Der schwarze Van
Das will ich noch erzählen, es war gestern. Ich schreibe aber besser in Gegenwart, als wär’s jetzt. Es gilt als spannender unter Autoren. Das Wetter an diesem Wintertag Anfang Dezember ist grau, wenig über null bleibt die Temperatur im nasskalten Bereich. Mir scheint das trotzdem günstiger zu sein als am Tag zuvor, jedenfalls was die geeignete Witterung zum Lackieren betrifft. Ich packe also einen Korb. Der dicke Pinsel wird aus dem Gemisch von Leinöl und Terpentin genommen. Einige Lappen packe ich ein, Zeitung, Abklebetesa und Terpentin, schließlich eine ganz neue Dose mit Bootslack. Ich suche mir den großen Schraubenzieher zum späteren Öffnen der Dose, und ein kleines Hämmerchen nehme ich mit, um alles wieder luftdicht zu verschließen, wenn die Arbeit fertig sein wird. Ich habe beste Laune.
Mit dem Korb vergnügt in der Hand, schlendre ich zum Auto. Meine Frau ist in Backnang. Strohwitwer für eine Woche zu sein, ist so schlecht nicht. Es ist bereits früher Nachmittag. Es gab Forelle gebraten nach Art des Hauses in meiner persönlichen Männerwirtschaft, wo ich als Alleinherrscher koche, wann und wie ich das mag. Ich habe sogar aufgeräumt und den Geschirrspüler gestartet, bevor ich aufbreche, zum Boot nach Wedel zu fahren. Ich glaube, dass die Schiffe heute trocken sind und der frühe Nachmittag zeitlich ganz gut geeignet ist, was das Klima in der Halle betrifft. Es dürfte draußen etwa die gleiche Temperatur sein wie in der Halle, und die nächsten drei Tage werden ähnlich. Man möchte nicht, dass Feuchtigkeit in die hochglänzende Lackierung schlägt. So eine Aussenhaut vom Holzboot benötigt mehr als einen Tag zum Trocknen, wenn man im Winter bei nur leichten Plusgraden arbeitet. Da sollte nicht nachts Tau fallen oder etwa eine fiese Warmfront aufkommen. Man hat schon davon gehört, den Leuten ist alles matt geworden noch nach zwei Tagen.
# Über Appen-Etz nach Wedel
Ich fahre los, fädele mich ein auf die Kraftfahrstraße in Richtung Pinneberg. Wir fahren alle hundert. Dann kommt der doppelte Kreisel in Etz. Ich nehme die linke Spur, muss ja fast ganz herum auf die Wedeler Chaussee. Rechts raus blinke ich und bin nun auf dem Wedeler Weg, komme vorbei an Uwe Thomsen, gehe auf siebzig nach Schild. Ich fahre diese Strecke oft. Am Ortsschild Appen-Etz wird die Ampel gerade grün, und ich muss, um weiterfahren zu können, das Fahrzeug vor mir rechtsseitig passieren. Der möchte links abbiegen, wartet wegen Gegenverkehr und steht also. Ich nutze die schmale Lücke daneben und fahre ganz langsam um ihn herum in den Ort in die Richtung vom griechischen Restaurant, um weiter die Landstraße nach Wedel zu nutzen. Währenddessen kommt ein schwarzer Kleintransporter schnell auf. Hinter mir im Rückspiegel bemerke ich, dass der Fahrer nicht so ein Geschieß macht wie ich, das Hindernis behutsam zu umfahren. Ich bin dem nun irgendwie im Weg, weil ich stur fünfzig fahre im Ort? Mir kommt das so vor. Der pechschwarze Kleinbus, ich glaube, es ist ein Vito von Mercedes, fährt extra dicht auf. Ich nerve offenbar. Mir fällt nicht ein, dem Drängen nachzugeben. Auf den geraden letzten Metern in Richtung Ortsausgang kann der schwarze Vito das nach dem Ortsschild aufgestellte Achtzig kaum abwarten und klebt mir wenige Meter hinten drauf. Ich halte nun meinerseits genervt durch und beschleunige schließlich auf fünfundsiebzig. Er sackt ein wenig ab, und es geht vergleichsweise entspannt zum kleinen Kreisel, wo man auch nach Holm raus kann. Der schwarze Wagen folgt mir. Nach dem Kreisel gilt wieder siebzig. Ich halte mich dran, und mein Hintermann klebt mir am Arsch. Dann kommt die gerade Strecke, wo die Siebzig aufgehoben werden. Hier darf man hundert fahren, und das mache ich. Links ist viel Platz, da die Straße verbreitert ist, und niemand kommt von vorn. Es gibt Menschen, die mich hier überholen würden, aber das macht der schwarze Wagen nicht. Er fährt nun in vernünftiger Distanz hinter mir, bis achtzig angezeigt kommt. Das vereint uns wieder, denn ich halte mich dran an die Achtzig. Er klebt mir am Arsch.
Nach zunächst noch einer Verlängerung der Achtzig-Zone durch ein weiteres Schild wird bald darauf vom Autofahrer dieser Landstraße verlangt, sogar bis auf nur sechzig runterzugehen. Da ist jetzt eine neue Bushaltestelle am Fährenkamp. Das respektiere ich und gehe runter auf neunundfünfzig. Wir kleben. Dann kommt achtzig, und sofort danach wird die Beschränkung aufgehoben. Hier darf man hundert fahren bis Wedel. Das mache ich voll. Ich sehe keinen Grund zu trödeln. Der Vito lässt sich entspannt sacken. Das ist kein Spinner. In Wedel reduziere ich auf fünfzig. Das ist doch ganz vernünftig, sich an die Regeln zu halten? Der schwarze Kleinbus fährt wieder dicht auf. Dann kommt die Dreißig-Zone. Montag bis Freitag von sieben bis siebzehn Uhr gilt die Beschränkung. Wir haben Dienstagnachmittag. Es gibt das Ristgymnasium und einen Kindergarten. Der Vito hängt an meiner Stoßstange. Abstand drei Meter, mehr dürften es nicht sein. Es ist schwarz im Rückspiegel, getönte Scheiben hat dieser Don der Landstraße. Finster ist das Ding, sieht böse aus. Beim Bäcker und dem alten Spritzenhaus endet die Zone, aber man kann vernünfigerweise kaum beschleunigen, da es in einer engen und unübersichtlichen Biegung zu der gleich danach befindlichen Ampel geht. Die ist typischerweise rot, und so macht zu rasen keinerlei Sinn. Ich quetsche mich auf die kleine Abbiegespur nach rechts, und der Vito folgt mir dicht auf. Wir halten. An der Ecke steht die winzige Bildhauerei vom Ochsenmarkt. Ich finde keine Muße, mir das Kunstwerk anzuschauen. Ich habe die Schnauze voll von diesem Arsch. Mein Blick ist nach Rückwärts gerichtet. Ich sehe schwarz im Spiegel. Auf der schmalen Ablage direkt hinter seiner Frontscheibe liegt eine blauschwarze Kappe oder Dienstmütze. Ich erkenne den silbernen Stern. Es scheint „Polizei“ draufzustehen auf der Mütze! Ich bin mir nicht sicher. Es ist ja spiegelverkehrt, und nun wird es Grün.
# Über den Stock in die Marsch
Ich fahre ab und gleich nach wenigen Metern auf die Linksabbiegespur. In der Altstadt steht hier überall dreißig auf den bekannten Schildern mit ihrem roten Rand. Es gilt als Lärmschutz. Der Vito folg mir dicht auf. Ich passiere die nächste Ampel langsam bei Grün, muss aber warten, weil mir viele Fahrzeuge in Richtung Roland und in die Stadt entgegenkommen. Ich möchte links ab auf die Schulauer Straße beim Steakhaus, wo Tascha arbeitet. Die mag ich. Ich bin also zwei Längen über die Markierung und warte die Entgegenkommer ab. Der schwarze Van steht auf dem Ampelweg direkt hinter mir. Jetzt ergibt sich eine minimale Lücke, und da ist kein Fußgänger links am Porterhouse. Ich gebe beherzt Gas und nehme flott die Linkskurve. Das hält die Kollegen hinter mir nicht ab, dass die Lücke sparsam ist, sie sausen mit mir mit, und dann beschleunigen wir auf fünfzig „über den Stock“. An der Batavia vorbei über die Stockbrücke – das sagten wir früher, meine Oma verwendete das Wort noch – halte ich mich wieder eisern an das vorgeschriebene Tempo, und der getarnte Blödmann klebt mir am Arsch. Das kotzt mich an. Wollen die bis zum Verein dranbleiben? Geht es um mich persönlich? Werden diese Idioten mir irgendwas vorwerfen? Ich habe den Hass.
Wir fahren wie Dampflok und Tender verknüpft mit Neunundvierzigkommafünf auf der Schulauer, weil ich es so will. Am Ubootsteich vorbei, vorbei an der Bekstraße, und ich überlege mir schon, wie ich mich verhalten sollte, falls diese Pseudo-Bullen mich bis auf das Vereinsgelände begleiten. Aber vor der Stöpe biegen sie hinter mir rechts ab. Die fahren einfach unspektakulär in die Deichstraße. Da geht es zum Yachthafen, und da will ich nicht hin. Ich sehe den schwarzen Van im Rückspiegel vor der gelben Sonne vom Planetenlehrfahrt quer fahren. Das Bild prägt sich ein. Ich weiß, dass ich es zeichnen könnte. Diese Leute losgeworden, biege ich nun selbst ab nach hundert Metern in den Strandbaddamm.
# Lackieren!
Ich fahre vor die Halle. Mein Herz schlägt. Ich bemerke das. Ich nehme den Korb hinten raus. Ich öffne die Hallentür mit meinem Transponder. Es ist niemand bei den Booten. Ich schalte die Beleuchtung ein. Ich gehe zu meiner Jolle in die Abseite wie sie da, auf den Bauch gedreht, auf mich zu warten scheint. Ein guter Freund! Schon als ganz kleines Kind haben mich meine Eltern auf diesem „Globetrotter“ mitgenommen. Die Jolle ist Baujahr ’55, und ich bin erst 1964 geboren. Eigentlich ein Ort, den ich mit Freude aufsuche, die Bootshalle, ich kann schließlich ganz gut lackieren und bin bester Dinge losgefahren.
Ich koche vor Wut.
Das Holz ist ganz trocken. Ich wische alles mit Terpentin ab, mit dem Staubtuch hinterher und klebe ab. Meine Gedanken sind Hass. Ich breite meine Zeitung aus. Ich bin ganz allein in der großen Halle, wo überall große Schiffe stehen. Meine Jolle ist winzig, und einige kleine Boote sind natürlich auch nebenan zu finden. Ich öffne die Dose mit dem Bootslack. Ich rühre nicht drin rum. Bei nagelneuem Klarlack mache ich das nicht. Ich nehme den kleinen Pinsel von Manni und lackiere unter der Ruderstange einen schmalen Streifen am Spiegel damit. Wenn ich es so mache, muss ich die Stange nicht abschrauben. Dann flicke ich an mit dem Dicken. Nach kurzer Zeit ist der Spiegel fertig. Ich nehme mir die Steuerbordseite vor, die jetzt links ist, weil mein Boot überkopf liegt. Meine Spieren habe ich bereits weggeräumt und zu denen von Björn gelegt. Dadurch ist viel Platz zum drum Herumgehen um das Boot. Ich lackiere die Steuerbordseite in einem Wahnsinnstempo, voller Kraft, voller Wut. Ich mache nahtlos weiter Backbord. So schnell habe ich diese Flächen niemals zuvor geschafft. Ich finde noch zwei minimale Läufer an Steuerbord, die ich nachkorrigiere, fertig! Ich reiße das gelbe Band runter. Ich packe meinen Korb. Ich ziehe den Stecker, die Kabellampe geht aus. Ein letzter Blick: Sieht geil aus. Wie das glänzt. Ich gehe zur Hallentür. Draußen höre ich harte Männerstimmen. Es beunruhigt mich! Man kann nicht durch diese Tür sehen. Schwarz geölt sind diese Bretter hier vor meiner Nase. Das ist der Ausgang. Ich denke an die Bullenschweine.
Ich mache das Licht aus und öffne die Tür.
# Der Parkplatz
Es nieselt jetzt. Da steht nur allein mein Auto. Irgendwelche Restaurantgäste sind gerade vor der Halle vorbeigegegangen. Die reden. Sie sehen mich nicht einmal. Ich packe den Korb hinten in den Kombi und fahre einfach ab. Mein Atem ist normal.
Eine entspannte Rückfahrt ohne besondere Vorkommnisse. Ich bin noch nicht beruhigt: Die Freude an der scheinbar gelungenen Lackierung stellt sich nicht ein. Am Abend trinke ich eine halbe Flasche Rotwein und gehe um halb acht zu Bett. Das ist, nachdem ich mit Backnang telefoniert habe. Ich höre mir die Sorgen an, die meine Frau mit ihrer Mutter hat. Sie fragt nicht, was ich gemacht habe, und ich erzähle gar nichts. Dann stürze ich den Wein runter und gehe vor der Tagesschau ins Bett. Ich schlafe wie ein Stein bis um vier, stehe früh auf und habe meine entspannte Mitte zurück. Na also. Geht doch. Nach dem Frühstück fahre ich wieder zum Boot. Ich muss nachschauen. Keine Erlebnisse auf dieser Strecke. Das Boot glänzt toll, ist aber noch nicht wirklich trocken.
Schaun wir mal.
🙂