Ich bin das auch

Bundeskanzler Friedrich Merz war für eine Aussage zum Thema Migration in den vergangenen Tagen viel kritisiert worden. Es gebe „im Stadtbild noch dieses Problem“. Auf die Frage, wie er die Aussage gemeint habe, sagte er später auf einer Pressekonferenz: „Fragen Sie mal ihre Töchter.“ Das schreibt die Tagesschau im Oktober auf ihrer Internetpräsenz, nachdem die Aussage des Kanzlers für Wirbel gesorgt hatte.

Reichlich Reaktionen geben der Nachrichtenplattform genügend Stoff für einen längeren Text. Viele können sich nicht zurückhalten und beziehen Position, weil ihnen das Thema auf den Nägeln brennt. Mir geht es ähnlich, ich reihe mich also gern ein und reagiere auch, auf meiner eigenen Website kann ich es tun. Der Bundeskanzler zielte in Richtung der Ausreisepflichtigen. Er hat aber offenbar unbeabsichtigt einen Nerv der Nation insgesamt getroffen. Das passt nicht gut zur Führungsspitze unserer Politik. Friedrich Merz selbst ist zum Problem im Bild unseres Landes geworden mit diesem spontanen Satz. Da zeigt sich, wie unser Kanzler denkt, wenn er nicht groß nachdenkt und einfach plappert.

Die Deutschen haben kaum Probleme mit der verschärften Abschiebung, die nun gewollte Politik ist. Es ist etwas anderes problematisch und faul in diesem Staat, der von Brandmauern redet und so weiter. Wir mögen nicht am Kanzler seine verstockte Überheblichkeit, die keinesfalls nach Stärke oder Authentizität aussieht, seinen Führungsstil kritisiert die breite Gesellschaft. Friedrich Merz ist unbeliebt. Es ist doch klar, dass Kriminalität eingedämmt werden muss. Von einem demokratischen Staat verlangen die Bürger aber präzise und transparente Politik und nicht pauschale Phrasen. Was ist ein Stadtbild, unser Bild von uns als Gesellschaft? Das muss auch die Kunst fragen. Ein vielfältiges Leben soll bitte unser Land abbilden, das Freiheit und die Freiheit der Wahl ganz obenan möchte. Das Bild möge bunt sein, verlange auch ich als Maler und möchte nicht, dass verbaler Unkrautvernichter über uns verspritzt wird, ein Firnis, der pauschal alle Farben trübt. Wie ein lapidar gesagtes Wort zum Breitbandantibiotikum werden kann, das rundum Gift bedeutet, das alle schlucken, möchte ich erläutern.

Unions-Fraktionschef Jens Spahn verteidigt seinen Kanzler: „Der Bundeskanzler spricht aus, was die Mehrheit denkt.“ In der Sendung „Bericht aus Berlin“ sagte er: „Es ging nie um Hautfarbe. Es ging nie um Ethnie, sondern es geht doch um eine kulturell-religiöse Prägung. Es geht um Gewaltaffinität. Das ist ja nicht angeboren, das ist angelernt. Aber es macht eben Probleme im Alltag – ja, auch im Stadtbild.“ Es klingt so logisch. Meine Erfahrung ist jedoch eine andere. Ich halte gegen, Gefährlichkeit wird auch als bloße Zuschreibung ins Feld geführt, um Menschen, die man erst provoziert, anschließend zu bezichtigen, potentiell Gewalttäter zu sein. Das haben Gesellschaften schon immer gemacht und das Letzte ist, dieses miese Mobben noch anzufeuern. Eine rechte Mehrheit schwillt an, wird zur nationalen Meute, wenn man die Leute aufeinander hetzt. Jens Spahn hat vollkommen recht, Gewalt wird gelehrt. Das Wort vom Abrüsten ist eines von gestern geworden.

Ein Konter mit Konterfei scheint angebracht.

Es geht meiner Meinung nach gar nicht ums Dahingesagte, sondern um die dünnhäutige Reaktion des Kanzlers auf die klare Frage des Journalisten Fischer: „Können Sie bitte sagen, wie Sie das gemeint haben, was sie mit dieser Äußerung bezwecken wollten und ob Sie da irgendetwas zurückzunehmen haben?“ Das konnte Merz so einfach nicht, obwohl er ganz offensichtlich glaubte, Nachdruck in seine Worte legen zu müssen. Nicht das Stadtbild beschäftigt die Menschen dieser Tage. Das „Kanzlerbild“ spricht Bände. Mehr als tausend Worte liegen im spröden Umschiffen der Antwort: „Fragen Sie Ihre Töchter!“ Das klang so albern, noch einen draufgesetzt. Die Presse klopft ganz artig an, und dann das. Bockige Reaktion, schreibt die Bild am Sonntag, und ich denke, blasiertes Blaffen hat schon den vorherigen Kanzler seinen Job gekostet.

# Ausmerzen!

Tatsächlich gibt es noch eine Perspektive, die in der aktuellen Debatte keine Rolle spielt. Ich kann einen speziellen Blickwinkel ausleuchten, der ansonsten zur dunklen Nische würde, die Betroffenheit durchaus aufhellen. Im Zentrum des Problems bleibt es still wie im Auge des Hurrikans. Von dort, mit meinen Augen gesehen, werden die guten Menschen, die jetzt so soziale Worte finden, zu profilgeilen Populisten. Unerwünscht im Bild verschmutzt einer wie ich die Ästhetik vom lieben Dorf. Das tut weh. Als besondere Person in einem gewöhnlichen Städtchen am Stadtrand der Metropole fühle auch ich mich gemeint. Ein Mann, ein Wort? In der aufgeheizten Diskussion über das „Ausmerzen“ von fehlerhaften Schmutzflecken im Motiv bin ich mittendrin. Und das, obwohl ich lange in Schenefeld wohne und überhaupt hier, westlich von Hamburg meine Existenz ausgestalte, seit ich lebe. Mein Verständnis von Kunst ist nachzufragen, die Gesellschaft zu prüfen, zu reflektieren, aber das war zu weit gedacht, zu groß gesprungen für (jemanden wie) mich. Ich wurde zum Problem. Die oberen Zehntausend im Ort gaben mir den kollektiven Tritt. Deswegen denke ich heute anders über alles und verweigere die Mitarbeit (am Land) oft. Ich fühle mit den Migranten und allgemein denen, die irgendwo weggehen müssen, weil ich einer bin, der ebenfalls durch den Apparat, den klebrigen Klüngel hier im Dorf entfernt werden sollte aus ihrem Dunstkreis. Ich musste alle meine Fehler zugeben. Dazu kamen dann noch die Fehler der Würdenträger. Die sollte ich auch als meine eigenen übernehmen:

„Verkackt hast du es allein.“

Ich habe verstanden: Politiker machen keine Fehler. Ehrenamtler bekommen Preise. Solche Menschen sind gute, und gute Menschen sind ohne Tadel. Böse ist das Ausland allein? „Die russische Straßenmusikerin Naoko sitzt in Haft, weil sie in St. Petersburg Lieder von Musikern sang, die als ,ausländische Agenten‘ gelten“, postet gerade die Tagesschau. Die beschauliche Heimat scheint so sicher dagegen. Warum ich mich angesprochen fühle, meine Nerven vibrieren, wo der Kanzler doch ausreisepflichtige Migranten meint? Ich behaupte, es wurde und wird was dafür getan, dass Eltern von Töchtern glauben, ich, der „Künstler“, sei das Problem schlechthin hier im Stadtbild bei uns. Das ist nicht angenehm und macht auch nachdenklich. Es hilft weiterzudenken bis ins Gemüt der eigentlich anvisierten, betroffenen Asylanten. Wie sich’s anfühlt, von Menschen, die sich selbst gern als rechtschaffene bezeichnen, als nutzloser, sogar gefährlicher Spacken gesehen zu werden, am falschen Platz durchs Bild zu laufen?

Ich weiß das heute.

Nicht ganz einfach für Abgestempelte, bereit zur Verschickung ins Nirgendwo gekennzeichnete Menschen, kaum mehr zu sein als problematisch.

Das wollte ich gern mal sagen.

🙂