Vertrauen

Vertrauen, was ist das eigentlich? Zunächst einmal ein Wort und jedenfalls weniger fassbar als viele Dinge, die man berühren kann, in die Hand nehmen. Einige leben, ohne sich groß Gedanken zu machen. Diese Menschen haben scheinbar kein Problem mit Begriffen. Es macht für sie keinen Unterschied, ob ein Stuhl im Zimmer steht, ein Tisch, der Vorhang im Wind weht oder die Rede ist von Befindlichkeiten, die zum Verständnis den Intellekt bemühen. Es sind Abmachungen, Übereinkünfte auf der Basis gesellschaftlicher, menschlicher Erfahrungen. Eine vergleichsweise abstrakte Definition hält der Belastung weit weniger stand als das Geländer einer Treppe. In den verschiedenen Sprachen klingen die Bezeichnungen derselben Sache anders. Wer Haus und Baum im gewohnten Idiom sagt oder in französischer Sprache, ändert nicht die Stofflichkeit. Sachen kann man anfassen. Das ist ein Stück weit verlässlich. Anders verhält sich’s mit Liebe, Glück, Vertrauen. Wir möchten, dass die Geliebte treu ist oder ein gebuchter Urlaub am Traumstrand wie versprochen gelingt. Menschen erwarten, dass die Polizei im Notfall hilft. Werte sollen stimmen wie feste Platten, die im ansonsten weichen Terrain zuverlässig tragen. Mancher kommt ins Trudeln, wenn wesentliche Landmarken des Weltbildes zur Fata Morgana werden. Das kann passieren und erwischt uns unter Umständen kalt, auf dem falschen Fuß, weil wir glaubten, uns in der Welt auszukennen, meinten Menschenkenntnis zu besitzen wie ein Paar Schuhe.

Wir mischen die Bezeichnungen für Stoffliches mit den Synonymen für unser Verhalten. Das gibt einen Wortsalat, der nur bekömmlich ist, wenn die verwendeten Zutaten allen gleichermaßen schmecken. So etwas kann nicht exakt geprüft werden. Geschmack ist nur annähernd zu definieren wie etwa Schmerz oder Intelligenz, obwohl man probiert, diese Variablen allgemeinverständlich zu messen. Wenn Essen vielen Leuten gefällt, könnte das bedeuten, dass es ihnen schmeckt. Man fragt die Intensität von Schmerz auf einer Skala von eins bis zehn ab. Menschen ersinnen Methoden, das Klugsein mit einer Zahl zu beschreiben. Innerhalb bestehender Themenbereiche klappt das erstaunlich gut. Man testet, wer Aufgaben besser löst als andere, aber wir bewerten solche Trainings über? Wer Aufgaben gut löst, taugt zum beliebten und erfolgreichen Angestellten. Computer als Konkurrenten des Menschen können vorhandene Künstler imitieren. Sie schaffen ähnliche Werke, wie es schon welche gibt im etablierten Genre. Bei aller Faszination für künstliche Intelligenz, eine Mode zunächst, die als besseres Google daherkommt, darf man nicht vergessen, dass Intelligenz ein Begriff ist. Das kleine Wort wurde erfunden, um komplexes Verhalten zu beschreiben. Es ist zunächst ein Platzhalter und öffnet eine Schublade im Gehirn. Bei näherer Betrachtung eine Packstation, Ladeplatz. Schließlich fährt ein verbales Frachtschiff unterwegs im Fluss der Sprache. Hier schippert ein Container vom Kommunikator zum Rezipienten. Innerhalb der Klammer Intelligenz sind unzählige Tätigkeiten und Gedanken der verschiedensten Akteure gebündelt – ein Wort für alle. Wir beladen es mit einer großen Aufgabe. Wenige Buchstaben sollen viel leisten und können zu einer unbrauchbaren Krücke werden, wenn die Beine unserer Sprache versagen.

Wie will eine Zahl selbstständige Menschen zuverlässig vergleichen, wenn die Qualität des einen meisterliche Jazzimprovisation ist und sein vermeintlicher Konkurrent der beste Fährtenleser im Dschungel, ohne außer Acht zu lassen, wer ihnen die Aufgaben für einen Intelligenztest kreiert? Der Fährtenleser spielt kein Instrument und würde Musikliebhaber bloß enttäuschen, der Musiker sich im unwegsamen Terrain verlaufen, aber sie würden neutrale Aufgaben meistern, einer möglicherweise besser als der andere. Dafür können wir Noten geben. Wir könnten einen Club gründen, dessen Mitglieder die weltweit Besten unseres Parcours versammelt. Das hieße, sie zu den hervorragendsten Angestellten gerade unseres Arrangements zu machen. Wenn wir behaupten, auf diese Weise Kenntnisse über die Qualität der Intelligenz unserer Probanden zu erlangen, sollten wir uns fragen, wie gut unser eigenes Klavierspiel ist, wie sicher wir uns selbst im Gelände bewegen (und mehr davon). Wir geben bloß Zeugnisse wie in der Schule. Das bleibt eine Annäherung wie beim Vergleichen vom Schmerzempfinden oder ob Essen schmeckt. Kommen Käfer auf den Teller, bleibt doch die Frage, wer diese essen muss? Der Mensch als spezielles Individuum kann nicht gegen seinesgleichen vermessen werden, ohne – bildlich gesprochen – Äpfel und Birnen gegeneinander auszuspielen. Wir messen Glück, gefühlte Temperaturen, emotionale Intelligenz und sind dabei vor allem Wortakrobaten. Wir ermitteln das schönste Mädchen, das beste Tanzpaar. Und wenn zehn Mitglieder einer Jury urteilen, bekommen wir so viele Ansichten, wie Menschen urteilen. Die Juroren diskutieren innerlich vorab mit sich selbst in Gedanken und entscheiden, eine Nummer hochzuhalten. Täten sie das nicht und stritten sich öffentlich, kämen sämtliche Nuancen ihrer Bewertungskriterien zu Tage und unendliche Widersprüchlichkeiten verkomplizierten die Sache. Ihre Voreingenommenheit zeigte allen Zuschauern, wie die Bewerter die jeweils eigene Persönlichkeit untrennbar miteinbeziehen in diesen Prozess.

So kommen repräsentative Umfragen zustande, man mittelt aus der größtmöglichen Gruppe. Diesen Brei füttert das Institut, das fragte, denen, die bereit sind zu essen. Was belastbare Zahlen sind, ist eine zuvor beschlossene Wahrheit. Sie ist so groß wie definiert. Ein aktuelles Beispiel kommt regelmäßig in den Nachrichten: Umfragen unter Russen ergeben eine breite Zustimmung für die Spezialoperation Ukraine. Wir meinen, schlauer zu sein als die Menschen dort. Bei uns heißt der Übergriff Angriffskrieg. Einfach bloß Krieg sagt hier niemand. Eine Bewertung liefert der jeweilige Sender immer mit. Sahra Wagenknecht redet vom Wirtschaftskrieg gegen Russland. Darüber empört sich mancher, vermutlich, weil es wahr ist. Unsere News erfolgen vom Sockel des Westens aus, der vorgibt, die ganze Welt anschauen zu können. Die Russen befänden sich unter einer Käseglocke wie Truman in seiner Show, meint man. Die Frage, wer den Krieg gewinnt und worin dieser Sieg besteht, bleibt dennoch offen wie die andere, ob wir die ganze Welt sehen und die Russen bloß ihr isoliertes Areal. Das ist zunächst nur eine Behauptung. Viele Menschen sind darin geübt, die Dinge anders anzugeben, als sie eigentlich darüber denken. Am Ende vom Alphabet gehört der letzte Buchstabe unweigerlich dazu. Das mag heißen, dass diejenigen ihre Suppe ganz auslöffeln müssen, welche bereit sind, ihrem Koch blind zu vertrauen.

# Bewegung und Zeit

Dinge wie Menschen haben Namen und existieren einige Zeit: „Mein Haus wurde nach dem Krieg gebaut“, sagt jemand und ergänzt vielleicht, in welchem Jahr er selbst geboren ist. Das scheint sich bei manchen anzufühlen, als wäre zu leben, wie ein Gebäude zu sein. Ein Lebewesen ist mobil und entscheidet täglich neu, was zu tun ist, um für sich zu sorgen. Wir wissen schon, dass wir mit den Jahren unser Denken an die Zeit anpassen und begreifen uns selbst aber als Körper im Raum. Wir können uns spüren und berühren, aber nur in der Gegenwart. Das macht es leicht zu übersehen, wie flexibel und veränderlich das Dasein ist und benötigt Bewusstsein, um sich effektiv zu positionieren. Unsere Vergangenheit existiert nur noch als Erinnerung. Die Zukunft ist ungewiss, aber wir denken darüber nach, wie sie sein könnte. So mag es dazu kommen, dass wir von Seele oder Geist reden, weil sich die meiste Zeit unseres Lebens über das eigene Selbst und unser Dasein in ihrer Gesamtheit nur vorgestellt präsentieren. Der Moment des Handels ist nur in der gegenwärtigen Sekunde anfassbar.

Menschen haben einen Namen, gehen hierhin und dorthin. Eine Immobilie trägt die zugewiesene Hausnummer ihrer Straße und bleibt am Platz. Man muss reflektieren, dass unser Leben untrennbar vom eigenen Körper ständiger Veränderung unterliegt. Wir gestalten unser Ich im Rahmen verschiedener Umstände, die wir nur teilweise bestimmen oder ändern können. Menschen lernen, sich zu kümmern, um ihre Existenz, die Wohnung oder Haus, wenn sie eins besitzen und um die Gesundheit. Wenn da was nicht stimmt, beginnt man sich dem Problem zuzuwenden und sucht gegebenenfalls einen Arzt auf. Weil wir unser Auto in der Werkstatt reparieren lassen, das Dach der Immobilie dem Handwerker überlassen, sieht mancher im Arzt ähnliches. Man erwartet Ersatzteile für den eigenen Apparat wenn’s wo zwickt. So mag der Begriff vom Seelenklempner entstanden sein, eine freundliche Verballhornung der schwierigsten Fakultät (weil hier alle nur herumstochern). Selbst Spezialisten verzweifeln an der Komplexität unseres Seins. Ein Haus denkt nicht. Es fürchtet sich nicht bei schlechtem Wetter. Menschen haben Angst vor einem Dachschaden. Je weiter sich die Kümmernisse der Patienten vom vermeintlich einfacheren Körper entfernt zeigen, dessen Organe und Gebeine scheinbar an Einspritzpumpe, Zylinder oder Pleulstange einer Maschine erinnern, also im abstrakten Empfinden, dass jemand etwa meint, nicht genügend glücklich zu sein wie die anderen, desto schwieriger wird’s. Lebewesen betrachten sich selbst aus dem schmalen Zeitfenster der Gegenwart. Man blendet aus, dass ein Kind anders auf die Welt blickt, vergisst das eigene Wachstum, die Entwicklung wie auch unsere Perspektiven, die wir benötigen, um effektiv den Tag zu meistern. Was schön ist oder uns die Liebe bedeutet, ob jemand faul oder misstrauisch handelt, bleibt individuell. Es kann wichtig werden, die gewohnten Überzeugungen als eingeübt wahrzunehmen, wenn man begreift, dass unser Bild von der Welt eine Kulisse ist, hinter die zu schauen lohnt. Nach dem Vertrauen zu fragen, was dieser Begriff eigentlich meint, ist zugleich die Frage nach unserer Gesundheit.

Berufen aufgrund persönlicher Erfahrung probiere ich ein ums andere Mal, Körper und Geist ganzheitlich zu beschreiben. Diese Texte sind meine kreative Lautmeldung, Forschung und Erzählung ohne die Absicht, auch Ratgeber zu sein. Ich möchte unterhalten und vor allem mir selbst einen Gefallen tun, meine Gedanken zu klären. Präzise aufschreiben, was sonst vage bliebe, erscheint nötig, aber ein Anspruch, belehren oder gar helfen zu wollen, findet sich hier nicht. Das sind persönliche Ansichten. Diese Zeilen halten einer zeitgemäßen Kritik womöglich nicht stand?

Mir ist es gelungen, mein Empfinden in einer Angelegenheit, wo wir sprachlich etwas zu trennen gewohnt sind, was tatsächlich nur zusammen funktioniert, bewusst wieder zusammenzusetzen. Ich weiß, wie man das macht: „Reiß’ dich zusammen!“ – so wird einem ja geraten; allerdings oft von Menschen, denen gar nicht klar ist, was sie da reden. Das soll heißen, heute lebe ich einfach wie die anderen, die dergleichen ohne Nachdenken tun. Ein Bild davon kann insofern ein Beispiel sein, Zeitgenossen Anschauungsmaterial an die Hand geben, die noch an die Seele glauben, als wäre diese frei unterwegs. Mir sind alle Werte abhanden gekommen, Liebe, Vertrauen, Glück und solche Sachen, Empathie. Weiter zu leben, konnte nur unter neuen Vorzeichen geschehen. Das klappt nun ganz gut, finde ich und fühlt sich besser an. Mein Fehler war scheinbar, den Emotionen falsche Namen zu geben. Ich beobachte nun, dass auch andere die Umgebung auf eine Weise reflektieren, die Schaden anrichtet.

# Richtig vs falsch

Der Wunsch nach Objektivität, unser gesellschaftlicher Anspruch moderner Perfektion, scheint Allgemeinplätze zu befeuern. Man weiß, vieles wird nicht besser davon, dass es wiederholt wird und nachgeplappert, aber das ist eine Krankheit, die auch Studierte ereilt. Wie kann man ausblenden, dass jedes Denken davon abhängt, wer es gerade denkt? Mir ist auf diese Frage, die sich viele nicht stellen, eine gute, ja geradezu überlebenswichtige Antwort eingefallen. Ich glaube zu wissen, warum Menschen ignorieren, dass alles Sprechen an denjenigen gebunden ist, der redet, also subjektiv ist. Objektiv sein wollen, heißt weniger subjektiv zu kommunizieren als gewöhnlich und ist allenfalls eine Annäherung. Umgekehrt bedeutet, sich an die Allgemeinheit anzupassen nicht selten, das eigene Selbst zu ignorieren. Das sind die beiden Pole des Problems, die wir mit dem Vertrauen haben. Man möchte dem gegebenen Rat folgen und wird unter Umständen enttäuscht. Der unsichere Mensch lässt sich seinen Weg von den Eltern beschreiben, vorschreiben womöglich, vorsagen vom Navigator. Er folgt dem, was er für Gottes Wille hält, vertraut fremden Hinweisen, sucht Zeichen am Himmel oder im Horoskop. Mancher glaubt dem Therapeuten, und vieles mehr kommt ihm in den Sinn, wie das Leben zu meistern sei. Das bedeutet die eigene Risikoabschätzung zu vermeiden. Wir trauen uns nicht zu, für subjektive Ansichten den Beweis ihrer Richtigkeit durch Versuch und Irrtum zu erleiden. In der Hoffnung, die Anerkennung der anderen möge uns tragen, geben wir die Verantwortung in fremde Hände ab.

Klappt was nicht, scheint nahe zu liegen, dass wieder einmal unser Vertrauen missbraucht wurde, aber das könnte eine Angewohnheit sein, immer in dieselbe Falle zu tappen. Ein teuflischer Kreislauf, der nur durch Selbstvertrauen durchbrochen würde, das wiederum nicht zur Verfügung steht, solange man den Schwierigkeiten ausweicht und keine Erfahrung ansammelt. Man vermeidet, allein zu denken. Vertrauen ist ein Gut, das wir nur sammeln können wie einen Vorrat für schlechte Zeiten, wenn uns erstens ein ausreichendes Erinnerungsvermögen hilft, wie frühere Unternehmungen gelaufen sind, zweitens wir reflektieren, wie sich’s anfühlte und drittens die Gabe draus wächst, diese Kraft in der Natur als Spur zu bemerken. Die eigene Linie zu erkennen, auf der gerade wir individuell wandern können, hilft, immer wieder vertraute Strukturen vorzufinden, obschon die Zeiten anders, die Gegebenheiten neu sind. Vertrauen ist bestenfalls im eigenen Leib die eingefleischte Erinnerung und spiegelt sich im Drumherum, oder man merkt eben nichts davon, drinnen wie draußen. Bewusstsein der persönlichen Befindlichkeit steht immer am Anfang, Angst zu minimieren.

Niemand kreiert etwas, ohne seine Vergangenheit nicht nur im Hinterkopf zu haben, sondern untrennbar verwoben mit allem, was diesen Menschen ausmacht. Kein Geist läuft ohne Körper herum. Menschen handeln spezialisiert und wollen Krankheiten des Geistes erkannt haben, die jener wie dieser bekommen könnte nach der Vorstellung, alle hätten ja auch denselben Schnupfen. Ich denke, wer beispielsweise glaubt, im falschen Körper zu sein, plappert krudes Zeug und ist das Opfer einer intellektuellen Struktur. Mit dem leben zu lernen, was man offensichtlich ist, macht nicht wenigen Schwierigkeiten. Sich einreden lassen, eine medizinische Korrektur könnte diese lösen, öffnet die Tür vom gesellschaftlichen Irrgarten weiter, als dieses Einfallstor für Einfaltspinsel ohnehin Lockrufe bereithält für manche Dummheit. Das vorgekaute Zeug verwirrter Rattenfänger lädt Verunsicherte in die Jahrmarktbude der Eitelkeiten, in vermeintlich selbstbestimmte Existenz hineinzuspazieren. Der neue Weg führt womöglich weiter weg davon in einen fatalen Abzweiger der Realität, eine Sackgasse und komplett abstruse Daseinsform. Glück und Zufriedenheit werden nicht verkauft wie Körperteile vom anderen Geschlecht. Das Versprechen, beides wäre im Gesamtpaket dabei, wird gern gegeben. Dasselbe Problem haben psychisch Kranke, die mittels Therapie den Weg suchen, wenn sie nicht begreifen wollen, dass dieser Weg gegangen werden muss mit den drangewachsenen Füßen, die man nun einmal hat und der eigenen Struktur, also so, wie diese zunächst gegeben ist, der bekannte, aber möglicherweise nicht genügend vertraute Körper. Eine psychosomatische Erkrankung zu definieren, ist insofern Unsinn, wenn das bedeutet, dass noch zwei weitere Sparten vorhanden wären, die ebenfalls als behandlungswürdig erkannt würden. Niemand bekommt Rückenschmerzen, ohne gleichzeitig Emotionen übertrieben zu haben, und keine Psyche erkrankt, ohne den ganzen, dranhängenden Menschen. Vertrauensbildung beginnt am eigenen Leib. Es ist besser, seine Glieder zu spüren lernen, als damit zu hadern, falsche hingen am isoliert begriffenen Ich. Da ist kein Geist ohne Gehirn erkennbar, wohl aber seine Veränderung, wenn dieses etwa im Alter kaputt geht. Bevor jemand isoliert den Intellekt bemüht, sollten Menschen lernen, Bewusstsein für das zu entwickeln, was ihr Selbst ausmacht. Eine gute Idee, das Thema zu beschreiben, bietet der Begriff Vertrauen. Wer vertraut denn? Das müssten wir fragen, damit das Wort Sinn macht. Vertrauen ist nichts, was einfach so existiert und benötigt mindestens eine lebendige Existenz in ihrer Umgebung, die eine Perspektive entwickelt, ob dieser Boden trägt, die eigenen Beine Kraft haben, den Weg zu gehen. Darüber hinaus muss das beschriebene Wesen eine Motivation entwerfen können, was gut tut. Dann erkennt man besser, worauf Verlass ist.

Alex Häfner, so steht es in der Stuttgarter Zeitung, die ich zufällig am Bahnhof kaufte, versuchte mehr als dreißig Jahre lang, die Frau zu sein, die sein Umfeld in ihm gesehen hat. Jeden Tag „eine Fassade hochfahren, koste viel Kraft“ – und habe in seinem Fall beinahe zum Burnout geführt, heißt es im Bericht. Der Transmann merkt aber auch: „Die Aufmerksamkeit für das Selbstbestimmungsgesetz hat uns Transmenschen nicht geholfen. Der Wind da draußen wird rauer.“ Diese Leute sind ein Beispiel dafür, wie Sprache ein Weltbild geschaffen hat, mit dem nur die Mehrheit klarkommt. Das neue Wort „divers“ soll helfen und schafft doch Probleme.

Bei genauerem Hinschauen merkt man, dass wir in diesem Sinne alle dazwischen sind, nie der Norm entsprechen, weil diese individuelle Nuancen glättet. Nur wer für seine Rechte eintritt, hat überhaupt welche, weiß der Jurist. Unsere Mitarbeit am persönlichen Glück ist nötig, aber was ist Glück? Ein Burnout zu bekommen ganz sicher nicht, und auch darüber können wir streiten, auf wen gerade diese Krankheit zutrifft. Andere nennen es Depression. Psychische Krankheiten haben viele Namen und kommen individuell daher. Sie sind weniger konkret als etwa Grippe oder ein gebrochenes Bein, äußern sich im Verhalten. Man diagnostiziert nach der Methode, ähnliche Symptome bedeuteten eine verbreitete Störung und wirft entsprechend Menschen in den passenden Topf. Krank ist demzufolge, wer nicht funktioniert. So gesehen bekommen die verschiedensten Probleme vom Knochenbruch über Virusinfektion bis zur abnormen Psyche den Oberbegriff Krankheit. Ein Spezialist kümmert sich darum. Der Arzt lernt von anderen, was als anerkannte Form der Behandlung üblich ist. Die Existenz der jeweiligen Krankheit ist durch ihren Namen und passender Diagnose gegeben, meint man, und übersieht schon mal, dass ein ein gebrochener Knochen nicht dasselbe ist wie psychotisches Verhalten, weil ein Verrückter damit fortfährt, individuelle Dummheiten aneinanderzureihen. Verhalten kann man nicht korrigieren wie einen Stuhl, den der Tischler heil macht. Eine Depression bleibt nicht allgemein oder beinahe austauschbar wie die Grippe oder jedermanns Krebs. Ein Virus befällt viele, unsere Psyche ist vergleichsweise individuell. Was ein Mensch für richtig hält, ist besonders, speziell. Menschen folgen ihrer Motivation. Psychische Erkrankungen entwickeln sich in Relation zum individuellen Handeln, andere verbreitete Erkrankungen treffen auf Menschen wie Meteore die Planeten.

Die Psyche beschädigen wir nach der Methode, über die eigenen Füße zu stolpern. Dafür muss uns nicht der Himmel auf den Kopf fallen oder jemand anhusten. Die Umgebung infiziert den Geübten mit Paranoia, ohne davon mitzubekommen, wie dieser Aufgeschnapptes auf sich selbst bezieht. Wir sind unterwegs, handeln zum eigenen Vorteil, erbringen nützliche Leistung bestenfalls. Das definiert unser Menschsein. Eine alte Uhr, wie sie bei Oma in der Stube steht, bleibt eine Uhr, auch wenn sie nicht mehr funktioniert und gibt uns ein Bild vom Nutzen an sich. Als Dekoration und antiker Wandschmuck könnte sie noch gefallen, auch wenn der eingebaute Kuckuck verstummt ist. Ausgediente Rechner wirft man weg, die Waschmaschine, wenn sie nicht mehr läuft, das alte Auto. Was nicht mehr funktioniert, bringt keinen Nutzen, und wenn man dergleichen nicht reparieren kann, schmeißt man es weg. Funktionalität und Nützlichkeit sind aber nicht dasselbe, wenn wir uns anstelle unserer Erfindungen Menschen ansehen.

# Ist zu leben nützlich?

Vielleicht glaubt der Psychiater an eine Reparatur des Gehirns und gibt deswegen das empfohlene Medikament wie der Orthopäde eine Salbe verschreibt, die Oma sich auf die Schulter schmiert? Salbe mag der Selbstheilung Unterstützung sein und ist irgendwann nicht mehr nötig. So betrachtet, sollten Psychopharmaka Sinn machen als Hilfe in der Not, aber nicht als dauerhafte Lösung. Leider kommt es oft anders. Man ist es gewöhnt, an die jeweilige Pille zu glauben. Unser Gedächtnis könnte der Schlüssel für die geistige Gesundheit sein. Wer weiß, wie etwas war, ist eher fähig, durch Erfahrung zu lernen. Dabei haben wir erneut das Problem mit einem Wort, das vage bleibt. Das Gedächtnis ist nicht fassbar wie etwa der Kopf, das Gehirn.

Vertrauen bedeutet, eine berechtigte Erwartung zu haben. Man kennt sich ein wenig aus mit einem Sachverhalt. Sich auskennen, sich erinnern und daraus eine Perspektive entwickeln; Vertrauen beruht auf Erfahrungen, unser Gedächtnis ist nötig. Diese Begriffe bleiben bemüht zu beschreiben, was ohne Bewegung in der Zeit keinen Sinn macht, unser Verhalten, und setzt voraus, dass wir wissen, wer oder was sich wie bewegt. Neben dem Vertrauen in die anderen Leute oder dem, welches wir einem Haltegriff im Bus schenken, kennen wir das Selbstvertrauen. Und das Interessante ist, wir haben einen Blick dafür, zumindest was andere betrifft. Jeder erkennt schwach aufgestellte Zeitgenossen, eine grobe Einordnung, wie unser Gegenüber gegebenenfalls reagieren könnte, ist schnell gemacht. Als beispielsweise der Schauspieler Florian Silbereisen die Nachfolge vom Kapitän auf dem „Traumschiff“, einer Fernsehserie, antreten sollte, zweifelten viele an seiner Befähigung, einen selbstbewussten Mann in dieser Position spielen zu können.

Das gibt den berechtigten Ansatz für eine andere Sicht auf psychische Erkrankungsformen und etablierte Methoden ihrer Behandlung. Es kann nicht bestritten werden, dass diese verschiedenen Störungen mit mangelnder Anpassung an die Umgebung erklärt werden können. Ein Mensch, der nicht stört, ist deswegen noch nicht gesund, aber beinahe. Wer so stark die Abläufe der Gesellschaft behindert, dass er eine Gefahr für sich und andere ist, wird eingewiesen und muss unter richterlichem Beschluss behandelt werden, bis das allgemeine Vertrauen in seine Person zurückgewonnen wird. Ein Mensch unter Medikation wirkt selten souverän, ist aber in der Regel in der Lage, kontrolliert am Leben teilzunehmen. Das beweist, wie schwierig diese Materie ist, wenn die Gesellschaft diese Medizin als das eben Machbare akzeptiert. Vertrauen und Nützlichkeit sind entscheidende Ankerpunkte, mit denen wir Integration erfahren. Damit diese Werte Sinn machen, muss die Funktionalität des Menschen zielgerichtet sein, um als gesund zu gelten. Was ist nun unser Ziel, sollten wir fragen, nicht zu stören oder braucht es für die geistige wie körperliche Gesundheit mehr, eine individuelle Ausrichtung? Das kann niemand nebenbei erfolgreich vorschreiben. Kein Arzt oder Staat richtet Menschen leichthin nach einer Norm aus, wenn diese eigene, versponnene oder religiös fanatische wie anderweitig unerreichbare Visionen pflegen.

Ein Mensch, der auf den Rat seines Arztes hin mit einer täglichen Dosis Psychopharmaka ausgestattet herumläuft, mag klarkommen. Genügt das und wem? So einer ist nicht selbstbewusst. Diesen Mangel, denn das ist ein Wettbewerbsnachteil im sozialen Geflecht, sieht man ihm an. Dazu kommt das eigene Gefühl der Zweitklassigkeit und das Bewusstsein, sich weniger bewusst zu sein als es möglich wäre, was den Patienten erinnert, einer zu sein. Der Psychiatrie fällt nichts Besseres ein, ihre Patienten zu ermahnen, so gehöre es eben und fordert das Vertrauen in diese Medizin ein. Man solle, anstelle sich selbst, der Pharmazie vertrauen. So eine Denkweise und Medizin muss scheitern. Immer wieder lesen wir von katastrophalen Verläufen, ein Mensch habe seine Medikamente eigenmächtig abgesetzt und in einer schizophrenen Psychose andere angegriffen. Den vielen, die ihre geistige Irrfahrt vergleichsweise harmlos überstehen und (schließlich eingefangen) behandelt werden, versichert man, Gewalttätigkeit wäre bei ihrer Krankheit selten und sie müssten nur ihr Risperdal täglich nehmen und zu Therapiegesprächen erscheinen. Das kann doch gar nicht funktionieren.

Während einer kleinen Urlaubsreise übers Wochenende plus ein paar Tagen drumherum entstehen diese Zeilen. Wir sind in Stuttgart unterwegs und besuchen auch eine Ausstellung. Das mag hier mit einfließen. Das große Bahnmodell „Stellwerk-S“ könnte Denkanstoß für Menschen sein, denen es im Leben nur um Leistung geht. Der verstorbene Fahrdienstleiter Wolfgang Frey hat eine umfangreiche Modellbahnanlage in seiner Freizeit gebaut, die einige Enthusiasten heute der Öffentlichkeit präsentieren. Direkt am Hauptbahnhof befindet sich der Ausstellungsraum in der Arnulf Klett-Passage, und zu sehen ist ein Modell von genau diesem Bahnhof samt Umgebung, wie der in den Achtzigerjahren ausgesehen hat. Da hat einer aus purer Begeisterung, sich ein fahrendes Bild der Heimat schaffen zu können, alles gegeben. Das ist nicht die Perfektion von Modellbahnclubs, die sich einer Aufgabe widmen und kommerzielle Räume gestalten (wie im Miniaturwunderland Hamburg). Diese Anlage ist posthum zu den Leuten gekommen. Sie war das unglaubliche Spielzeug eines fanatischen Bastlers, der alle Gebäude, für die es ja keine Bausätze zu kaufen gibt, in mühsamer Selbsterforschung vermessen musste und aus diversen, selbst gefundenen Materialien nachempfunden hat. Ein gutes Beispiel für künstlerisches Denken und insofern nutzlos aber funktionell und auf eine persönliche Weise intelligent ist dieses Objekt. Heute haben sich Menschen gefunden, das Werk gegen Eintritt auszustellen wie es Museen gefällt, die Kunst der alten Meister nicht nur zu erhalten, sondern einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Das gibt dem Betrachter die Möglichkeit, detaillierte Kreationen zu bewundern, ohne dass ihre Schöpfer Anerkennung erfahren, weil sie bereits verstorben sind. Für mich als Maler ein guter Grund, über den Sinn und Zweck der eigenen Arbeit nachzudenken.

Etwas hinzubekommen, das schwierig zu gestalten ist, befriedigt und stärkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Gehört nun ein existentieller Nutzen, also damit Geld zu verdienen, zu präsentieren, zur Kunst oder nicht? Das bleibt eine erst einmal unlösbare Frage beim Spielen mit dem in die Hand genommenen Material, wo wir schaffen möchten. Künstler denken gelegentlich später nach, was daraus wird, wenn das Bild oder eine Plastik, ein Modell fertig ist. Kreativ sein, bedeutet, auf eine Weise zu denken, die so nicht normal ist, weil die Menschen typischerweise den sozialen Vorteil suchen. Es kann die Chance bedeuten, unser Verhalten zu hinterfragen und neue Wege entdecken helfen.

Vertrauen in das Individuum bildet die Basis einer freiheitlichen Demokratie. Umgekehrt hilft Selbstvertrauen uns, dem Staat zu vertrauen oder gerade nicht, weil Urteilsvermögen nötig ist, um eine Struktur mitzugestalten. Menschen zu überwachen und auszuspionieren wird diese paranoid verändern. Da irritiert, wenn unsere Demokraten von bösen Unrechtsstaaten reden und meinen, bei uns würden nur Kriminelle oder Staatsfeinde beobachtet. Sich in die Privatsphäre einzumischen, züchtet Straftäter wie Unkraut heran. Wir leben in einer Zeit, die jedermann ermöglicht, die Nachbarn zu bespitzeln, weil digitale Technik verfügbar ist wie nie zuvor.

Wer bislang noch gesund ist und zum Ziel eines Cyberangriffs wird, und sei es, dass bei ihm Hassmails Unbekannter eintrudeln, könnte krank werden.

Wer aber bereits eine Störung sein eigen nennen kann und deswegen verarscht wird, weil die Vergangenheit wem nützt, sich auf einen Sockel zu stellen nach dem Motto: „Wisst ihr, was das für einer ist?“, bekommt hier ein Werkzeug an die Hand, endlich dauerhaft gesund zu werden.

# Das möchte ich mal erläutern

Ein wenig aufgeräumt sollte unsere Sicht auf die Unterschiede zwischen Namen, die Dinge haben und menschliches Verhalten in seinen Ausprägungen an dieser Stelle bereits sein. Anschaulich wird die Realität durch kleine Geschichten, mögen diese auch alltäglich, banal sein. Wir beobachten, ein Auto fährt auf der Straße, wird schneller. Der Fahrer beschleunigt seinen Wagen, und als dieser sich endlich auf der Autobahn befindet, gibt er richtig Gas. Beschleunigung ist auch so ein Wort: Wie Geschwindigkeit können wir es nur brauchen in Zusammenhang mit dem sich bewegenden Objekt. Übertragen auf das Thema Vertrauen und Gedächtnis mag eine weitere, individuelle Geschichte zeigen, wo ganz allgemein entscheidende Zusammenhänge nicht übersehen werden dürfen, wenn wir Gesundheit besser verstehen möchten.

Ein kurzer Urlaub bei der Schwiegermutter gibt mir genügend Muße für einige Zeilen. Es ist schon warm, gerade haben wir ersten Spargel gegessen. Frisches Grün belaubt die Bäume unterhalb des Balkons, wo wir nun die Zeit bei einem Kaffee genießen. Ein blöder Hund bellt irgendwo, verstummt wieder – jedenfalls kein Grund, sich ernsthaft zu beschweren, wenn’s alles ist oder? Das Leben ist angenehm! Heute hat mein Schwager Geburtstag, wir haben ihn vormittäglich angerufen und gemeinschaftlich am Telefon besungen. Morgen wird noch gefeiert. Das schreibe ich, um unser Alter zum Anlass zu nehmen für weitere Gedankenspiele. Nächstes Jahr werde ich sechzig. Mein Schwager ist bereits ein wenig drüber und meine Schwiegermutter nah der Neunzig. Das vorweg, um sich vorstellen zu können, dass diese, meine letzte noch verbliebene Mama (meine eigenen Eltern sind bereits verstorben) auf anrührende Weise eine Verbindung in die Vergangenheit darstellt. Das ist eine leibhaftige Erinnerung an viele gemeinsame Jahre, eine Beziehung, deren Fortbestand absehbar enden wird.

Wir reden heute oft von Demenz. Für die Bahnfahrt kaufte ich einige Zeitschriften. In einer davon wird das Schicksal von Bruce Willis thematisiert. Der Schauspieler leidet an einer rasch voranschreitenden, neurodegenerativen Erkrankung. Im Magazin findet sich eine prächtige Illustration. Gezeigt wird unser Gehirn. Verschiedene Bereiche sind mit ihren medizinischen Bezeichnungen kenntlich gemacht. Der Artikel erläutert, wo das Gehirn aufgrund eines Mangels von sonst typischen, quasi natürlichem Futter verkümmert und möglicherweise steht da auch, wovon das kommt (Proteine). Ich habe nur quergelesen. Der bekannte Schauspieler kann nicht mehr sprechen. Schon seit einiger Zeit gab es Probleme. Wir wissen nicht, was genau Willis vergessen hat, können aber anhand der Abbildung und den Ausführungen der Ärzte begreifen, welche Bereiche seines Gehirns verkümmern. Diese Erkrankung hat einen Namen. Auch andere haben genau diese Form, welche bei den Menschen ein ganz bestimmtes Areal des Gehirns zerstört. Die Reihenfolge, nach der typischerweise Erinnerungen, zuerst etwa die Namen von Tieren, bald darauf Obst, Gemüse und schließlich allgemeine Sachen vergessen werden, ist bei allen, die das haben, gleich. Eine Krankheit für viele, aber jeder vergisst individuell, und niemand kennt den Inhalt von irgendwessen Gedächtnis genau, wie man eine Kiste mit Sachen durchsehen könnte. Hund, Katze, Pferd vermag so jemand nicht mehr zu benennen, aber ob ein Pferd Flicka genannt wird und die Freundin Alexandra, das ist dann doch bei jedem anders.

Bei meiner Schwiegermama macht sich ebenfalls so manche Irritation breit oder besser bei ihren Verwandten und Bekannten, wenn’s um das Erinnern geht. Ich will mal beschreiben, aber nicht wie gewohnt von der Demenz alter Leute berichten, dass Oma tüdelig ist, sondern vom Brötchenholen erzählen, das Pferd quasi vom anderen Ende her satteln. Brötchen zu kaufen, ist morgens meine Aufgabe. Ich nehme also den Beutel dafür zur Hand, den ich Jahr für Jahr bei diesen Besuchen mitbekomme und gehe den vertrauten Weg zum Bäcker. Wie ich weniger als ein Viertel der Strecke gelaufen bin, stört mich was am Schuh, genauer an meiner Hacke links. Es gibt einen merklichen Druckpunkt, wo sich das Leder anderntags noch glatt anschmiegte. Ich begreife, wie das zu ändern wäre.

# Meine Segelschuhe

Ich trage Docksides. Das sind so braune Segelschuhe. Sie haben lederne Riemen, die rundherum geführt um den Schuh nach einer typischen Weise geknüpft werden, dass man diese Dinger anziehen kann, ohne die Schleife zu öffnen. Im Leder sind Kauschen. Der spezielle Senkel taucht an einigen Stellen draußen auf, um nach wenigen Zentimetern wieder im flachen Kanal geführt zu verschwinden. Sollte er nach längerem Tragen tatsächlich mal reißen, kann man sich neue Ledersenkel nachbestellen, die werksseitig schon mit einer kleinen Ahle ausgestattet sind, um die Bändsel einzufädeln. Diese Lederriemen laufen achtern um die Hacke vom Schuh herum, drinnen in ihrer Spur. Wenn man es richtig macht, häkelt man die Bänder mittschiffs unter sich selbst durch, um wie bei einer Talje fest holen zu können. Das heißt, gelegentlich macht man die Schleife eben doch mal auf. Das wird nötig, wenn sich eine neue Tragesituation ergibt. Man möchte von lockerer Hausschuhschnürung auf Schwerwetter an Bord umsteuern oder ein langer Marsch durch die Stuttgarter Innenstadt steht an? Jetzt takelt man mehr Power drauf! Nun sollte der erfahrene Sebagoman wissen, wie sein Schuh innen vernäht wurde. Da muss man schon im Laden einen Blick drauf werfen. Innen oben am Schuh, wo bei uns am Fuß die Achillessehne ist, kann es einen Gnubbel geben, wenn der Schuhmacher nachlässig gearbeitet hat. Dort vernähter Zwirn wird fest an den Fuß gedrückt und kann zu einer schmerzhaften Blase führen, wenn man barfuß läuft, die Schuhe neu sind, sie schlecht vernäht wurden oder man diese extra fest gebunden trägt. Genau an dieser bekannten Stelle zwickte mein linker Schuh und da das sonst nicht der Fall ist, wusste ich mir auch zu helfen. Man muss den Schuh ausziehen. Danach löst man das Band. Nun zieht man den lockeren Senkel achtern in der Rundung einige Male hin und her durch die Kauschen, aber ohne ihn da ganz raus zu reißen. Man probiert einfach, eine Stelle zu finden, die vielleicht einen Zentimeter neben der bisherigen Buchtmitte ist. Wenn man den Schuh nun wieder anzieht und fest bindet, hat sich die Spannung auf die Länge vom Senkel verteilt. Hat man einen recht gut vernähten Schuh, ist das Problem vollständig gelöst. Er drückt dann nicht mehr. Schlechte Fabrikware kann man so nicht korrigieren, aber meine derzeitigen Schuhe sind prima. Ich wusste also, was zu tun wäre, um schnell bequemer zu spazieren. Das habe ich hier alles hingeschrieben, weil ich eigentlich sagen möchte: Man hätte auch einfach weitergehen können. So schlimm schien mir das Übel gar nicht. Aber, mir wurde klar, ganz entspannt im Urlaub unterwegs zu sein – keine Not für irgendwelche Hektik erkennbar. An einer günstigen Stelle, um sich dort nett hinzuhocken, führte ich die kleine Reparatur durch und zog den Schuh wieder an. Bequem weitergehen und „moi Laugenbrötle einzukaufe“ machte so noch mehr Spaß.

Ich dachte daran, wie sehr meine Schwiegermutter unter dem Älterwerden leidet. Weil sie Besuch hat, freut sie sich riesig, und dass sie deswegen nicht allein ist, nimmt ihr die Einsamkeit. Es stresst sie aber auch, wenn wir mit in der Wohnung sind. Sie ist vergesslich, geht die meiste Zeit an Krücken und bekommt schwer Luft. Den Weg zum Bäcker könnte sie nicht mehr schaffen. Einen Schuh wechseln, in die Hocke gehen, wäre für sie undenkbar. Sich erinnern, wie genau ihre besonderen Schuhe besser würden, was also zu tun sei, könnte sie sicher nicht. Was mag dieses Wissen ums Nichtwissen, Nichtkönnen im Alter, der Verlust vieler Perspektiven für sie bedeuten; zunächst einmal geringes Bewusstsein ihrer Selbst. Sie weiß, obschon in vertrauter Umgebung, weniger gut, wo sie ist, wie sie sich fühlt und was noch kommt, erinnert nicht, was sie mal erfahren hatte, so gut wie etwa ich, der ich alle Wege im Städtchen kenne, obwohl wir nur einmal im Jahr herkommen. Ist doch klar, mag man meinen, dass Alte so sind. So ein Leben geht dem Ende zu, und weder Gehirn noch Gebein werden sich regenerieren. (Mein Vater hatte einige Jahre vor seinem Tod noch einen Schlaganfall und zahlreiche Einschränkungen, ihm ging es in mancher Hinsicht schlechter als meiner Schwiegermutter heute). Wem auf diese Weise Teile des Gehirns beschädigt ausfallen, kann diese nicht repariert bekommen.

# Jüngere wundern sich auch

Das möchte ich noch erzählen, an einem Abend schon spät gegen Mitternacht kommen wir nach Hause. Da ist eine steil bergauf führende Straße zu gehen. Mit einem Absacker beim „Kunberger“ haben wir den nötigen Treibstoff im Leib, um fröhlich unsere Koje anzusteuern. Eine Abkürzung führt in einen schmalen Weg. Ich kenne das schon. Am Haus, wo wir in den Gang einbiegen, ist in Dackelhöhe ein amüsantes Schild angebracht. Ich wüsste auswendig zu sagen, was dort geschrieben steht: „Sie parken im Halteverbot und vor einer Wohnung“; das ist Baden Württemberg. Es ist recht dunkel, wir haben Alkohol getrunken. Ich kann tatsächlich eine kleine Metallplatte ausmachen. Darauf zu lesen, ist mir in der Nacht unwichtig, weil ich ja meine zu wissen, was angemahnt wird, aber ich frage mich doch, woher Fremde wissen können, dass hier Halteverbot ist? Da steht nirgendwo ein richtiges, großes Schild am Straßenrand, dieses blaue, rot durchgestrichene. Das müsste auch bei Neumond auffindbar sein. Ich beginne, an meiner Erinnerung zu zweifeln, aber das ist ja nicht wichtig. Ich erwähne es nicht. Nebensächlich finde ich meine Beobachtung. Wir gehen nach Hause, schlafen. Anderntags bin ich in der Stadt unten und trinke einen Cappuccino bei Rosa. Anschließend stapfe ich, diesmal allein unterwegs, dort wieder hoch, nähere mich dem Haus an der Ecke am Berg. Da ist das kleine Blechschild unter Kniehöhe. Neben dem Haus steht wie selbstverständlich das öffentliche Verbotschild in blaurot durchgestrichen. Nun nehme ich mir die Zeit und prüfe, was genau dazu der Hauseigentümer meint. Ich lese zum ersten Mal das zusätzliche Wort „eingeschränkt“ bewusst auf der Messingplatte. Das hätte ich in Vollständigkeit nicht mehr gewusst. Alles in Ordnung. Meine Erinnerung ist (wieder) komplett.

„Sie parken im eingeschränkten Halteverbot und vor einer Wohnung“

Aber, wo war das große, blaurote Schild in der Nacht? Das könnte ich niemanden fragen. Verständnislos würde man mich ansehen. Ist so etwas wichtig? Ein Lieferwagen könnte geparkt dieses verdeckt haben. Daran erinnere ich mich nicht. Oder waren wir zu betrunken, um genau nachzusehen – das halte ich für ausgeschlossen. Die Alternative, die mir durch den Kopf schießt, mag verstören.

„Die Welt um mich herum ist eine Fiktion. Dieses Schild wurde nachträglich montiert (meine Fantasie kreierte es bei Tageslicht und vervollständigte das nötige Bild) zum persönlichen Glück für meine stimmige Erinnerung.“

Diese Variante, wie es gewesen sein könnte, man würde mich für verrückt halten. Ein psychotisches Weltbild gegen rationale Vernunft verteidigen; ich könnte mir vorstellen, dass sich Menschen – mit einem durch was auch immer in seiner Kapazität beschränkten Gehirn – Erklärungen basteln und besonderen Seelenfrieden finden, weil das ihre Lösung für unerklärliche Brüche eigener Wahrnehmung ist. Es dürfte schwierig sein für Helfer, neue Wege sichtbar zu machen, wenn den Fachleuten die Einsicht fehlt, solches Verhalten nachzuvollziehen. Für nicht wenige Erlebnisse, die uns geschehen, kann ein Mensch sich noch so um eine schlüssige Erklärung bemühen, es werden Fragen offen bleiben im Leben, banale, wie die Fantasie belastende. Manches ist nur schwer zu ertragen. Einzusehen, wie machtlos der Einzelne nicht selten bleibt (auch andere haben dieses Problem), bedeutet dem Klugen umgekehrt, gerade dort Kraft entwickeln zu können, wo sich eine Tür öffnet, ein neuer Weg erkennbar wird.

Die bekannte Sportjournalistin Monica Lierhaus wurde nach einer Operation am Kopf vor einigen Jahren zunächst zum Pflegefall. Ein Aneurysma platzte. Sie ist nicht alt und hat sich ins Leben zurück gekämpft. Wie geht das? So wie ich es verstehe, können zerstörte Areale des Gehirns nicht wieder funktional korrigiert werden. Man trainiert andere Zellen, die nötigen Aufgaben zu übernehmen, um etwa einen lahmen Arm zurück in die Abläufe verschiedener Aktivitäten zu integrieren. Was mögen diese Zellen vor der Katastrophe gemacht haben, waren das Räume wie leer stehende Büros einer nicht vermieteten Immobilie? Warum fand ihre Besitzerin es für unnötig, diese mitzubenutzen für eine packende Reportage oder beim Autofahren und auch zuhause, beim Zähneputzen hätten diese grauen Zellen doch sicher einen Beitrag leisten können? Ich muss zugeben, dass ich nichts von der Materie verstehe. Ich mache mir nur so Gedanken, wie ich selbst vielleicht früher mit dem schlecht geschnürten Schuh weitergegangen wäre. Gut möglich, dass ich gestresst gewesen wäre, auch im Urlaub bei meiner Schwiegermutter und mir die kurze Verschnaufpause nicht zugestanden hätte. Menschen sind so. Wie viel Stress ist wann angemessen; dafür gibt es kein Gesetz. Es mag für Außenstehende keinen Sinn machen, dass eine Seniorin ohne besondere Verpflichtungen Stress erleidet, wenn solcher doch anderen wirklich zusteht, dem Arzt während einer Operation auf Leben und Tod oder einem Piloten, der in wilder Verfolgungsjagd am Himmel dem Feind entflieht. Messner am Gipfel ohne Sauerstoff darf gestresst sein. Ich kann gern zugeben, dass auch mir die einfachsten Alltagsgeschäfte Angst gemacht haben früher. Das weiß ich aber erst heute. Ich habe meinen Stress nicht wahrgenommen. Sicher kollabieren auch andere unter vergleichbaren Bedingungen, das bin ich nämlich einige Male. Vermutlich hat man ihnen gesagt, sie hätten diese Krankheit, die man mir diagnostizierte.

# Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis

Da kann ich nur resümieren, dass ich niemandem helfen könnte, denn meine Erlebnisse waren speziell und die Krankheit ist doch für alle gleich angeblich? Man gibt uns dasselbe Medikament, weil wir jeweils bescheuert herumirren. Wenn’s besser wird, sagen die Fachärzte allen Patienten, wie wir welche sind, dasselbe, weil Ärzte es im Studium so lernten. Sie nennen es Therapie. Und doch ist jeder von uns mit seinem eigenen Körper unterwegs, hat sein besonderes Gehirn, füttert es individuell. Gut möglich wäre, dass es unbenutzte Räume enthält? Das interessiert den Arzt wenig. Das ist kein Mangel seiner Arbeit. Ein Fehler wäre nur, darauf zu bauen, Fremde und besonders der Spezialist wüssten zu helfen durch eine Kenntnis, die der Arzt gar nicht haben kann. Er bekommt nicht heraus, wie sich das anfühlt beim Patienten, obwohl man davon erzählt. Ich erinnere mich gut. Von dem, was im Gehirnkasten eingelagert über die Jahre liegt, hält niemand eine Liste bereit. Dem Arzt wäre die Summe von Erinnerungen seines Patienten vielleicht eine Hilfe, ich glaube es aber nicht. Dem Patienten nützt, sich besser zu kennen, aber viele verdrängen lieber. Es könnte besser laufen: Das hieße, das Gehirn auf eine Weise zu verwenden, die man bisher vermieden hat. Integration möglicherweise brachliegender Areale im Gehirn bedeutet, neue Verhaltensweisen zu entdecken. Anders zu atmen, ermöglicht eine bessere, selbstbewusste Haltung und größere Beweglichkeit flexibles Denken. Mir hat dahingehend spezielles Training mehr genutzt als irgendeine Therapie. Seinen Körper nicht nur als Träger des Kopfes zu verstehen, ein nützlicher Transporter, bedeutet ganzheitlich insofern zu denken, weil die Wechselbeziehung zwischen Gehirn und dem Körper, seinen Gliedern deutlich wird. Ich habe gelernt, meine Ängste zu erforschen, aber nicht durch den Psychiater.

Ärzte zielen auf Vermeidung, ich wollte Konfrontation. Psychiater meinen, es gäbe viele Gründe, man könne nicht wissen, was die Ursache der Psychose sei. Ich wollte den einen Grund genau herausfinden, aber der Arzt meinte, ich solle „einfach leben“ oder sagte, ich „bräuchte eine Rüstung“ (das Medikament) ich „wäre empfindsamer“ (als andere), schmeichelte er mir. Ein Facharzt befand, die Angst „sei ein Tiger“ und „den müsse man reiten“, gab zu, Psychologie studiert zu haben, weil seine Noten vom Abitur für bessere Medizin nicht ausgereicht hätten. Ich denke heute, jeder Doofmann, der andere gern manipulieren möchte, weil diese hilfsbedürftig sind, traut sich zu, Psychopharmaka zu verschreiben. Solche vermeintlichen Ärzte sind keine.

# Feldenkrais ist kein Sport

Wer auf eine Reise geht, trifft ein paar Vorbereitungen. So gesehen ist jeder Tag, und sei es der Alltag, auch ein Ausflug, der nur gelingen kann nach einigen Überlegungen. Für einen Winterurlaub muss man warme Kleidung einpacken. Für den Alltag ist nötig, überhaupt Kleidung anzuziehen, bevor man das Haus verlässt. Letztlich ist jede neue Woche eine Bewegung in die Zukunft und im Kleinen eine Reise. Wer Skilaufen möchte, trainiert womöglich zuvor die nötige Kondition für eine ungewohnte Sportlichkeit im Urlaub. Manche machen ohnehin Sport im Fitness-Studio. Die Beweglichkeit daraufhin zu prüfen, ob sie überhaupt gegeben ist im rechten Arm so gut wie im linken, das mache ich täglich und nicht nur dort. Mich interessiert, wie im Spiel herauszufinden, wie leicht ich funktioniere oder eben nicht. Für mich bedeutet es eine alltägliche Kontrolle. Ich checke mein System durch. Funktion ist in diesem Sinne nicht Nutzen oder Leistung, Sport. Leistung ist, physikalisch betrachtet, Arbeit in Relation zur Zeit. Es ist aber möglich – Kunst ist ja genauso – zu arbeiten, sich also funktional zu bewegen, ohne das in einer bestimmten Zeit leisten zu müssen. Etwa wie eine Etüde beim Proben in der Musik; sie zu beherrschen heißt, das Stück in jedem Tempo fließend zu können und nicht, schnell damit fertig zu werden. Mein Training, das ich von verschiedenen Lehrern und aus der Fachliteratur einiger Autoren entnommen habe, ist nicht zur Kräftigung konzipiert. Die Methode, die ich auch als praktisch zur Selbstbehandlung meiner Erkrankung erkannte, wurde der alltäglichen Verbesserung des Lebens wegen erdacht (und nicht, um Schizophrene zu heilen). Moshe Feldenkrais kurierte seinerzeit eine Blessur am Knie und erfand nebenbei seine Theorie vom menschlichen Verhalten, die vielfältig weiterentwickelt werden kann von dem, der sie zu nutzen weiß. Das Training zielt auf die Beweglichkeit, aber tatsächlich auf flexibles Denken. Für den Arzt ist eine Psychose entweder das Ergebnis einer Depression, die in eine manische Phase übergegangen ist oder eine Spielart der Schizophrenie. Und für den Leser der Bildzeitung ist ein Schizophrener gefährlich. So einfach ist es scheinbar. Aber genauso, wie manche staunen, dass sogar Intelligente dement werden im Alter, darf man darauf hinweisen, wie individuell psychische Krankheiten verlaufen.

Da passt wieder ein kurzes Beispiel. Meine Schwiegermutter wird von ihrer Physiotherapeutin gefragt, bei der die alte Dame auf einer Liege behandelt wird, ob sie sich auch auf den Bauch drehen könne? Wir denken nicht groß nach über dergleichen, höchstens, dass es klar ist, wie schwer Senioren vieles fällt. Es gibt kein Müssen, was einer draufzuhaben hätte. Man fragt sich, warum erst die Helferin zur Diskussion stellt, was unsereiner auch für sich allein probieren könnte? Nicht in einem Studio, sondern einfach so – auf einem Bein stehen, geht es? Meine Erfahrung ist, es kommt nicht darauf an, Forderungen nach dem Motto „solltest du können“ zu erfüllen. Sich besser kennenlernen, heißt vielleicht zu bemerken, dass die Atmung rechtsseitig hakt, der Mund links hochgezogen wird, die rechte Schulter hängt. Das sind so individuelle Einschränkungen, die man selbst verschuldet, ohne bislang darauf geachtet zu haben. Verbessert man die Beweglichkeit der bislang dumpfen, sich dem Bewusstsein entzogenen Bereiche, bedeutet es, das Gehirn bezüglich dieser Blockaden zu beleben. Bildlich gesprochen meint es, Leerstände der Immobilie „Hirn“ wieder zu vermieten.

# Funktionalität und Nutzen

Unsere Funktionalität macht erst möglich, das Menschsein nützlich einzubringen. Zwei Dinge sind von Bedeutung, wem nutzt die Tätigkeit, also dem Handelnden oder seiner Umgebung, beziehungsweise anteilig beiden, und steht dem Aktiven sein System vollumfänglich zur Verfügung? Darüber nachzudenken ist deswegen von Bedeutung, weil die Prioritäten wesentlichen Einfluss auf unsere Gesundheit haben. Unsere Motivation spielt dabei eine Rolle, wie viel Kraft wir mit der Muskulatur in eine Richtung einsetzen. Selbstüberschätzung mag der Grund sein, wenn wir uns über Gebühr für eine Sache einbringen und in der Folge beschädigen. Mangelnde Energie kann zu Problemen führen, weil sich jemand Dinge nicht traut, die ihn existentiell voranbringen könnten. Deswegen kann es eine gute Hilfe sein, die Funktionalität losgelöst von einer nutzbringenden Tätigkeit zu prüfen. Dazu spielt der Geübte seine Möglichkeiten durch, wie etwa ein Musiker oder Sportler beim Aufwärmen. Eine Reihe von Einschränkungen gewöhnt sich jeder Mensch an, oft ohne diese zu bemerken. Menschen bevorzugen eine Hand, einen Arm. Sie stehen mehr auf einem Bein als auf dem anderen, drehen ihren Körper bei vielen Tätigkeiten in eine Richtung, wo sie es genauso gut andersherum machen könnten. Man steigt immer auf dieselbe Art aufs Fahrrad, hält das Telefon ans gewohnte Ohr und viele dieser Angewohnheiten mehr. Man schlägt die Beine immer gleich übereinander, faltet die Hände so, dass die Finger auf bekannte Weise aneinanderliegen, obwohl es auch andersherum geht. Das ist zunächst ja nicht falsch oder schlecht, hat weniger Nachteile für sich, als es Vorteile bietet, sein Spektrum zu erweitern, wenn man diese Gewohnheiten bemerkt. Ein Mensch kann zufriedenstellend handeln, ohne alles drauf zu haben, was ihm möglich wäre. Auch können wir sagen, dass individuelle Einschränkungen ohnehin verschieden mobile Wesen aus uns machen. Niemand kann einem auf den Rollstuhl Angewiesenen das Menschsein absprechen, weil dieser keinen Weltrekord im Hundertmeterlauf hinbekommt. Nichtsdestotrotz bleiben viele hinter ihren Möglichkeiten zurück. Und auch für psychisch Kranke gilt, dass gerade ihre überzogenen Ansichten problematisch sind. Weg zu kommen von absonderlichen Ideen, kann sehr gut durch besseres Bewusstsein gelingen. Dazu muss jemand seinen Körper spüren, und das geht am Besten, diesen samt den Gliedmaßen auszuforschen und wird schließlich auch das Denken erweitern.

# Blöd sind wir

So wie vergleichsweise von ihrer Natürlichkeit entfremdete Menschen, also gewissermaßen degeneriert, ihr Auskommen haben, muss man resümieren, dass gerade deswegen neue Wege zu gehen möglich wird. Wer sich besser kennenlernt, ein wenig umschaut, könnte kreativ losgehen. Man findet womöglich ein Plätzchen in der Welt, wo bislang selbstgemachte Schwierigkeiten den Blick verstellten. Lebensqualität zu entdecken, wo Zwang den Alltag bestimmte, befriedigt schon deswegen, weil es wie Urlaub machen ist. Man unterbricht das aufgezwungene Mitlaufen und reist an einen schönen Ort. Klügere finden natürliche Erholung, wo sie ihre Anpassung ans Drumherum selbst bestimmen. Im täglichen Trott verfehlen viele sich selbst. Die Zivilisation ermöglicht uns, auf einem niedrigen Niveau zu existieren und einen Grad von Zufriedenheit erlangen, der, gemessen am Unvermögen, erstaunt. Man kann diese Fehler im eigenen Leben aufspüren, nicht nur, in dem man mit dem Finger auf andere zeigt. Auch sollte man lernen, dass gerade dumme Menschen einen empfindlich treffen können, weil ihre einfältige Bosheit vom System gestützt wird. Auf den Beinen anderer getragen, kommen eitle Menschen bis in Leitungspositionen. Manche entdecken Möglichkeiten, etwa in der Politik Einfluss zu nehmen, die besser im Hof der Küche putzen würden. Ein hübsches Gesicht genügt, eine Wahl zu gewinnen. Wir leben in einer Zeit, die es welchen, denen an Manipulation gelegen ist, einfacher macht, Gruppendynamik für sich gewinnbringend zu nutzen. Dem kann sich einer nur durch flexibles Denken entziehen.

# Integration

Wesentlich für gesunde Integration ist gegenseitiges Vertrauen in einer Gesellschaft. Wenn ein Kranker sich nicht auf sein Gehirn verlassen kann, weil dieses scheinbar spontan in den Dummeszeugmodus wechselt, mangelt es am Selbstvertrauen. Dem Umfeld ist das Ganze ebenfalls nicht geheuer. Selbstvertrauen sprießen zu lassen wie eine Pflanze, benötigte ein Terrain zu schaffen, wo Kranke sich besser spüren lernen. Pharmaka betäubt. Das ist eine Hilfe entsprechend der Sportmedizin. Man vereist den Muskel. Der Fußballer merkt nix mehr und donnert wieder ab. Wir wollen die Leistungsgesellschaft. Nachhaltige Gesundheit ginge anders. Meiner Erfahrung nach wirken Medikamente in der Not hervorragend. Das ist leider nicht bei allen gleich. Bei allen gleich ist aber, dass Medikamente auch anschließend einer Eskalation gegeben werden. Die Therapie begleitende Medizin möchte die Wichtigkeit der Behandlung erst recht in Szene setzen. Niemand fühlt sich wohl damit. Wohlfühlen steht auf der Liste zu erreichender Ziele für den Patienten seitens des Arztes an letzter Stelle. Das ist falsch. Hier wird Schule mit Krankheit verwechselt. Eine schädliche Wirklichkeitsanpassung bedeutet genauso die Kränkung einer bösen Umgebung zuzulassen. Gäbe es die voran trabende und uns an die Seite drückende Herde nicht, kämen Schwächere leicht klar. Das befreit denjenigen Patienten, der als psychisch krank bezeichnet wird, zum Teil von der Dummheit seiner Haltung und ist auch ein Beweis der Schuldunfähigkeit, weil es nicht um schuld sein geht. Die Grenzen des Krankseins verfließen aber je nach Intensität zur Normalität des gewöhnlichen Verhaltens der anderen, die nicht so auffallen, und damit wird auch die Notwendigkeit und Form der Medizin unscharf. Schwer depressive wie psychotische Menschen sind krank. Während das Leben in Monaten und Jahren zwischen heftigen Phasen, Schüben vielen ganz passabel gelingt, sollten wir uns fragen, ob wir vom kranken Leben insgesamt ausgehen möchten als theoretisch angenommen oder nicht? Nur weil es Wirkstoffe gibt, die im Notfall deutlich helfen, anzunehmen, diese nützten als Erhaltungsdosis alle Zeit, ist falsch. Ein latent als krank Bezeichneter findet nur schwer in die Einsicht, dass er dauerhafte Dämpfung benötigen soll für integriertes Verhalten. Das ist eine Form der Integration zweiter Klasse. Möglicherweise mag das die einzige Lösung für nicht wenige von uns bedeuten. Dabei ist bemerkenswert, dass auch viele Normale scheinbar weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Man muss nur eine Zeit lang irgendwo im Café sitzen und die Passanten beobachten. Was da für Gestalten kommen, spricht Bände.

Ein Paranoider bezieht alles auf sich, bis das seinen Denkapparat überfordert und die Lage außer Kontrolle gerät. Es mag sein, dass Pharmaka diese Erregung eindämmen und manches Schlimme verhindern. Dafür muss man das Zeug aber freiwillig immer nehmen. Das macht weder Spaß noch fühlt sich das Leben gut an und bedeutet manche degenerative Entwicklung. Damit kommt es zur fatalen Entscheidung, die Medikamente freiwillig abzusetzen; immer wieder machen Menschen das. Geht’s schief, fahren selbsternannte Weltretter verschiedenster Fakultäten scharfe Geschützen auf, um den Kranken dauerhaft vor sich selbst zu schützen, wie sie sagen. Man darf ihre wohlmeinenden Motive anzweifeln wie ihre Fachlichkeit, den heiligen Gral der Psychiatrie gefunden zu haben. Es gibt keine Pille, die alle zufrieden stellt. Am Besten kommt klar, wer schließlich schafft, unauffällig ohne Arzt und seine Medizin zu leben. Gesund und zufrieden bleibt, wer diese Leute ignoriert, die zwanghaft helfen wollen. Um Hilfe zu bitten ist mal unumgänglich, aus einer Not gerettet zu werden, wunderbar – aber eine aufgezwungene Behandlung nützt nur dem, der sich damit brüsten will. Ich bin nicht undankbar. Einige wollten mir vorgeblich helfen, ohne dass ich davon wusste. Leute haben manipuliert, griffen in meine Existenz ein, ohne mich zu fragen, bis mir’s nachträglich klar wurde. Da habe ich nur noch Verachtung übrig, für solche Methoden, Menschen, die bemühen, selbst gesünder zu sein und sich berechtigt fühlen, andere zu gängeln.

# Nie wieder!

Gutgläubig zu sein, ist falsch. Unterbewusst weiß ein zwanghaft freundlicher Mensch, dass er breite Angriffsflächen bietet, vollumfänglich verarscht zu werden. Paranoia bedeutet, sich Feinde einzubilden. Oft passiert das einer grauen Maus, für die sich in Wahrheit niemand interessiert. Statt sich mit solchen Leuten, die nur in der Fantasie gefährlich sind, einen Schattenboxkampf zu leisten, kann einem das Glück vom verdeckten Mobbing geschehen. Das ändert alles und ist tatsächlich vorteilhaft! Der Zufall verhilft uns dahin, unverhofft zur willkommenen Zielscheibe für ansonsten Ideenlose zu werden. Wer irgendetwas machte (ich müsste schreiben: malte), das genügend polarisiert, steht auf freiem Feld wie nackt und blöd platziert. „Unser“ Künstler – man ist die Gaudi vom Dorf geworden.

Das beendet die paranoiden Ängste.

Statt gegen die Flügel von Windmühlen zu schlagen, kommt unweigerlich der Moment, wo es zur Sache geht, sich freizukämpfen. Hinter vorgehaltener Hand bekannt zu sein, entspricht dem Schicksal, von Paparazzi verfolgt zu werden, ohne den Luxus von Starqualität. Die wirklichen Gegner sind triviale Arschlöcher, haben Spaß dran, andere vorzuführen. Das wird im günstigsten Fall, bei mir ist es jedenfalls so gekommen, jedes Vertrauen in Fremde (und die Empathie für wen auch immer) zerstören. Das Mitfühlen reduziert sich auf ein absolutes Minimum. Es genügt zu merken, was einen selbst betrifft, um den Schluss draus zu ziehen, dass es sich bei allen so gehört. Jeder fühle und kümmere sich erst einmal um den eigenen Apparat. Das ergibt, nur denen zu vertrauen, die selbst mit drinhängen im System. Man ist etwa verheiratet, zahlt ein Haus gemeinsam ab, möchte ein Kind erfolgreich ins Erwachsensein begleiten.

# In der Realität angekommen

Der kleinste Kreis hält immer zu dir, ist meine Erfahrung, weniger, weil man liebenswert wäre, sondern ein Minimum abhängiger Verbindlichkeit besteht. Liebe wie im Roman ist Unfug. Lange Freundschaften scheitern schon mal. Bitter, den Rest meiner Zeit werfe ich täglich weg. So fühlt sich das an. Es erscheint mir heute sinnlos, einer Vision nachzueilen. Warum „seinen Traum leben“, wenn das nur modisches Gerede ist? Der Fantasie ihren Platz zuweisen und das Machbare gestalten, ist besser. Ich fühle mich geborgen, wo ich mich auskenne. Der Fehler, man vertraut, wo es klug wäre, Distanz zu halten. Natürlich hört das nicht auf mit dem Betrogenwerden. Ich kann mich wehren. Da sind Ausdrucksmöglichkeiten, die spontan zur Verfügung stehen, wenn man darauf vertraut, ein Mensch erster Klasse zu sein. Wer alle Fächer zugänglich macht in der eigenen Spielkiste, kann sich jeden Lego nehmen und Dieben auf die Finger kloppen. Mitmenschen täuschen Vertraulichkeit vor. Sie sagen sich: „Bloß freundlich sein“, darauf fällt man rein. Ich glaube nicht an das Gute und kümmere mich selbst. Das schafft Beziehungen, die belastbar sind, weil, wer weniger Angst hat, besser steht, geht, läuft. Haltung kommt nicht von ungefähr, kann besser werden, bedeutet ein sinnvolles Lernfeld für jedermann. Selbstbewusstes Auftreten wirkt. Das kann das Drumherum sehen. Man fühlt sich entspannt, steigt auf in den Olymp der Gewöhnlichen, die nicht üben müssen zu lachen.

🙂