
Thema
27 Sep, 2022
Am Ziel folgt dir der Nächste nach
Das Ziel des Lebens ist der Tod? So denken wir nicht darüber, obwohl das Leben gern als Reise beschrieben wird. Und am Ziel einer Reise angekommen, ist die Zeit des Reisens vorbei. Wir fragen nicht nach einem Ziel, wenn wir vom Leben insgesamt reden. Natürlich formulieren Menschen wichtige Stationen oder Projekte und geben diese als Bedürfnisse an, die sie mit gerade ihrem Leben verknüpfen möchten. Dann aber eher umgekehrt: Man möchte ankommen, bevor die Zeit dafür vorbei ist. Wenn also das Lebensende kein Ziel sein kann, sondern möglichst spät den Weg beenden sollte, den wir verplant haben für manches, bleibt noch die Frage nach dem Sinn oder gar Zweck, den das Leben als solches haben könnte? Ein schwieriges Terrain, die Antwort muss individuell ausgelotet werden. Mich interessiert das Mysterium, wie wir leben können und vieles behaupten über uns, die Welt zu kennen mit zahlreichen Details, aber den Grund unseres Daseins im Dunkel kollektiven Nichtwissens akzeptieren müssen.
Für viele scheint nicht von Bedeutung, was das Ganze hier soll, sie leben einfach. Für andere ist eine Erklärung nötig, und sie haben eine. Für eine dritte, noch verbleibende Gruppe wird die Sinnsuche zum Problem. Wir könnten einen Rest an vierte Stelle setzen, das wären die mit dem Problem der Gruppe drei, die nicht wissen, dass es das ihre ist.
Dass unser Leben eine Zeitschiene ist, die mit dem Tod ihr Ende findet, scheint offensichtlich. Natürlich probieren Religionen, mit einer Vision aufzuwarten, etwas Neues, womöglich Größeres komme anschließend. Das hat in erster Linie ködernde Funktion. Missionieren wirkt: Unglückliche Menschen werden von diesem Denken gefangen genommen. Die Hoffnung auf Besserung treibt sie mehr an, als konstruktiv nach einem Ausweg zu suchen, und sie sind bereit, sich von Glaubenssätzen einlullen zu lassen. Das Problem mit dem Glaube kann nicht wegdiskutiert werden. Jeder Mensch muss sich dem Tod und seinem Kummer im Leben stellen. Tut man das nicht, läuft also einer Religion hinterher oder erklärt lapidar, eben ungläubig zu sein, kommt ein dickes Ende unweigerlich. Zu glauben oder nicht, ist keine Dekoration wie auch ein Gemälde mehr sein sollte. Als bloß hübscher Schmuck, sich gläubig zu geben oder umgekehrt Atheismus vorzuschieben nach dem Motto „jetzt bin ich’s los“, bedeutet den Unwägbarkeiten des Lebens ausgeliefert zu sein. Wer mit Fug und Recht von sich sagen kann, die Bibel sei nicht mehr als ein Geschichtenbuch und heute wären die Menschen doch frei zu denken, was ihnen in den Sinn käme, hat sich der Realität gestellt wie derjenige, der Gott die Lücke füllen lässt, die unser Verstand nicht überbrücken kann.
Dazwischen lebt eine Masse, die nicht weiß, was sie tut. Und sie scheint an Zahl größer zu werden. Eine bedenkliche Entwicklung. In unserem Tageblatt findet sich seit geraumer Zeit eine schmale Spalte Wortmuseum. Heute steht dort als Begriff mit Seltenheitswert: „Backpfeife“. Das kennt man nicht mehr? Meine Mutter sagte: „Du kriegst einen Backs!“, und schon passierte es. Das war ganz normal. In der Zeitung steht, die Ohrfeige, wie es amtlich korrekt heißt, sei heute verboten. In der Folge kann also eine Mutter, die ihr Kind öffentlich etwa an der Bushaltestelle schlägt, von Passanten angezeigt werden und muss mit Konsequenzen rechnen. Die Zahlen kenne ich ja nicht, aber meine Vermutung ist, dass Gewalt gegen Kinder fortbesteht, in welcher Dimension auch immer. Wenn darüber diskutiert wird, sprechen Fachleute von einer unbekannten Dunkelziffer in ihrer Statistik. Strafbares kann geahndet werden. Der Staat macht Gesetze, aber Gewalt wird keinesfalls abgeschafft, ausgerottet wie etwa eine böse Seuche von früher. Gewalt gehört zum Leben wie der Tod. Es liegt nicht in der Hand der Menschen, sie wirksam aus unserer Existenz zu eliminieren.
# Gott und die Welt
Ich glaube, ja. Aber ob sich eine Kirche damit auskennt, was Gott will und wir demzufolge sind? Man kann Theologie studieren, sogar einen Doktor machen und doch wenig Lebenserfahrung haben, dummes Zeug verbreiten, es selbst glauben. Wir staunen, wie der moderne Gott stetig neu erfunden wird. Jedenfalls sein Bild, was wir nicht abbilden und schon gar nicht karikieren sollen, stellen wir in einen modernen Kontext. Eine Interpretation, und manche treten aus der Kirche aus. Aus Gott selbst tritt niemand aus, nicht einmal Ungläubige verlassen den Rahmen der eigenen Natur. Das ist bloß ein anderer Name dafür. Atheist zu sein heißt oft nichts, als sich mit einem Wort betüddeln. Man fühlt sich schlauer als diese Spinner mit der rosa Kappe, die kleine Jungs ficken. Heute probiert sich sogar die Kirche aus, hat eine Jugendband. Der Pastor spielt Gitarre und gehört dazu, will auch krass sein, im Trend und divers. Frauen dürfen mitreden, ja, sogar Homosexuelle möchten vom Herrn geliebt werden und fordern sein neues Design. Der eigene Schwanz. My body, my choice auch da oben? Das passt nicht jedem. Die Kirche gibt sich streitbar, aber verwässern möchte man nichts. Können wir Menschen ausdiskutieren, was der Allmächtige darstellt, oder sind wir längst im Bereich schnöder Vereinsstrukturen angekommen? Das wäre dann wie in einer Partei, die ein Leitbild hat. Sahra gehört dazu oder eben nicht mehr, wenn sie zu weit gegangen ist nach Meinung einer Mehrheit. So ist Demokratie, links ohne Wagenknecht, die Kunst in Deutschland bitte ohne Antisemiten, der Sportverein natürlich ohne Sexismus, die Kirche mit Gott als Mehrheitsbeschluss und genauen Vorgaben, was der noch zu sagen hat.
Ein guter Grund, sich mit dem Glaube auch allein auseinanderzusetzen, und vor allem zwei Fragen muss ein Mensch diesbezüglich zunächst klären. Erstens, kann ich selbst schlagen, ja sogar töten? Dabei geht es nicht um das Dürfen oder Sollen, sondern um Freiheit, Mut und Abwägung mit dem Bewusstsein aller Konsequenzen. Symmetrisch die zweite existenzielle Frage: Wie gehe ich mit der Angst um, angegriffen zu werden? Die Gebote sind bekannt. Sie können als unbedingte Richtlinien des Sollens oder mit Ermessensspielraum für eigene Erfahrungen betrachtet werden. Ein Gebot dürfte auch ein Vorschlag sein, nach dem Motto „du kannst“ – und wenn du innehältst, wirst du verstehen. Manche können sich nicht zurückhalten, schlagen zwanghaft wie im Reflex. Wie wir selbst damit umgehen, was das Gesetz bestimmt, bleibt dem Einzelnen überlassen. Ein gefestigter Mensch hat es kaum einmal nötig Gewalt anzuwenden. Sonst ist einer nicht frei darin abzuwägen und inneren Zwängen ausgeliefert. Kann man sich also wehren oder ordnet sich jedesmal unter? Es gibt diese Interpretation, das müsse man, die andere Backe hinhalten.
Erstaunlich, dass ein so streitlustiger Gesell wie unser Herr Jesus die Gewaltlosigkeit predigte, wo doch der Gottessohn ständig provozierte. Das musste am Kreuz enden. Eine feine Rhetorik, dies als Höhepunkt der Weisheit umzudeuten, weil es anschließend des Todes noch richtig abgeht im Himmel. Ich glaube anders, aber das ist meine Meinung. Ich weiß ja nicht, wie es damals war. Mich beeindruckt, dass diese Geschichte die Welt verändert hat. Die Menschen konnten sich ihres Verhaltens bewusst werden, weil sie ihre kollektive Gewalt gegen einen Spinner begriffen haben, den die Meute sogar anstelle eines anderen kreuzigen mochte, dem Aufruhr und Mord vorgeworfen wurden. Mir gefällt die Kraft, die von dieser Idee ausgeht. Bis heute berührt, wie ein Mensch für seine Überzeugung eintritt, sich opfert, das alles zu behaupten, was ihn zur Zielscheibe macht. Die Gleichnisse und vieles mehr helfen uns noch immer nachzudenken. Das genügte, ihn zu kreuzigen? Unglaublich, aber so sind wir. Ganz sicher ist hier ein Abbild des sozialen Menschen dargestellt und davon erzählt worden, wie brutal ein Netzwerk mobbt. Ich kann mir übrigens lebhaft vorstellen, wie Jesus’ Jünger gekniffen haben mögen, ihm letztlich zu helfen. Tatsächlich, mein weniger großer Glaube lässt zu, mir vorzustellen, wie ein Häuflein dunkler Gestalten (und das sind Leute, deren Namen wir nicht kennen), unter Gefahr des eigenen Lebens den Geschundenen vom Kreuz nahm, bevor dieser starb. Sie werden für Geld und aus anderen Motiven einen hundsgewöhnlichen Aufrührer, der mindestens „einen Hau“ hatte (also bekloppt gewesen ist) gerettet haben. Und unser Herr Jesus hat sich anschließend aus der Gegend verpisst und gelernt, seine Klappe nicht mehr ganz so weit aufzureißen. Aber, ich schweife ab. Das kann man ja nicht belegen.
Es braucht als Religionshilfe, das Beten zu üben, keinen Gott, der im Himmel angeblich einen Sohn hatte und den nach Jerusalem beamte, finde ich. Es geht auch so einzusehen, nicht alles zu verstehen und Erkenntnisse aus dem zu ziehen, was seit jeher aufgeschrieben wurde. Als Künstler ist man ohnehin auf bösem Wege und macht sich Bildnisse, wo immer das geht. Ganz wie der Inkonsequente, der mit jedem neuen Gleichnis ein weiteres Gemälde aus Worten geschaffen hat. Christus war kreativ!
Die zweite Frage, die nach der Furcht vor Gewalt, die Angst vor den anderen Menschen, ist auch wichtig. Habe ich diese Angst und wenn ja, wann? In letzter Konsequenz muss man sich mit dem eigenen Tod auseinandersetzen, mit der Gewalt, die unserem Leben insofern gegenübersteht, als dass der Tod unausweichlich ist und der Verkürzung dieser unbekannten Lebensspanne durch fremde wie auch eigene Hand als gegebene Möglichkeit. Diese Überlegungen führen direkt in die komplexe Materie von Selbstbestimmung und Abhängigkeit. Solche zunächst rein intellektuelle Betrachtung kommt nicht ohne die Erfahrungen aus, die ein Mensch im Leib macht. Insofern ist alles Reden von der Seele Unfug, wenn dieses außer Acht lässt, dass wir die Welt mit uns selbst untrennbar verbunden erleben. Es gibt keine Erinnerung an ein Erlebnis, welches zu einer Erfahrung werden könnte, die wir von uns losgelöst beschreiben könnten. Unsere Perspektive, unser Körper am Platz, wo er gerade lebt, das ist der Mensch und nicht etwa eine geistige Objektivität. Wir urteilen aus der Erfahrung des ganzen Menschen, der wir sind. Als ein auf den Rollstuhl Angewiesener kann ich nicht weglaufen, als Blinder nicht sehen. Auch wenn ich Bundekanzler geworden bin, benötige ich zum in die Luft gehen noch das Flugzeug, weil der Mensch kein Vogel ist. Am Gehirn hängt immer der Mensch mit all seinen Beschränkungen. Das wird gern vergessen.
Malen bedeutet, die Umgebung selbst zu erforschen. Der Weg zur Kunst ist geprägt von dem leidigen Bestreben nach Anerkennung. Wertschätzung wird dem Menschen von anderen entgegengebracht, und man kann danach süchtig sein. Wem es an Liebe mangelt oder wer ihre Unzuverlässigkeit fürchtet, kann Gefahr laufen, daran krank zu werden. Das Problem ist weniger ein Fehler der Umgebung, der insgesamt geändert werden müsste (die Weltverbesserung an sich), sondern ein persönliches, und das bedeutet allenfalls die „nähere“ Umgebung zu ändern – oder eine andere zu suchen, sowie das Übel bei sich selbst zu begreifen. Da könnte ein Mensch auf den Irrweg kommen, schuld zu sein und Strafe geradezu verdient zu haben? Damit verewigt sich das Leid, und besser wäre, die eigene Dummheit als das Problem an sich zu erkennen und dazuzulernen.
Wir leben in einem anfassbaren Universum. Das bezeichnen welche, die sich damit auskennen, als die erste Wirklichkeit. Darüber hinaus sollten wir verstehen lernen, dass allen Dingen eine Zuschreibung, was diese meinen, beigebracht wird. Damit entsteht eine zweite Wirklichkeit. Sie ist genauso wenig statisch wie die erste Welt. Das liegt vor allem am Vorhandensein einer dritten Wirklichkeit, unsere Kreationen bilden ein intellektuelles Netz, und dieses wird die stoffliche Welt verändern. Und dass die zweite Wirklichkeit, die unserer Annahmen, Zuschreibungen und sinnlicher Erfahrungen durch ständige Neubewertung im Fluss bleibt, scheint offensichtlich. Diesem theoretischen Modell, das wir etwa bei Popper finden und welches dem Konstruktivismus die Basis gibt, könnte sich eine Religion zu Nutze machen und einen modernen Gott skizzieren. Dann hätte die Kirche es nicht nötig, eine Basis von blöden oder psychisch kranken Mitgliedern ihr eigen zu nennen.
Und blöde ist der gemeine Mensch. Es hilft nicht, anderen dies zu sagen, sie seien dumm. Man sieht es am Krieg in der Ukraine. Davon, dass man Russland mit Sanktionen abstrafen möchte, wird es nicht besser werden mit der Demokratie dort. Ein blutiger Weg zu mehr Wahrhaftigkeit ist inzwischen unausweichlich. In den Seperatistengebieten wird seit Jahren gekämpft. Wo man auch den Anfangspunkt setzt, bei der Annexion der Krim etwa oder dem gebetsmühlenartig als Angriffskrieg bezeichneten Überfall auf die Ukraine, die Gewalt um Russland herum auf die Person des Präsidenten zu singularisieren, verkennt, dass eine Atommacht zu belehren und sanktionieren absurd ist. Und so dumm wie dieser kollektive Westen aufmarschiert ist, so blöde ist einjeder, der meint, Polizist und Richter sein zu wollen, wenn der Ansatz dahinter nur die eigene Eitelkeit ist. Es mag sein, dass wir westlichen Demokratien dem Bürger größere Freiheit bieten, aber die Fähigkeit, diese liberale Größe anderen Staaten hinzuschenken, beherrschen wir offensichtlich nicht.
Wir erkennen den Angriff auf die Ukraine. Das Land könnte im Modell ein Streber sein, der von den Lehrern seiner Schulklasse hofiert wird. Die Mitschüler sehen nur einen Schleimer. Es ist wie mit dem gemobbten Kind in der Schule. Wir erkennen es. Wir starten Hilfsangebote. Wir siedeln das Opfer um in eine andere Schule. Und dort geht das Übel von vorne los. Die Gewalt einer sich bildenden Gruppe gegen den Einzelnen probieren wir zu zerschlagen, aber es ist immer wieder eine neue Vernetzung auf dem Wege, wenn sich der Ausgegrenzte nicht schließlich selbst zu helfen versteht. Den Frechsten zu besiegen, kann dazu führen, dass ein „Spinner“ letztlich akzeptiert wird. Als einen Musterschüler begreifen wir die Ukraine, wenn sie sich verteidigt und ermuntern das Land nicht nur; wir liefern Waffen. Nun denkt Putin über Selenskyj genau andersherum, sieht hier den penetranten Rammbock des kollektiven Westens? Schwer nachzuvollziehen, dass sich der Präsident einer Atommacht als ausgegrenzter Politiker empfunden hat. Dafür spricht jedoch, dass Wladimir Putin weniger der gestörte Einzelkämpfer ist, den wir zu erkennen meinen. Obschon ein Autokrat, stehen viele Russen hinter ihrem Präsidenten. Einer wirtschaftliche Überlegenheit der Vereinigten Staaten hätte die Größe gut zu Gesicht gestanden, Russland als Partner zu behandeln. Das war doch auf einem guten Wege, beiderseitig Geschäfte zu machen. Leben und Leben lassen: Dann hätten die Amerikaner die Gasversorgung Europas über den dranhängenden Kontinent Asien als die natürliche Verbindung toleriert und probieren können, durch Verhandlungen brauchbare Märkte zu kreieren, die allen passen. Statt dessen haben die Bündnispartner des Westens, also die Europäer in erster Linie, ihre Probleme der Abhängigkeit weniger dadurch, dass Russland der Hauptlieferant vom Gas ist, sondern weil federführend der amerikanische Präsident wirtschaftlichen Druck aufgebaut hat, obwohl dieses Land bereits weltweit andere dominiert. Man stelle sich also, um das Beispiel mit der Schule wieder aufzunehmen, einen Klassenbesten vor, der neben guten Noten auch noch ein eingebildeter Fiesling ist. So jedenfalls wirkt Amerika auf manche Nation, die nun erst recht diktatorisch ihr Volk auf Linie bringt dem standzuhalten.
Gewalt möchte man auch vermeiden, wenn ein Auffälliger von der Polizei überwacht und angesprochen wird, sich zu mäßigen wie man es mit einem Kind in der Schule tut. Die Gefährderansprache ist ein modernes Instrument der freien Welt, die einen möglichen Straftäter vorab erkennen möchte, aber keine Handhabe hat, gegen etwas vorzugehen, das nur geschehen könnte. Erwachsene wie ein Kind zu maßregeln, muss und wird diese zornig machen. Manipulation kann wirksam sein, wenn derjenige, der diese an sich erfährt, nichts davon mitbekommt. Das klappt wohl in den seltensten Fällen. Statt mit Strafen zu drohen und das Verhalten von unliebsamen Mitgliedern der Gesellschaft zu sanktionieren, im weitesten Sinne die Freiheit ganzen Staaten aufzwingen zu wollen, könnten Anreize und bessere Perspektiven wirkungsvoller sein, das Ziel von Frieden und Freiheit zu erreichen. Das wäre dann nicht, den Tod zu forcieren, die Gewalt wie eine Pflanze zu ziehen als säe man sich das Unkraut selbst, sondern Fenster und Türen zur Freiheit hin zu öffnen. Denn das ist ja die Freiheit; wählen zu können zwischen Alternativen befreit.
Die Anerkennung der anderen steht einer Gesellschaft im Vordergrund, die faul wurde, zunächst dafür zu arbeiten. Wir sind ständig am Smartphone und gleichen unsere Position im Netz ab, eine digitalkranke Masse. Sie hat keine Intelligenz, aber es kommt den Leuten so vor, weil sie sich ständig versichern zu tun, was man gerade wichtig nimmt. Ganz bestimmt schafft die Vernetzung ein großes Ganzes. Warum die Menschen einerseits glauben, allein und selbstbestimmt zu sein und andererseits einen Götzen anzubeten scheinen, der gerade ihre Hoffnungen lenkt, erschließt sich dem, der größer denken möchte, kaum. Die Vielfalt der Götter im alten Rom konnte dem damals modernen Gedanken eines monotheistischen Herrn nicht standhalten. Heute, angesichts der unzähligen, zersplitterten Denkweisen, wie die Welt sei, bietet diese Glaubensfreiheit beliebig vielen Heilsbringern eine Plattform. Jedem sein eigener Guru, nur mit dem Unterschied, es gäbe damit das einzig Richtige und die anderen wären falsch. Ein seltsamer Herr ist das, der so vielgesichtig ist, wie man das gerade braucht. Da wird sich zeigen, ob die Welt mit ihrer Bevölkerung Schwarmintelligenz hat. Daran glaube ich, aber die Pflanzen und Tiere bevölkern diese Erde genau wie wir, und der Tod gehört für die Natur dazu. Was wäre also wahrscheinlicher, ein unendliches Fortbestehen des Lebens hier oder das kollektive Ende? Ich glaube an den Untergang als eine nähere Zukunft: Das Artensterben, die Probleme mit dem Klima, in jedem Fall wird sich der Planet so weit ändern, dass einiges unzuverlässig wird. Das erhöht andere Risiken. Flüchtlingsströme, weltweite Krankheiten und neue Kriege sind unausweichlich. Ist es schlimm, das anzunehmen? Damit kann man gut leben, gibt es einerseits doch genügend Motivation, die Bedingungen zu verbessern, wie andererseits einfach gelassen zu bleiben, weil jeder selbst mal stirbt und die Menschheit im Ganzen eben auch. Ich glaube, pflanze wie Martin Luther noch den Apfelbaum am Morgen der Katastrophe. Mein jeweils nächstes Bild ist so, es wird trotzdem gemalt. Ich fühle mich schuldig gegenüber den Märtyrern Stephanus oder Sophie Scholl, die unserem Herrn aus Überzeugung folgten.
Schlimmer finde ich, Hirngespinste zu pflegen. Das wären wohl radikale Ansätze, das Klima noch zu retten, eine Umweltpolizei zu etablieren mit bislang ungeahnter Durchsetzungskraft. Die klimaneutrale Welt und eine Gerechtigkeit für arme, benachteiligte Länder erzwingen zu wollen, muss den weltweiten Bürgerkrieg heraufbeschwören. Die Alternativen sind noch abschreckender für Naturliebhaber und sogar realistisch. Beunruhigend ist die Vorstellung vom gelingenden, bemannten Flug zum Mars mit anschließender Kolonie ausgewanderter Erdlinge. Weil das ernsthaft diskutiert wird, dürfen wir annehmen, dass die Wissenschaft einer Existenz unter derartigen Bedingungen eine reelle Chance gibt. Das heißt wohl umgekehrt, ein Leben auf dieser Erde, wenn sie erst kaputt gemacht wurde, ist dennoch weiter möglich? Zwei von diesen eigentlich toten Raumkugeln dödeln dann um eine kochende Sonne, überbevölkert mit Menschen ist es hier und mit Marsianern dort. Unser alter Erdenball glänzt schmutzigblau, und der Wüstenplanet leuchtet rot, benannt nach dem Wüterich Mars. Hüben wie drüben tobt der ewige Krieg – oh Gott!
# Bilder bleiben
Ich habe vor kurzem einen Mann am Yachthafen gesehen. Das war eine Begegnung, die mich ein klein wenig aus dem Tritt gebracht hat. Die Leute, die dort ein Boot besitzen, sehen für gewöhnlich anders aus. Sie tragen die typische Kleidung und haben vielleicht einen Fender in der Hand oder Tauwerk dabei. Nicht wenige sind vom Sehen miteinander bekannt. „Moin!“, ein knapper Gruß ist üblich. Dieser Fremde, den ich sah, als ich die Anlage beinahe verlassen hatte und die ersten Schritte auf die steile Gangway zum Land machen wollte, kam mir vertraut vor, aber völlig deplatziert. Das war ein junger, knapp vierzigjähriger – „Städter“ (aus dem Wortmuseum) – Stadtmensch. „Es ist Gero“, dachte ich irritiert und hätte den Mann beinahe angesprochen. Aber der hier war deutlich viel zu jung dafür, der vertraute Lehrer von damals zu sein. Mein ehemaliger Professor mag so ausgesehen haben, als ich noch nicht im Traum überlegte zu studieren. Etwas in sich gekehrt und mit hochgezogenen Schultern, ein Mann wie ohne Hals unterwegs. Ich kannte den Mann, meinte ich, und doch nicht. Der ging an mir vorbei, eine kleine Ledertasche unter dem Arm. Die war braun und auch sonst, nichts an seiner Kleidung ist blau gewesen. Feste Schuhe rundeten das Bild vom zwar legalen aber hier wie ausserirdischen Besucher am Hafen. Keinesfalls maritim war diese Erscheinung. Der Fremde grüßte nicht, schaute geradeaus. Er kam mir so ganz wie ein Geist aus einer anderen Welt vor.
Ein größeres Ganzes rahmt unser Dasein, das wir nicht verstehen und seiner Dynamik folgen, aber der liebende Gott ist eine Erfindung der Moderne. Bessere Entscheidungen trifft der Mensch in der Akzeptanz seiner Unwissenheit. Insofern ist jede Wissenschaft von Nutzen, verringert sie doch die Notwendigkeit zu glauben und schafft neue Perspektiven. Das schließt den Kreis: Wir verstehen, dass oft mehr Wege gefunden werden können, als man zunächst denkt. Es hilft, darauf zu vertrauen. Diese Suche ist insofern eine behütete, als es in unserer Natur liegt, unser Leben verbessern zu wollen.
Zu malen ist eine Wissenschaft, die Erforschung einer eigenen Wirklichkeit und mehr als eine bloße Beschäftigung. Anerkennung oder gar Liebe, das hat es nie gegeben. Es sind intellektuelle Wortschöpfungen, Luftschlösser. Dem nachzulaufen hat schon viel Zeit gekostet. Damit diese nicht verschenkt dasteht, freue ich mich jeden Tag, dass ich vom Handwerk zu malen genug verstehe, mich mit guten Stunden des Schaffens beschenken kann. Malen hilft. Wer sich bewusst ist, wird eher Wege finden. Das heißt doch, die Schöpfung und das Dasein als solches anzunehmen, zu akzeptieren. Das muss reichen, bezüglich der Hoffnung auf Liebe von oben und westlich von Hamburg.
🙂