
Wer ist schuld?
Ein Prozess, bei dem es keine Gewinner geben kann: So beurteilt die Presse den eskalierten Sorgerechtsstreit vor Gericht, bei dem die Entführung der gemeinsamen Kinder von Christina Block und ihrem früheren Ehemann Stephan Hensel aufgeklärt werden soll. Das geht zur Zeit, wo ich diese Zeilen tippe, durch alle Medien. Angeklagt sind die Mutter und ihr neuer Partner Delling. Mit Gewalt wurden die Kinder, die bei ihrem Vater in Dänemark leben, in der Silvesternacht entführt und zur Familie Block nach Hamburg gebracht. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Christina Block und ihren Partner, den Sportmoderator Gerhard Delling, die Entführung beauftragt zu haben. Die Beschuldigten weisen das zurück. Soweit kann ich’s hinschreiben, denke ich. Es sind die der Presse entnommenen Fakten. Frau Block und ihr neuer Partner klagen über Vorverurteilung. Delling bekomme keine Jobs mehr, heißt es etwa. Nicht verwunderlich: Mir ist ein alter Comic eingefallen, und zwei der Panels habe ich diesem Text vorangestellt. So denken Menschen über das Motiv einer Tat.
Es ist nicht schwer für mich, die Bilder meiner Jugend in etwa zu skizzieren. Ich habe diese Hefte geliebt! Die Schulzes nehmen an, dass eine Autowerkstatt das Benzin verfälscht, weil neuerdings überall Motoren explodieren. Tim ahnt schnell, dass mehr dahinterstecken muss. Soweit der Plot in aller Kürze.
Wir bei der Kripo fragen immer: „Wer hat den Nutzen davon?“, heißt es im Comic.
Ohne zu wissen, wie dieses Verfahren „Block“ ausgehen wird, möchte ich mich nicht positionieren mit einer Prognose, wer hier schuldig gesprochen wird oder eben nicht. Ein hirnrissiges Projekt zu Lasten der traumatisierten Angehörigen Hensel und den entführten Kindern ist das Ganze. Vor Gericht scheiterten die bisherigen Versuche einer einvernehmlichen Besuchsregelung, das scheint klar. Mit Geld, Macht, Einfluss konnte früheres Familienglück nicht wiederhergestellt werden, mit Gewalt wurde schließlich nichts Gutes erreicht. So bitter. Ich kann mich übrigens gut an die verstorbene Mutter von Christina Block erinnern. Für Christa Block zeichnete ich mehrere Aufträge als junger Illustrator. Sie war eine charmante und humorvolle Geschäftsfrau. In der Galerie vom Hotel bin ich ebenfalls oft gewesen und habe mir dort manche Ausstellung angesehen. Einen großen Ball haben wir noch vor kurzem mit vielen Familien im Saal vom Elysée gefeiert. Nicht selten aß ich die immer guten Steaks in einem der bekannten Restaurants von Eugen Block. Mich macht traurig, das alles zu lesen. Wahrscheinlich bleibt die komplexe Geschichte undurchsichtig. Es kann kein klares Gut und Böse geben, und ist das überhaupt jemals der Fall?
Vorteilsnahme ist das Kennzeichen des geistig Gesunden. Normale Menschen können das, sie setzen sich für ihre Belange ein. Mir ist es lebenslang aber nicht so gut gelungen, darum schreibe ich von dieser Banalität. Man schadet sich ja nicht gern selbst oder? Die Betonung liegt auf dem Wort gern. In der Frage nach dem Grund für jede psychische Erkrankung sollte dem Wörtchen „gern“ eine wichtige Rolle zugeschrieben werden. Tut man etwas gern oder unter Zwang?
Das Folgende ging ebenfalls gerade durch die Medien, eine Geschichte von Bedrängung und Suizid, die ich für meine Betrachtungen gekürzt zitieren möchte. Es stand auf Yahoo.
„Ich habe gewusst, er ist jede Nacht da“ – Jahrelanges Stalking von Ex-Biathletin Neuner findet tragisches Ende, lautete die Überschrift.
Zitat, gekürzt:
In einem bewegenden Gespräch (…) berichtet Neuner offen über die traumatischen Erfahrungen mit einem Stalker, der ihr Leben über Jahre hinweg bedrohte und sich schließlich das Leben nahm. „Ich habe gewusst, er ist jede Nacht da, er ist jede Nacht am Haus“, erzählt Neuner (…). Der Stalker, psychisch krank, kletterte sogar auf ihren Balkon. Trotz eines Kontaktverbots hinterließ er täglich Briefe an ihrem Auto. „Dann bin ich jeden Tag mit diesem Brief zur Polizeidienststelle gefahren und habe den abgegeben. Passiert ist nichts im Grunde“, erinnert sich die Biathlon-Ikone. Die fehlende Unterstützung der Behörden verschärfte die Belastung zusätzlich. Die jahrelange Bedrohung hinterließ Spuren: Neuner entwickelte eine Angststörung und litt unter Schlafproblemen. „Ich habe bei Dämmerung nie allein das Haus verlassen“, berichtet sie. (…) Mit einem Mental-Trainer arbeitete sie daran, die Angst zu bewältigen (…). „Tragisch an der Sache war, dass sich derjenige dann das Leben genommen hat irgendwann“, sagt Neuner. Trotz allem empfindet sie Mitgefühl für den Mann, der offensichtlich aus seiner eigenen Lebenssituation keinen Ausweg sah.
Ende des zitierten Textes (vom 4. September 2025, Yahoo).
Zwei schicksalhafte Lebensprozesse, Sorgerechtsstreit mit Kindesentführung einerseits und Stalking mit Suizid andererseits haben ja nichts miteinander zu tun. Was in jedem Fall durchscheint bei solchen Ereignissen, die wir nur aus den Medien mitbekommen, bleibt eine Eisbergspitze. Selbst den direkt Beteiligten eines Kriminalfalls wird vieles verborgen bleiben, das der Gegenseite bedeutsam war, es zu tun. Dies ist wichtig zu begreifen für Beschuldigte: Niemand ist ausschließlich Täter. Es gibt oft keine Opfer so gesehen, die vollkommen unbeteiligt in etwas schlittern; jedenfalls sind Menschen in Beziehungen verstrickt in ihr gegenseitiges Geschehen, dass man schon vorsichtig sein muss bei schnellen Urteilen. Die Behörden unternahmen wenig, die Sportlerin zu schützen vor diesem penetranten Mann? Unsere Gesetze ermöglichen dem Einzelnen viel, und einer, der’s nicht begreift, täglich schreibt, ist das deswegen ein Täter? Weniger genügt, um Menschen in Panik geraten zu lassen, und sie werden sich Hilfe suchen. Wo die Behörde nichts tun kann, finden sich Freunde oder Verwandte, das ist mal sicher.
„Wir regeln das.“
Mir tut weh, immer wieder unsere Sprachlosigkeit als so hilflose Wesen, die wir manchmal sind, mitzubekommen und wie heftig alles endet. Das Opfer seiner Blödheit ist der Mann, der sich nicht im Griff hatte. Man stalkt nicht gern. Er habe offensichtlich aus seiner eigenen Lebenssituation keinen Ausweg mehr gesehen, heißt es zum Schluss. Da halte ich dagegen, das Wort „eigenen“ müsste gestrichen werden.
🙂