Eine Erkenntnis

Mich hat ein junger Erwachsener nach dem Sinn meines Lebens gefragt, worin ich begreife, angekommen zu sein? Darauf ernsthaft zu antworten, muss zwei Seiten der Erkenntnis beleuchten: Ich spüre unbedingtes Nicht-zurück-können und Frust, viele Chancen nicht wahrgenommen zu haben aber auch tiefe Zufriedenheit, mit meiner Sinnsuche zu Ende gekommen zu sein. Während der Autofahrt anschließend der Veranstaltung allein in dunkler Nacht fiel mir dies ein:

„Die Lösung ist, dass es keine gibt.“

Schwierig zu akzeptieren aber immerhin ein Ergebnis. Wer sein Leben wie ich mit der Suche nach Antwort auf ein dringliches Problem erlebt, kann sich glücklich schätzen, wenn das Forschen keinen Sinn mehr macht. Dem gegenüber bleibt die Enttäuschung, am Ziel der langen Reise vor einer, sagen wir mal, leeren Schatztruhe zu stehen. Einige Geschichten wären denkbar. Daraus ergeben sich Motive, Aufgaben, zukünftige Projekte, ja überhaupt eine neue Perspektive. Das könnten Bilder sein. Metaphern möchten etwas fassbar machen, das schwerlich zu beschreiben ist. Jemand sucht Gott und findet heraus, dass dieser nicht existiert. Man sucht die große Liebe und sieht schließlich ein, dass auf diesem Planeten Liebe als solche nicht vorkommt. Man hat ein Problem, das dem vergangenen Erleben schuldhaft zugewiesen werden muss, aber die Vergangenheit kann nicht korrigiert werden und so weiter.

Dem kann ich entgegnen, mir selbst widersprechen, dass ein Bild von Gott ändern zu müssen, nicht bedeutet, verloren zu sein in einer Welt, die weiter Fragen aufwirft. Ich könnte mir klarmachen, dass das für die Liebe genauso gilt. Ein Wort bietet Interpretationen, und da kommt man nie zum Schluss. Die Vergangenheit verstehen, ist viel besser, als diese nicht wahrhaben wollen. Schon deswegen überwiegt der Gewinn an Erkenntnis jeden Frust. Beides zusammen ergibt Sinn, entspannter in den Tag zu gehen oder sagen wir mal, häufiger Gelassenheit zu erleben als früher. Das Ende vom Zwang zu begreifen, der tagaus, tagein das Dasein bestimmte, ist ganz wunderbar befreiend.

Ich habe einen Vortrag, besser ein Interview im Video gesehen. Ein Mann hatte ein Buch geschrieben über den freien Willen, und ein Journalist hielt Wechselrede mit dem Autor. Der Moderator zitierte zeitgenössische Referenzen aus allen Epochen. Das war ganz interessant, wenn auch nicht so neues Gedankengut, eine unterhaltsame Zusammenstellung diverser Ansätze. Die Argumentation ergab: Je freier ich den freien Willen definiere, desto mehr habe ich davon. Mehr als eine Annäherung ans Thema kann nicht gelingen. Das liegt in der Natur dieser Überlegungen. Da mache man sich nichts vor.

Mein Fazit, einen insgesamt freien Willen gibt es so wenig wie die absolute Meinungsfreiheit in irgendeinem Staat. Die Umgebung setzt Grenzen. Sie beeinflusst uns, und wir verstehen das Ganze nur unvollkommen. Wer für sich einen Platz beansprucht, wird diesen Raum definieren müssen. Wer das nicht kann, den stößt man herum. Die Frage ist, ob man den Widerstand zunächst überhaupt bemerkt, sich daraus resultierenden Ängsten stellt, die Risiken einschätzen kann, dem äußeren Druck gegebenfalls nachgibt, einen anderen Weg einschlägt, eine neue Umgebung aufsucht oder für die Existenz an diesem Ort kämpft, andere vernünftigerweise schlägt.

# Das eigene Erleben

Der Alltag ist spannend genug. Mit meiner Frau bin ich unterwegs zum Kinobesuch. Wir fahren mit dem Bus in die Stadt. Nach dem Schenefelder Platz sagt meine Frau: „Weißt du, ich habe kürzlich Jerry gesehen.“ An der Bemerkung fasziniert mich, gerade ist ein älteres Ehepaar in den Bus eingestiegen, und der Mann hatte mich an Mambo denken lassen. Jerry und Mambo sind zwei Spitznamen ein und derselben Person, muss man dazu erklären. Ich sage also zu meiner Frau: „Wie kommst du gerade jetzt drauf, mir das zu erzählen, so oft sieht man den ja nicht?“ Da lächelt sie und gibt zu, da sei doch eben ein älterer Mann vorn eingestiegen, und erst habe sie gedacht, es sei Jerry gewesen. So war es auch mir ergangen, und bald hatten wir ein Gespräch, wie unser Denken durch äußere Reize beeinflusst wird.

Mich fasziniert, dass wir nicht die Freiheit hatten, für einige Minuten etwas anderes zu reden, das aber keinesfalls problematisch oder als Zwang empfanden, andererseits unser Wille, diesen Bus bis zur Trabrennbahn zu nutzen, um dort in die Drei zu wechseln, in keiner Weise beeinflusst wurde durch das Erlebnis. So sehe ich einen Zuwachs an Freiheit gegenüber früher. Zu bemerken, dass mehrere Möglichkeiten aufscheinen und eine zu wählen, ist alltäglich geworden. Ich lasse mich anregen vom Drumherum, habe aber meistens Zeit, mich selbst zu entdecken, dass also am jeweiligen Punkt des Weges Varianten denkbar wären weiterzumachen. So war mein Leben früher nie. Das lässt den Schluss zu, dass ich zwanghaft handelte und es heute nicht mehr (oder doch weniger) mache. Da ergibt sich, egal wie lang diese Zukunft noch währt, das neue Leben ist besser – und wie blöd, dass ich’s nicht früher begriff.

🙂