Man kann keine Forderungen stellen an Gott

Mir geht es heute besser, aber was heißt das schon? Niemand interessiert’s, möchte wissen, was ich dafür getan habe. Außerdem, eine Einschränkung muss ich machen: „Besser“ ist so gesehen relativ. Probleme wurden gelöst, neue tauchen auf. Wer nach einer Infektion, einer Lungenentzündung oder Beinbruch Genesung erfährt, folgt den Ratschlägen seiner Ärzte, und das Immunsystem macht die eigentliche Arbeit. Menschen mit psychischen Erkrankungen gehen zum Spezialisten des jeweiligen Fachs, nehmen Tabletten oder eine andere Form der Medikation. Viele machen eine Therapie. Manche besuchen Selbsthilfegruppen. Man nimmt an, dass sie ihr Verhalten im Alltag ändern können und sich ihr Leben dann verbessert. Insofern bedeutet Therapie Lernen, allerdings unter Obhut des Arztes und der Einsicht, krank zu sein. Wer therapiert wird, gilt als krank. Es geht auch anders, und davon möchte ich erzählen. Das muss ich allerdings hier tun, wo es typischerweise nicht gelesen wird. Ich fasse mich kurz. Manchmal gelingt es ja.

Es ist eine Kunst, viel wegzulassen, trotzdem das Thema zu treffen. So mögen Räume entstehen zum Weiterdenken.

Mir wurde klar, dass die Unterscheidung von Körper und Geist keinesfalls zielführend ist, um gesund zu werden, wenn man das eine ohne die andere Seite betrachtet. Meine Trainings sind bewegungsorientiert, alltagstauglich und zielen ab auf sensible Wahrnehmung. Ich nehme nichts ein, gehe nicht zum Psychiater, verspotte die Medizin wie auch die Polizei und unsere blöde Politik. Jede nur irgendwie psychische Krankheit, sogenannte Störung entspringt der Misshandlung durch entsprechende Störer in der Vergangenheit. Ganz gleich, ob man seine genetische Vorbelastung erbte oder die Eltern die Erziehung verbockten, da ist etwas Störendes und so gesehen von außen Eingedrungenes, das eine gesunde Entwicklung beeinträchtigt. Dem Fremdkörper im System auf die Spur kommen und seinem Patienten die individuelle Grenzziehung ermöglichen, dabei möchte der Therapeut helfen. In schwierigen Zeiten sicher eine gute Sache. Zuhören hilft schon, weil es selten ist. Die Gefahr besteht in der ungewollten Symbiose, dass ein Arzt zum Beichtvater verkümmert und sein Schützling weiter auf äußere Impulse, Lob und Kritik, eine Leitplanke am Weg lebenslang angewiesen bleibt. Das kann die Krankheit verewigen (trotz bester Absichten). Psychisch Kranke sind auf die Umgebung fixiert, unselbstständig. Durch den Therapeuten verstärkt sich die Abhängigkeit vom Rahmen, in dem einer lebt. Es ist klar, wenn Freunde überfordert sind, in schwierigen Lagen ist unbedingt der Fachmann gefragt zu helfen! Den Zeitpunkt zu erkennen, wo ein langjähriger Patient dann wieder allein klar kommt, ist für den Arzt nicht einfach, und so ist es für den Behandelten. Man gewöhnt sich dran. Überzeugungsarbeit ist nötig, gegen die Gewohnheit anzugehen. Es muss immer das Ziel einer psychiatrischen Behandlung sein, Menschen schließlich gesund zu machen, nicht zu resignieren bei typischerweise langwierigen Fällen mit schlechter Prognose.

„Feldenkrais“ ist mehr als therapeutisch motiviert, mit anderen rumzuturnen, gemeinsames Teetrinken und vielleicht die angebliche notwendige Entsäuerung zu probieren, eine Senftherapie zu machen, Morgenurin trinken, oder was weiß ich, einen Yoga-Kurs zu besuchen. Modischer Blödsinn muss nicht sein. Es bedeutet eine Philosophie zu erlernen und ihr schließlich allein nachzuspüren. Meine Empfehlung ist, sich drauf einzulassen. Das gibt mir die Lieblingsbeschäftigung seit Jahren. Dabei bleibt zu missionieren zwecklos: Wer will hier schon erfahren, was ich machte, täglich trainiere und wahrscheinlich ist, die Leute denken gar nicht, dass ich überhaupt etwas mache? Sie glauben, es passiert ihm eben, dass es nun läuft. Andere sehen nicht, dass es besser geht. Ich bleibe ihr Bescheuerter. Den meisten ist egal, wie es mir geht. Das Problem bleiben die, die wollen, dass ich eskaliere. Die gibt es, und einige sind tatsächlich beim Staat angestellt. Diesen Apparat kann man nicht einfach anzeigen und sich legal vom Ungeziefer befreien. Man wird diese Menschen auch nicht los durch gezielte Selbstjustiz. Geduld ist gefragt, Durchhaltevermögen. Ich werde krank, falls mir nicht doch gelingt zu bleiben als der, der ich sein möchte. Ich probiere, meine Kunst auf immer neue Weise zu profilieren, mich von Begegnungen mit Gesocks zu erholen. Ich gebe zu, es schlaucht. Man wächst daran. Es bleibt die Gratwanderung, Nadelstiche zu setzen. Kreative Provokationen machen auch Spaß! Sie könnten als freie Meinungsgestaltung möglicherweise sogar Mitstreiter für die Lösung meiner Nöte auf den Plan rufen …

Menschen, die unser Land dringend benötigt für Freiheit und Vielfalt.

# lch der Esel geh voran!

Der Aufbruch in eine neue, selbstbestimmtere Zukunft liegt bei mir erst einige Jahre zurück und könnte als spätes Begreifen oder zumindest die Ahnung, etwas ändern zu müssen, im Kalender meines Lebens markiert werden. Heute würde ich es so bewerten: Ohne freiheitliches Denken lohnt das Dasein nicht. Selbst, also tatsächlich für sich allein zu denken, kann anfangs schwierig sein. Solche neuen Überlegungen sind nicht bloß einzelne, neue Gedanken. Was ich lernte, mir erst spät beizubringen und eine Empfehlung auch für allgemein Verwirrte jeder Couleur sein kann, ist nach Möglichkeit frei von dem, was andere einmal von uns forderten oder meinten, was unbedingt eingehalten werden müsse an Richtlinien, moralischen Vorgaben. Es bedeutet und heißt für den, der es nun probiert, sich vielleicht zum ersten Mal den besonderen Risiken zu stellen, die individuelle Entscheidungen mit sich bringen. Für derartige Wegesänderungen muss einer sein Selbst exakt definieren, um es dann in genau diese Zukunft zu bewegen. Das ist keine Sache von mitlaufen, sich verhalten, wie es sich gehört, geschmeidig dem Team zu dienen, sondern die Schärfung des Egos, das Beenden vom Zwang, sich anzupassen wie gewohnt. Einen Rat nur nach Prüfung annehmen, ob die Weisung tatsächlich passt, ist gemeint und setzt das eigene Selbst immer an die erste Stelle. Man übernimmt die Verantwortung. Mit dem Gewohnten aufhören, heißt manchen Bruch zu provozieren. Ein Aufbruch. Das meint, den Anker aus dem Grund brechen, Fahrt aufzunehmen mit einer frischen Brise, die unsere Segel rundet. Das Plätschern der Bugwelle ist wieder da, weil wir unterwegs sind.

Ich musste meiner besonderen Idiotie auf die Spur kommen, wie ich meine Dummheiten hinbekomme, das muss in aller Deutlichkeit zugegeben werden. Manche kommen mit der ihnen gegebenen Beschränktheit trotzdem klar. Sie sind in ihrer Einfalt zufrieden und finden entsprechende Bestätigung im passenden Umfeld. Welche fühlen sich zu Höherem berufen und steuern konsequent die nötigen Ziele an, erreichen diese. Dazwischen finden sich Menschen wie ich, denen man sagte, sie seien besonders. Das kann zu Totalversagen führen und Krankheit überhaupt. Man ist besonders bescheuert und versteht das nicht einmal.

Ich-bezogen zu sein, gilt als etwas Negatives. Die es uns vorwerfen, kreisen aber genauso um sich wie alle. Man sucht sein Glück? An meiner Ateliertür klebt manche Notiz, darunter auch diese Weisheit:

„Glück besteht darin, den Menschen zu finden, der an dir das schätzt, was für andere wertlos ist.“

Ich habe eine Erfahrung gemacht, die diesen Rat in den Schatten stellt. Es macht das Glück kleiner und bedeutet doch eine Wahrheit, der ich mich nicht mehr entziehen kann. Die bittere Erkenntnis bringt leider auch einige gesundheitliche Einschränkungen mit sich. Eine beunruhigende Entwicklung, die ihre unangenehme Progression aufscheinen lässt, aber ein Gewinn an Freiheit bedeutet auf der anderen Seite. Es gibt keine Diagnose. Die Werte sind ganz o.k., etwas Zucker, das Cholesterin ist hoch, und ich vermeide, allzu genau nachzufragen.

Ein Arzt kann nur helfen im Rahmen seiner Möglichkeiten. Einen medizinischen Namen der Beschwerden zu kennen, quasi den Sammelbegriff und die nötige Karteikarte draufzubabben, was der Betroffene schließlich hat, fordert den Mediziner, die für diese Krankheitsform bekannte Therapie vorzuschlagen.

Der Arzt wird ungern zugeben, machtlos zu sein. Wir müssen mitgehen scheinbar, auch wenn das Hilfsangebot nur eine zeitgemäße Lösung ist und keine Wunderwaffe, die ewiges, glückliches Leben verspricht. Beim Doktor ist vieles wie im Supermarkt, unserer Konsumwelt angepasst. Vergleichen wir mal: Wenn ich in den Baumarkt gehe (oder den Schreibwarenladen), bekomme ich UHU oder Pattex zum Kleben, jedenfalls, was im Angebot ist. So ein Laden ist auch die Arztpraxis, es gibt das ausgewiesene Programm. Bei Fußbeschwerden werden Einlagen für die Schuhe gemacht, nicht weil das grundsätzlich sinnvoll wäre, sondern vor allem, weil man solche Teile herstellen kann. Dem von seinem schlechten Gangbild Geplagten eine bessere Haltung beizubringen, ist so unglaublich anspruchsvoll, dass es kaum jemand probiert. Wir haben schließlich symptomatisch gesteuerte Fünfminutenmedizin. Wer mit Asthma in der Praxis erscheint, bekommt sein Spray. Man lehrt ihn nicht, den Brustkorb entsprechend seiner emotionalen Verklemmtheit besser zu begreifen und freier zu atmen. Das ist die Krux unserer Konsumgesellschaft. Man tut, als könne man nutzbringend jede medizinische Dienstleistung anbieten, ein Paket aus Maßnahmen wie ein Auto mit Extras.

Millionen von Menschen sind von Hunger und Mangelernährung betroffen. Da kommt in den Nachrichten: „Erstmals sind weltweit mehr Kinder fettleibig als untergewichtig. Das geht aus einem Ernährungsbericht des UN-Kinderhilfswerks UNICEF hervor“, erfahren wir in der Tagesschau (zur Abendbrotzeit). Die Menschen heute sind nicht dick. Sie haben „Adipositas“. Das kann man behandeln. Manche lassen sich den Magen operativ verkleinern, weil ein Arzt ihnen sagt, das sei gut für sie. Adipositas ist eine Zivilisationskrankheit. Das kann man googeln. Genauer bedeutet dieses Wort, dass wir uns kränken durch die allgemeine Lebensweise und dann einen Begriff erfinden, mit dem wir die besonders Beschädigten etikettieren. Hier wird wieder der Mensch übersehen, der seine Beschwerden hat. Es ist, als wolle man das Auto oder ein anderes Objekt weglassen, um doch von der Geschwindigkeit an sich zu reden. Die Steigerung einer Geschwindigkeit nennen wir Beschleunigung. Ohne ein Fahrzeug im jeweiligen Tempo machen diese Worte keinen Sinn. Ich will damit sagen, im Internet finden sich Definitionen, ab wann jemand nicht mehr übergewichtig ist, sondern adipositiv: Das ist absurd. Wir haben einem unnatürlichen Rahmen geschaffen und können die für unser Verständnis notwendigen Begriffe nicht mehr vom Tatsächlichen unterscheiden.

Die Krankheit ist die Zivilisation selbst.

Da finden sich weitere Beispiele: Man darf (als erwachsener Mann) nicht bemerken, dass die Schulmädchen heute wie kleine Frauen aussehen und schon fleißig Selbstaufklärung betreiben. Sagt man es öffentlich, treten sogleich Erklärer auf den Plan. So ein Mann, der an sich bemerkt, was er nicht merken darf, gilt umgehend als krank, pädophil. Das ist Zivilisation: Die Leute sind nicht Trinker, Säufer, sie sind alkoholkrank usw. Alles bekommt seinen smarten Namen.

Statt sich den Magen wegschneiden zu lassen, müssten fette Idioten merken, dass sie zu viel essen und damit aufhören. Sie dürften begreifen, dass sie scheiße aussehen und gemobbt werden und das eine normale Reaktion ist. So ist es mit den sogenannten Alkoholkranken genauso. Daraus eine Krankheit zu definieren, ist nichts als Ettikettenschwindel. Und wer scharf auf kleine Mädels ist, muss nur zu denken anfangen, dass dergleichen weitverbreitet sein dürfte und mitnichten krank. Krank ist unsere Gesellschaft, die alles sicher machen möchte, jede Schuld erkennen und bestrafen aber beim Gegenteil ankommt. Es gibt mehr Beknackte als je zuvor. Bloß nicht dieses Wort, die sind nämlich „psychisch krank“. Alles Schlimme unter den Teppich kehren? Man solle die Mehrheit nicht mit der Wahrheit verwechseln, las ich unlängst auf einem Zettel, den jemand an seine Tür zum Büro geklebt hat. Nie gab es mehr sexuelle Übergriffigkeit, Übergewichtige und übermäßige Konsumenten süchtig machender Angebote überhaupt – trotz aller Bemühungen, die Probleme in den Griff zu bekommen.

Heilsversprechen gibt es, seitdem der Mensch „Gott“ sagen kann. Das nützt nur dem Erfinder des jeweiligen Begriffs, der dieses Wort zum Instrument missbraucht, einfältige Menschen zu fischen. Banale Ereignisse könnten uns lehren, dass es Momente gibt, wo’s einfach schiefläuft im Leben. Da ist kein Wegweiser an schwieriger Wegstrecke und kein Helfer wacht (im Himmel) über uns, warnt: „Pass jetzt auf!“ –, so oft passiert dem Gründlichsten doch sein missliches Geschick. Ganz einfache Dramen könnten helfen, auch große Probleme zunächst anzuerkennen als zu groß, um ihnen mit Symbolik beizukommen. Man verschluckt eine Gräte beim Fischessen oder eine ähnliche Sache, nimmt die vorletzte Scheibe Brot aus der Tüte, isst sie, greift später die letzte noch heraus, um auch sie mit Butter zu bestreichen, Käse zu belegen wie die gerade vorher gegessene.

Da erst bemerkt man, die letzte Scheibe Brot ist auf ihrer Unterseite total verschimmelt.

Ein kleiner Schreck nur? Gegessen ist gegessen. Wir müssen begreifen, dass manche Fehler passieren und Angst auszuhalten ist, weil alles andere Selbstbeschiss bedeuten würde. Wie groß kann der Schock sein, den wir noch verkraften könnten, sollten wir gelegentlich überlegen. (In einer Hungersnot essen die Menschen alles, was nur irgendwie geht). Bei uns gibt es andere Nöte. Zivilisationskranke fahren mit Maske Bus (seit der Pandemie), besteigen ihr Fahrrad ausschließlich mit Warnweste, Helm und noch einer gelben Tüte obendrauf. Nähme man es ihnen heimlich fort, dieses ganze Zeug, müssten sie mit einer Angststörung stationär behandelt werden. Senioren donnern elektrisch durch. Zu Fuß können sie kaum laufen, weil sie fett sind und steif, rheumatisch und voller Athrose. Sie sind unterwegs mit verkniffenem Gesicht. Sie blockieren jeden Vorgang im Alltag durch ihr verstocktes Tun. Junge sind nicht besser. Die haben ein Smartphone in der Hand, Mickeymäuse auf dem Kopf und schauen nicht links, nicht rechts. Sie werden beim Dooring vom Rad katapultiert, vom Lkw beim Abbiegen an der Ecke umgenietet und sind plötzlich tot. Das ist Sarkasmus? Ich glaube, in Indien piepen die Türen der Züge nicht, und das Müllauto fährt dort rückwärts ohne das bei uns übliche Gedöns. In der Ukraine und in vielen Regionen der Welt kennt niemand Klimaziele, trennt Müll und so weiter. Die Temperatur steigt, und wir erleben es so oder so. Dann ist irgendwann Schluss für alle, das ist recht wahrscheinlich.

Selbst zu denken ist weiter möglich. Das kann dazu führen, deutlich „ich“ zu sagen und das Nötige selbst zu entscheiden. Es wird Ärger geben und manche Isolation. Das ist der Preis unserer Freiheit. Sie findet statt hinter einer eng gezogenen Grenze und bedeutet nicht selten, hinter einer imaginären Wand weitgehend allein zu bleiben.

# Ärzte haben zu tun

Hilfe zum besseren Selbstverständnis verkauft uns jemand eher selten. Ein Arzt zaubert nicht, verlangt aber als Spezialist folgsamen Respekt, droht mit Verschlimmerung der Leiden: Sonst!“ Das heißt für uns, unter wachsamen Augen zum Patienten zu werden, Vertrauen mitzubringen, mehr als nur irgendwie beeinträchtigt, nun krank zu sein (nach Definition). Das mahnende Wort eines Anleiters? Ich meide solche Hilfe, wo es geht.

Mein Vertrauen wurde immer wieder missbraucht. Meine Erleben war zu oft, dass sich welche aufpropften, mich nach ihrer Weise zu gängeln, und ich habe es zugelassen. In meiner Blase haben andere heute keinen Platz mehr, ist das Ergebnis. Ich wurde extrem beschädigt und reagiere entsprechend verstockt. Das gefällt mir sogar. Es bedeutet eine Art Suizid auf Raten, gutgemeinte Hilfe abzulehnen und ist das Prinzip jeder vergleichbaren Sucht vom Rauchen oder Saufen bis hin zur harten Droge. Verweigerung kann so gesehen die imaginäre Stärke generieren, mit der einer überhaupt durch den Tag kommt. Obdachlose, die Unterstützung ablehnen, und ich kenne solche, sind das mögliche Vorbild. Eine gruselige Vision und die Einsicht, den Zeitpunkt für Einmischung rauszuschieben, so lange wie möglich selbst zu bestimmen, was mit einem geschieht, gibt ein Modell her. Eine individuelle Idee daraus zu bauen nach dem bloß allgemeinem Vorbild, bedeutet, die ganz persönliche Kunst zu leben (und an sich zu erleben). Mir ist ganz recht, sowieso altersbedingt dem Ende näher zu kommen, dass dieses schon gut zu erkennen ist. Das verhindert ein Aufkeimen bekannter Träume, das Gute käme irgendwann noch. Es ist gut, nicht mehr suchen zu müssen.

Was ist passiert? Mir ist die Person begegnet, die scheinbar schätzte, was sonst wenig beachtet wird, und insofern kam dieses Glück gelegen, es noch zu erleben. Das Ganze als Fake zu begreifen, beendet alle Träume und zeigt, Frauen sind nur scheiße. Damit ist ein Mann fertig, angekommen, und gut ist. So einfach. Ich kann damit leben, dass ich den Raum verlassen muss mit so einer Ansicht.

Manipulation ist keine Hilfe, wird nichts Gutes bewirken, auch wenn manche glauben, sich viel herausnehmen zu dürfen gegenüber kranken Menschen. Ein Arzt, Polizist oder Angehöriger, der sich ins Leben des Nächsten einmischt und dafür lügen muss, dürfte eine unvorhersehbare, wenn nicht katastrophale Entwicklung befeuern, falls das Ganze auffliegt. Ein dystopisches Weltbild noch anzuheizen bei einer Neigung zu Paranoia, kann nicht Sinn und Zweck von Unterstützung zur Besserung sein. Das zeigt nur die Perversität der Helfenden, sich über Schwächere zu erheben. Da muss man sich nicht wundern, wenn’s Haue gibt.

Ich muss Detektiv sein. Mein Teil dabei ist, die Suche zum Punkt zu bringen, ein grundsätzliches Problem endlich zu verstehen, den Grund meiner Psychosen, die mir das gesamte Leben ruinierten. Viele wissen davon, und schlecht ist nicht, das zuzugeben. Im Schub einer solchen Episode ist man krank und wird in unseren Kliniken gut versorgt. Das kann niemand ernsthaft bestreiten. So auch ich, meine Krankheitseinsicht stand nie zur Debatte. Ich bin aber weder dumm noch ganzzeitig einer Betreuung bedürftig. Die Verschiedenartigkeit psychischer Krankheiten erlaubt weiter den Missbrauch schwacher Menschen durch ihre Helfer. Außerdem beginnt die alltägliche Vernachlässigung von problematischen Patienten sofort mit dem Ende einer Eskalation. Wir haben also Helfende, die zu viel machen und welche, die gefährlich blind sind, aktiv wegschauen, wo gerade sie nötig wären einzugreifen, zu unterstützen, den unsicheren Menschen wertzuschätzen in seiner Not, ihm fachlich beizustehen. Das Problem beginnt, wenn der im psychiatrischen Krankenhaus stabilisierte Patient so weit gesund ist, dass eine Entscheidung über seine Zukunft getroffen werden muss und was nach ersten Schritten dann kommt. Da könnte es besser laufen in einer modernen Gesellschaft. Ich weiß heute gut nachzuvollziehen, was mich aus den Pantinen kippt und kenne die Wurzeln meiner individuellen Problematik. Das hat aber viel zu lange gedauert zu begreifen und jede Menge zusätzlicher Kränkungen bedeutet, die meine ursprüngliche Not bis heute begleiten.

Wo Eltern ihr Kind zur Ehrlichkeit zwingen, weil es sich fürchtet in einer Umgebung, die es nicht ändern kann, nicht verlassen, dürfte ein Trauma beginnen. Ein Vater, der sich nicht wehren kann gegen andere, aber so tut, als wäre er extra männlich, was immer das (seiner Meinung nach) heißen soll, ist, höflich gesagt, unreif. Eine Ehe, die auf das Renommieren versessen ist, wird irgendwann krankhafte Züge annehmen und Kinder hervorbringen, die ein Rätsel aufgetragen bekommen, das für sie zunächst unlösbar ist. Ehrlich währt am längsten, und insofern ist Geduld gefragt. Bei der Wahrheit zu bleiben, führt dahin, den Menschen zu treffen, der einen anlügt, und man sollte sagen: die Menschen. Wir kennen die Wirklichkeit weit weniger, als wir annehmen. Vieles wird einem gesagt, und dann glaubt man’s.

# Russland näher

„Die Russen lügen immer“, ist eine Behauptung, die ich mal hörte. Das war nach der Wende. Ein enger Freund erhielt den Auftrag, drüben Kontakte zu knüpfen für seine Firma und war mit Kollegen Richtung Moskau gereist für neue Geschäftsbeziehungen. Mein Bild ist heute differenzierter, aber es stimmt, der Osten tickt anders. Bei Watzlawick findet sich diese Glosse:

„Wenn ein Amerikaner nicht zu einer Verabredung kommen möchte, sagt der, er habe Kopfschmerzen. Ein Russe aber muss die Kopfschmerzen haben.“

Das soll wohl heißen, er bekommt seine Probleme, ohne zu wissen wie, und kann anschließend wahrheitsgemäß absagen, er könne leider nicht dabei sein.

Mit dem Verlieben durch zu sein und eine Reihe körperlicher Einschränkungen an sich zu erleben, die jede Unternehmungslust im Keim ersticken, allgemein oft malat? Das könnte einer für sich behalten als verheirateter Mann. So was öffnet sein Fenster, ganz allein das Glück zu finden in mancher Beschäftigung, die man inzwischen drauf hat. Ich kann Spitzel nach Herzenslust beleidigen, habe einen schon zu Boden gestoßen und noch ins Gesicht getreten! Das ist wahr. Eine Genugtuung und kein Anlass zur Reue. Dass eine junge Frau sich selbst verarscht (bei allem), tut schon weh. Mein Russland ist kalt geworden, keine Vision oder Grund, noch zu träumen.

Agenten frieren auch.

Sich der eigenen, aberwitzigen Blödheit klar zu werden, zu der man sich hatte hinreißen lassen, ist die Erfahrung des Lebens. Viel wichtiger ist dies: Ich habe eine Angewohnheit (seit meiner Jugend), die Rippen rechts einzuschnüren, bis die Atmung flach wird, dass alle Gefühle abgedrückt werden. Das macht selbstgemacht krank und fühlt sich gewünscht übel an. Der Unterleib wird hart und so weiter. Das ist die schlechte Methode, Angst zu kontrollieren. Insofern bin auch ich Russe. Das überhaupt zu bemerken, heute Mittel zu kennen, sich da mal locker zu machen, ist der Schlüssel, den Dopaminfluss im Gehirn zu ordnen. Eine Erkenntnis, die der Psychiater nicht versteht, durch seine Medizin sogar hemmt, sie nötigerweise zur Besserung der Gesundheit und überhaupt zu erlangen. Der Arzt ist nicht besser als der Rest im Verdrehen der Wahrheit. Was ich bitter lernte zu tun, wird so, wie ich’s mache, oft nicht gutgeheißen? Es stimmt aber, man fange bei sich selbst an zu merken: Erst komme ich und dann ihr anderen. So herum und nicht höflich, der Welt zuliebe wie sonst. Gutsein kann krank machen, wenn es zwanghaft geschieht.

So weit bin ich.

Tatsächlich braucht einer aber die Zukunft als positive Idee, was da noch zu machen sei. Das Leben isoliert in der Kammer, ohne die Welt und andere Meinungen überhaupt wahrhaben zu wollen, nur aushalten, in totaler Ablehnung versauern: Wie gewonnen so zerronnen ist mein Glück. Den heiligen Gral zu finden und im selben Moment fallen zu lassen, dass die Schüssel für immer zerspringt, so fühlt sich’s an.

# Abteil

Das ist ein Zug, und er ist abgefahren. Ich sitze drin. Wir Leute hier sind einander Fremde und höflich zueinander im Wagen. Ich habe meine Fahrkarte, schaue raus, und alles fliegt vorbei. Es ist klar, ich bin legal in der Zukunft angekommen und werde einfach mitgenommen. Man kann auf den Gang bis in den Speisewagen gehen oder auf die Toilette und wieder zurück. Das sind so Möglichkeiten. Kommt ein Haltepunkt, ist die Versuchung auszusteigen. Manche rauchen eine auf dem Bahnsteig. Das Personal mahnt schon bald mit der Trillerpfeife. Dann geht man wieder rein. Wir zusammen laufen nicht mehr draußen wo mit, wir fahren. Das Tempo ist hoch. Es gibt für jeden sein Ziel und entsprechend Anschlüsse. Das hier ist mehr als Kafka, keine vage Fiktion oder Literatur zum Träumen. Es fühlt sich richtig an. Wer wäre so blöd, in irgendeinem Städtchen von Bord zu gehen, dort zu bleiben und sein altes Leben zu suchen wie einen Mantel, den es nicht mehr gibt?

🙂