
Im Auge des Betrachters
„Lebende Schollen!“ schrieb mein Vater gern fett mit Edding auf einen großen Bogen Einwickelpapier und klebte sein selbst gemaltes Schild ins Fenster, wenn er am Markt einen guten Einkauf hinbekommen hatte. Heute sind solche extra frischen Fische im Handel nicht mehr erhältlich. Dieser übliche Verkauf ist dem Aktivismus Tierwohl zum Opfer gefallen. Die Fische lagen ja lebend auf Eis und schwammen nicht etwa fröhlich im Aquarium beim Fischhändler rum, um entspannt auf ihren Verzehr zu warten. Das geht gar nicht? Weltretter verbieten! Die alten Zeiten waren blutrünstig. Meine Eltern erzählten davon, der Krieg. Die eigene Kindheit erinnere ich überhaupt nicht vegan. Es gab noch regelmäßig Zirkusbesuch am Stadtrand. Da liefen Tiere im Kreis, auch sah man sich ganz unbedarft das Delfinspektakel bei Hagenbeck an, wusste vom Stierkampf in Spanien, ohne deswegen schlaflose Nächte zu erleben und im Laden, da schmissen wir die Hummer lebend ins kochende Wasser und dachten uns nichts dabei.
So war das.
Ist die Welt heute besser? Kriege können nicht verboten werden, innerstaatliche Amoktaten nehmen zu. Irgendwo schreddert einer Küken immer. Unkraut vergeht nicht, und so kritzel ich mir was. Das Menü „Schenetz“ (in der zentralen Menüleiste) zeigt Skizzen. Das möchte ich mal erläutern. Als Fischhändlers Sohn gefällt mir, ein Fangspiel zu machen. Ich habe ja kein Smartphone und finde das allgegenwärtige Scannen billig. Mir ist da was eingefallen, Leute fischen also, und zwar welche, die ich eher nicht mag: Darf man das? Ursprünglich wollte ich immer weiter zeichnen nach dem Motto „mehr davon“ oder „to be continued“, wie man es aus dem Englischen kennt, Fortsetzung folgt. Das hatte ich mir vorgenommen. Inzwischen lässt der Drang nach. Ich mache weniger von dem Zeug, habe etwas erreicht. Aber der Reihe nach: Es sind Notizen vor Ort. Ich halte bestimmte Begegnungen fest. Das gibt mir ein Stück Dorfgeschichte zurück – und fröhliche Deutungshoheit. Mich hatten einige für dumm verkauft (als Quiddje, der ich naiverweise war), meine Vergangenheit gedreht und weidlich ausgeschlachtet?
Wer über den Zufall verfügen kann, mir nach Wunsch passgenau zu begegnen, und so kommt es mir vor, nutzt kriminelle Technik, entwickelt kriminelle Energie. Wenn auch nur einer das hinbekommt, so wird man doch paranoid hochrechnen. Es verändert das Bild insgesamt. Viele andere Begegnungen, die gar nichts damit zu tun haben, erscheinen nun ebenfalls mysteriös. Ein Trauma bleibt. Der Magen bricht. Das psychotische Weltbild klopft an: „Gott hasst mich!“ Ich spreche von mir selbst. So werden Menschen verrückt gemacht. Andere sagen lapidar: „Der Narr!“ Meine Antwort darauf?
Das hier ist mein Narrenspiegel.
Nach Attacken in Brokstedt, Magdeburg und Aschaffenburg vergeht der Gesellschaft regelmäßig das Lachen. Die Leute kommen nicht auf die Idee zu spotten. Nur ich scheinbar weiß: Menschen werden verstört, bis sie um sich schlagen, stechen, bomben. Provokation bis zum Tod. Es ist nicht einfach, allein und still für sich zu gehen. Gegen Spionage kann man sich schlecht wehren wie gegen Rufmord. Das ist immer aktuell. Am Fahrradladen hängt ein Schild: „Liebe Gerüchteküche, wir schließen nicht!“ Man schmunzelt? Nicht zum Lachen ist das. Auf dieser Strecke laufe ich täglich, treffe Menschen zu häufig und kann das nicht beweisen. Eine alte Dame und andere, die man sieht, sind nicht gemeint. Die reden oder grüßen normal.
Nette Leute.
Wer hingegen zu oft kommt und zudem was will, verrät sich durch Penetranz oder bewusstes Beiseiteschauen. Bekannte, die man nur so trifft, plaudern einfach nur so. Natürlich begegnet man auch Menschen, die einen nicht mögen. Gegenseitige Abneigung ist ein Teil des Lebens und lässt sich kaum vermeiden bei einer gemeinsamen Vergangenheit oder doch der Bekanntheit von jemand. Menschen lehnen schon mal Personen des öffentlichen Lebens oder eben Künstler ab, die sie persönlich gar nicht kennen, von denen ihre Ansichten und Werke bekannt sind. Spazierte Donald Trump durch unsere Straßen, gäbe es vermutlich Konfrontationen einfach deswegen, weil da viele sind, die seine Politik ablehnen und ihn als Menschen überhaupt. Der Mann zeigt sich unverstellt (und mit spontanen Richtungsentscheidungen) bei jeder Gelegenheit. So einer an der Spitze der Vereinigten Staaten, das geht nicht, geht gar nicht. Einen unzuverlässigen Partner mag niemand. Was das mit mir zu tun hat? Die Schnittmenge findet sich durchaus, eine nicht so sehr davon verschiedene Gemengelage. Amerika ist nicht nur die größte Wirtschaftsmacht, sondern auch Atomnation. Die sind nicht harmlos. So gesehen ist jede Partnerschaft unter dem Aspekt einseitiger Belastung oder überspannter Gefahrenlage zu bewerten und wird bei Vertrauensverlust Maßnahmen der Gegenpartei nach sich ziehen. Risiken im Umgang mit dem Gegenüber zu befürchten, bedeutet leider, in die Glaskugel zu schauen. Das könnte die Schublade sein, in die einer den anderen steckt und ist so feige wie fies. Wer irre ist, steht schnell fest: Im Vorfeld des kanadischen Gipfeltreffens meint eine Moderatorin ganz offen, die Regierungschefs probierten, geschlossen aufzutreten, was also zu tun sein, Donald Trump „einzufangen“ –.
Fangen spielen, Haken schlagen, Bomben werfen.
…
1 SCHENETZ
Ein gefährlicher Mensch, dieser Künstler!
Was ich mir selbst ausgesucht habe; aus der bequemen Sofaecke raus zu gehen. Das weiß ich. Ich habe unangepasste Ideen öffentlich gemacht. Schwierigkeiten folgten, die ich nachträglich bekam, weil ich mit unseren Ordnungskräften „diskutieren“ wollte. Was ein Beitrag zur Mitgestaltung des Landes sein sollte, war denen in Pinneberg der Anlass, mich dankbar als Auftrag zu begreifen.
Ein Ermittlungsverfahren, Vorladung.
Keine Anklage, kein Gerichtsverfahren, ohne eine Straftat geht es nicht.
Das hält diesen Laden nicht ab scheinbar, denn anders kann man sich’s nicht erklären: Was dann lief. Der Staat schaut hin. Dein Nachbar weiß auch Bescheid. Das Dorf macht mit. Alle dürfen mal durchs Schlüsselloch schauen. Die Polizei will Beute machen. Man wartet auf eine Chance, denkt zukunftsorientiert. „Wer bescheuert ist, bleibt bescheuert und knallt irgendwann durch. Dann schnappen wir ihn.“ Regelmäßige Provokationen sind Programm: „Sonst dauert das zu lange.“ Die Kollegen sagen es den Ehemaligen. Die haben andere Möglichkeiten. Als Rentner sind sie frei, für jeden Scheiß zu haben. Ein interner Steckbrief geht extern raus. Die Kartei mit den Spinnern heißt Gkr. Ich bin drin, und zwar für immer. Nicht als Mensch, sondern als Objekt zum Spielen kam ich in ihre Schublade. Obschon ein sensibler Kasten wurde diese Amtsstube nie verschlossen? So muss man annehmen. Die Karteikarte „Sachgebiet eins“ klebt auf meiner Stirn. Ein Nagel wie im Arm vom Herrn Jesus heftet mir die Nummer an den Schädel. Das ist meine Kleidung. Keine Hose gibt mir ansonsten dieser Staat zum Anziehen und prangert mich an. Ich stehe in aller Blöße auf dem Marktplatz. Kleine Schülerinnen kommen vorbei, mich, den Festgebundenen, unten mit einem Stecken zu stupsen, schließlich in voller Härte aufzurichten, aufzugeilen, und komplett zu erigieren >>>
Bis ich spritze. Ein Lehrobjekt für den Nachwuchs bin ich heute offenbar, werde regelmäßig hervorgezaubert, zum Aushorchen für alle preisgegeben, für immer nackt.
Wie dumm von mir, ich habe meine wiederkehrenden Erkrankungen zugegeben.
Seit meinem Studium, also lange, bevor wir herzogen, bin ich immer wieder in psychiatrischen Krankenhäusern aufgenommen worden, bis das Krankheitsbild insgesamt und erst allmählich besser wurde. Mein normales Leben als Grafiker, Künstler, Segler mit Boot, Ehemann und Vater beinhaltet untrennbar auch diese Seite meines Selbst. Viele wissen davon. Das dürfte manchen (am Platz ihrer Nachbarschaft zu mir) Unzuverlässigkeit bedeuten: „Man weiß ja nie, was der tut.“ Meine Kunst, ich nenne das: angewandte Soziologie, meine aktive Selbsterforschung persönlicher Probleme hier im Dorf polarisiert scheinbar. Es könnte die Überlegung befeuern (die einige noch angeheizt haben), ich könnte grundsätzlich eine Gefahr darstellen?
Es spricht sich rum:
Das stimmt, ich habe einen Senior umgestoßen, geschlagen und noch am Boden getreten: „Dafür“ –, ich brüllte seinen Namen lauthals über den Parkplatz vom Supermarkt, als ich auf ihn losrannte –, „gehe ich in den Knast!“ Ich war nicht krank, das zu tun. Und nach dem Erleben im Laden, was mir direkt vorher passierte, erst recht nicht, bestimmt nicht. Das musste beantwortet werden, und zwar unmissverständlich, voll drauf. Man dürfte es gesehen haben, mich bremsten keinerlei Skrupel. Schlechtes Gewissen meldet sich nie, auch nicht etwa nachträglich bei mir. Ich stehe dazu. Die brachiale Attacke geschah zwingend, um die Selbstachtung zu bewahren, ist weiter meine Meinung.
Die lasse ich mir von niemandem noch verbieten.
Ins Gefängnis musste ich nicht. Bis dahin mehr als freundlicher Nachbar, „unser Künstler“ bekannt, darf unsereiner sich in Deutschland bewähren. Ich bin vorbestraft. Na und? Das macht mir nichts aus. Prominente haben schon im Gefängnis gesessen und sind zurück. Ich war vorher gar nicht da. Jetzt erkenne ich mich erst selbst am Platz, wo ich hingehöre. Ich erlebe, respektiert zu werden, und das tut gut; danke auch dafür. Andere schleichen sich heute weg, wenn ich auftauche. Nur zu: und einen schönen Tag! Diejenigen, die meinen, psychisch Kranke leichthin zu erkennen, Risiken, die von „solchen“ ausgehen, benennen (und urteilen) über Menschen auf der Höhe des Boulevard. Sie vorverurteilen, wen sie vor sich haben. Es sind im Geiste die, die pauschal Remigration fordern, nämlich das Prinzip: „Weg mit dir!“ Populisten schüren Ängste, Mitläufer sind beileibe nicht offen Nazis. Es ist mindestens die Hälfte der Menschen im Land, nicht nur, wer aktuell sein Kreuz rechts macht. Es ist der lauernde Rest, der in wartender Position bereitsteht, sich draufzuschlagen auf den Haufen, wenn (endlich) Rechts unumkehrbar erscheint. Draufschlagen wollen ja einige. Ich kann das inzwischen auch, wehre mich. Dafür muss man nicht verrückt sein. So pushen wir die Lage. Was ich glaube, bei jeder neuen Bekanntschaft, die ich mache, kommen nach nicht so langer Zeit womöglich Leute auf den Plan, die diese Person eindringlich warnen:
„Weißt du nicht, was das für einer ist?“
Einer, der kann, was ich hier aufschreibe, bin ich wirklich, nicht harmlos jedenfalls. Liebevoll formuliert, nach Kräften immer wieder grammatisch korrigiert; mit hoher Intensität sind hier echte Erfahrungen aufgeschrieben und präsentieren sich auf eigener Website. Dabei beschmutze ich kein fremdes Eigentum. Ich halte Stil und Ausdruck soweit gewahrt, bemühe mich um Lesbarkeit und beanspruche den Raum einer noch frechen Kolumne – nicht mehr. Wer hier liest, öffnet mein Schaufenster. Da gibt es keine Kommentarspalte. Ich biete anderen keine Plattform. Ich bin nicht auf sozialen Medien unterwegs. Ob das, was ich zum Besten gebe, in unserem Land erlaubt ist, kund zu tun? Meine persönliche Grenzerfahrung will ich schaffen: Wir werden sehen. Manche schmeißen Farbbeutel an saubere Fassaden. Das ist eine Inspiration. Andere sind auch sauer. Ich kann mehr. Der Titel eines Gemäldes, bei dessen Veröffentlichung alles eskalierte:
„Malen hilft!“
Das ist ein Bild, mit dem ich zum ersten Mal auf die Idee kam, Kunst als Waffe einzusetzen. Einen Happen schmiss ich denen vor die Füße, die mich zum Affen machen wollten. Sie hatten ihr Zuckerbaby abgezogen, taten unbeteiligt, spotteten süffisant: „Ooah, du Armer –, die ist doch viel zu jung für dich.“ Das musste gemalt werden, dieses Teil. Der Leckerbissen für Haifische: „Jetzt haben wir ihn, machen ihn fertig!“ Das nackte Würmchen, ein verborgener Haken, und sie bissen an. Graffiti sind eine Straftat, aber ein Gemälde verbieten, geht das heute? Die Nationalsozialisten verbrannten Bücher, erkannten „entartete“ Kunst. Sie verfolgten Künstler. Sie vernichteten ihre Bilder. Ähnliches probierte meine moderne Bürgermeisterin heutzutage und für sich zur Selbstbefriedigung. Sie ist gescheitert.
Das freut mich schon. Macht korrumpiert. Das darf man nicht zulassen in der Demokratie. Gegen diffuse Mächte sollte ein primitives Maling nützen, auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Das gab einen Wumms! Darauf folgten Schlag auf Schlag, manche Gegenschläge, eine böse Spirale. Mich hat das aus der Ecke des Kranken katapultiert, der hilfsbedürftig um alles betteln muss. Ich bin nun ein kleines Arschloch wie die anderen. Malen hilft tatsächlich. Ich erkenne die Gegenseite trotz Tarnung. Man feuert auf mich aus sicherer Deckung, um die Lage zu vernebeln. Die anderen wollen Ordnungskräfte sein, die Guten? Sie benötigen eine Gefahrenlage. Das sind dem Geiste nach Feuerwehren, die den Brand selbst anzünden. Das nennt man verdeckte Ermittlung. Als Mediziner an der Gesellschaft operativ im Einsatz sind diese Leute wie Pfleger, die Gift spritzen, um den Patienten anschließend theatralisch zu retten. Das sind freche Lügner. Man tratscht ohne Skrupel. Ein mieses Pack in Ehrenamt und Politik lässt ein ganzes Dorf mitmachen beim Teeren und Federn. Ein solcher Mob bindet dreist die Kirche mit ein und findet manchen Idioten, der Spaß hat, den Hilfssheriff zu mimen. Man lyncht wie dazumal und gibt noch vor, der nötige Rechtsstaat selbst zu sein. Dafür wird eine Szene erst geschaffen mit einem Köder, und das ist ihr naives Opfer, es spielt mit, glaubt als Informantin in wichtiger Mission an die Rettung der Welt. Eine süße Person findet sich, die gern dabei ist? Das heißt, man hofft drauf, der Lockvogel möge bitte einen konkreten Straftatbestand provozieren, der sich lohnt.
Dafür wollte ich nicht ihr Täter sein.
Mit mir hat es nicht funktioniert. Das Mädchen hat heute selbst den Schaden, glaube ich. Die Arme ist keine stolze Siegerin einer notwendigen Aktion. Sie nimmt feige die Beine in die Hand, wenn ich auf der anderen Straßenseite zum Einkaufen spaziere, und mir geht es gut als allseits bekannter Bösewicht. Wie peinlich, wie blöd, wie armselig sind diese Leute, die das zu verantworten haben. Wir sollten uns nicht täuschen, der Staat ist immer ein mieser.
Geschenkt, dass ich nicht mehr wählen gehe. Von Jonathan Meese las ich, es hieße, „die Stimme abzugeben“, und er wolle seine behalten. Der wählt auch nicht? Man wirft uns vor, die Demokratie nicht mitzutragen, aber wir erheben unser Wort doch bunt, reich bebildert und differenziert. Das ist mehr, als bloß ein Kreuz zu machen. Das Vertrauen in die Volksvertreter ist nicht gerechtfertigt. Wahlversprechen sind nach der Wahl nur noch Versprecher: „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“ Ob Adenauer das wirklich sagte oder nur ein Bonmot uns amüsiert, noch jahrelang unterhält, das ist bitterer Humor. Es zeigt eine üble Haltung. Die erneuert sich täglich beim Betrachten von Politik. Alle Mächtigen sind pervers. Frauen unterscheiden sich keinesfalls von Männern, wenn sie ein Regiment anführen. Der Rechtsstaat soll ihnen in die Speichen greifen, wenn sie die Staatskarosse auf Abwege leiten. Geschieht das nicht, muss die Kunst ihren Pinsel schwingen und die Oberen nackt machen, dass alle sehen, was da vornweg läuft an geilen Schabracken. Dumme Weibsen wollen einen wilden Ritt? Wie blöd.
In Diktaturen fokussieren die Machthaber während ihrer Schreckensherrschaft störende Kunst und verfolgen Kreative. Mir ist ähnliches passiert, ich habe daraus gelernt. Mit der Politik kann kein Künstler, der was auf sich hält, befreundet sein. Sich sozial nennende Politikerinnen sind tatsächlich asozial? Die handeln immer bösartig, wenn ihnen das weiterhilft, glaube ich. Ich malte – und wie, und das brachte unsere Dorfpolitik in Wallung. Ein Bild ging zu weit, meine Website musste Pause machen. Kunstzensur in der Gegenwart ist möglich. Das war nicht lustig, auch nicht, was vorher gelaufen war gegen mich. Man strichelt ja nicht bloß so. Wir Künstler haben ein Motiv. Das blenden welche aus? So viel kann ich sagen, eine Verwaltungschefin (mit dem sozialen Parteibuch) nahm die junge Frau an die Hand und rannte mit ihr bis nach Pinneberg.
Mit der Anzeige konfrontiert, schaltete ich seinerzeit einen Anwalt ein. Das liegt ein paar Jahre zurück. Die Anzeige war als Denkzettel gedacht. Die Rettung der Weiblichkeit allgemein gab das offizielle Motiv. Gegen Sexismus und Schmutz wollten aktive Feministen dem Perversen, mir die Grenzen aufzeigen? Ein Schuss in den Ofen allerdings. Dieser Tritt vom Staat gegen mich sollte sitzen. Doof weil ich nicht angefangen habe mit diesem Krieg. Ich wollte nur diskutieren mit der Polizei. Mein Schreiben ans Landeskriminalamt gab den Anstoß, mich ins Visier zu nehmen? Davon gehe ich aus. Da kommt so eine schöne Freundin im Amt gerade recht, ein wenig ihr Auge auf den Spinner zu werfen, diesen gern zu haben. Dann aber soll der bitte nicht mit einer Studentin losziehen.
Abserviert.
Initiiert das Ganze von einer Frau mit provinzieller Macht, Einfluss auf die Behörden, einer, mit der ich vertraut war und noch meinte, befreundet zu sein, ein Trugschluss. Weiter und weiter machen wir. Hauen und Stechen auf dem Schenefeld, unserem Schlachtfeld. Eine bunte Blumenwiese gibt die bösen Pläne, kennt tatsächlich nur schwarz und weiß, Königin gegen Bauer. Die erste Partie damals blieb ergebnislos. Das Verfahren wurde eingestellt. Die Hinweise der ermittelnden Beamten an die Staatsanwaltschaft erinnere ich lapidar:
„Funktioniert sowieso nicht. Kunst, Meinungsfreiheit –, könnt ihr vergessen.“
Ich soll Persönlichkeitsrechte verletzen, Grenzen übertreten haben? Das geht wohl kaum durch angesichts der Realität, in der wir leben. Es gibt Kaliber. Man schaue sich die Anonymen an: Es geht nicht. Die sieht man nie. Ich andererseits bin doch gut erkennbar. Tatsächliche Täter verbergen sich. Die suchen sich einen entsprechenden Job, arbeiten gern mit Jugendlichen, betreiben ehrenamtliche Betreuung, lassen sich Onkel nennen. Sie sind auf verschiedenen Plattformen im Netz und geben sich als gleichaltrig gegenüber ihren jungen Opfern aus, das weiß man. Kriminelle (und genauso sogenannte Weltretter) verstecken sich bedeckt. Sie sind digital bestens gerüstet und technikaffin. Das ist ein schmutziger Kampf im Verborgenen. Die Polizei möchte auf Augenhöhe sein und scheint das zunehmend hinzubekommen. Die Beamten müssen sich selbst immer besser tarnen, um wie die anderen zu erscheinen, die pädophilen Monster im digitalen Dschungel. Da werden Fallen gestellt wie bei der Großwildjagd. Ein blinder Filter hat mich möglicherweise erfasst und nun probieren unfähige, den Verdacht missverstehende Laien hier vor Ort, im Dorf zu beweisen, ich sei im Auge zu behalten? Man will mich zuzeiten ködern mit in Szene gesetzten Schulmädchen. Das ist mein Eindruck. Das tut weh. Das darf man sich nicht bieten lassen.
Ich kann das Internet einzig öffnen durch einen simplen Klick auf den Browser. Der ist bei mir werkseitig von Apple vorinstalliert. Die von mir besuchten Seiten sind im Verlauf. Wozu verbergen, was jederman aufrufen kann? Ich bin in der Lage, Photoshop zu verwenden und verstehe, Entwürfe für meine Bilder zu collagieren. Dabei entstehen die Abbildungen von Menschen, die es real nicht gibt. Ich sammle keine Pornos. Ich montiere Vorlagen für Gemälde. Allein auf Pinterest, einer allgemeinen Plattform, finden sich unendlich viele Fotografien, die Väter oder selbst Mitschüler von Minderjährigen knipsen, die etwa junge Mädchen in knapper Bekleidung und aufreizender Pose zeigen. Das machen die mit ihren Bekannten, Jugendlichen, den eigenen Kindern (mutmaßlich), und diese Kleinen wehren sich nicht. Die schauen oft so irritiert. Wir Männer wollen das sehen? Diese Postings tragen zum Absender einen Fantasienamen. Die einfache Kunstkopie für alle wird ebenfalls geiler und gern genutzt. So cute: Greta Thunberg in Unterhose. (Mir gefällt es). Klickt man eines der Bilder, bekommt man anderntags hundert davon angeboten.
„Das könnte dir gefallen.“
Es ist grad umgekehrt, kriminell sind die Getarnten, nicht ich. Das fällt kaum unter Täter-Opfer-Umkehr, was ich sage, denn wo ist die Tat, die man mir vorwirft? Ich kann schreiben, ich mag es zu zeichnen. Das probiere ich, brauche Deutungshoheit, die mir geschickt genommen werden soll von Menschen, die erstens: a.) nicht malen können, zweitens: b.) selbst nicht hören, zuhören, hinschauen, lesen und schreiben können und geschweige denn, drittens: c.) alleine denken. Sie folgen blind dem Esel mit dem Namen: „Fake“. Auch ich habe mein Theater gelernt. Das macht Spaß.
Der Gedanke, es müsste Opfer geben, und sie könnten als Beschützer gelobt werden, ist der Ideengeber einer Herde. Ich provoziere diese Menschen gern. Sie traben wie Idioten im Bild: „Gurken und Rosen“. Das ist unser Dorf. Dafür möchte ich angezeigt werden. Die will ich persönlich alle zusammen nackt vor Gericht treffen. Hose runter! Ha, ha – und Schwanz abgleichen. Man schaut zurück in seine eigene Kindheit und erkennt sie wieder, heute in Amt und Würden sind es die damals Dummen aus der Schule. Das sind die, man erinnere sich, die voller Neid einen Klassenbesten verpetzten (für etwas, dass dieser nie machte).
Man weiß doch, was für armselige Mitschüler auftauchten, und die sind erwachsen geworden. Jetzt in die Politik, ins Ehrenamt gewählt, sind sie schlimmer und neidzerfressener denn je. Einige wurden tatsächlich Polizist und sind beutegeil? Alle sind integriert. Sie besetzen die Plätze und verdienen gut.
Die Schule ist aus: Mein Los war das des Klassenbesten in puncto Kunst. Es hat nix genützt. Ich bin im Leben total gescheitet. Nicht einmal zum Taxi fahren hat es gereicht. Dann hätte ich noch Außenminister (wie Joschka) werden können. Meine Kinderbücher wurden von den Verlagen abgelehnt. Schade, da hätte ich noch gut als Wirtschaftsminister gewirkt, wenn’s geklappt hätte mit wenigstens einem Büchlein dieser Art. Ha, ha, Habeck – und weg ist er. Vielleicht mein Glück, gescheitert zu sein; galt ich doch mit meiner reichlichen Info-Grafik bald als Illustrator ohne nenneswertes Einkommen. Jemand, dem das Geschick fehlt, am Markt zu verlangen, was ihm zusteht, das bin ich. Einer, der die Künstlersozialkasse verlassen musste: „Ist noch Liebhaberei, Hobby, was Sie da machen.“ Ich kann zugeben, das Geld verdient meine Frau. Das Erbe meiner gestorbenen und einst vermögenden Eltern tut sein Übriges. Die Schlussfolgerung der Nachbarschaft:
„Da kommt Spacken.“
Das hört sich live nicht nett an. Die hängen täglich saufend am Tresen und wollen noch stark sein? Ich reagiere auf Beschreier, die mich rufmorden. Das ist Verteidigung, meine Kunst. Die kann ich. Da haben sich welche vergaloppiert. Man schaut offenbar auf die Bilder, sagt: „Bäh, geht nicht“ –.
„Er ist ein Pädophiler!“ (das sieht man doch).
# Dies ist nicht, was ich unter Polizei verstehe
Ich will nerven, so scharf formulieren, wie das geht, Ärger loswerden, deutlich machen, dass ich es bin, der reagiert und keinesfalls der Staat nötigerweise Gefahren eindämmt. Dies hier soll die allgemeine und öffentliche Ansicht korrigieren. Welche wie ich, die salopp als Gestörte bezeichnet werden, müssen deutlich machen, dass vielen Kranken gelingt, besseres Verhalten zu üben, wenn man uns atmen lässt und tatsächlich als Mensch wertschätzt. Wir müssen uns wehren und unbedingt für unsere (es muss so heißen) Daseinsberechtigung einsetzen. Es läuft was aus dem Ruder. Auf den Taser folgt als Topping der finale Rettungsschuss? So ist scheinbar die aktuelle Haltung und Stufe zwei nicht selten geworden. Das ist falsch. Wir Verrückten sind in der Lage, das Bild zu drehen, es gerade zu rücken. Davon bin ich überzeugt. Mehr als eine exaltierte Einzelmeinung, möchten meine Darstellungen präzise werden. Zwischen diesen Zeilen wird nicht blind gepöbelt. Das sind keine Hasspostings. Es macht für mich keinen Sinn, Einzelne namentlich zu beleidigen, wo not tut, auf breiter Front die Gesellschaft anzugreifen. Jemand wie ich möchte kein Opfer sein und genauso wenig Täter, sondern Aktivist. Um nicht pauschal zu bleiben, ist es unumgänglich, konkrete Beispiele zu beschreiben.
Meinungsbildung zu verbieten, kann nach hinten losgehen. Maulkörbe werden zum Bumerang. Abgestrafte tauchen ab und finden alternative Möglichkeiten, um an anderer Stelle überraschend neu hoch zu kommen und mit raffinierten Ideen anzugreifen. Damit verlegen sich bislang kulturelle Aktivitäten in den wenig zivilen Dschungel und nötigen zum Rumrödeln in kleinster Gangart. Sean Connery als James Bond ist seinerzeit noch im Smoking unterwegs gewesen. Heute ist Dreck gefragt. Statt mit Blümchensex zu flirten, kommen Handschellen dran, statt Sonnenuntergänge mit Wohnzimmerpferden malt der Künstler jetzt nackte Gewalt. Beide Seiten suchen ihre Deckung. Wir schlagen keine feine Zeitung auf und lesen das noch spitzfindige Feuilleton. Die schönen Cafés stellen so etwas nicht mehr aus. Digitale Trittbrettfahrer vervielfältigen das böse Bild und ergötzen sich weltweit dran, alle Beteiligten hochgehen zu lassen wie Unterwasserminen. Harter Kampf. Dicke Knüppel werden geschwungen. Es schafft ein Arbeitsfeld für unterbelichtete Jäger. So greifen wir einander abwechselnd an.
Für eine Bürgerwehr, allen voran die Spitze der Dorfpolitik, biete ich ein interessantes Subjekt? Das ist ein Mob. Mir unterstellt man sexuelle, krankhafte Motive? Wo Fachleute verzweifelt um die sogenannte Klarnamenpflicht ringen, wie diese gegen digitale Plattformen durchzusetzen sei, möchte ich darauf hinweisen, dass meine Anschrift im Telefonbuch steht. Ich verwende kein Smartphone. Ich telefoniere Festnetz. Diese Website hat ein Impressum. Trotzdem, meine Reputation ist im Arsch. Niemand würde mich als Zeichenlehrer einstellen, und ich, ehrlich gesagt, habe auch keine Lust drauf. Wie blind muss eine Gesellschaft sein, die bereitwillig Täter übersieht, die etwa durch Onkelhaftigkeit glänzen möchten und gerade nicht offen daherkommen, die Jobs in der Kirche, den Kitas, den Sportvereinen und überhaupt Schulen geradezu suchen? Allein mein (im Nachhinein denke ich, naives) Verhalten, mich selbst wie scheinbar nackt, öffentlich auf einen Teller zu stellen, lässt diese tumben Ärsche hier abgehen wie Raketen. Meine Bilder, meine Texte werden zum Instrument ihres Beweises? Vorbestraft bin ich einzig, weil ich den Mann schlug, der mich direkt vor Ort öffentlich diskreditieren mochte – und blöd genug gewesen ist, das bei einem Freund von mir zu tun. Dazu kann man wohl ohne Reue stehen. Die Bildzeitung braucht noch Kolumnisten. Los doch.
Geht hin!
Das gibt sogar gewöhnlichen Menschen eine Hypothese, sich zum wehrhaften Polizisten und im weitesten Sinne Erzieher aufzuspielen? Mein Hiersein provoziert Kreise, Maßnahmen zu ergreifen, so kommt mir das vor. Da begreife ich mich als denjenigen, der „nicht geht“ (gar nicht) an der Seite einer Bürgermeisterin, die was auf sich hält (und von sich). Mit wem man durch ist in diesem Sinne – nach mehr als zwanzig Jahren hier im Dorf ist es unausweichlich, auch solche dabei zu haben –, dürfte bekannt sein. Entsprechend passiert man einander und ignoriert unangenehme Gestalten nicht. Das war’s, und gut ist. Nicht schlimm. Mein Problem ist ein anderes. Da sind einige, die sich zunächst nicht unterscheiden vom alltäglichen Drumherum. Die fürchten mich nicht, weichen nicht aus: Besondere Personen gehen scheinbar auf mich zu. Das könnte einfach die Freundlichkeit sein, „den Künstler“ ein wenig kennenzulernen? Ich meine hier Menschen, von denen ich nicht wirklich weiß, wer sie sind, die meine Bekanntschaft suchen, sich nach meinem Befinden erkunden.
„Guten Tag“ sagen kann ich und mag es.
Ich muss begreifen und lernen, im überschaubaren Rahmen prominent zu sein. Das verstehe ich. Es mag Leute geben, die nur so die Nähe suchen? Die meine ich nicht. Mir schwant, es gibt faule Eier in dieser Packung. Diese zu separieren, hält bei mir aufkommende, neurotische Ideen in Schach.
# Ich probiere, etwas herauszufinden …
Gibt es Personen, die meinetwegen aufbrechen? Das wäre verstörend. Denkbar sind Zeitgenossen, die sich hinter einer Fassade verstecken, was sie eigentlich machen. Im Besonderen könnte ihr Tun sogar gezielt etwas mit meiner Existenz bedeuten; das muss man prüfen. Tut man es nicht, dürfte dieses Denken unterbewusst an Fahrt gewinnen. Ich habe eingangs skizziert, die einen sind natürlich, ganz normal und einfach so unterwegs. Sie haben ihre Motive, gehen einkaufen, was weiß ich? Doch scheinen da spezielle Spielfiguren die Szene anzureichen, mit denen stimmt was nicht, und zwar exakt in Relation zu meiner täglichen Gewohnheit, ins Dorf zu laufen.
Wer mit der Fragestellung aus dem Haus geht: „Wo ist Bassiner, in welche Richtung unterwegs“, könnte das noch aus einer Deckung hinbekommen. Das reicht nicht? Man möchte nebenbei gemocht werden und auf schäbige Weise Vertrauen gewinnen. Das habe ich angenommen. Eine beunruhigende Vorstellung. Es ist mehr dahinter, vorgeblich natürlich zu wirken als Nachbar, jemand aus der Straße sein zu wollen. Solche Agenten, die ich meine, sind Laienschauspieler und in der Sache unehrlich. Das sind keine Freunde. Man entwickelt die unbestimmte Ahnung, jemand will da was von mir? Der andere ist irgendwie aufdringlich.
Das ist keine allgemeine Freundlichkeit, naive Beschränktheit, einer der eben zwanghaft quatscht: Jemand gibt den Labertyp und ist zu klug dafür. Ein anderer macht auf „netter Onkel“, und das steht dem mir gegenüber nicht zu. Eine Alte spielt die sympathische Trutsche und kommt immer angeschissen mit so Sachen, die könnte ich doch machen? Welche sind mit der Bürgermeisterin befreundet, andere weniger, und ich bin auch da. Das ist unser Dorf. Mehr noch, mit K. sitze ich im Café. (Ich sollte ihn W. nennen, Wildschwein). Wir schauen auf den Parkplatz. Eine Frau geht vorbei. Er macht mich drauf aufmerksam: „Kennst du die?“ Ich sage: „Ja“, und erkläre, „das ist S., sie wollte …“ Später geht eine andere vorbei, und wieder ist es mein „Freund“, der auf diese Bekanntschaft hinweist: „Die trifft man auch überall …“ Ich sage: „Wir …“, und erkläre, was mich mit der Frau verbindet. Wenn man dazu noch weiß, was B. macht, das wurde immer angedeutet im Kreise meiner, ich sage mal, Spitzenfreunde, erklärt sich manches. Heinz Erhard gibt das passende Stichwort:
„Der Eber, der ist missgestimmt, weil seine Kinder Schweine sind.“
In jeder Gastro weiß man Bescheid. Ich gehe essen und kenne viele Menschen ein wenig, man redet. Dazu kommen fadenscheinige Identitäten, die doch unübersehbar in denselben, oben angedeuteten Kontext gehören.
Eine feige Sau ist erkennbar Polizist im Ruhestand, so doof, und der dreht sich weg, wenn ich ihn anschaue. Er kennt mich todsicher und hat eine Akte von mir im Gehirn. Der ist das geistige Zentrum der Kaufhausdetektive in sämtlichen Ladenstraßen und überhaupt. Ein blöder Senior, ein einsamer Wolf, der nicht aufhören kann.
Das Erreichte ist kaum gewünscht: Ich finde Polizei nur noch eklig. Eigentlich genauso meine Dienstleister, bin ich doch tatsächlich auch ein Bürger dieser Gesellschaft, bleibt mir keinerlei Vertrauen in die Freunde und Helfer. Falls Kollegen nicht in der Lage sind, ihrerseits aufzuräumen mit solchen Subjekten in der Truppe – und ich habe Wehrdienst geleistet, kenne Korpsgeist –, da graust einem vor unserer Zukunft. Wo bleibt der Rechtsstaat, wenn deren Hüter ihn verbiegen und die Macht, die sie haben, missbrauchen bis rauf in die Spitzen der Politik bei uns etwa im Rathausturm? Es scheint dem Apparat nötig, zum Zwecke der Egomanie, persönlicher Eitelkeit und einigen im System besonders, um ihre Beute als Polizist zu machen, über Leichen zu gehen, bis der schöne Rahmen gesetzlicher Strukturen dem Anvisierten eine Kiste wird, so oder so.
Ich bin nicht der Einzige, der verschworenes Zeug über die Rechtmäßigkeit ihres Tuns unserer Beamten schwurbelt. Eine Behörde, die täglich protzt, wie sie „verdeckt“ ermittelt, muss sich nicht wundern, ein Staat nicht erstaunt tun, wenn mehr Menschen sich vor der Polizei fürchten. Als Bürger können wir den Wachtmeister nicht erkennen, wenn dieser wie jeder hundsgemeine Einbrecher arbeitet. Wo der Generalstaatsanwalt einen Generalverdacht gegenüber der Bevölkerung installieren darf, sind wir im Unrechtsstaat angekommen. Das könnte passieren. Wenn der internationale Druck und die Konkurrenzsituation zu bekanntermaßen verbrecherischen Staaten uns – als Gesellschaft dieses Planeten – pervertiert, es im Inneren anzugehen wie Russland, China oder die Türkei, sollten wir aufhören, diese Länder ihres Unrechts zu beschuldigen. Wir könnten einsehen, dass die Demokratie und der freie Westen überhaupt gescheitert sind. Das Modell, wie das hinzubekommen ist, gibt uns aktuell Amerika. Man fasst es nicht! Dort demontiert man neuerdings täglich die Rechte der Menschen, und die wählen sich ihren Kaputtmacher gern selbst. Der so wiederkehrende Polizeistaat kultiviert den gemeinen Bürger zum Denunzianten, bindet die normalen Leute mit ein, ermuntert jedermann, seinen Nachbarn zu lynchen. Ich erlebe das schon heute bei uns. Mich könnte man in eine Randgruppe einrastern? Damit ist jeder Psycho verdächtig. Dieses fadenscheinige Pack: Ein verborgenes Motiv steht im Raum. Der jeweilige Observant verfügt offenbar über die Fähigkeit, mich regelmäßig abzupassen? Es lohnt, dem nachzugehen meinerseits. Man lernt, Paranoia zu trennen vom nicht unbegründeten Verdacht. Darüber bloß zu reden, führt zu nichts. Niemand wird einen ernst nehmen. Diese Begegnungen zu zeichnen, bedeutet eine Verteidigungsstrategie und gibt die Basis zukünftiger Begegnung, auf Augenhöhe zu sein mit dem Unausgesprochenen.
Ich bilde mir das ein? Oh, da ließe sich manches beschreiben, erzählen. Ich weiß ja selbst, wie lächerlich ich rüberkomme. Es ist nicht komisch. Mein Gegenbeispiel findet sich direkt vor der Tür. Ein Parkplatz, auf den ich sehe, wenn ich im Atelier bin. Die meiste Zeit vom Tag bin ich hier, zu Hause. Dauernd schaut man nebenbei auch aus dem Fenster. Das ist ja ganz normal. Genauso normal ist wohl, zu registrieren, wer dort parkt vor dem Restaurant. Es gibt Kunden der Geschäfte, irgendwelche Wagen und Autos, die hier sowieso hingehören. Das weiß man irgendwann. Man kennt die Fahrer, Fahrerinnen und ihre Gewohnheiten. Eine hübsche junge Frau ist auch dabei. Sie fährt ein kleines Auto. Das Fahrzeug ist gelegentlich nicht auf seinem Platz. So bekomme ich mit, dass sie es nutzt, und später steht der Kleinwagen wieder da. Es kann tatsächlich bis zu drei Monate dauern, dass ich diese Fremde beim Ein- oder Aussteigen selbst sehe! Obwohl ich regelmäßig mitbekomme, dass ihr Wagen fortgefahren ist, sie also eingestiegen sein muss, abgefahren ist. Das meine ich, das ist Zufall, und wer rechnen kann, versteht.
Es hilft mir, bei Verstand zu bleiben.
# Gar nicht ignorieren
Eine Art Kunstinstallation im Alltag? Ich trete ein für meine Gruppe, die gefährlichen Psychos. Sie haben sonst keine Stimme. Mein Menü „Schenetz“ will zeigen, wie geradezu kreativer Schießsport eine Methode bietet, die aktuellen Verbote (Waffen dabeizuhaben, etwa im Nahverkehr) auf die Schippe nehmen kann. Statt irre ein großes Messer in die Tasche zu stecken und damit herumzufuchteln, zücke ich jedes Mal provokant meinen Kugelschreiber und mein Skizzenbuch, sobald jemand auftaucht, der mir nicht geheuer ist. Paranoia für alle: Das trennt die Spreu vom Weizen. Die einen beginnen unbeeindruckt ein nettes Plaudern mit dem Künstler, aber manche winden sich irgendwie, von mir so anvisiert zu werden, von jemandem gezeichnet, den sie zwar bestens kennen, aber von dem sie so nicht gesehen sein möchten, angestarrt und eingefangen wie ein Fischlein im Netz. Ein böses Projekt zugegeben, wenigstens noch mit einem Rest Humor meinerseits. Das ist ein Witz, über den ich allein lachen muss, die fiese Karikatur und ganz bestimmt eine Grenzüberschreitung. Ich weiß, es gilt als Verletzung der Persönlichkeit von erstmal Hilflosen.
Mal sehen, wie das weitergeht.
Ich bin kein Menschenfreund, das hat sich entwickelt, und möchte doch gern erkennbar sein, frech und unverfroren skizzieren! Mein Kunstprojekt soll der scheinbar hilflosen Gesellschaft klar machen, dass eine dumme Masse sich nicht wirklich schützen kann vor sogenannten Gefährdern, dass diese blöde Herde aus Schafen besteht, die Populisten nachläuft. Die Leute, die sich aufregen, sind selbst schuld, und darf man das vergleichen, so verhalten wir uns dem Wolf gegenüber. Man wollte dieses Tier renaturieren und hat den Salat. Menschen reagieren über. Die Politik forcierte Multikulti, aber nicht alle möchten das noch. Heute zeigt sich die Gegenwart in Hamburg wie eine Kulisse von Kojak damals. Was ist so schlimm daran? Wir erklären wichtige Änderungen. Das ist Aktionismus pur. Wer im Bus mitfährt, darf kein Messer bei sich haben. Das belustigt mich. Wer im Begriff ist einzusteigen, darf schon an der Haltestelle keines bei sich führen. Haha, und wer neben der Bushaltestelle auf dem Gehweg spaziert, genießt die Freiheit, bis an die Zähne bewaffnet herumzulaufen? Was ist eine Waffe in diesem Sinne, da nehme ich meinen Kugelschreiber in die Faust und springe euch unvermittelt an, steche Idioten noch die Augen aus damit.
Weil ich irre bin.
Drauf gekommen, was ich an dieser Stelle zeichnend machen will, kam ich durch einen Leserbrief zum aktuellen Thema „Waffenverbote“. Inzwischen gibt es Gesetzesänderungen. Im Nahverkehr (oder auf dem Hamburger Dom) dürfen Menschen keine Waffen dabeihaben. Nur wenige Jahre zuvor hatte die allgemeine Gesellschaft noch lustvoll aufgerüstet. Nicht wenige machten einen „Kleinen Waffenschein“, und auch Softair-Pistolen schafften sich die Leute gern an. Das kam in den Medien. Darüber wird nicht mehr berichtet. Was vor einiger Zeit als schick galt, verschweigt mancher heute lieber.
Waffen verboten! Als die neuen Regeln debattiert wurden, ereiferte sich ein Senior im Tageblatt, er trage seit der Jugend ein Schweizer Messer in der Hosentasche. Das wäre ein Geschenk von seinem Vater gewesen. Wenn er nun auf den Weihnachtsmarkt ginge, müsse er dieses Wandermesser daheim lassen? Der regte sich auf nach dem Motto: „Früher war alles besser!“ Ein Leserbrief zum Schmunzeln. Man stellt sich den Entrüsteten als biederen Opa vor, der draußen Rast macht, seine Stullen auspackt, den mitgenommenen Apfel fürs Enkelkind schält und allgemein Häppchen verfüttert. Heile Welt. Nun befürchtet der Gutmann, auf dem Volksfest abgetastet zu werden und Strafen drohen? Angesichts der Gewalttaten in der nahen Vergangenheit muten die Worte des Seniors albern an. Abbildungen von Messern in Medien zeigen, was gemeint ist. Waffen von Menschen, die zur Wahrung ihrer Ehre gewaltbereit handeln, sind keine Spielzeuge.
# Schutz der Person
Handelte der Gesetzgeber nicht, würden die Rufe nach Konsequenzen überlaut, insofern eine verständliche Entscheidung. Mir ist dennoch mulmig. Nicht weil uns überall Terror droht, sondern weil man die Zügel anzieht, wo es geht. Es ist ein Zwang in Gang gekommen. Neue Forderungen überbieten die geltenden andauernd. Wo führt das hin? Der Staat schaut hin. Die Bürger schlagen zurück. Die in der Hosentasche heimlich geballte Faust kann nicht kontrolliert werden. Ich frage mich also (wo es heißt, die Meinungsfreiheit sei in Gefahr), ob unser freies Wort noch mitgeführt werden darf? Man macht Gesichter unscharf, um Persönlichkeitsrechte zu wahren. Gerichtszeichnungen sind erlaubt. Wo ist die Grenze, das will ich wissen. Das eigene Hirn voll böser Gedanken oder ein Skizzenbuch plus Stift, um Gesehenes festzuhalten: Ist das eine Waffe in meiner Jackentasche, wenn ich’s dabeihabe?
Jemand könnte mich anzeigen. Wie wichtig würde das genommen? Käme es zum Prozess oder stellte man ein nebensächliches Verfahren vorher ein? Wie weit geht bei uns der Schutz der jeweils abgebildeten Person, wie weit reicht umgekehrt mein Recht, die Meinungsfreiheit und Gestaltung kreativer Ideen in einem freien Land, im weitesten Sinne der Selbstschutz meiner Person? Darf ich selbst angreifen (wie Nethanjahu den Iran) mit einem erlaubten Mittel (mein Motiv: Die wollen mich fertigmachen), das als Rechtfertigung, komme ich damit durch? Betreibe ich Kunst oder Beleidigung, und klagt jemand überhaupt oder interessieren sich die, die es angeht, gar nicht für diese „Kritzeleien“, wie sie’s wohl nennen? Ich hoffe, bei dieser feisten, sich verbergenden Gegenseite einen Nerv zu treffen …
Das auszuprobieren, war die Intention für dieses Projekt – und ja, nach einem Monat schon haben „wir“ geredet.
Ich werte das als Erfolg.
Augenhöhe erzwingen, aktiv abrüsten, das wären so Gedanken. Ein Lächeln drängt sich mir auf, angesichts der Lächerlichkeit vom ganzen Projekt. Einen Keil in diese diffuse Truppe, die mehr sein dürfte als eine Fata Morgana, kann ich treiben. „So schlimm ist er ja doch nicht“, könnte das Motiv der Abtrünnigen einer Pseudopolizei sein: „Ich bin –, wir sind nicht mehr dabei.“ Meine mit Augenzwinkern, lustvollem Scribbeln angegangene Aktion dürfte uns insgesamt auf die Schippe nehmen. Ich möchte den harten Kern der Kriegstreiber aufweichen. „Suche Frieden. Warte nicht ab, dass dieser dir von selbst geschieht“, sage ich in Abwandlung vom Psalm und finde mein Motto. Eine derbe Sprache, eine böse Skizze hier und da: Das möchte kein Schlag mit der Faust sein, stattdessen ein beherzter Denkanstoß.
Es kann so stehenbleiben, denke ich.
# Schuss!
Die wohlmeinende Gesellschaft will regulieren. Sie drängt den Einzelnen in die Mittelmäßigkeit, falls jemand mit eigenen Ideen kommt. Soziale Strukturen greifen, wo Menschen zurückbleiben. Und auch hier ist das Bestreben, Schwächere dem Mainstream anzugleichen. Wer sich behaupten kann, genießt Sportlichkeit. Ein individuelles Profil muss man sich erarbeiten. Im Wettbewerb die Oberhand behalten, sich als Gewinner darstellen, das sind wir. Wer kollabiert, soll gefälligst hilfsbedürftig um Anerkennung buhlen – und bekommt trotzdem Gegenwind. Bevor die Gesellschaft einen Sünder wieder aufnimmt, muss der sich doppelt beweisen. Die alltäglichen Kränkungen einzustecken, gelingt nicht mehr: Da werden als „psychisch krank“ Beschuldigte kreativ. Ich bin so einer. Ich stelle mir die Frage, wie es möglich ist, der Pauschalität zu trotzen?
Blockade.
Man tut bestenfalls wenig für andere, geht nicht zur Wahl, ignoriert das Woke-Sein.
Sand in das Getriebe streuen, Graffiti gefallen mir. Was den Leuten als Schmutz gilt, kann nicht beseitigt werden, ohne tausendfach wiederzukommen. Wie könnte der Einzelne dem gut Situierten Psychoterror bereiten? Spazieren gehen ist erlaubt. Zeichnen ist nicht verboten. Alles, was nicht als strafbare Handlung gelten kann (aber Panik auslösen dürfte), muss man probieren. Das empfiehlt die Kunst. Andernfalls gibt es keine sozialen Erfolge gegenüber dem Umfeld. Einer wie ich kann nicht einfach in Frieden leben. Wir sind das willkommene Material für Weltretter. Solche möchten sich auf Kosten der Schwächsten profilieren. Sie nageln „Gestörte“ fest. Wir benötigen Hilfe? Davon sind Gutmenschen überzeugt. Die fragen nicht. Sie greifen ein wie der dumme Junge, der ungebeten eine fremde Seniorin über die Straße zerrt.
…
2 MEINE VRWNDTE*
Das schlägt dem Fass seinen Boden aus!
Noch eine Geschichte, und sie gehört zeitnah dazu, ist symmetrisch. So sind Menschen. Ich schweife kurz ab, übertreibe absichtlich. Medizinverbrechen sind wiederholt ein Thema auch im Rechtsstaat, wie das etwa bei Dürrenmatt skizziert wird. „Der Verdacht“, heißt ein schmaler Band, wo der alte Kommissär Bärlach schließlich Emmenberger stellt. Der ist ehemaliger KZ-Arzt. Sein Hochvergnügen war gewesen, im Vernichtungslager ohne Narkose zu operieren, sinnlose Eingriffe mit dem sadistischen Ziel, Hilflose zu quälen. Damit macht der fiktive Protagonist nach Kriegsende tatsächlich weiter. Der Psychopath im Roman betreibt eine Edelklinik und quält nun Reiche, die glauben, nur dieser Spezialist könne sie noch vor dem Tod durch eine schlimme Krankheit retten? Der Arzt im Buch hat sich eine neue Identität verpasst. Solche Menschen gab es tatsächlich. Werner Heyde wird beschrieben, der in Flensburg Unterschlupf fand, als Arzt tätig war, später angeklagt wurde, sich in der Zelle erhängte. Er gilt für die Morde an über 80.000 Behinderten und Kranken verantwortlich und wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weltweit mit Haftbefehl gesucht. Er blieb skrupellos aktiver Mediziner und fand eine neue Wirkungsstätte bei uns im Norden. Seine psychiatrischen Gutachten waren weiter gefragt, obwohl Kollegen ihn erkannten. Der Mann wurde von vielen gedeckt. Lange nach der Kapitulation der Nazis konnte er in der jungen Bundesrepublik noch unbehelligt unter seinem Pseudonym Fritz Sawade arbeiten. Immer wieder geschieht Missbrauch und überhaupt Machtmissbrauch gegenüber psychisch Kranken – auch heute.
Gustl Mollath kommt einem in den Sinn, ein Justiz- und Psychiatrieopfer der jüngeren Zeit.
Labile Menschen werden Opfer. Im Fokus stehen Kriminelle, aber wir sollten uns nicht täuschen, das Böse bloß unten in der Kammer wahrnehmen zu wollen und den weißen Kittel oben übersehen. Im Bereich körperlicher Übergriffe werden nicht selten Menschen zu Tätern, die in der Medizin zu Ansehen kommen. Sadisten sind keine Monster der Vergangenheit. Die Festnahme im Fall „White Tiger“ ist aktuell. Ein noch bei seinen Eltern wohnender Medizinstudent hat das Cybergrooming auf die Spitze getrieben und Jugendliche zum Suizid angestachelt.
Zitat:
… endlich, nachdem seine Mutter es zuvor stundenlang zunehmend verzweifelt darum gebeten hatte, die Tür seines Kinderzimmers öffnet … was die Mutter dann auf dem Oberkörper ihrer Tochter sieht, übersteigt noch ihre Befürchtungen: Zeichen, Namen, ein Hakenkreuz, alles eingeritzt in ihre Haut. Kurz zuvor, wird Trinity ihr später gestehen, habe sie versucht, sich das Leben zu nehmen, live übertragen in einem privaten Kanal auf der Plattform Discord, bedrängt, provoziert und angestachelt von dutzenden Männern.“ (Sonnabend, 5. Juli 2025, Lübecker Nachrichten).
Zitat Ende.
Der „weiße Tiger“ könnte von den Eltern eines psychisch schwach aufgestellten Kindes leichthin als böser Mitschüler gesehen werden. Der Täter gilt als (selbst noch) junger Sadist, kranker Krimineller, wie es sie gibt, schlimm sei „das Internet, die Plattformen müssten aufpassen“, und so weiter reden Menschen, und das war’s? Kommt ihr Kind weiter nicht klar, und der Chefarzt einer Klinik erklärt diesen Angehörigen später seine Diagnose – die Programme, die nötig seien, angefahren zu werden –, blenden die tatsächlichen Verantwortlichen des Leides, die Eltern, nur zu gern aus, was sie selbst dazu getan haben, dass ihr Sprössling scheiterte. Nicht jedes Kind ist schließlich empfänglich dafür, missbraucht zu werden. Das schreiben? Da wird man als Autor angefeindet, man bediene ein ungültiges Narrativ, betreibe Täter Opfer Umkehr. Es gibt aber tatsächlich starke, kleine Persönlichkeiten, die viel weniger gefährdet sind, und ich glaube nicht an ein genetisches Schicksal, dass sie zu solchen machte.
Wir ziehen Grenzen, definieren Schubladen, wollen Ordnung schaffen, beschreien die Unbescholtenheit, wo es geht. Alles soll sein wie im Pixibuch: Der Maler malt, der Busfahrer fährt den Bus, der Polizist schützt die Leute. Eltern sind aber nicht gleich Eltern. So verschieden, wie Menschen sind, Lebensläufe, so sehr potenziert sich diese Unterschiedlichkeit noch dynamisch in jeder Beziehung. Das fällt nicht wenigen schwer einzusehen und noch schwieriger ist, nicht nur sich selbst zu ändern, sondern die Familie insgesamt nachzujustieren. Da ist Verdrängung typischer als gesunde Anpassung. Wir wollen Klarheit und nicht erwachsen sein, nicht das Chaos aushalten, nicht die Zeitenwende wahrhaben, nicht an den Klimawandel glauben. Wir fliegen weiter in den Urlaub, wollen unser Auto, und fette Pommes wollen wir – wie immer. Wir wollen ewig leben usw. Die Sachen sollen sein, wie sich’s gehört. Das darf nicht sein, „dass so etwas hier passiert“, diesen Satz hört man, liest ihn immer wieder, falls sich ereignet, was die Leute gern im Krimi anschauen, aber nicht nebenan mitbekommen. Wir wollen nicht belangt werden. Wir waren es nie, es sind andere schuld. Normal ist die grundsätzliche Rechtfertigung, Beschuldigung anderer, und letztlich, ihre Bestrafung zu fordern. Das tut weh, wenn man selbst das scheinbar weniger gut kann, ungeschickt bleibt und mehr einsteckt, als effizient austeilt. Die anderen sagen es trotzdem:
„Gerade du! Du merkst wohl gar nicht, was du für ein Arschloch bist.“
Das Letze ist der Gesellschaft ihre notwendige Einsicht, wie auch heute Ärzte ihre Macht missbrauchen, und in der Psychiatrie ist schon die Standardbehandlung mit einem großen Fragezeichen zu versehen, ob das Übliche zur Gesundung der Patienten führt? Jede andere Fakultät dürfte eher zum Thema „Ärztepfusch“ Stellung beziehen. Im Übrigen, wer Medizin studiert, kann später Chefarzt werden – und auch Täter sein.
Wir müssten bei solchen extremen Beschreibungen nie ausblenden, dass eine fließende Grenze vom Helfenden zum kriminellen Täter verläuft. Niemand kann sich darauf verlassen, dass alle Polizisten ausschließlich Gute sind, die Psychiater von heute nette Therapeuten. Wir möchten gern Opfer erkennen, weil wir sie als welche verorten, Täter beschreiben, wo wir diese sehen – und sei es zum persönlichen Vorteil, Lustgewinn. Das beschriebene Mädchen Trinity führte ein Werkzeug, Messer oder die Nadel selbst, um sich zu ritzen. Suizid wird auch Selbstmord genannt. Die Tat verübt so jemand mit eigener Hand gegen sich selbst. Im weitesten Sinne wäre jeder psychisch Kranke Opfer wie auch Täter (gegen sich), weil so jemand, statt für seine Existenz zu sorgen, gegenteilige Aktivitäten anschiebt, die letztlich schaden. Da liegt wohl nahe, die eigentliche Kriminalität außerhalb zu begreifen? Der Verbrecher wäre einer, der entsprechend schwache Menschen ausfindig macht und aktiv zu quälen beginnt. Täterschaft ist jedoch ebenfalls bei den Eltern gegeben, die ihre Kinder mehr unabsichtlich zu etwa Borderlinern machen. Es gibt wenige Erzieher, die einsehen, was in ihrer Familie schiefläuft und lernen, es besser zu machen. Das Böse findet sich überall in der Gesellschaft, die, statt Kranke zu integrieren, Schwächere weiter ausgrenzt und sogar in den Tod treibt. Das würden etablierte Ärzte, Psychiater, Psychologen ungern zugeben, dass ihre Einrichtungen auch heute manchen Missbrauch machen.
Therapie soll Kranke lehren, sich effektiv zu verwenden, zum eigenen Vorteil. Wenn die nötige Hilfe entartet, dass Helfer ihren Einfluss missbrauchen und sei es unter dem Deckmantel, Gefahren und damit auch Risiken von der Gesellschaft insgesamt abzuwenden, passiert hier nichts weiter als sadistischer Machtmissbrauch. Ich kann aufzeigen, dass das bei uns heute geschieht. Mir ist klar geworden, wie angesehene Politik, Gesundheitsapostel und ein primitiver Mob es schließlich schafften, juristisch nie angreifbar, Kriminalität gegen meine Person auszuüben, eine Art Spinnennetz zu installieren. Ich durchtrenne es täglich. Dagegen hilft allgemein Zivilcourage, und die fordere ich kreativ ein. Ich lernte, den Spieß umzudrehen. Mit meiner Harpune steche ich zu. Es ist ein Kugelschreiber geeignet, feige Fische zu fangen.
Mein Erleben mag vergleichsweise harmlos scheinen. Ich trage dick auf, weil ich zynische Vorteilsnahme gegen mich erfahren musste und das unlängst. Mich verdeckt angreifen und noch erhaben wirken als Gestalter vorgeblich notwendiger medizinischer Eingriffe wollte eine Verwandte und ihre schmierige Verbindung. Wer auch immer diese Hinterlist motivierte, das muss erzählt werden, soweit ich’s belegen kann. Das ist mehr als Deutungshoheit beanspruchen, meine Bürgerpflicht aufzuschreiben.
Bei uns in der Familie nistet scheinbar eine, die ihre – auf dem zweiten, dritten oder soundsovielten, dubiosen Bildungsweg erworbene – Ausbildung zur Heilerin aufgeilt, mehr zu sein, als bloß Laborantin eines nicht mehr benötigten Blut- und Pisseprüfzentrums. Sie macht im eigenen Wintergarten auf Psychotante und hat zu tun. Die Verlogene, die mich nie mehr als gelegentlich sieht auf beispielsweise einer Beerdigung, wo man eben hin muss, stellte einen Antrag bei Gericht. An der Elbe reden die Segler. So hat mir der Küstenklatsch das Unfassbare später zuverlässig zugetragen. Das in der Sache undefinierbare Schreiben kam allerdings von der Behörde selbst. Die Antragstellerin wurde nicht genannt. Der Grund des Behördenbriefes wurde nicht genannt. Der aktuelle Anlass des Schreibens wurde nicht erwähnt:
„Herr Bassiner, es ist geplant, Sie unter Betreuung zu stellen!“
Ein Schock.
Das kam aus dem Nichts. Was sollte das denn? Wer war auf diese Idee gekommen mit welcher Intention? Darf der Staat einen so anschreiben, können die das bei jedem machen, fragte ich mich und fing an, zwischen suizidalen Absichten, den Laden hier endgültig zu verlassen und bizarren Kampfgedanken hin und her zu schwanken. Ich malte mir aus, alles könnte eskalieren. Ein vom Gericht bestimmter Mitarbeiter stellte sich womöglich in naher Zukunft bei uns an der Wohnungstür vor? Ich ließe ihn freundlich herein, dann aber ginge das Gemetzel los mit dem großen Küchenmesser, der Axt von meinem Vater und so weiter. Das dachte ich zu tun.
Tatsächlich bin ich cool geblieben.
Wirklich kamen anderntags zwei vom Gesundheitsamt, klingelten. Das Ankündigungsschreiben ihres spontanen Besuchs hatte ich erst Minuten vorher im Briefkasten vorgefunden. Meine Frau bremste mich auf der Kellertreppe: „Warte!“, wo wir gerade am Ausmisten waren, Sachen nach oben schleppten. Mein erwachsener Sohn öffnete fröhlich. Das kurze Gespräch hörten wir Eheleute hochvergnügt in Deckung mit. Das lautere und entspannte Wesen meines smarten Nachkömmlings machte Eindruck. Er gab nichts preis. Sein Papa wäre „nicht zu Hause“, log er sie frech an …
Ich habe seinerzeit einen Anwalt eingeschaltet. Der positionierte sich als Bevollmächtigter bei Gericht, und wir warteten ab. Nach drei Wochen kam ein neues Schreiben, aber an mich selbst adressiert.
Ein Zettel, kaum mehr:
„Herr Bassiner, es ist nicht länger geplant, Sie unter Betreuung zu stellen.
Mein Anwalt reagierte sauer, er würde übergangen, und wer überhaupt den Antrag gestellt habe? Wie das begründet wäre, müsse man herausfinden. Ich habe abgewunken, dachte, da kommt noch was.
# Unkraut
Zu der Zeit malträtierte mich ein enger Verwandter beinahe täglich mit langen Mails. Mit dem Tod meines Vaters wurde ich hälftig Geschäftsführer einer Immobilie, genauer ist hier mein Elternhaus gemeint. Ich probiere, deutlich zu schreiben, ohne andererseits die Namen der Beteiligten eines lang dauernden Streitverfahrens zu nennen, was nicht ganz einfach ist. Als unparteiischer Berater und Schlichter von mir angefragt, hatte mein scheinheilige Freund bald massive Präsenz in dieser Sache erlangt. Seine finanzielle Kompetenz ist nicht zu bestreiten. Er forderte, ich müsste zugunsten meiner Giersch* (Fantasiebezeichnung, geändert zum Schutz der Person), für deren konträre Position er sie stärken mochte, einwilligen, das kürzlich gemeinsam übernommene Geschäftshaus, das hauptsächlich ich verwaltete, millionenschwer zu verkaufen. Wir zwei Erben lebten gut von den Mieteinnahmen. Dennoch müsse das Objekt zügig weg, fanden die, sich immer deutlicher gegen mich Verschwörenden. Zwei zu eins, mahnten sie bequem aus der Distanz, wo die bald unverfroren gemeinsam Auftretenden ihren Lebensmittelpunkt haben am Rhein und noch weiter unten im Land. Ich hätte ja bereits ein privates Haus für mich und müsse einsehen, dass nur viel Geld auf einen Schlag vergleichbare Werte schaffen könne für sie, meinte meine Giersch –, meinte das primitive, wuchernde, bald besser vernetzte Kraut und wuchs sich noch aus. Wie konnte ich nur glauben, dass wir künftig vereint und zusammen klarkommen könnten? Da hatten sie einfach recht zu erkennen, dass das nie was würde. Auf dem Höhepunkt der Immobilienpreise war ihr Argument: „Jetzt ist’s grad günstig“ nicht leicht von der Hand zu weisen. Meine Position, das Erbe als anfassbare, stabile Wertanlage mit unserer traditionellen Geschichte und somit auch verpflichtender Vergangenheit zu nutzen, wäre falsch. Emotionen wären fehl am Platz. Außerdem könne ich, juristisch betrachtet, dauerhaft keinen Streitfall durchhalten. Das war die Drohung. Sie wurde laut, dann lauter vorgetragen. Die Haltung, es bliebe Zeit, eine freundliche Lösung zu erreichen mit etwa einer alternativen Partnerschaft, die sich einkaufen könnte, akzeptierten meine Verwandten nicht. Ich wurde als Taktierer diffamiert. Falls ich diesen nötigen Verkauf blockierte, zöge man vor Gericht und könne die Zwangsversteigerung direkt erzwingen.
Die Vorgeschichte, das muss ich erzählen.
Seit der Erkrankung meiner Eltern blieb meine Verwandtschaft über Jahre auf räumlicher Distanz im Süden Deutschlands. Wir kümmerten uns praktischerweise. Meine Frau und ich pflegten die todkranken Eltern. Das zeitnahe Verlegen in ein nötiges Zimmer der Sterbeeinrichtung meiner ob ihrer Erkrankung verwirrten Mutter, wo sie kurz darauf verstarb, schaffte ich schließlich zügig mit Hilfe einer langjährigen Freundin im Hospizdienst. Die zuständige Hausärztin giftete meine Frau und mich an, es stünde uns nicht zu, das durchzuziehen. Fürsorge versus Ausbeutung, wir haben das Spiel gewonnen, beraumten schließlich nach dem Tod meiner Mutter ihre Beerdigung an, kauften eine Grabstelle, orderten den Stein, zahlten Friedhofsrechnungen. Die regelmäßigen Besuche bei meinem Vater im Pflegeheim zeigten bald, eine Verlegung zu uns nach Schenefeld in eine angemessene Bleibe dürfte kaum hinzubekommen sein. Mein Vater hatte den Lebensmut komplett verloren: „Ich bleibe jetzt einfach im Bett liegen, bis ich tot bin.“ Der Heimleiter bat mich, mit meiner „Giersch“ zu sprechen: „Bitte sagen Sie ihr freundlicherweise, sie möge nicht immer anrufen. Es ist ja klar, dass sie aus ihrer räumlichen Distanz wenigstens telefonieren möchte. Mit ihrem Vater, Herr Bassiner, kann man nicht telefonieren. Er ist schwach und redet nicht. Dann, nachdem sie es begreift, beginnt Ihre Giersch halbstündige und längere Gespräche mit uns, mir und den Mitarbeitern. Das geht nicht. Wir arbeiten hier und haben zu tun.“ Für uns war es ein kurzer Weg, den Todkranken nahezu täglich zu besuchen. Wir entrümpelten das Haus, nachdem er im Sommer drauf ebenfalls verstarb. Meine Giersch fand, der Heimleiter „müsse eine Flasche Champagner“ haben. Keine Ahnung, ob er sie bekommen hat? Meine Frau und ich verstanden uns gut mit ihm. Plakative Geschenke kamen uns nicht in den Sinn. Er steht im Gemälde „Schaurig“ links im Bild. Diesmal lud ich wenige ein. Ich hielt eine Grabrede. Ich senkte die Urne selbst ins bekannte Loch.
Gute Reise, Bassi!
Die Giersch zog am offenen Grab das Smartphone raus und startet YouTube. Louis begann leise aus dem Telefon „Wonderful World“ zu singen, und ich konnte nichts machen. Noch bevor wir uns zum Leichenschmaus hinsetzten, forderte meine Giersch, wir müssten das Haus verkaufen. „Mein (…) ist ja verrückt, und ich möchte mir das Erbe sichern“, war das Argument, wie mir zugetragen wurde. Das tat weh. Wir kümmerten uns um alles vor Ort. „Warum bin ich es, die die Unterhosen deiner toten Mutter zum Glücksgriff fährt?“, empörte sich meine Frau. „Familie“ haben wir in diesen Tagen neu definiert, kann ich sagen. Wir schlossen notwendige Verträge mit den Mietern. Ich traf den Schornsteinfeger, den Heizungsableser, und manchen Handwerker beauftragte ich bei Schäden. Ich riss Wandschränke raus, entsorgte die Küche, besprach den Einbau einer modernen bei dem schwedischen Möbelhaus, das so etwas macht. Meine Versuche, einen Vermögenden zu finden, meine faule aber fordernde Partnerin auszuzahlen oder jemanden in die Gesellschaft einzubringen, sabotierten diese sauberen Verwandten aus sicherer Entfernung: „Das ist ja dein Freund.“ Die wollten nur die Knete, aber schnell! Sie forderten, ich solle eine Vollmacht unterschreiben, müsse und solle bitte nicht mit zum Makler kommen. Dann könne etwa eine Tante für mich unterschreiben, den Verkauf auf den Weg bringen …
Inzwischen haben wir verkauft.
Sie drohten, es gebe einen Termin bei Gericht für die Zwangsversteigerung. Da habe ich aufgegeben. Ich kontaktierte den Makler selbst, der auf seine Chance wartete. Er habe meine Giersch angerufen, sagte er mir anschließend: „Zwangsversteigerung? Sie sind bescheuert, Frau …“, meinte der Makler zu ihr, erzählte er, und wir kamen gut klar. Heute duzen wir einander, treffen uns am Hafen. Wir verkauften binnen weniger Monate. Zur Unterschrift ließ nun wieder sie sich bevollmächtigen. So feige. Ich rede kein Wort mehr mit meiner Familie. Mir geht es prima damit. Man kann das ja nicht zugeben, wenn der Weg so mies gewesen ist. Die tun mir leid. Ich wachse an ihrer Schäbigkeit.
Diese Jahre haben mich geprägt. Menschen in Beziehungen benötigen das Gefühl beiderseitigen Gewinns, sonst zerbricht die Partnerschaft. Wer psychisch krank gewesen ist, wird vom Rest der Gesellschaft aussortiert. Von Integration und Mitmenschlichkeit reden welche, die anonym Schwächere wegstoßen, um selbst zu glänzen im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Am Ende des Lebensweges fällt ein hartes Urteil wie von selbst auf jeden zurück, glaube ich. Wer nur Fassaden vor sich hinstellte, dem bleibt keine Erinnerung an gelungene Momente. Eine Leinwand gekonnt in ein Bild verwandeln, ist vermutlich mehr, als eine Pappe vor das Gesicht halten, damit andere die Blöße nicht bemerken.
Ein schönes Leben noch!
# Resüme
Der Erwähnte, ein enger Verwandter, lässt nicht locker. Manchmal kommt eine Mail. Der möchte gemocht werden, glaubt, uns geholfen zu haben. Ich antworte: „Bitte schreib mir nicht.“ Er schreibt trotzdem, langatmig, schreibt: „Deine Tante ist gestorben“ – seine Mutter. Seine Eltern sind nun ebenfalls tot. Ich ging nicht zur Beerdigung. Es gibt keine verbliebenen Berührungspunkte. Ich hatte ihn gebeten zu vermitteln. Er hat sich festgelegt, mich stattdessen unter Druck gesetzt. Ist Geld aus dem Erbe abgeflossen für diese penetrante Beratung? Provision ist anzunehmen. Ich bin fertig mit ihm. Mein frühester Spielkamerad, der Lebensbegleiter überhaupt war das. Wir sind beinahe gleich alt. Er wohnt mit Familie im Süden, im Hochtaunus. Unsere Kinder könnten Freunde sein. Es gibt kein Zurück. Alles kaputt, und ich soll schuld sein? Warum nicht: Mich macht das Ganze endgültig psychisch gesund. Es hilft zu begreifen, wie Menschen überhaupt ticken. Ich ticke nun richtig. Danke.
Lebewesen sind auf ihren Vorteil bedacht, lösen täglich ihre Probleme. Tun sie das nicht, sich für ihre Belange einsetzen, stimmt etwas nicht. Ein dummer Mensch erkennt kein Potential, das ihm gegeben sein könnte und wird herumgestoßen. Ein psychisch Kranker hat womöglich besondere Fähigkeiten, verwendet diese aber nicht zu seinen Gunsten, weil unerkannte Ängste ihn ausbremsen, wenn eine soziale Komponente hinzukommt. So erlebe ich mein Problem, und zwar nicht in der Form einer Bagatelle: Jeder kennt, dass manches nicht geht, wenn andere zuschauen, beispielsweise ein Tablett mit Geschirr sicher zu tragen im vollbesetzten Restaurant, wo Selbstbedienung üblich ist. Einen Trompeter habe ich nach seiner Routine gefragt, sich an den West End Blues von Armstrong heranzuwagen. „Zu Hause im Keller geht es“, war die Antwort. Sich über eine solche Klippe weiterzuentwickeln, kann zur Aufgabe werden, die am Druck der Umgebung scheitert, die uns festlegen möchte auf die Person, die sie zu sehen gewohnt ist. Das bedeutet Konfrontation, sich nicht mehr manipulieren lassen. Es gibt Menschen, die scheren sich nicht um ihr Unvermögen, und noch Schlimmere gehen über alle Grenzen. Geringe Kenntnisse vom Geschäft, meine bekannte Krankheitsgeschichte und ein nur vorgeblicher Freund, das musste Ärger geben. Vorteile wahrzunehmen, ist soweit gesund und notwendig. Skrupellos die Möglichkeiten auszunutzen, die eine Situation hergeben mag, dürfte unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen. Wen spät das schlechte Gewissen plagt, der wird lavieren. Da kommt es drauf an, ob ein Gegenüber zum Verzeihen bereit ist.
# Wo wir heute stehen
Der von sich selbst offensichtlich Gepeinigte schreibt aus manchem Anlass. Ich habe einen Ordner angelegt. Dahinein kommt alles ungelesen. Hört das nicht auf, werde ich ihn irgendwann digital blockieren. So weit sind wir. Er tut, als ob Wichtiges mich anrühren müsse, kommt in den Norden, probiert ungefragt seinen Besuch, steht vor dem Haus, geht erst nach einer halben Stunde. Ich schnauze: „Wenn du dich nicht verpisst, rufe ich die Bullen.“ Meine Frau schlichtet, redet, und ich gehe einkaufen. Nur weg will ich, wenn dieser Fettfleck aufmarschiert.
Das war der engste Freund, als wir Kinder waren.
Bleiben die vom Elbhochufer.
Das ist ein Ehepaar mit drei erwachsenen Kindern. Von dort kam das dubiose und bösartigste Papier, das ich bislang im Briefkasten vorgefunden habe. Ein Freund meiner Eltern, der uns oft im Geschäft geholfen hatte, hat mir gesteckt, wie das passierte. Seine Frau ist eine, die alles, aber auch alles weiterträgt. Ich weiß sogar, von welchem Ehepaar die Info ursprünglich kam. Eine Kette von Tratsch, und ich könnte sie nennen. Es stellt sich so dar: Die feige Ziege*, die offenbar den Antrag beim Amtsgericht stellte, ich solle in Betreuung kommen, die mutmaßlich nur abzocken wollte, sehe ich inzwischen nie mehr. (Name und Verwandtschaftsgrad möchte ich gern weiter verbergen, das Sternchen auch als Kunstgriff der investigativen Schreibe verstanden wissen).
Betreuung, wir haben es ernsthaft diskutiert:
„Wenn dich wirklich jemand betreut, betreuen muss, weil es nicht anders geht, bin ja wohl ich es, die das übernimmt, übernehmen muss –, deine Frau und Vertraute“, meinte seinerzeit meine liebe Ehefrau, entsetzt wie ich.
Was treibt diese ehemalige Laborantin mit ihrem Home-Psychostudio, die mich kaum näher kennt, wie mag sie auf das Gericht zugegangen sein? Was war das Motiv? Welche Kenntnisse will sie ins Feld geführt haben? Konnte man mich nicht zunächst selbst direkt mit dieser Sache konfrontieren, die zum drastischen Schritt führte? Darauf habe ich keine Antwort. Es erübrigt sich zu fragen. Da könnte Geld geflossen sein aus dem Hausverkauf, möglich wäre auch die Furcht um ihre Reputation?
Das habe ich schon damals offen erzählt, weil es mich schockierte:
Eine Spurensuche, die Vorgeschichte noch einmal im Detail: Meine Mutter war unheilbar an Krebs erkrankt, ihr Tod absehbar bald. Die Erwähnte, unser vorsorglich namentlich nicht genanntes Familienmitglied, hatte eine zeitlich engmaschige Visite übernommen. Sie kam nicht nur als Angehörige, sie hatte eigene Medikamente im Gepäck. Ein letztes Gespräch mit meiner sterbenskranken Mutter in der Wohnung meiner Eltern wurde mir später ohne jede Selbstkritik vom Ehemann fröhlich wiedergegeben. Das hat mich hellhörig gemacht. Wir kamen nur alle paar Tage vorbei, der Pflegedienst war täglich vor Ort. Unsere Verwandte betreute meine Mutter auch hinsichtlich ihres medizinischen Backgrounds zusammen mit der Hausärztin in den letzten Wochen. Sie kam regelmäßig, und mich hat es gefreut. Dann aber wurde die dramatische Verschlechterung meiner vor Angst offenbar verwirrten Mutter vollkommen übersehen? Meine Vrwndte* (man denke sich manches bitte selbst) kam noch spät vorbei, wurde mir erzählt, um gewohnt nach dem Rechten zu schauen. Sie hatte an diesem Abend Schwierigkeiten, ins Haus zu gelangen? Ich probiere zu erzählen. Die Erinnerung tut weh. Es war ihr letzter Besuch, ein letztes Reden, bevor ich anderntags die Initiative ergriff, die Verlegung ins Hospiz auf den Weg brachte. Die fortgeschrittene Stunde vor Ort ergab wohl einen Dialog, den ich keinesfalls lustig finde: „Ich sehe schwarze Mäuse überall in der Wohnung rumlaufen“, erklärte angeblich meine Mutter. Sie ließ in allen Räumen Kerzen brennen und war dazu übergegangen, sich überhaupt einzuschließen: „Ich verlasse meine Wohnung nicht mehr.“ Erst nach längerer Zeit des Klingelns, Klopfens war sie bereit gewesen, die Tür zu öffnen.
„Ich bin’s, bitte (!) – mach’ auf.“
Meine Mutter behielt ihre Nahrung nicht mehr bei sich und entsorgte fertig gekochte Doseneintöpfe ungegessen im Klo. Das mit den Mäusen, die überall durch die Zimmer huschten, eine irre Panik des nahenden Todes, eine furchtbare Halluzination – kommentierte unsere selbsterklärte Medizinerin lachend: „Und ich sehe weiße, Greta, haha!“, und ging selbst einfach so nach Hause.
Das hörte ich später so im Wortlaut und amüsiert vorgetragen.
Dazu kann ich nur sagen, dass meine Frau und ich anderntags eine durchgängig psychotische Frau in meiner Mutter vorgefunden haben, die in den letzten vier Wochen von diesem Tag an im Hospiz nie wieder ihren Verstand fand. Sie starb entrückt von ihrer unerträglichen Realität. Vier Wochen sind exakt die typische Zeit, die Todkranke noch in der Einrichtung verbringen, sagte mir die Leitung dort.
„Sie haben alles richtig gemacht, Herr Bassiner.“
Diese Leute aus W. (der schönen Stadt an der Unterelbe, wo ich aufgewachsen bin), meine von leichter Hand ins Geschäft gewechselte Psychomedizinerin mit breitem Ego und ihr folgsamer Mann, haben ein Boot in der Größe des Schiffes, das meine Eltern segelten. An der Küste sagt man: Dickschiff, so eines mit Kajüte. Es sind insgesamt Verwandte, die ich selten treffe. Zeit meines Lebens war das so, höfliche Bekanntheit anstelle echter Herzlichkeit. Man kommt sich nicht nahe, nur meine kleine Jolle musste umziehen nach dem Hausverkauf, ich hatte dort einen eigenen Schuppen im Garten: Wir liegen jetzt zusammen im Winterlager, in der Bootshalle vom Segelverein.
Den hölzernen Schuppen für das kleine Boot hatten mein alter Vater und ich vor Jahren selbst gebaut. Dort hinzugehen, bedeutete Erinnerung zum Anfassen. Die Werkstatt im Keller, die mir gute Dienste leistete bei mancher Sache mit dem Boot, musste ich aufgeben. Das gesamte Equipment ist früher in unmittelbarer Nähe gewesen. Es war kein Argument für die anderen, das hundert Meter lange Grundstück mit Geschäftshaus in der Hauptstraße (von den Großeltern geerbt) zu behalten, meine Verbundenheit mit allem durchs Wohnen in der Nähe. Das fehlt, etwa der Schraubstock meines Vaters, ich baute ihn ab, habe ihn mit nach Schenefeld genommen. Unzählige Schrauben in Weckgläsern, Nägel, Raspeln, Feilen, Hämmer, Schraubenzieher, elektrische Maschinen, Kram in Schubladen, alles wurde aufgelöst und hat in Teilen seine Bleibe in unsrem kleinen Keller gefunden.
Im Winter liegen alle an Land. Das ist überhaupt die einzige Zeit, den im Norden verbliebenen Familienmitgliedern (aus der Rolandstadt) über den Weg zu laufen. Im Hafen befinden sich unsere Boote in verschiedenen Anlagen. So begegnet man einander kaum. Zur gemeinsamen Entrümpelung des Vereinsgeländes erscheint keiner meiner Sippschaft. Boote sind wie Autos oft Männersache: Die Arbeit am Schiff erledigt der inzwischen Gealterte still für sich allein, mein (…). Man denke sich den Verwandschaftsgrad. Seine Schwestern sind gestorben. „Die Einschläge kommen näher“, sagt man spöttisch bei uns. Dieser schwache Mann ist harmoniesüchtig. Den beiden Mädchen nachgeboren an dritter Stelle zu Kriegszeiten, ist er das jüngste Geschwister seiner Familie. In den Wirren der Nazizeit, schließlich dem beängstigen Wohnen in zerbombten Straßen ausgeliefert, erfüllte der von seiner Mutter Verhätschelte den Anspruch des Führers:
„Söhne für Deutschland, für den Krieg!“
Er fürchtet mich erkennbar, ein Pantoffelheld. Ein knapper Gruß muss genügen. Es gibt nur spärliche Begegnungen im Dunkeln zwischen den aufgebockten Booten: „John“, sagt er mit brüchiger Stimme (sie bebt tatsächlich vor Angst), wenn es sich nicht vermeiden lässt, er mich ansprechen muss, „mach’ bitte später, wenn du auch gehst, noch das große Tor zu.“ Das ist ein Nervenkrieg für ihn, mich zu sehen? Ich erinnere, ein anderes Mal, ich sitze an Deck meiner frisch lackierten Jolle, die auf dem Trailer steht, bereit zum Abslippen, warte kurz allein auf einen Freund, der gerade unser Auto holt.
Da passiert es, und ich sehe, mein Henkel* (unkenntlich gemachte Textstelle) kommt zufällig vor die Halle. Niemand kann ausweichen. Er sieht das schöne Boot, beginnt verlegen: „Wird sie wohl Wasser machen?“, bemüht klingt diese Freundlichkeit. Segler wissen, dass Holzboote im Frühjahr „lecken“. Wieder die unsichere Tonlage, so feige –.
Ich sage gar nichts und schaue nur.
Es ist das Boot meines Vaters, auf dem ich da sitze, vom ersten Lohn bezahlt, als das Wirtschaftswunder losging. Alles hat eine lange Neidtradition. Meine Eltern segelten erfolgreicher in der Bezirksmeisterschaft, machten sich selbstständig mit dem Laden, bauten das große Haus. Das heute ist ein letztes Nachtreten? Wie eklig ihr seid.
Mein eigener Bootsschuppen auf unserem verkauften Grundstück verfällt. Der steht leer. Der Rasen ist halbmeterhoch. Niemand mäht. Die angrenzenden Wände des Nachbarn schimmeln. Auf der anderen Seite ist der Zaun eingebrochen seit Jahren und wird mit Müllplanen abgehängt. Auf dem Parkplatz ist manches demoliert und wird scheinbar nicht repariert. Das geplante Aufstocken des Geschäftshauses wird, nehme ich an, nie passieren.
Geld regiert die Welt.
Ich habe genug.
…
3 PSYCHO
Stigma
Viele kaufen mir nicht ab, dass es die Umgebung ist, die Nadelstiche setzt, die bereits Traumatisierte lustvoll triezt, bis diese wieder und wieder den Verstand verlieren? Ich kann nicht bestreiten, dass ich krank wurde und dass mein psychotisches Verhalten andere ängstigt, verstehe ich. Dagegen kann gesagt sein, wie schnell ich bei entsprechender Medikation wieder zu Verstand komme. Es genügen einige Stunden Schlaf und anschließend wenige Wochen Rekonvaleszenz. Dann kann ich die Medikamente ausschleichen. Ich benötige keine Therapie, ich hätte eine bessere bekommen müssen als junger Mann. Niemand möchte das mögliche Leben geradezu verpassen wie ich. Mir gaben Lehrer gute Schulnoten. Ich durfte mich für intelligent halten. In die Realität einer selbstständigen Existenz kam ich erstmal nicht. Nach der Schule lief ich den anderen wie ins Messer. Ich wurde vom ganz normalen Wahnsinn hingemeuchelt. Wer nicht merken kann, dass er wenig gilt, wird erst zum Opfer, und so einer muss sich bald noch als potentieller Täter erkennen lassen? Das ist für uns, die wir selbst im Zentrum des Problems leben und teilweise blind bleiben, nicht leicht zu verstehen, schwach zu sein, nicht durchsetzungsfähig, kein „Typ“ eben, wo andererseits welche auftauchen, die einen bestens benoten. Die Eltern sehen ihr besonderes Kind. Die Lehrer finden ihren Liebling.
Aber kein Mädchen liebt so einen.
Wo ich heute nicht selten junge Paare sehe, seit einigen Jahren zusammen, heiraten die mit etwa dreißig. Dann kommen Kinder. Ich schaue mir die Frauen an und denke, so eine möchte ich auch, sehe den jungen Mann und weiß, dass ich so nie gewesen bin. Ich hätte sein Mädchen begehrt, aber die würde sich einen suchen, der weiß, was er will.
Viele verirren sich im Dschungel der Moderne. Es ist eine soziale Zivilisationskrankheit. Dem wandernden Urmenschen war klar, Probleme selbst lösen zu müssen. Je weiter sich die Menschheit vom autarken Einzelwesen hier und da zu einer Struktur entwickelte, wo einer dem anderen spezielle Dienste bietet, desto mehr spielt die Bewertung von Leistungen ihre Rolle. Was dem Lehrer eine gute Note ist, nützt zunächst der Schule: „Wir haben den Besten!“ Das ist jemand, der Anforderungen genügt, gestellten Aufgaben. Ob sich damit draußen „verdienen“ lässt, bewertet das System nicht.
Mir kam das Ende des Studiums wie die Freilassung eines Zootieres vor. Eine Auswilderung, auf die ich nicht vorbereitet gewesen bin. Selbst schuld? Es ist nicht selten und somit ein Systemfehler. Da bin ich nicht allein. Bis heute scheitern junge Menschen. Die Hilfe, die so dramatisch Erkrankende annehmen müssen, spricht ihnen die Fähigkeit ab, selbst zu bestimmen. Die Erfahrung zeigt, sie können es nicht. Die Methoden, die eine moderne Gesellschaft anwendet, sind kaum geeignet, zügig Selbstständigkeit herbeizuführen durch bekannte Therapieangebote. Die besseren Anlaufstellen einer langfristig und konzeptionell gut aufgestellten Behandlung erreichen viele Kranke nie. Wir werden stigmatisiert. Wir können uns nicht solidarisieren wie andere Benachteiligte. Während jede Gruppe Stärke gegen die Masse entwickelt, können psychisch Kranke gar keine selbstständigen Gruppen bilden. Es mag Selbsthilfegruppen geben, aber da mache man einen Bogen drum. Das Annehmen solcher Erkrankungen darf kein Kreisen um den Brei des Leidens sein. Letztlich hilft nur, die fehlende Belastbarkeit und Stärke gegenüber der Gesellschaft selbst auszubilden, will einer nicht lebenslang an die Hand genommen nebenher laufen.
Die Kämpfe (und dieses Wort ist durchaus am Platz) der letzten Jahre haben mich widerstandsfähiger gemacht. Ich kann die vorhandenen, positiven Umstände erkennen und für mich nutzen. Da gibt es Schutzwälle, wenn man so will, die andere Existenzen auch haben. Ich konnte meine Kreise wie Wälle einer Sandburg am Strand definieren, und um bei dieser Militärsprache zu bleiben, ins Feld führen. Schenefeld, das schöne Feld, so heißt meine inzwischen langjährige Heimatstadt. Als kleine Dreipersonenfamilie halten wir zuverlässig zusammen. Das heißt die Fähigkeit, Gruppen zu bilden (wenigstens eine Kerngruppe), habe ich. Damit bin ich im Alltag nicht länger krank zu nennen: Wir sind. Die Nachbarn in der Häuserreihe schätzen mich, obwohl meine Dramen die Runde gemacht haben im Dorf. Nicht wenige Freundschaften seit vielen Jahren in unserer Szene der Segler wären zu nennen und reichlich Bekanntschaften. Diesen Leuten bin ich weniger irre als zuverlässiger Partner. Meine Ehrlichkeit zählt. Das kann ich für mich so weit verwenden, dass bedrohliche Versuche, mich auf eine Weise einfangen zu wollen, betreuen, meine Freiheit zu sanktionieren, abgewehrt werden.
Mir mögen andere Gefährlichkeit unterstellen, aber das hilft nicht. Das verstehe ich auch im Großen, spiegelbildlich in der Weltpolitik. Davon lässt sich lernen: Die das Völkerrecht anmahnenden Aufpasser haben immer wieder das Nachsehen gegenüber der Gewalt auf dem Planeten. Man kann niemandem die Luft durch Sanktionen abdrücken, der, mag er auch brutal vorgehen, Unterstützer findet. Menschen, die auf Verhandlungen setzen gegenüber Aggressoren, müssen erkennen, dass nur verhandeln kann, wer tatsächliche Angebote im Koffer hat. Das musste kürzlich der in der Politik versierte Ralf Stegner aushalten. Er gilt den Kollegen inzwischen als lächerlicher Störer. Russland kann man nicht belabern wie Wähler. Wer aber meint, mit eigener Kampfstärke dagegen halten zu wollen, dem hilft kaum, die Moral zu beschreien fürs Schießen. Da entscheidet Truppenstärke, Waffengattung, Geschicklichkeit, und die finanziellen Mittel müssen genügen für eine lange Zeit. Umgekehrt genauso, ein langer Atem ist gefragt und kein Platz mehr ist da für irre Träume.
Ich bin kriegstüchtig geworden.
Dem typischen Blick auf psychisch Kranke möchte ich das Nichtvorhandensein des Normalen entgegenhalten. Allein die Bezeichnung „Psyche“ dürfte nur unter Vorbehalt gelten. Natürlich kann das gesunde Funktionieren des Gehirns gestört sein und eine Pathologie ist in so einem Fall nicht zu bestreiten. Unsere pharmazeutischen Mittel greifen gut in Krisensituationen. Die vielen Diagnosen, die es mittlerweile gibt, werfen aber auch Fragen auf. Ein junger Mensch, der wie ich kaum erwachsen seine erste schizophrene Psychose erleidet, bald eine zweite, hat schon mal keine gute Prognose. Man geht davon aus, dass diese Schübe dem Patienten weiter geschehen werden und hofft auf einen positiven Knick in der Krankheitskarriere. Das meint eine deutliche Besserung sowohl in der Häufigkeit als auch Schwere der Erkrankung nachdem eine insgesamt normale Lebensumgebung etabliert werden konnte. Dafür denken sich die Psychologen manche Therapien aus, diese Verbesserung gemeinsam mit dem Kranken hinzubekommen.
Die Allgemeinheit weiß wenig von den differenzierten Erfahrungen, die der Spezialist machen muss, wenn dieser sich mit der Problematik verschiedenster Ausprägungen psychischer Krankheiten effektiv auseinandersetzen möchte. Die Bildzeitung erkennt nur latente Gewaltbereitschaft und schert alle über diesen Kamm, besonders Ausländer. Sind es hier geborene Frauen, die Amok laufen, passt es der Presse nicht ins Bild. Sind die Ausländer Amerikaner oder Skandinavier, sind das keine Ausländer. Wenn es Terroristen waren, nennt man sie nicht krank. Die dürfen sich in die Luft sprengen, und dann ist es ihr normales Verhalten? Auf der anderen Seite werden Depressionen thematisiert, wie schrecklich die Armen leiden, immer traurig. Das ist wenig real, das Bild, das Medien zeichnen.
Wir könnten den modernen Begriff Burnout heranziehen, der einer früher schlicht Depression genannten Erkrankung eine weitere Spielart menschlichen Seins abgerungen hat. Hier brechen, ich sage mal vereinfacht, Manager in der Mitte ihres Lebens zusammen und kommen in der Regel nach einer Erholung zurück in die Arbeitswelt. Das können die schaffen, weil sie sich daran erinnern, wie Arbeiten geht. Manche bringen es erst im besten Alter hin, eine einmalige Psychose zu schieben, die man dann höflich „Liebeswahn“ nennt. Frisch Operierte bekommen nicht selten den früher so genannten Anästhesieschock. Umgangssprachlich sagt die Pflegerin: „Der ist rallig“, und fixiert den Patienten, damit der Arme sich nicht sämtliche Zugänge zieht. Ein solcher, auch salopp „durchgängig“ Genannter befindet sich korrekterweise im „Delir“, so einer ist delirant. Damit kaschiert ein smartes Wort, dass jemand eine Psychose durchlebt, allerdings ausgelöst durch eine notwendige Behandlung und gut betreut im Bett. Die edle Bezeichnung „Schwangerschaftsdepression“ verbirgt ebenso, dass auch dieser Zustand vollkommen psychotisch geraten kann nach einer Geburt. Alle diese Menschen schaffen es in der Regel, an ihre vormalige Lebensweise anzuknüpfen und später ohne weitere Schübe gesund zu bleiben. Das kann keiner von einem Jungen wie mir erwarten, dem nicht einmal gelungen ist, die ersten Jahre im Beruf erfolgreich zu bestreiten. Wo jeweils eine ungesunde Haltung zur Existenz, also eine schlechte Lebensanpassung scheinbar ursächlich ist, kommt einer bloß weiter als der andere. Die individuellen Gegebenheiten waren eben ein wenig anders. Wie viele Fehler jemand macht und wie belastbar seine Konstitution ist, entscheidet schließlich. Was heißt normal? Schauen wir uns noch die vielen fettleibigen Menschen an, die gar keine psychische Krankheit entwickeln, von denen aber nicht wenige noch vor Erreichen des Rentenalters auf irgendeine eine Weise kollabieren, so könnten wir auch bei dieser Personengruppe (die von sich selbst annehmen dürfte, wie alle anderen zu sein), eine ungesunde Anpassung ans Leben erkennen. Dazu kommen Raucher, Menschen, die sich schlecht bewegen und allgemein welche, die sporadisch Dummheiten in ihren Lebensweg einbauen, übertriebene Risiken suchen, finanzielle Luftsprünge starten, Alkoholismus etc. Die heißen nicht psychisch Kranke, aber was unterscheidet sie wirklich vom Psycho? Sie verwenden ihr Gehirn auf dumme Weise, gehen über ihre Grenzen.
Wenn potentiell intelligente Menschen sich wenig klug verhalten, ist anzunehmen, dass sie genauso Störungen erliegen wie die, denen wir eine Anpassungsstörung diagnostizieren und damit eine psychischen Erkrankung. Man raucht, weil die anderen rauchen, isst zu viel, um sich gegen den Stress zu polstern, trinkt, um nicht zu merken. Menschen sind religiös, glauben, sind gläubig. Sie stellen sich Engel vor, einen Herrn, der sie leitet, tröstet. Sie halten nicht aus, was man aushalten muss. Viele glauben an ein Narrativ, weil sich die Einbildung, mehr zu begreifen, gut gegenüber Freunden anfühlt, denen man argumentativ nicht gewachsen wäre –, alles hilft nur scheinbar, Störungen des Selbstwertgefühls zu kompensieren. Insofern sind Angst- oder Anpassungsstörungen kein Alleinstellungsmerkmal psychischer Erkrankungen und mehr noch, weil das ganze Verhalten durch den Körper und die Muskulatur (auch der Gliedmaßen) ausgeführt wird, die solche, ungesunde Motivation umsetzen, sollte man begreifen, dass Menschen ihre Probleme im Ganzen haben.
Normalsein bedeutet jedenfalls noch nicht, gesund zu sein.
So lange glücklich verheiratet zu leben (und so viele Bilder mit tatsächlich was drauf zu malen), einen gesunden Sohn im Beruf vorzufinden, unzählige schöne Segeltage, überhaupt Lebenstage und vieles mehr hinzubekommen –, wir erleben ein ungewöhnliches Hiersein, das nicht wenige Notzeiten, gemeinsam durchgestandene Krisen erträglich werden lässt; das mache man mir, dem sogenannten „Psycho“ (uns so zusammen) nach – und dann, dann könnt ihr reden, Leute.
…
4 KUNST, KÖNNEN
Ehemalige Kommilitoninnen von mir malen auch
Ein kurzes Kapitel, meine kurze Geschichte der Kunst. Die liegt bekanntlich im Auge des Betrachters, meint ein Sprichwort. Die Wertschätzung von Kunst ist subjektiv und abhängig von individuellen Empfindungen. Was einer als Kunst ansieht, muss jemand anderes nicht zwangsläufig als solche anerkennen. Wertschätzung hat sich für mich erledigt. Die gibt es nicht mehr. Das hilft. Manche geben sich noch Illusionen hin, Frauen malen. Die besetzen Plätze. Der Ehemann verdient, dann geht es. Bei uns ist es umgekehrt, und außerdem stelle ich nie mehr aus, verkaufe nichts, male keine Aufträge. Ich erbte. Meine Homepage ist das letzte Fenster. Wenn mir jemand da noch in die Parade fährt, ist Schluss. Dann erlebe ich gern, was das mit mir macht.
Ausgang ungewiss.
Wird es Anzeigen geben? Jemand aus der Familie oder einer der anderen, von mir als „Idiot“ titulierten Widersacher könnte so etwas probieren. Nun habe ich allerdings nicht den Anspruch, ein Millionenpublikum für meine Sache zu gewinnen und Geld mit Anwürfen einzuheimsen. Ich posaune nicht grad aus, auf allen Plattformen oder an jeder Straßenecke, was mir wichtig ist. Ich mag schreiben, bessere Formulierungen finden an sich. Das hier ist kein Buch mit Auflage. Wer hier gründelt, hat sich in eine Nische vom Netz verirrt. Das dürfte belanglos sein, hier zu tröten, falls man mich so begreift. Da bin ich der blinde Marktschreier auf einem kahlen Acker hinter dem Dorf. Mein „Speakers Corner“ ist nicht leicht auffindbar. Meine Freunde lesen es nicht. Die nervt das. Es ist Geschreibsel? Meine Frau will davon nichts wissen: „Immer dasselbe!“ Es sind mehr subtile Erlebnisse, die klar machen, nicht ins Leere zu stoßen. Romane wurden verboten, man kennt das, Bilder wegzensiert, das kommt vor. Mir ist es ja passiert. Ich musste schon löschen. Ich mache mich lustig mit Sternchen* und schreibe: „Personen, die meinen, gemeint zu sein, sind nicht gemeint.“ Albern ist solches Hakenschlagen und Kunstmissbrauch sowieso, und ob das was nützt? Die Wahrheit triumphiert nicht. Ihre Feinde sterben schließlich aus, weiß man.
Die Zensur trifft mich. Eine Websuche bringt kaum noch wie früher seitenweise die vielen Bilder, die ich malte und im Internet zeige. Ich bin aktiv. Man vergisst mich gern, könnte das sein? Warum auch immer es geschieht, ich soll unbedeutend sein! So schlecht ist es ja gar nicht: Mir liegt nichts an Partnerschaften in der Szene. Das habe ich längst aufgegeben. Ich kann Galeristen nicht leiden. Ich finde Frauen scheiße, und so war das ja nicht. Ich habe mich geändert und nicht zum Guten. Menschen zeigen andere an. Mich zeigt man an für meine Äußerungen und überhaupt meine Darstellungen im Netz. Es stimmt, ich möchte diese Leute ja tatsächlich verletzen. Das ist das Mindeste: Ich gehe schließlich nicht hin und schreibe anonym Beleidigungen, sondern habe Kunst als Waffe entdeckt. Ich lerne zurückzuschlagen. Ich kann nun andere Menschen böse verletzen und weiß, dass ich’s draufhabe. Das mag angesichts meiner Vergangenheit falsch sein zuzugeben? Die neue Regierung will schärfer rastern. Thorsten Frei möchte gegen „Vielschreiber im Internet“ pauschal vorgehen. Das habe ich in einer Nachrichtensendung von diesem Politiker gehört, wie er es sagte. Da halte ich gegen. Meine Mittel zu kämpfen, sind nachprüfbare Wahrheiten, die nicht einfach entkräftet werden können, und weniger die irre Attacke benötige ich, mir Luft zu machen. Ich habe dazugelernt. Das zeigt stigmatisierten anderen Kranken möglicherweise einen solidarischen Weg.
…
5 STÖRUNGEN
Gestörte und weniger Gestörte
Das erwähnte, handschriftlich an die Polizei verfasste Geschreibsel auf mehreren Seiten Druckerpapier dürfte wirr geklungen haben. Wer das probierte zu verstehen, konnte einen Kranken dahinter vermuten. Eine Frau an der Spitze der Dorfpolitik hat ihre Karriere im Blick. Keine Verwandtschaft weltweit ist zimperlich, wenn es ans Erben geht. Psychiater sind nur Menschen und können nicht reparieren, was die Fähigkeiten eines Seelenklempners übersteigt. Eltern sind so gut, wie sie es nur hinbekommen usw. Das mögen Wahrheiten sein, und es sind viele, um ihnen allein entgegenzutreten: Ich habe mein Leben drangeben müssen, um erwachsen zu werden. Das dauert zu lange und angesichts der Tatsache, dass meine Gesundheit bei solcher Diagnose die Ausnahme bedeutet, muss eine Gesellschaft akzeptieren, dass sie den Blutacker für Krankheit und Gewalt selbst verschuldet. Das ist nur eines unserer Probleme, und wir haben nicht einmal angefangen, das wachsende Unkraut zu kultivieren. Wir doktern rum. Wir gehen mit Volldampf dran, das Gegenteil von Integration zu wollen. Menschen reden sich schön. Unser Leben ist nicht die Krönung der Schöpfung. Wir töten unseren Wirt, die Erde als der Krebs, der wir sind. Kein Himmel wartet. Über dem Planeten schwebt kein Geist. Wir verschwinden wie die Dinosaurier bald. Nach uns AI oder tote Wüste. Was ist schlimm dran, wenn keiner es erfährt, keine Seelen ewiglich grübeln, weil droben kein Gott ist? Das ist wahrscheinlich.
# Was sind Störungen?
Das musste ich mich fragen, um Unterschiede zu bemerken. Viele Erkrankungen gelten als Anpassungsstörung. Ein großes Wort kehrt seine Wichtigkeit raus. Dabei ist unser Leben sowieso eine Kette von Fehlern. Störungen sind Leben und nicht Kranksein. Problemlösen ist unser Hiersein überhaupt. Alltägliche Probleme mögen illustrieren, was noch normal ist. Jeder kennt Hektik. Alle müssen gelegentlich eine Sache abbrechen. So ist auch meine Arbeit am Bild nicht immer einfach. Deswegen heißt es ja Kunst. Beim Zeichnen kann manches nerven. Man muss sich konzentrieren. Kleine Gewittertierchen stören in der Hitze, Wind weht, Leute kommen, das Motiv verändert sich. Ein Auto oder Schiff, das man gerade begonnen hat zu zeichnen, fährt ab. Kreative Probleme, aber schlimmer als Kunst ist noch die Kunst, vor Publikum aufzutreten?
Mein Freund, der Trompeter, fällt mir ein. Ein Konzert erinnere ich. Der Abend mit New Orleans Musik begann früh nach einem sommerlichen Tag, und zwar an einem kleinen Flugplatz für Sportmaschinen war das. Bevor es losging, so in der Abenddämmerung, standen Ankommende noch mit einem Getränk auf der Terrasse direkt am Rasen. Der Veranstaltungsort war eine mit Stühlen hübsch gestaltete Halle unterm Tower mit Bühne, einer Bar. Die Räumlichkeit ermöglichte den Blick auf die Start- und Landebahn, eine Graspiste, dahinter Wald. Während wir im warmen Licht der sich verabschiedenden Sonne eine letzte Landung mitbekamen, füllten sich drinnen die Plätze. Was bis eben herrliches Warten draußen bedeutete, änderte sich kurz vor Anfang des Konzerts.
Mücken kamen.
Innerhalb von Minuten wurde es schlimmer. Alle verließen die Terrasse, aber die Mücken gelangten auch durch die offene Seite dieser Veranda in den kleinen Saal. Die hohen Glastüren wurden vorsorglich verschlossen bis auf eine schmale Öffnung. Sonst wäre es drinnen zu warm und stickig gewesen. Das erkannten die Mücken. Sie drangen raffiniert ins Innere ein.
Die Band erschien auf dem Podium, und wir erlebten, was wir wünschten, allerfeinste Jazzmusik der aus Dänemark angereisten Musiker. Das ging so ein Set lang unproblematisch, und die Mücken stachen uns nicht zu oft. Man konnte es aushalten. Die Musik machte, dass man sich nicht drum kümmern musste um die Plagegeister. Wir hörten zu und waren glücklich, applaudierten lange nach jedem Stück. Irgendwann, es geschah im Sugar Blues, das weiß ich noch, hatte Norbert sein Problem. Das ist der Trompeter aus Hamburg, der den Lebensmittelpunkt heute auf Fünen hat. Wir kennen uns schon lange. Von seinem Ärger beim Musizieren bekamen wir Zuhörer nichts mit. Anschließend der gelungenen Chorusse erzählte er uns launig davon. Eine Mücke spazierte beharrlich auf seiner Stirn und drang weiter zum Ohr vor, während Norbert sich auf sein Solo konzentrierte.
Man benötigt in der Regel beide Hände zum Trompetespielen. Um ein solches Ungeziefer linksseitig am Ohr zu erwischen, wäre denkbar, das Instrument für kurze Zeit nur mit der Spielhand zu halten und weiterzumachen. Es gibt Trompeter, die den linken, den Haltearm gelegentlich während ihres Vortrags weglassen, um zu beweisen, dass sie’s können, oder weil sie den Arm kurz ausruhen möchten, das wären so Gründe. (Es geht). Norberts Mücke war am rechten Ohr zugange. Er musste dieses Übel über sich ergehen lassen und brachte seine Töne hin. Gut möglich, dass in dieser Passage ein Plunger nötig war? Soweit erinnere ich mich nicht. Aber der Sugar Blues gibt es her. Dann muss man beide Hände dran haben am Horn. Die Chance, die rechte Hand frei zu bekommen: Sich einen langen Ton oder eine Folge von Tönen einfallen zu lassen, die keinen Fingersatz verlangt. Dann könnte man kurz den Plagegeist am Ohr abklatschen, ohne dass jemand es merkt? Links ist beim Plungerspiel der Arm gestreckt vorn am Trichter. Die linke Hand hält beides, das Instrument und den roten Gummideckel (vom Pümpel aus dem Baumarkt). Ein wackliges Kunststück wäre, so weiter zu spielen und rechts den Griff der spielenden Finger als entbehrlich anzusehen. Das hinzubekommen, diese Hand für den Mückenmord abzuziehen, könnte schwierig sein. Nebenbei müsste immer schön weiter musiziert werden. Darüber dachte Norbert nach während seines Spiels. Wir anderen merkten es nicht. Kunst ist Können.
Als er das Problem gern erzählte, schien mir aber, als ob niemand es hören wollte.
Menschen erleben Störungen, weil sie zielgerichtet Dinge tun. Wir möchten segeln, aber der Wind kommt von vorn. Da müssen wir aufkreuzen. Wir wollen eine Rast machen, aber das Restaurant hat Ruhetag etc. Das ist normal. Beim Autofahren kann es hitzig werden, andere drängeln sich rein. Das stört und ärgert. Fremde Menschen bilden eine Warteschlange. Uns kann stören, dass wir auf unser Drankommen warten müssen. Jeder Mensch zieht auf seine Weise ein Gesicht im Alltag, und es kommt auch darauf an, wie’s ihm in einer Situation geht. Das kann wie Abwehr wirken. Menschen drücken Gefühle aus durch Mimik. Die Leute gehen hektisch, sie stolzieren oder haben ein protziges Auftreten, das keinen Widerspruch duldet. Andere sind feige, unterwürfig. Sie zeigen es unterbewusst. Das drückt sich im Erscheinungsbild aus. Menschen nutzen ihren Tonfall: „Darf ich mal bitte eben durch. Danke.“ Und klar wird, wie genervt jemand ist, obwohl eine Dränglerin höfliche Worte wählt, und wir nichts tun, als mit anderen eingepfercht im Gang zur Kasse warten im Supermarkt. Eine Beamtin kann pissig sein, sie ist Dienstleister und sollte freundlich dreinschauen. Menschen können uns verstören, obwohl das keine Kraftprotze sind, Rocker etwa, in schwarz und voll mit Metall. Senioren sind frech, und wir sind gehalten, sie zu respektieren, weil sie alt sind. Das erfordert Gelassenheit.
Jeder könnte sich ausmalen, wie schwierig Geflüchtete es finden in einer neuen Heimat? Da sind Menschen dabei, die schon in ihrem Land Probleme erlebten. Viele sind traumatisiert. Als Urlauber hingegen ist nicht schlimm, auf Gewohntes zu verzichten. Mir fällt gerade auf, wir sind bloß in einer Ferienwohnung, und hier ist manches anders als zu Hause. Das sollte man auflisten, gerade weil das so normale Kinkerlitzchen sind. Das könnte zum Weiterdenken anregen. Es ist wenig Platz auf einem kleinen Herd. Zwei Pfannen können nicht gleichzeitig auf den beiden Platten genutzt werden, weil die Schaltknöpfe und der Durchmesser des Kochgeschirrs alles begrenzen. Es gibt keine Spülmaschine. Der Platz zwischen Spüle, Ablage und Herd ist klein. In der Vorbereitung seines Mittagessens muss ein Koch nicht nur ausreichende Stellflächen erkennen für fertig Geschnippeltes, man muss auch zwischendurch Sachen schnell mit der Hand abwaschen, damit einer überhaupt ansprechend kochen und anschließend servieren kann. Das stört. Das vorhandene Geschirr ist nicht wie gewohnt. Es gibt einen leistungsstarken Wasserkocher, aber der Deckel bleibt nicht offen stehen zum Wassereinfüllen. Jedenfalls ist es unterm Hahn niedrig dafür und nicht einfach, den Wasserkocher locker in der Schwebe zu halten. Es müsste der Deckel weiter aufklappen als möglich. Man könnte den ganzen Apparat absetzen, aber das ist knifflig, ohne den elektrischen Adapter unten nass zu machen. Ein Problem ist ansonsten, sich oben, wo man das Teil greift (unter dem Strahl, während Wasser läuft), nicht zu verrenken. Der Wasserkocher wird allmählich voll und schwer. Im Urlaub aber ist so was ein Vergnügen und kein Problem.
Der Wasserhahn dieser Spüle hat auch seine Tücken. Hebt man den Hebel, und wie gewünscht läuft Wasser in angemessener Stärke, kann man damit doch nicht arbeiten. Es dauert nur einige Sekunden. Dann versiegt der Strahl. Nun „hebelt man nach“, gibt mehr „Stoff“. Das läuft nur kurz gut. Dann versiegt das Wasser wieder komplett, bis man begreift, den Mischer immer bis auf „voll“ zu öffnen. Daran muss man sich anpassen. Ärger hilft nicht.
Es ist Sommer, jeder Nachbar mäht. Eine Taube sitzt nebenan auf dem Dach und gurrt. Andere Gäste wohnen unten. Der Mann dieser Familie gibt scheinbar ununterbrochen Anweisungen. Sein weinerlich quakender Singsang tönt ununterbrochen, auch wenn er telefoniert: „Und dann, Meyer, ist noch wichtig, dass Sie unbedingt …“
So geht das die ganze Zeit.
Das Bett, die Matratze ist weich, die Decke warm für sommerliche Zustände, aber wir lieben diesen Ort, kommen immer wieder auch genau in diese Wohnung. Wir mögen die Vermieter.
Auf der Elbe, wo wir mit der kleinen Jolle segeln, die ja unsere eigene ist, müssen wir auch manches anders machen als zu Hause. Im Urlaub und am Segelwochenende stören manche Dinge kaum, die uns doch erhöhte Aufmerksamkeit abfordern. Man sollte gegenüber dem Dasein respektieren, wie kompliziert vieles auf dem Planeten überhaupt ist auch im zwischenmenschlichen Zusammensein …
Das mag, wenn man alles potenziert betrachtet, dem geneigten Leser deutlich machen, dass Impulskontrolle gefragt ist für geduldiges Miteinander. Natürlich können Beruhigungsmittel die Erregung dämpfen. Das ist deswegen nicht gesundes Leben. Es hieße das Aushalten unerträglicher Zustände. Wir können – auch als Kranke – mehr erwarten, möchten uns irgendwann wohlfühlen, hoffen auf Hilfe, die uns dahin bringt. Psychisch Kranke zeigen unterschiedliche Krankheitsbilder. Der Arzt nutzt seine Kenntnisse, die Patienten diagnostisch einzuordnen. Allen irgendwie psychisch Erkrankten ist eine soziale Anpassung gemein, die das Verhalten der mehr normalen Leute überspitzt kopiert. Normalität in höchster Verantwortung wird scharf beobachtet: Bei der ersten Regierungserklärung vom neuen Kanzler Merz wurde dieser mit seinem Vorgänger verglichen. Merz habe Nerven gezeigt und zu jedem Anwurf von Alice Weidel und der Opposition überhaupt detailliert Stellung bezogen. Olaf Scholz hätte in einer vergleichbaren Situation nur mit den Schultern gezuckt, milde gegrinst, vermutete ein Beobachter. Der Grat, auf dem wir wandeln, den wir unter Umständen gezwungen sind, halten zu müssen, der uns vom neurotischen aber noch normalen Verhalten trennt, bis hinüber zum Abgleiten in eine Pathologie, ist von Interesse. Das gibt uns die Chance zu erkennen, dass wir alle Menschen sind und Lernen gefragt ist.
Diese Programme müssen wir uns auferlegen: Zum einen ist nötig, tatsächliche Widersacher zu erkennen. Das hilft gegen manche paranoide Idee. Wer uns nicht wohl gesinnt ist, sollte auf Abstand gehalten werden. Wir dürfen anderen Paroli bieten. Wo wir traumatisiert überreagieren, müssen wir lernen, dass die Gesellschaft uns hier nicht angreift, sondern nur ihre normalen Abwehrgesichter zeigt. Unterschiede wahrnehmen heißt merken. Dafür dürfen wir nicht benebelt durch Medikamente sein, die jemand uns vorschreiben möchte zu nehmen. Wir sollten aus unsrer Geschichte respektieren, dass wir oft in Situationen nicht in der Lage gewesen sind, natürlich in Beziehungen zu interagieren. Das regt andere an, uns zu beschneiden. Viele probieren uns zu gängeln, und das bleibt ein Teil unseres Problems, dass welche unsere Vergangenheit kennen. Manche sehen es uns auch an. Fremde erkennen, dass wir nicht selbstbewusst sind, obschon wir meinen, heute gerade wie die anderen gut drauf zu sein. Das macht man schlimmer, wenn man’s denkt, sich die Einbildung manifestiert und selbst erfüllt. Allein sein, kann sich schwierig gestalten. So sind zahlreiche Misslichkeiten im Alltag gegeben, die wir als Fehler unseres Geschicks vom Wahn trennen müssen, ein böses Schicksal sei gegen uns aktiv. Das ist weniger leicht umzusetzen, als es hinzuschreiben.
Gesundheit bedeutet nie, unwidersprochen Pillen schlucken zu müssen und tun, wie der Arzt es verlangt. Es heißt, sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Wer meint, bloß lieb zu sein, gilt den anderen als naiv, wenn später doch ein Aufbegehren geschieht, heißen wir Gefährliche. Dann rotten sich selbsterklärte Gutmenschen zusammen. Es ist paradox, Kranke als schützenswert und vor Gericht schuldunfähig zu bezeichnen, weil diese Menschen (straflos) von jeder armseligen Tante wie nebenbei angepisst werden (und wie ein schmutziger Hund behandelt). Das wollen Freundinnen, Geschwister, Helferinnen, Pastorinnen sein, Bürgermeisterinnen? Nie wieder respektiere ich eine Frau mehr als unbedingt nötig. In meinem Alter kann ich auf manches verzichten. Das ist von Vorteil. Wozu Liebe suchen, wenn Empathie anderen als Schwäche gilt? Bei jedem neuen Amoklauf irgendwo kann ich mir die sogenannte klammheimliche Freude über eine scheinbar sinnlose Attacke auf die normale, wie es heißt, unschuldige Masse nicht verkneifen. Ich selbst könnte ja genauso an irgendeinem Bahnsteig abgestochen werden. Ich weiß das. Beim Bahnfahren bin ich ganz normal Reisender. Ich bin unbewaffnet. Ich habe ein Skizzenbuch mit Kugelschreiber bei mir. Ich zeichne ungefragt Mitreisende, und manchmal wird’s „zum Anspucken ähnlich“, wie das mein lieber alter Professor sagte bei guten Zeichnungen. Sollen sie klagen! Niemand sieht mir an, dass ich einen Senior zu Boden stieß und ihm noch ins Gesicht trat.
Das tut mir nie leid.
Ich weiß, warum die Jesusgeschichte und die vom heiligen Stephan bis heute erzählt werden und gehe doch in keine Kirche mehr. Frauen haben auf der Kanzel nichts verloren, denke ich. Die sind feige, intrigant. Mehr können sie nicht. Die Welt verblödet dekadent im Versuch, Freiheiten für manche Minderheiten zu installieren? Jetzt schlägt das Patriarchat zurück mit dem irren Donald, dem brutalen Wladimir, und den vielen Verrückten in Nahost. Das ist unser Dorf, dieser Planet.
…
6 DIE PERSON
Das „Russenkind“, so haben sie dich genannt, „die Person“
Alles sollte persönlich sein, fordert Kathleen Kelly (Meg Ryan) im Film „E-Mail für Dich“. Ich habe daran geglaubt, an die romantische Beziehung wie im Roman wollte ich unbedingt glauben. Dafür kam ich vom Kurs ab, das grünere Gras wollte ich alter Ochse fressen! Ich fand, wir Menschen hier auf dem Planeten sollten nicht allgemein sein, alle gemein. Es kommt bekanntlich anders. Das Leben bleibt kein romantischer Film oder zeigt sich wie „Helden sind gute Menschen“, wenn man aufbricht, selbst die Erfahrungen zu machen. Einige kleine Seiten Papier mit Buntstift hatten vor Jahren auch mein Interesse geweckt. „Mutig gegen Extremismus“ ist der Titel eines Heftchens, das genügte, einen Preis zu gewinnen – und mein Herz. Das war wohl nix. Heute stehen wir im jeweils anderen Lager. Extrem bin nun ich und mutig, wer ist noch mutig zu nennen, nach diesem Scheiß überall? Allgemein ist Brei unterwegs.
Ich halte dagegen.
„Person“ ist ein Wortspiel, die Nennung ohne Sternchen möglich, ein Zwinkern im Auge geschieht wie von selbst. Immer noch will ich Wahrheiten sichtbar machen. Ich stehe dafür ein, auch heute persönlich berichten zu können. Ich nutze die Buntstifte. Ich bin kein Schulkind. Authentische Beschreibungen, wie sich’s anfühlt, muss ich berufen notieren und was andererseits, einen „Psycho“ im Umfeld zu kennen, für normale Menschen bedeutet, die Bescheid zu wissen glauben. Pfründe und Leibeswohl sehen sie offenbar bedroht; diese listigen, falschen Freunde ergreifen Maßnahmen. Die verschwimmen unscharf. Solche, und ich könnte sie klar und namentlich benennen (bleibe in Skizze), betreiben lustvoll Rufmord. Bei Brecht sind die einen im Dunklen – und manchen gelten die, die nicht hoch kommen, es nicht schaffen, automatisch als böse: Die ich meine, stehen auf den Leuchtfeuern unserer Gesellschaft und glänzen vor Moral. Das sind Preisträger. Sie sind queer und Nazi zugleich. Die gewinnen immer. Wie sehr mein Empfinden, selbst von Krankheit betroffen, davon abweicht, was die Normalen über mich, einen wie mich, denken, wenn man gerade nicht im Raum ist, schreibe ich auf. „Never underestimate your power“, sage nun auch ich und kann tatsächlich die Welt ändern. Eine Person kann das.
Wie ein Schulmädchen meinte, das ich mochte.
Alles anders.
Mit dem Begreifen kommt die große Ernüchterung. Wer mit mir überhaupt zusammen ist, durchs Leben geht, in Beziehung steht, sei es in Freundschaft, Familie oder Ehe, im Arbeitsverhältnis, irgendeiner Geschäftsbeziehung oder zwingend mit dranhängt als weiter entfernter Freund vom Freund, der Familie, den Kollegen, die Nachbarn (die ihr Haus nicht meinetwegen verkaufen), muss – bei meiner Offenheit und dem nicht zu Verbergenden – entsprechend Stärke aufbringen oder elegante Grenzen ziehen: Nicht alle sind ehrlich. Menschen benötigen ein Motiv, um sich einzulassen. Schön wäre, wenn mit mir Verbundene etwas sähen, das positiv sämtliche Macken überstrahlt. Da hin träumend, sollte man sich’s nicht leichtfertig wünschen und vielleicht letztlich in Menschen täuschen. So sind Überlegungen, die mir unweigerlich kommen. Weniger hehre Vorstellungen, an meiner Seite zu sein, sind denkbar. Dieser Satz hängt nach:
„Was du von dem Mädchen wolltest, John, ist ja klar. Was wollte sie von dir?“
Es beschäftigt mich.
# Wovon es kommt
Meine früheste Erinnerung ist das mit den Türen, die die Männer hochtragen. Das war noch im alten Haus, deutlich bevor wir später unser modernes Geschäftshaus bauten, also wohl mit höchstens vier Jahren muss das für mich gewesen sein. Ich bin oben, schaue hinab ins Treppenhaus, und die Männer kommen mit den weiß lackierten Türen die Treppe hoch. Damit bekam ich ein richtiges Kinderzimmer. Die neue doppelte Tür verschloss den Durchbruch ins Wohnzimmer der Eltern. Da konnten sie abends sitzen mit anderen Erwachsenen, und ihr Reden störte mich nicht im Schlaf.
In diese Zeit fällt auch der frühe Schulanfang wenig später – und zu früh, wie ich heute meine. Schon das mit dem Kindergarten war unglücklich gelaufen. Mir machten die anderen Angst. Ich hatte einen lieben Freund aus der Nachbarschaft zu Hause, als ich klein war, aber diese Leute zogen bald um in eine andere Stadt. Die Kinder im Kindergarten waren dagegen brachial. Es sind Monster gewesen! Die Schule erschien mir als die Fortsetzung eines nicht selten furchtbaren Lebensabschnitts. Es ging uns ja ansonsten gut. Nur das mit den anderen Kindern war belastend. Ich bin noch fünf Jahre alt gewesen, als wir im Sommer mit der ersten Klasse oben in der Altgemeinde anfingen. Ich habe im August Geburtstag. Mich überforderten diese Mitschüler und der Unterricht. Das war so deutlich, wird mir inzwischen klar, unter anderem weil ich mit meinen ersten Schriftkünsten tatsächliche „Doofenlisten“ führte. Das waren mit Füllfederhalter notierte Namen im extra von mir angelegten Schulheft. Da standen (mit blauer Pelikan-Tinte auf den dünnen Hilfslinien) säuberlich die gelistet, die ich scheiße fand. Als meine Mutter die Notizen entdeckte, nahm sie mir das Heft weg. Sie war sauer. Das „machte man nicht“, war ihre Haltung, die keinen Widerspruch duldete. Sie warf mein Heft in den Mülleimer. Sie verbot mir, neue Schriften solcher Art und Inhalts anzufertigen. Irgendwann werden Menschen flügge und reflektieren nach Möglichkeit? Ich knüpfe heute wieder daran an und nutze mein besonderes Talent. So kann ich mich genial ausleben, zeichnen, schreiben, mich von Bevormundung auch der Gesellschaft, was sich gehört und was nicht, befreien.
Die Synthese: Bilder, Schriften können verboten werden, weggeworfen, wenn die Umgebung solche Meinungsbildung unterdrückt, die Macht dazu hat. Es kann uns überall geschehen, von anderen nicht gemocht zu werden, kritisiert, keine Anerkennung für eigene, seien es auch auch kreative, Lautmeldungen zu bekommen. Menschen sitzen schlimmstenfalls im Gefängnis oder werden getötet, weil sie in ihrem und von ihrem Staat verbotene Gedanken – anfertigten ist wohl das nötige Wort an dieser Stelle. Das Denken für sich allein, abstrakt und bloß im Kopf ist zunächst frei im Organismus. Das Kennzeichen einer gesunden Ordnung ist ja, Probleme zum eigenen Lebenserhalt zu lösen und entsprechend der aufkommenden Gefühle zu merken, was als Nächstes vernünftigerweise anliegt. Gefühle regen zu denken an, und umgekehrt können Überlegungen Emotionen auf den Weg bringen. Jedes Denken wäre frei auch für jene, die nicht wissen, dass es frei ist. Die haben sich aus der Erfahrung von Angst manches abgewürgt, weil das ab einem bestimmten Punkt zu unangenehm wird und gehen die nötige Kette von Überlegungen nicht mehr durch. Dazu kommt ein individuelles Körpermuster, dass diese Denkwege blockiert. So gesehen sind die Mauern nicht im Kopf. Es wird der Brustkorb zementiert, die tiefe Atmung abgeschnürt. Psychopharmaka verstärken das paradoxerweise, weil Stabilität bedeutet, nichts zu merken für diejenigen, die mit aufwühlenden Situationen nicht umgehen können. Bei schlechter Betreuung durch den Arzt, sei es aus Ahnungslosigkeit dieser Fakultät oder schlicht Zeitmangel, eine adäquate Betreuung hinzubekommen, ruiniert unser System die Armen vollends. Zu hassen als Emotion an sich darf man sich nie verbieten lassen: Menschen werden in psychiatrischen Kliniken behandelt oder müssen dort leben, weil sie sich das Denken, wen sie zum Kotzen finden, verbieten und selbst nicht einmal drüber nachdenken, dass sie das tun, weil sie sich auch diesen Gedanken niemals erlauben.
Die früheste Erinnerung an die Liebe ist bei mir eine doppelte.
Das ist schwieriger zu erzählen. Das war auch in dieser Grundschule. Dort gab es eine Bibliothek. Ich lernte schnell lesen und suchte mir regelmäßig im Regal was raus. Ein wunderbares Buch erinnere ich bis heute. Das war ein illustriertes Kinderbuch. Ein Junge löst einige schwierige Probleme, und an seiner Seite hilft ihm dieses seltsame Mädchen: Mo. Sie ist eine Ausserirdische und muss ihn am Ende der Geschichte verlassen. Der Junge ist tieftraurig, aber es hilft nichts. Mo düst wieder ab zu den Sternen. Da gibt es noch eine Szene im Wald, zum Schluss fliegt das Ufo mit ihr drin fort. Der Junge sieht Mo nie wieder.
Das ist in einem Buch gewesen, so etwas nistet sich ein im Hirn, aber dies hier passierte wirklich, was ich nun meine und noch nie aufschrieb. Ganz unspektakulär, aber doch bedeutsam, unvergesslich ist wohl manches für uns, die wir so verschieden sind. Besondere Wegpunkte machen begreiflich, was den Menschen ausmacht.
Wenn die Schule aus war, gingen alle zu Fuß nach Hause. Der Unterricht endete nicht verlässlich, es gab keine Elterntaxis. Man konnte erwarten, dass überall jemand die heimatlichen Fleischtöpfe beköchelte, die Kinder wenigstens eine Oma hatten, die mit dem Mittagessen bereit stand. Ich hatte einen Schulweg von der Altstadt (auf dem höheren Geestrücken gelegen) runter bis zum früher Spitzerdorf genannten Ortsteil, etwa einen Kilometer musste ich gehen. Weiter in Richtung Elbe fängt schließlich Schulau an.
Ich denke es noch wie gestern, nach dem letzten Gong liefen wir wie immer, alle Kinder meiner Schulklasse los und zerstreuten uns am Rand vom Schulgelände in die Wege nach Hause. Der Schulhof öffnet sich ein wenig, verbreitert sich als Auffahrt, und das ist an dieser Schule noch heute der Fall. Es ist noch immer eine Grundschule. Die Kinder strömen nach Schulschluss raus. Manche biegen rechts ab, viele links, und man kann auch den Jungfernstieg wählen. Das ist ein schmaler Fußweg, kaum breiter als für zwei Personen, sich zu begegnen. Da stehen hohe Bäume, und man kommt zur Stockbrücke runter an die Au. Die Schulauer Straße beendet diesen schmalen Stieg. Ein niedriger Deich war damals noch gar nicht aufgeschüttet, das geschah erst einige Jahre später und die moderne Brücke mit ihrem Fluttor, die man oben auf der Straße kaum als solche begreift, gab es auch noch nicht. Eine weite Marsch erstreckte sich offen bis zur Elbe. Die Schulgebäude selbst stehen höher auf der Geest wie der schöne Roland ganz in der Nähe am Marktplatz.
Und eine Begegnung erinnere ich, das geschah hier, wo alle auseinander gehen bei Schulschluss. Manche bildeten Freundschaften und liefen gemeinsam. Ich hatte keinen Freund, blieb meistens allein. Die anderen mochten mich nicht? Das nahm ich an. Deswegen war dieser Moment besonders.
Wir hatten für kurze Zeit ein indisches Mädchen bei uns in der Klasse.
Ich würde sagen, wir Kinder waren zu dieser Zeit sieben Jahre alt. Man sollte darauf hinweisen, es gab kaum Ausländer überhaupt. Als ich an diesem Tag den schmalen Weg neben dem Kopfsteinpflaster der Schulstraße erreichte, ging ich wie immer allein links raus, aber das indische Mädchen holte mich sofort ein:
„Warte.“
Sie griff mich am Arm. Die kleine Fremde war wunderschön. Sie ist schlank gewesen, etwa so groß wie ich zu dieser Zeit. Unsere Unterarme hatten ganz verschiedene Haut. Ich erinnere es genau. Wir berührten uns damit. Die Haut, ich weiß noch ihre seidige Glätte, da war zarter Flaum, feine Härchen. Ihr Teint – der von Milchkaffee, etwas gelblich, ein wenig braun und ihr Haar war lang und schwarz. Die Augenbrauen waren dunkel, ihre braunen Augen schauten mich intensiv an. Mich faszinierte auch ihr Mund, das weiß ich noch genau. Sie wollte mir etwas zeigen?
Ihr Hand deutete in die Ferne, der Arm streckte sich, beschrieb den Blick in die Marsch.
(Damals hatte ein guter Freund meiner Eltern das Haus an der Ecke noch nicht gekauft? Später bin ich oft dort gewesen. Ich meine, dass es zunächst hellgrün war, verputzt. Ein Sohn –, da sind drei Geschwister, sie waren meine Spielkameraden, sind spätere Segelfreunde geworden; mein langjähriger Freund glaubt mir das Grün allerdings nicht. Er kennt nur die braunen Klinker, wie sie eben heute sind. Das macht nachdenklich. Es gibt Dinge, die Google nicht weiß. Wie präzise mögen unsere Erinnerungen überhaupt sein? Wir haben erst kürzlich drüber geredet, weil sein Bruder die Immobilie bekommen hat nach dem Tod der Eltern).
Von jedenfalls diesem Einfamilienhaus bis rüber nach rechts, wo die Bäume am Jungfernstieg stehen, konnte man ganz gut weit in die Wiesen sehen. Das gefiel dem Mädchen, und sie musste mir das unbedingt zeigen! Sie war so sanft in diesem Moment und wir waren bloß Schulkinder. Wir gingen noch ein Stück zusammen, aber so wie ich das erinnere, begleitete sie uns im Unterricht kaum mehr als einige Wochen – Urlaub oder so. Da passierte nichts weiter, sich näher kennenzulernen. Ich erinnere ihren Namen nicht.
Ich habe sie nie wieder gesehen.
Eine Melodie, die Lyrics passen, weil ich mich schon damals in diese Musik verliebte, das auch noch: „Hindustan, where I met her and the world began.“ Die alte Aufnahme, wo ein Vocalist diesen „Standard“ singt, kommt mir in den Sinn. Meine Platte ist aus einem Nachlass, das Geschenk einer Freundin, die mit der Kiste von Raritäten wenig anfangen konnte. (The New Orleans Ragtime Orchestra, gegr. 1967 / Creole Belles. „Hindustan“, Song 1918, Oliver G. Wallace und Harold Weeks).
# Was ich gelernt habe
Liebe, das ist nur ein Wort? Menschen greifen Menschen an. Das ist die erste notwendige Regel zu verstehen, wie das hier läuft. Menschen interessieren sich nicht für andere, es sei denn, sie gewinnen selbst etwas dabei. Es heißt: Win-win-Situation. Donald Trump zeigt seine hässliche Fratze und möchte Dealmaker sein. Das begeistert so viele bei ihm zu Hause, dass man sich nur wundert. Wir zurückgelassenen Partner schauen dumm aus der Wäsche. Falls es dem protzigen Präsidenten nicht gelingt, gute Politik für Amerika zu machen, siegt letztlich die Idee einer multipolaren Welt, wie Wladimir Putin diese vorhersehen möchte. Überall verlangen die Bürger jeden Landes eine starke Führung, die sich für genau ihre Interessen einsetzt. So viel dürfte nun klar sein. Die Zeiten, wo offensichtlich Schwächere bessere Rechte einfordern können, scheinen vorbei zu sein – jedenfalls für eine motzende Masse, die alberne Männlichkeit beweisen möchte. Das trifft die unter dem Regenbogen und bedeutet Rassismus, heißt Hetze gegen psychisch Labile, die als Gefährder abgeschoben werden. Der amerikanische Präsident kappt Klimaverpflichtungen, beendet humanitäre Hilfe und zeigt sich allgemein egomanisch. Scheitert er, kommen Elon Musk und ähnliche Großkotze nach ihm.
Das schreckt manchen ab und pusht andere, sie wollen sein wie dieser hässliche Mann. Solche Stärke hat allerdings eine empfindliche Schwachstelle, der amerikanische Präsident darf keine Fehler machen. Seine vermeintliche Führung verspielt einer, der meint „die Sache an sich“ begriffen zu haben in dem Moment, wo etwas wirklich derbe in die Hose geht. So wird sich allmählich zeigen, ob hinter diesem Anführer nicht doch ein kluges Team steht, und wir ihn zu Unrecht in die Nähe des Verrückten rücken oder Donald Trump tatsächlich ins Dilemma schlittert, weil er’s eben nicht kann. Wie bitter lange ein System mit Aggression durchkommt, der viele nichts entgegen halten können, zeigt Russland uns, der Welt. Man ist davon abgekommen, in Putin einen Verrückten zu sehen. Daraus lässt sich manches lernen für einen kleinen Wurm wie mich, der ebenfalls des Wahnsinns beschuldigt, auf den dummen Einfall kam, öffentlich zuzuschlagen. Wäre das verrückt gewesen und grundlos, irre, säße ich wohl nicht hier, fröhlich am Schreiben.
Ich notiere meine Wahrheit, und die ist hartnäckig, mein bester Freund jedenfalls.
Mir gegenüber wachsen immer neue, vergleichbare „Donalds“ hoch, die ihren jeweiligen Freunden beweisen möchten, mich zur Strecke zu bringen, das glaube ich tatsächlich. Ihre Geigerzähler schlagen aus, meine Ausstrahlung scheint ihnen atomar. Mich hält man für einen irren Bombenbauer wie den Iran? Es wird sich zeigen, ob diese Bewertung stimmig ist und solche, verschworene Allianz die ihrer Meinung nach notwendige Stärke kreiert. Eine Parabel ist gegeben. Wichtigtuende wollen in mir einen Angriffskrieger sehen, der zwanghaft übergriffig ist. Dagegen hilft ihnen die rechtsstaatliche Ordnungskraft wenig, wie auch das Völkerrecht im Großen schlapp bleibt, wo Moral auf Argumente trifft. Recht bekommen nur Menschen, die ihre Rechte auch einfordern. Das habe ich begriffen. So bilden sich gegenüber dem Einzelnen Neider und feige Menschen zu Gruppen aus, Leute, die sich profilieren möchten. Ein dumpfer Mob spricht: „Wir regeln das selbst.“ Mir scheint klüger, böse Gegner anzunehmen, die gut sein möchten, den Platz besetzen, das Feld, Schenefeld. Ausgeschlossen bleibt, auf die starren Strukturen einer rechtmäßigen Polizei zu hoffen, die vernünftigerweise auch für mich sorgt, für alle für Ordnung sorgt. Der Starke kann oft glücklich, locker bleiben. Man lernt, Ängste auszuhalten, insgesamt weniger Fehler zu machen, eine feste Burg zu formen und kann doch über Tag die Zugbrücke frei zugänglich herunterlassen für manche Verkehre. Das stünde auch den Erbosten gut zu Gesicht, zu helfen wie früher, Freundlichkeit zu üben und weniger mit vorgeblicher Stärke die dumme Fratze zu schnauzen.
Taktik!
Immer nachzugeben, ist niemandem geraten. So habe ich mir angewöhnt, meine Fehler zu inszenieren. Ich stelle quasi ein Netz daneben. Das kopiert die Methode der Gegenseite. Die Falle besteht darin, die Gutmenschen, die zu eifrig vorpreschen, mit dem ausgestreckten Bein zu Fall zu bringen. Meine Skizzen mögen mahlendes Mehl gemalten Treibsands sein. Meine Worte wollen wirken wie willige Alliterationen, Kaskaden von Fassaden, in denen ihr Normalen euch spiegelt.
…
7 RECHTWEISENDER KURS
Alle Schotten dicht!
Der Rechtsruck ruckt dagegen, Grenzen geschlossen: Labile Menschen ohne Selbstbewusstsein gelten selbsterklärten Aufpassern als tickende Zeitbomben. Möchtegernpolizisten treibt die paradoxe Haltung, es wären latent gefährliche Menschen unterwegs, und sie könnten solche erkennen. Ein Herold kommt selten allein. Der Erfinder der Rasterfahndung ist tot. Die Enkel aber vermehren sich wie Karnickel. Etablierte Modelle leben weiter und beleben die künstliche Intelligenz. Ein neuronales Netz häkelt sich die Maschen selbst. Das kann noch ungemütlich werden, wenn Kollege Computer uns nach Schema „F“ observiert und proaktiv die Akte generiert. Dagegen sind Rundfunk-Beitragsservice oder Schufa harmlos. Verdacht reicht aus. Wer spinnt, nicht richtig tickt, läuft womöglich Amok? Die Masse macht gern mit. Jeder ist ein Denunziant. Eine ungewöhnliche Meinung ist keine. Nur richtige Ansichten sind korrekt. Keinesfalls konservativ möchte die Cancel Culture sein? Für immer beibehalten zu wollen, was heute als richtig gilt, erfordert eine konsequent rückwärts gewandte Sicht. Leute geben bloß vor, Benachteiligte zu befreien oder zu schützen. Sie beweihräuchern sich selbst mit allerlei Unfug. Tatsächlich befruchtet die Moderne ihre eigene Inzucht. Es gibt schließlich keine Innovationen, wo das freie Wort als gefährlich und falsch gilt. In dieser Zukunft belebt jede Reflexion massive Kritik, dass Verbote unumgänglich werden. Niemand will im Shitstorm mitgerissen werden.
Deswegen ist unbequem zu sein notwendiger denn je.
Ein Rechtsstaat benötigt Gewaltenteilung. Der Rechtsruck möchte die Umständlichkeit demokratischer Strukturen verkürzen. Das ermuntert Ordnungskräfte, den Richterspruch nicht abzuwarten und sofort vor Ort loszuballern. Da wird schon mal der Taser steckengelassen und die echte Kanone gezogen. Leider verwechselt. Kann passieren. Man liest häufiger vom finalen Rettungsschuss, der nötig gewesen wäre. Milde Verfahren schützen. Der Arme wird auf eine andere Dienststelle versetzt. Entsprechend ungeschickte Kollegen gehen in der Regel straflos aus. Gibt es einen internen Preis für erfolgreich erlegtes afrikanisches Freiwild mit Psychofaktor? Bumm, tot. Eine unerhörte Fragestellung und nicht zulässig.
Achtung: Satire! Die Politik ist nicht untätig. Es gibt wichtige Gesetze. Rechtsnationale Autokennzeichen sind verdächtig. Wer etwa Susanne Allewelt heißt und sich initial verewigen möchte (wie jeder Max Mustermann es kann), hat Pech gehabt. Manche Kombi darf man nicht generieren. Da würden Menschengruppen in ihrer Würde verletzt. Wir schauen hin, passen auf! Die Beamten verdienen Respekt.
Es heißt, wenn doch geschossen würde, die Uniformen handelten in Notwehr. Das müsste sein, wenn ein Mädchen mit Pappkanone bedrohlich auf sie zusteuert, erläutert ein Sprecher. Eine täuschend echte Attrappe habe die polizeibekannte, drogensüchtige Frau auf die Beamten gerichtet, schreibt eine Zeitung. Dann liegt wieder eine erst Zwanzigjährige totgeschossen in ihrem Blut.
Anschließend folgt unerträgliches Geschreibsel vom traumatisierten Beamten, der das Bild seiner Tat nicht vergessen kann.
Ich habe mein Thema gefunden.
Danke.
# Nach dem Tod berühmt …
Ich lese diese Berichte. Mir macht das Angst. Ich weiß, das könnte ich sein, den es erwischt. Unsere Freunde und Helfer haben das nach ihnen benannte Syndrom. Polizisten halten sich für gute Menschen und Helden. Sie glauben, die Gesellschaft ritterlich zu beschützen, meinen, psychisch Kranken helfen zu müssen, brav zu bleiben:
„Ruhig, Brauner!“
Als wäre man ein störrischer Gaul, der jederzeit durchbrennen könnte. Einer, der Zuckerbrot oder Peitsche benötigt.
Einen Tritt bekommt ihr ins Gesicht.
🙂