Befürchtungen

Es ist manchmal eine Wortmalerei die rechte und mögliche Methode, Grenzen zu definieren und sogar eine Art Steckbrief abzubilden. Da könnte ein Widersacher sein, und so komme ich drauf, den, wie ich finde, nötigen Paintball zu kreieren, rauszuhauen. Man arbeitet mit einer Hypothese, wenn die eigentlich gewünschte Gewissheit zu erlangen unmöglich ist. Die Theorie im speziellen Fall ist, die Gegenseite geht ebenfalls mit einer Hypothese ins Rennen, und diese ist aber falsch. Das wiederum ist gewiss. In einem Krimi mit verdeckten Karten spielen, einen geheimdienstlichen Dschungel durchqueren müssen und finstere Machenschaften ausleuchten, das kennt man aus dem Roman oder Film. Der Wirklichkeit mit einer Romanvorlage begegnen, mindestens eine kurze Geschichte dem Mob zum Fraß vorwerfen, ist die weniger vertraute Variante im altbekannten Spiel.

Salieri war schon früh aufgefallen. Dieser Mann, der den speziellen Decknamen bekommen hat, weil er tagaus, tagein ein Gesicht zieht wie der Widersacher Mozarts auf dem bekannten Gemälde von Mähler. Sicher kein Musiker: Das ist gleichwohl ein Typ wie scheinbar Peter Kraus, der Schlagersänger. Unser Mann sieht aus wie eine Metamorphose aus beiden. Salieri Kraus heißt der deswegen (bei den Kollegen) insgeheim. Verballhornt zu „Sellerie“ läuft der alte Kumpel regelmäßig durchs Dorf oder nimmt gern den Linienbus in unserer Gegend.

Man trifft ihn an der Haltestelle an.

Der stinkt nach Scheißbulle.

Drahtig, von bloß durchschnittlicher Größe, trägt er unauffällige Kleidung. Ein kariertes Hemd, kurze Jacke und Alltagshose wählt er für gewöhnlich, um rauszugehen. Das kurze Haar ist grau und perfekt nach hinten gekämmt. Sein Gesicht bleibt nichtssagend. Der Teint ist blass. Die Lippen, zum kurzen Strich verkniffen, lassen immerhin ein wenig rot blicken. Der Mann sitzt Zeitung lesend im Café. Allein vertreibt sich dieser stille Zeitgenosse die Zeit oder verfolgt eine unbekannte Aufgabe. Er geht zu Fuß am Rand des Wegs vorbei und sieht dich nicht an. Stinknormal wie nur was ist das irgendwo einer. Als sparsame Kulisse gibt diese Person den Statisten im Hintergrund für jede nur erdenkliche Szene. Der Mann verschwendet keine Empathie. Er schwatzt nie und scherzt nicht mal so mit Fremden. Ein einsamer Agent könnte das sein. Dabei erscheint er aber unangemessen hart und von sich überzeugt. Sein ausweichender und doch konzentrierter Blick kommt ein wenig deplatziert daher im beschaulichen Kaff. Das ist hier nicht die Bronx. Unsere saubere Provinz gibt ja nichts her. Für einen Langeweiler wirkt dieser stille Zeitgenosse nun wieder zu klug, und das ist jedenfalls kein lieber Kaffeonkel, der auf sein Date wartet. Nicht andauernd hockt jemand zum Spaß allein wohl rum.

Da gibt es noch welche von dieser Sorte bei uns im Sammelbecken der Schlenderer. Individuell verschieden ähneln sich diese Leute dennoch. Sie möchten harmlose Senioren sein. Es bedeutet Energie zurückhalten, die nicht sichtbar werden darf.

Das sieht hier ja aus wie auf dem Kreuzfahrtschiff.

Sellerie hält lange an der oberen Reling Ausguck nach Süden. Deckung unnötig, mag er denken, sich selbst als Teil der Anlage empfinden wie ein Pfosten der Arkaden. Jetzt kommt plötzlich Dynamik auf! Unscharfe Flecken im Publikum werden zu Akteuren. Sonst ein dösender Sitzenbleiber, reißt hier einer der vermeintlichen Müßiggänger den Kopf herum. Dahinten springt wer sogar auf. Man sucht Blickkontakt. Verstreut über den Kaufpalast recken sich Köpfe. Der Anlass bleibt der Allgemeinheit verborgen. Das ansonsten träge Treiben im Tempel hält an. Normale Besucher haben diesen Knall nicht gehört. Lautloser Alarm. Hechelnde Jagdhunde nehmen dieselbe Witterung auf, weil einer der Köter angeschlagen hat? Das habe ich (nicht nur einmal) mitbekommen. Es sind allmählich bekannte Protagonisten im Spiel.

# Eulenspiegel

Ich habe Fehler gemacht und weiß das. Ich erkenne mich als Provozierten, der lernte, sich zu wehren. „Never underestimate your power“, so steht es unter einem Foto im Netz, das ich noch gelegentlich aufrufe, „one person is enough to change a live“, und das nehme ich wörtlich. Die eigene Zeitenwende war gestern. Man hat mich überwacht, und das empfinde ich als überzogenen Angriff bösartiger Menschen. Mir bleibt keine einzige Beziehung von emotionaler Qualität nach wie früher; Familie, Freunde, Künstlerkollegen, alles im Arsch. Ich lebe, wenn auch verheiratet im gemeinsamen Haus, isoliert, bleibe grundsätzlich oberflächlich und stelle Freundlichkeit als spontane Übung den anderen zur Verfügung. Damit bin ich mitnichten zwanghaft krank oder unklar gefährlich, aber diese Menschen, die fest im Sattel des Systems wie Maden im Speck Platz gefunden haben und vom Sockel ihrer Arbeitsleistung auf mich schauen, haben wohl inzwischen begriffen, dass ich mich veränderte. Nicht zum Guten, würde ich sagen. Doch mir geht es besser, ich fühle mich wohl und merke mehr. Ich nutze den Rechtsstaat kreativ, vergewaltige die Kunst für meine Interessen und kann so kein lieber Blümchenmaler sein. Ich beobachte den Zerfall bekannter Werte in der Politik, bei den Menschen in Deutschland und anderswo. Ich bemerke die ansteigenden Temperaturen, Wetterextreme, aggressive Tendenzen. Aber mein grüner Fußabdruck ist mir wurscht. Ich esse Fleisch, fahre mit Benzin, nutze die nagelneue Gasheizung. Ich gehe nicht zur Wahl. Mich hat die Gesellschaft als Mitarbeiter verloren.

Ich schaue zu und spotte, will untergehen wie Ahab. Der Wütende rammt die Harpune in den Wal. Der versehentlich mitgerissene Kapitän ist im Wust der Fangleinen rücklings an das Tier gefesselt und kann sich selbst nicht mehr befreien. „Hier hast du mein letztes Eisen!“, schreit der Einbeinige, rammt die Harpune ins Fleisch neben sich. Und der weiße Wal Moby Dick taucht einfach ab.

# Verdächtig normal

Er wohnt im Dorf. Ein Typ mit Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr, der auch regelmäßig Auto fährt, ein kleiner, flacher Wagen, silber. Sieht aus wie ein ausgelatschter Pantoffel; das Auto ist schon älter wie eben auch diese, miese Kackfresse. Alternativ mit dem Bulli karrt er gelegentlich rum. Ich habe es beobachtet. Inzwischen im Rentenalter gibt der Alte noch den Kaufhausdetektiv im benachbarten Zentrum möglicherweise? Er ist mutmaßlich dumm, nicht zu bemerken, dass er gerade deswegen auffällt, weil er tut, als wäre er nicht im Raum.

Der mag mich nicht.

🙂