen möglichen Bürgermeister der rechtskonservativen Partei (wie diese sich gern selbst nennt). Die AfD kann für sich verbuchen, dass sie den Trotzigen einen Gegenpol bietet. Wer regiert, dass die Leute reihenweise enttäuscht sind und noch kollektiv zusammenhält gegen solche Opposition, muss nicht nur mit dem Erstarken der Rechten rechnen, sondern erzwingt seinen Untergang. Die Sozialdemokraten forcieren das Ende unserer bekannten Ordnung, letztlich der vertrauten, liberalen Demokratie. Das ist nicht mehr aufzuhalten. Wir bekommen die populistische Politik wie manche Nachbarstaaten – und könnten erleben, dass unsere Situation trotzdem nicht besser wird. Die Wähler werden erzwingen, was der AfD zusteht, gewählt zu werden, weil die Sozialdemokraten und Grünen unsäglich unfähige Politik machen.

Wie denken die Deutschen heute über ihren Staat, ihre Demokratie, die nötige Richtung, die sie mitbestimmen dürfen? „Die gute Nachricht: So hoch wie bei dieser Kommunalwahl war die Wahlbeteiligung zuletzt vor knapp 30 Jahren“, schreibt der Spiegel. Es bleiben reichlich Menschen, die den etablierten Konservativen zutrauen, unser Land geradezurücken. Schön, dass es euch gibt, denke ich, aber mein Vertrauen in die Politik und überhaupt die staatliche Ordnung ist leider grundsätzlich beschädigt. Ich bemerke, nicht allein zu sein.

Ich bin Nichtwähler.

Wir sind viele. In einer ersten Einschätzung befragen die Medien Menschen in Nordrhein-Westfalen auf der Straße. Ein Senior gibt unumwunden zu, er habe gar nicht gewählt. Trotzig und überzeugt sagt er: „ … geht mir auf Deutsch gesagt am Arsch vorbei.“ Das hat gesessen, bleibt hängen. Die Motive des zufällig Befragten, der zu Wort kommt – er sitzt entspannt (wohl in einem Café) im Freien –, kommen nicht zur Sprache. Es wird schon deutlich, das Problem ist gar nicht die AfD. Man kann die bisherige Politik nicht auch noch selbst wählen, Menschen, die uns weiter in die Irre regieren, mit einem Hüh-Hott beispielsweise in der Klimapolitik, bis auch der letzte Industriekomplex auswandert? So denkt die neue Masse. Das wird nicht nützen, zwingt uns aber in den gemeinsamen Rhythmus.

Grün ist out.

Die Menschen erkennen, dass andere nicht mitmachen beim Retten der Welt. Da möchten sie nicht unnötigerweise die einzigen sein, die sich Auflagen gefallen lassen. Lieber verdienen, so lange es noch geht und wo es geht, ist das Motto. „Grüner“ Stahl klingt wie Blödsinn, wenn das bedeutet, dass die Produktion in Deutschland eingestellt wird. „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann“, heißt es, und genauso ist es. Alle werden mitgerissen von denen, die sich zusammentun, aus ihrem vorher nützlichen Kram einen einzigen Klumpen zu gießen, ein goldenes Kalb, um das dann anzubeten.

Wir haben mit dem Internet eine weltweit vernetzte Konkurrenzdenke erzwungen. Damit stehen alle Strukturen im Wettkampf. Das kann eine Sozipartei von Gestern genauso wenig verstehen wie die von Idealen geprägte grüne Politik. Unsere Demokratie hat keine Antworten auf die drängenden Fragen vieler Wähler. Wir möchten nicht zurückstecken, nicht bei der Rente, nicht bei der Pünktlichkeit der Bahn, hochqualifizierter Medizin, nicht bei unseren Schulen, den Kitas, und was weiß ich noch? Wir können diese Wahrheit nicht einsehen, dass wir näher am Ende sind als wir’s wünschen, nicht auf einem Spitzenplatz im weltweiten Vergleich, wenn unsere Autoindustrie nicht läuft und manche mittelständische Kraftmaschine?

So hat man eine Opposition geschaffen, die keine sein darf und Koalitionen erzwungen, die immer streiten werden. Sagt der Kanzler, wir müssten den Gürtel enger schnallen, kontert irgendeine rote Tante sofort (und die grüne Opposition sowieso). Das geht niemals gut und ist ein Systemfehler, den der einzelne Politiker nicht korrigieren kann. Die etablierten Lautsprecher möchten damit punkten, die Guten zu sein und brandmarken die Extreme? Das wird nicht funktionieren. Die amtierende Politik müsste einig sein, konservative, wirtschaftsorientierte Politik machen, wie der Bundeskanzler und seine Mitstreiter es möchten, um die rechten Ultras einzufangen. Das werden wir nicht erleben, eine geschlossen konservativ auftretende Politik, weil die SPD keinen Sinn mehr sähe für ihre Projekte, die Leute lieber gleich eine frisch auftrumpfende Linke wählen. Alle, die bei Friedrich Merz einen Brechreiz spüren, scheren nur zu gern aus.

Es steht nicht gut um Deutschland.

# Die Wahrheit der anderen

Der russische Präsident fällt mir an dieser Stelle ein, tatsächlich –, wie der seinen brutalen Krieg gerechtfertigt hatte. Der „verlogene Liberalismus“ des Westens, sagte Putin (unter anderem, und dann meinte er, eine neue Weltordnung sei nötig, multipolar, statt ein Gefüge, wie es jetzt wäre, dominiert von den USA). Das ist unser Konkurrent, ein System, das skrupellos Bomben wirft, und der Westen scheint kraftlos trotz mancher Sanktionen.

Es ist bekannt, wie verlogen die Russen selbst sind?

Es wird ja immer gesagt bei uns. Hier hat Wladimir Putin aber recht. Wir im Westen lügen leider ebenfalls dauernd. Menschen lügen, weil das geht. Es kann höchstens die Rede sein von mal mehr, mal weniger Freiheit. Vertrauen gewinnen, langfristig erhalten, geht nur mit Ehrlichkeit. Wir trennen uns von Lügnern in einer Partnerschaft, entlassen unfähige Mitarbeiter, wenn sie unseren Laden kaputtmachen, tolle Behauptungen zum Besten geben. Die SPD redet noch schön, was sie an Politik bringt und will nicht verstehen? Das sagen inzwischen so viele, dass nur kollektive Dummheit in dieser früheren Volkspartei die Erklärung sein kann. Die Grünen ebenso hatten ihre Chance. Schlimm, dass diese Leute total verkackt haben. Das denke ich und bin nicht allein.

# Man hat seine Gründe

Ärger ist individuell. Ich gehe schon seit Jahren zu keiner politischen Wahl. Meine Motive sind persönlich. Ich nehme persönlich, mit voller Macht von oben abgewatscht worden zu sein und verachte unsere Politik nicht etwa pauschal, sondern finde Einzelne hier im Städtchen so was von zum Kotzen, dass mein Verhalten hilfloser Trotz ist. Ich rechne hoch: Wenn möglich ist, was ich erlebte, können jederzeit Menschen sich zu Gruppen zusammenrotten, unser System, und wenn es das Beste der Welt ist, infizieren wie Karies den Zahn, die Demokratie korrumpieren, bis sie sich schlimmstenfalls ins Gegenteil verwandelt. Der Name bleibt natürlich: Rechtsstaat. Deswegen wähle ich nicht. Ich glaube nicht daran, dass meine Stimme etwas bewirkt. Im Großen genauso, wenn ich grün gewählt hätte vor der Ampel, weil ich überzeugt davon bin, dass der Klimawandel real ist und uns bedroht, müsste ich die Politik von Robert Habeck, Annalena Baerbock und von Frau Ricarda Lang, um nur die damals Lautesten zu nennen, mitverantworten. Sie sind leise geworden, schämen sich womöglich (mit Ausnahme unserer vorherigen Außenministerin). So ist sie eben, konsequent, von sich überzeugt, gegen alle Wahrheit resilient, unbeirrt. Das tut weh zu sehen. Irgenwann kommt doch mal eine härtere Wand, und sie wird dagegenlaufen, nicht wieder hoch kommen, sage ich voraus. Wir haben es in Schleswig-Holstein beim Ministerpräsidenten Albig gesehen, wer politisch abhebt, wird abgewählt. Politik kann man nur im Amt machen. Anschließend hat jede Aussage, die ein Abgewählter macht, noch Stammtischniveau. Pöbeln können alle. Die Ampel-Regierung hat nicht einmal die erste Periode von vier Jahren durchgehalten. Das ist beschämend für die, die daran beteiligt waren.

Ich habe nachgedacht.

Wählte ich die SPD weiter, weil man mir schon in der Schule, im Studium sagte, man dürfe die CDU nicht wählen, weil das Koch, Kohl, Stoltenberg und solche Menschen bedeutete, hätte ich blind alle diese unfähigen Sozis mitgetragen, die diese Partei so nachhaltig ruiniert haben. Ich wählte tatsächlich Frau Merkel zur Bundeskanzlerin, nachdem ich erkannte, dass Gerd Schröder sich vergaloppiert hatte. Sein doofes Machogehabe konnte ich nicht ertragen. Ich habe Angela Merkel ihr „wir schaffen das“ abgenommen. Ich möchte Integration und eine vielgesichtige Umgebung. Heute würde ich aber eine schärfere Asylpolitik gern unterstützen. Das ist für mich keine pauschale Frage, die Ausländerpolitik, sondern ein Thema, das Augenmaß braucht. Ich glaube nicht mehr naiv an das einfache Miteinander im guten Sinne. Schuld dran ist nicht Merkel – aber die Armseligkeit einer Frau besonders, die ich persönlich nah kannte und mochte in der Politik. Da kam mein Begreifen, was hier im Dorf gelaufen ist gegen mich. Und jetzt wähle ich nie wieder jemanden. Ich ertrage, was passiert.

Mir fällt nichts Bessres ein, und ich weiß das.

Menschen mit Macht, und sei es der beschränkte Einfluss, den Regierende und Ehrenamtler haben, nutzen ihre Möglichkeiten. Von geringer Intelligenz und überhaupt einfacher Struktur geprägte Pfosten sind das, aber sie können anderen empfindlich schaden. Das gerade hat die Nationalsozialisten stark gemacht. Der Blockwart nebenan spielt sich auf zum Richter über Leben und Tod.

Meine Kreativität, meine Arbeitsleistung, mein soziales Mitmachen will ich der Gesellschaft nicht gönnen! Mir hat man den Tritt verpasst, mich aus dem Dorf zu jagen, und ich habe verstanden. Ich habe zurückgetreten, und das macht man ja nicht.

Ich bleibe.

Ich bin nun stur. Wie der gezeigte Senior im Beitrag kann ich mich durchaus artikulieren, bin fit und habe finanzielle Mittel.

Auf uns muss Deutschland aber verzichten.

Noch „einen schönen Tag“, sage ich wieder und beschäftige mich mit schönen Tätigkeiten lieber allein.

🙂