
Thema
Okt 31, 2022
Reformation
Anfang der Achtziger begann ich, mit einem eigenen Boot zu segeln. Das waren die Jahre, in denen man für gewöhnlich erwachsen wird. Parallel zur weiterführenden Schule, der Zeit bei Bundeswehr und Studium ging es für mich und viele an der Elbe los. Nachdem ich den Pirat (das ist eine Bootsklasse) von meinem Freund, bei dem ich vorher mitgesegelt war, kaufte, konnte ich selbst das Meldeformular zur Regatta ausfüllen. Ich wollte steuern, nicht nur dabei sein und mein Glück auf dem Wasser versuchen. Das andere bei uns beliebte Hobby ist das Toursegeln. Um beides miteinander zu verbinden, war eine größere Jolle besser geeignet. Wettkämpfe zu segeln gefiel mir. Mit dem optimierten Schiff entspannt elbab gehen machte weniger Spaß. An Bord übernachten konnte man auf dem Piraten nicht so gut. Bald verkaufte ich ihn wieder und entschied mich für ein Boot, das ich noch heute besitze. Die Elb-H-Jolle wird typischerweise zu zweit gesegelt. Auf einigen Wettfahrten ist ein dritter Mann vorgeschrieben. Sonst ist unsereiner nur so unterwegs, wir gehen flussabwärts zu einem der kleinen Häfen, bauen dort Persenning. Aus dem Sportgerät wird eine Wohnung. Wir bereiten die Kojen vor, kochen, essen, machen Backschaft und erkunden die Gegend. Nicht selten schippern noch andere zum gleichen Ziel hin auf der Elbe. Im Hafen liegen oft mehrere Boote nebeneinander mit ihren Mannschaften. Man kann sagen, dass sich die Menschen hier auf dem Wasser gut kennen und in lockerer Formation untereinander helfen. Viele sind Freunde.
Das wird keine Segelgeschichte, ich möchte einen kritischen Text versuchen mit diesem Hintergrund, der mich trägt. Mich empört, unsere Welt verstört und weist dabei einzelnen als Fehler zu, gestört zu sein. Zu lernen ist, sich dem entgegenzustellen und den Fehler nicht bei sich, sondern im verwirrenden Ganzen zu bemerken. Da lassen sich gute Wege entdecken. Sie führen zu sicheren Inseln in dieser Umgebung, ragen wie trockenes Land aus einem für uns stürmischen Meer. Ratgeber sind allgemein gehalten, aber unsere Leben entwickeln sich individuell. Ich habe schon manche Hilfe angenommen. Die Einleitung erzählt vom Segeln, weil ich glaube, dass gute Beziehungen nötig sind, um gesund zu existieren. Wir segeln nicht allein, sind auf der Elbe unter Freunden und im Leben. Ohne einen Rahmen ist man verloren. Aber es gibt Schwierigkeiten, die zu meistern alle erst lernen müssen. Erwachsenwerden findet irgendwann statt, und das kann bedeuten zu spät dafür. Wahllos offen gegenüber anderen sein, um ihre Freundlichkeit zu genießen; plötzlich ist’s aus. Der Bumerang, den man an den eigenen Kopf bekommt, warum? Ein emotionales Loch tut sich auf, in das man fällt, wenn eine Beziehung sich als unzuverlässig herausstellt, weil das Gegenüber nur oberflächlich nett gewesen ist und sich gar nichts dabei denkt. Man hätte es merken können und deswegen ist das Übel selbst verschuldet. Mit dem Blick darauf gerichtet, möglichst gefallen zu wollen, habe ich vieles übersehen und dafür bezahlt, ohne zu begreifen wieso.
Die sozialen Netzwerke werden auch die asozialen genannt. Eine verschworene Gegnerschaft kann uns aus der Deckung fertigmachen. Einsamkeit wiederum verkürzt unsere Lebenserwartung noch mehr als etwa das Rauchen, eine ungesunde Lebensweise. Im Großen genauso wie zwischen den Nachbarn und Freunden, gefangen vom Drumherum sind wir scheinbar. Im Moment kämpft unsere freiheitliche Weltordnung gegen die Autokratie, namentlich Russland. Wir sind also dem sozialen Verbund angehörig, der unsere Umgebung gestaltet und müssen mitgehen, uns dabei wie auf einem Spielfeld beweisen. In der Ukraine ist daraus ein Schlachtfeld geworden. Was nicht heißen muss, dass es das unsere ist, aber mit wem wollen die Deutschen befreundet sein?
Beim Segeln lernte ich Freundschaften aufzubauen, Regatten segeln, zu gewinnen. Das bedeutet schlechterdings auch verlieren können, und ich möchte sagen, davon profitiere ich heute. Ich habe Nehmerqualitäten. Tatsächlich gelang mir an Land und im Beruf, also dort, wo der Ernst des Lebens wirkt (nicht auf der Segelbahn), kaum etwas, bis mir klar wurde, dass es unabdingbar nötig ist, ein eigenes Maß für Erfolg zu definieren. Das hat meine Gesundheit stark verbessert, behaupte ich, mir ein beinahe soziopathisches Gedankengut kreiert und schließlich auf geschmeidige Weise kultiviert. Damit stelle ich meine Auffassung von Gesundheit klar gegen landläufige Thesen, wie wir zu sein hätten als zivilisierte Menschen. Da ist nämlich eine Menge Schönreden dabei. Never sorry, keine Reue: Ich werde mich nicht entschuldigen, wenn ich glaube, aus guten Gründen und treu zu meinen Idealen gehandelt zu haben.
# Meine Wahrheit
Wir sind Wohlstand gewohnt, aber nun scheint die uns bekannte Welt in Gefahr zu sein. Viele haben Angst. Das gefällt mir aus der Boshaftigkeit heraus, dass mir einiges unmöglich war in einem Zeitalter vielfältiger Chancen, die ich weniger nutzen konnte als andere. War ich dumm: Ohne weiter ins Detail zu gehen, mag ich zugeben, nach dem Studium viele Male psychisch krank, in Behandlung gewesen zu sein. Das möchte man ja nicht, so etwas geschieht. Es grenzt an ein Wunder, dass ich, langjährig verheiratet, einen Sohn habe und im eigenen Haus in guter Nachbarschaft wohne, Freundschaften pflege. Normalerweise schmieren welche wie ich ab. Sie verlieren ihre sozialen Kontakte. Sie scheitern im Beruf, schon in der Ausbildung. Diese Menschen gehen regelmäßig und gezwungenermaßen zum psychiatrischen Facharzt oder leben in einer betreuten Einrichtung. Sie sind, auch wenn sie eine eigene Wohnung haben, schon optisch befremdlich anzuschauen und bleiben in der Regel allein. Einige erreichen in ihrer Krankheitskarriere den positiven Knick des gesunden Verlaufs, was fachlich gesprochen bedeutet, dass es mal deutlich besser wird in ihrem Leben, immerhin. Der Arzt hat dafür keine Erklärung, warum das passiert, er hofft aber, irgendwie möge es geschehen, glaube ich.
Ich halte Psychiater für dumm. Das sind diese Menschen, die sich in ein Terrain begeben haben, das keinen Erfolg verspricht. Wenn es einem ihrer Patienten besser geht, sind viele Faktoren denkbar, die dazu führten. Der Facharzt allein ist nur einer von mehreren Bezugspunkten, und nicht zuletzt die eigenen Initiativen des Patienten spielen eine große Rolle, ob eine dauerhafte Genesung möglich wird. Oft bleibt nur therapeutische Begleitung und ein Medikament als Mittel der Wahl. Dazu kommen nebulöse Gutachten, wie die Sache sich laut Diagnose entwickeln könnte, welche die Fachleute aber nur untereinander offen besprechen. Der Patient wird manipuliert statt informiert und bleibt Kunde, wechselt höchstens zum Wettbewerber, wenn es dort geschmeidiger läuft. Anders bei richtigen Ärzten: Wenn es einem chirurgischen Fall anschließend seiner Operation gelingt, wieder Fußball zu spielen, kann der Doktor das für sich verbuchen. Das wissen alle, man kennt den besten Orthopäden, den Professor, empfiehlt ihn weiter. Zum Psychiater geht einer, weil er muss und es nichts Besseres gibt. Der Erstbeste um die Ecke gewinnt schon leicht mal das Vertrauen, weil er zuhört. Diese Fakultät kaschiert ihre Unfähigkeit durch Gerede, nennt das Therapie und verwendet eine Medizin, die bessere Drogen darstellt, allesamt Betäubungsmittel. Man schafft eine Zweiklassengesellschaft, macht die Patienten nicht gesund, weil man es nicht kann, integriert Zombies. Ein psychisch kranker Mensch ist in jedem Fall eine tickende Zeitbombe. Ein Schub seiner Erkrankung kann mit Gewalt einhergehen und sei es gegen die eigene Person. Das wenigstens möchte man verhindern. Hier zeigt sich auch das unlösbare Problem all der Menschen, die direkt damit konfrontiert sind, einen Kranken im Umfeld zu haben. Jeder Betreuer (im weitesten Sinn) versucht, selbst ein gutes Bild abzugeben. Das heißt immer, den Betroffenen wie einen Hund quasi an der Leine zu führen. Damit verewigt man Krankheit.
Ich habe lange gebraucht, zu lange finde ich, um eine (so empfundene) Nabelschnur zu trennen. Das Traurige daran ist, dass heute keinerlei Vertrauen in die Medizin mich ermuntert, irgendwo Hilfe anzunehmen, wenn man das mal braucht. Ich möchte keine neuen Beziehungen beginnen, auf welchem Gebiet auch immer. Ich meide Menschen, lasse keine Nähe zu, und mir gefällt das nur oberflächliche Plaudern. Während ich früher mit echter Fröhlichkeit auf andere zu gegangen bin, bleibt mein Lachen heute um den Mund herum. Ich bin es gewohnt, Späße zu machen, bleibe also dabei und freue mich allein. Andere sind mir, man mag es gar nicht hinschreiben, egal.
Mir ist auch jegliches Vertrauen in den Staat als verlässliche Obrigkeit abhanden gekommen. Das fragile Konstrukt einer freiheitlichen Wertegesellschaft kann Illegales nur kanalisieren und gibt uns die Möglichkeit Rechte einzufordern. Das ist gut. Enttäuschung, wenn es nicht läuft wie bisher, und dass heute die Menschen an sich keine besseren sind als früher (im nationalsozialistischen Deutschland), wird unser Problem. Frustration, die mit Recht den laschen und dümmlichen Apparat treffen kann, den wir zugelassen haben, wird möglicherweise armselige Demokraten hinwegfegen. Nicht, obwohl wir ein tolles, liberales Land sind, für das es sich lohnt einzustehen, sondern weil wir es waren. Unsere Rente ist nicht sicher, für die Rettung des Klimas tickt die Uhr, und wir mögen das nicht hören. Soziale Unruhen werden gefürchtet, und wir nennen diese Leute Spinner. „Die Deutschen wollen nicht wahrhaben, in welcher Welt sie leben“, meinte der in die Ukraine zurückgekehrte Diplomat Andrij Melnyk zum Abschied. Unsere Gesellschaft benötigt kreative Gestalter, damit sie eine freiheitliche Ordnung ist. Mich hat sie verloren. Der Anteil verstörter und desorientierter Menschen nimmt zu. Eine bedenkliche Entwicklung.
Die Fähigkeit, ernsthaft Kontakte aufzubauen, habe ich nicht mehr im Repertoire. Ich verachte Frauen pauschal, das darf man gar nicht sagen, aber so ist es. War das ein Ziel meiner Helfer oder werden andere darin einen weiteren, psychischen Fehler sehen? Das ist mir wurscht. Gut möglich, ich verliere noch all die oben aufgezählten Errungenschaften, Haus, Boot, Frau und Wohlstand; mit meinen Äusserungen bin ich auf dem besten Wege, alles in Dutt zu fahren. Warum ich mich aufrege, kann diese feiste Masse um mich herum nicht nachvollziehen. Die Konsum gewohnte Gesellschaft gerät aktuell in kollektive Schieflage, und wie mich das freut!
# Quer denken
Probieren wir mal einen anderen, drastischen Ansatz, über alles nachzudenken: Wer bringt sich um? Ein Tabu, warum eigentlich? Das ist das Schlimmste, und deswegen geeignet, den Ausgangspunkt theoretischer Überlegungen zu bilden. Man muss irgendwie krank sein, das zu tun, glaube ich. Meiner Einschätzung nach, sind wir nicht frei, es einfach so zu probieren nach dem Motto, ich könnte einkaufen gehen oder beende mein Leben stattdessen. Es gibt auch Suizide, für die unsere Welt Verständnis aufbringt und diese Menschen eher bedauert, als sie für psychisch krank zu halten. Angefangen bei einem Freund aus dieser Anfangszeit meiner Segelei, der irgendwann nicht mehr auftauchte und andere mutmaßten, der sei tot, kann ich heute mit einer gewissen Erfahrung zum Thema aufwarten, ohne ausgebildeter, studierter Mediziner zu sein, der kompetent lernte, wie Menschen sich aus welchen Motiven verhalten. Es gibt psychiatrische Gutachter, und das sind gefragte Leute in einem Gebiet, das an die Wettervorhersage erinnert. Ich aber mag es, selbst nachzudenken, glaube, dass die Perspektive entscheidet. Wie es zu Gewalt kommt und warum sie sich gegen die eigene Person richten kann, es ja ohnehin dumm ist, andere zu schlagen – ich kenne mich nun aus damit und muss nicht theoretisieren.
Unsere Einschätzung, was kommen wird, ist auch bestenfalls nur subjektiv. Nehme ich an, dass ich keine Zukunft habe, bringe ich mich um. Der Tod führt direkt ins Unbekannte, und möglicherweise ist es dort besser? Was es heißt, „keine Zukunft zu haben“, ist die Beurteilung der Lage und muss wohl mit einem Fehler meiner selbst einhergehen. Das kann sowohl ein tatsächlich gemachter Fehler sein, die falsch bediente Maschine und ein fremdes Leben wurde schuldhaft zerstört, alternativ besteht eine erworbene Deformation, absehbar tödliche Krankheit oder die irrige Annahme eines Fehlers, etwas, das andere als mögliche Abnormität nicht weiter schlimm finden würden, wüssten sie davon. Milde beurteilt, gewährten diese eine Gnade, die der Gestörte sich selbst gegenüber nicht (länger) aufbringt, weil das Maß seines Versagens nur aus seiner Sicht unverzeihlich ist. Menschen, die einen großen Fehler machten, bringen sich um. Der Kapitän des Dampfers, der die „Preussen“ rammte (das größte Segelschiff seiner Zeit), brachte sich um. Menschen, die einen Fehler an sich selbst bemerken, das kann auch eine unheilbare Krankheit sein, bringen sich um. Die junge Frau von Lex Barker, dem Old Shatterhand im Film, starb durch eigene Hand, weil sie unheilbar an Leukämie erkrankt war (Wikipedia). Menschen, die einen Fehler der Umgebung bemerken, den es wirklich gibt, begehen keinen Suizid. Solche werden beseitigt wie Sophie Scholl.
Die Perspektive ist also eine Annahme von der umgebenden Realität und der zu erwartenden Zukunft. Bin ich gefühlt als Person falsch und sei es krank, wird die Umgebung, das Leben als eine Natur um mich herum, die übermächtig erscheint, mich erledigen, und ich nehme an, zu Recht. Dann ist jede erträgliche Zukunft ausgeschlossen. Eine Abkürzung der verbleibenden Zeit macht durchaus Sinn. Es bedeutet ein Davonlaufen vor massiven Anschuldigungen. Ich erwarte, ihnen nichts entgegenhalten zu können. Das ist nicht feige, wie es oft gesagt wird. Es braucht schon gehörigen Mut zu springen. Die verquere Lage ist dem Gefühl, ohnehin sterben zu müssen um so ähnlicher, je deutlicher man begreift, einen Fehler gemacht zu haben, sich also seiner Wahl, einen falschen Weg eingeschlagen zu haben bewusst ist und schlimmer noch, man begreift, den Moment innezuhalten mit Absicht ignoriert zu haben. Wenn dieser Suizid gelingt, dann ist das nicht einmal unlogisch, finde ich und konsequent. Auf der anderen Seite ist ein Mensch voller Angst selten bei vollem Verstand und übersieht manche, bessere Lösung. Am Schlimmsten dran ist wohl jemand, der in suizidaler Absicht irgendwo hinunterspringt, das überlebt und von einem doofen Weißkittel repariert wird für eine beklagenswerte Zukunft. Dazu kommen dann noch Belehrungen ein Leben lang.
Paranoia mag zu falschen Annahmen führen. Im Kern ist auch dieses Empfinden, in einer bedrohlichen Umgebung das Dasein fristen zu müssen, wahr. Das wird diese Gesellschaft nie akzeptieren, dass sie ihre Kranken selbst erschafft: Ich glaube das durchaus. Ein Prozess jahrelanger Demütigung, den der Kranke schließlich in einer Art Teufelskreis mitgestaltet, diese leidgeprüfte Fantasie, aus der man keinen Ausweg mehr findet. Ist mein Drumherum aber tatsächlich böse und ich leiste Widerstand, vertrete ich die Annahme, der einzelne Gute zu sein. Dann gibt es zunächst keinen Grund für Suizid, denn das Ganze ist solange nicht krank als Bewertung der Situation oder macht es sinnvoll, zu sterben, als diese Umgebung in ihre Schranken gewiesen werden kann oder die Möglichkeit besteht, woanders hinzugehen. Nur vollkommen narzisstisch verbohrte Menschen begehen in dem Fall, wo sie annehmen, die anderen wären an allem schuld, erweiterten Suizid. Dann löschen diese Menschen möglichst viele der belastenden Umgebung aus, um final zu begreifen, dass sie nun in der misslichen Lage sind wie der Dampferkapitän, der schuldhaft einen prächtigen Großsegler zerstörte und der Rest der Welt keine Sympathie dafür hat.
Das wurde über eine Ärztin berichtet: „Der mutmaßliche Suizid einer engagierten Befürworterin von Corona-Maßnahmen wühlt nicht nur Österreich auf. Er wirft ein Schlaglicht auf die Frage, wie lebensgefährlich Hass im Netz sein kann. Und alles begann mit nur einem einzigen Beitrag bei Twitter“, schrieb die Süddeutsche Zeitung im Sommer dieses Jahres. Meiner Auffassung nach werden wir mit derartiger Berichterstattung auf typische Weise in die Irre geführt. Es wird eine Schublade geschaffen, ein Erklärungsprinzip. Ich jedenfalls glaube nicht, dass der Fehler bei Twitter, den sozialen Medien oder dem Hass im Netz liegt, sondern in der Unfähigkeit der einzelnen Person selbst, diesen Platz auf einer Art Freifläche im Gelände unter Beschuss (zum eigenen Besten) zu verlassen.
Die Frage nach dem tödlichen Ende als extremste Form psychischer Not zwingt also in die Überlegung, wer macht oder trägt real einen Fehler in sich, das Drumherum oder der Einzelne? Verantwortung zu übernehmen, macht einen Menschen schuldfähig, und damit wird jemand als gesund beurteilt und möglicherweise verurteilt. Das könnte verhandelt werden. In einem Rechtsstaat sollte der Einzelne eine faire Chance haben, wenn er das Opfer einer Situation ist, die ihn wahnsinnig macht. In einer guten Gesellschaft werden die Menschen auch alles tun, Leute, die beispielsweise einen Schnellzug oder Flugzeug schuldhaft ins Unglück lenkten, vor sich selbst zu schützen und ihnen ihren möglicherweise geplanten Suizid ausreden, Perspektiven schaffen. In einer bösen Gesellschaft bringt man sich nicht um. Man nimmt den Kampf auf, und wenn das Ganze kein paranoider Wahn ist, stehen die Chancen gut zu gewinnen. Die Menschen an sich bilden keine verschworene, böse Umgebung. Das sind nur Gruppen, und sei es als Beispiel das ganze Nazideutschland damals. Dagegen gab es gesunden Widerstand, und letztlich hat sich das Bessere durchgesetzt.
Das ist insofern lehrreich, als dass es in seiner Beispielhaftigkeit besser genutzt werden könnte, psychische Krankheiten nicht nur zu verstehen als auch erfolgreicher zu behandeln. Solange es den Sicherungskräften einer Gesellschaft gefällt, Auffällige zu manipulieren, wird das einer Art Hundeleine am Bein des möglichen Delinquenten gleichkommen, die diesen erst recht straucheln lässt. Das Fatale daran ist, die Polizei wünscht sich genau das. Diese Ordnungskräfte sind mitnichten unser Freund und Helfer. Wie der Arzt nicht unzufrieden damit ist, seine Patienten ihr Leben lang zu führen, mag es die Polizei zu sagen: „Er war uns bekannt, und wir haben Schlimmeres verhindert.“ Das größte Problem für den Kommissar ist ein bereits verübtes Verbrechen und keinerlei Hinweis auf einen möglichen Täter. Wesentlich eleganter kommt die Situation daher, wo der Polizist gleich dem Feuerwehrmann, der den Brand selbst legt, zuerst am Tatort ist und den bereits Bekannten in flagranti erwischt. Das wird tatsächlich mit Absicht provoziert, nicht etwa im Einzelfall oder nur im Roman, sondern weil es möglich ist. Menschen tun das, was ihnen lukrativ erscheint. Darum haben wir ja den Rechtsstaat, er gibt uns den Rahmen, die bösen Triebe zu zügeln. Ein Polizist ist kein besserer Mensch, weil er für den Staat arbeitet und die Ordnung sichert. Die Barmherzigsten sollten in der Kirche sein, und was diese Leute tun, weiß man ja inzwischen. So ist es bei Ordnungskräften nicht nur in China oder früher bei den Nazis, wie man uns glauben machen möchte: Es gibt immer auch schwarze Schafe in einer Herde von Gutmenschen.
# Man darf noch fragen?
Schockiert hat mich eine Folge Galileo. Das liegt schon einige Zeit zurück. Ein aus dem Gefängnis entlassener Druckgrafiker wurde samt seinem Fall porträtiert. Der Gute oder eben doch Schlechte hatte einen Auftrag, Dollar zu fälschen angenommen. Die Scheine sollten einem dubiosen Kunden übergeben werden, den schließlich das Projekt nicht länger interessierte. Der Künstler blieb auf dem kriminellen Auftrag sitzen. Das war ein kreativer Typ. Er hatte sich manche Raffinesse einfallen lassen, die Dollarscheine ganz echt werden zu lassen. Ein besonderer Lack, händisch auf alle Druckbögen draufgepinselt war der Clou, eine an sich hoffnungslose Produktion zu retten. Die Scheine sahen prima aus. Nur das Papier ließ eine typische und insofern gewünschte Griffigkeit vermissen. Jede gravierte Linie wäre im Original auf eine winzige Weise erhaben zu spüren, fand der Fälscher heraus, und das gaben seine Maschinen nicht her. Durch diesen später aufgebrachten Überzug eines Klarlacks, sprangen die Gravuren leicht auf, und das raue Gefühl echter Prägung war perfekt! Der Fälscher schien noch heute stolz darauf zu sein. Dann scheiterte die Übergabe, weil sein Kunde das viele, falsche Geld nicht mehr wollte, nie wieder auftauchte. Der Grafiker lagerte alles in einer Garage, die randvoll wurde. Dann schmiss er die Schnipsel einiger Fehldrucke und weitere, zur Herstellung nötige Utensilien in den normalen Müll. Bis zu diesem Punkt wäre die Aktion, hätte man sie nicht bemerkt, kaum strafbar, denn das Geld kam nicht in den Umlauf. Zum persönlichen Pech wurde dem Mann seine dumme Entsorgung. Das Material fand ein Mitarbeiter auf dem Abfallhof und rettete die verdächtigen Papiere vor dem Verbrennen. Nun bekamen die herbeigerufenen Polizisten bald heraus, wem diese Tat zuzutrauen wäre. Ein Adressschnipsel lag beim Müll dabei, und das ist schon wahrhaft töffelig, dumm gelaufen. Nun wäre es wohl korrekt gewesen, diesen Mann der Herstellung von Falschgeld zu beschuldigen? Das genügte den gierigen Beamten nicht, die einen großen Fisch fangen wollten. Da die falschen Dollars friedlich in der Garage gammelten und keinen Schaden angerichtet hatten, schien offen vorbeizukommen: „Wir hätten da mal ein paar Fragen …“, den Ordnungswächtern nicht genug. Die Strafe wäre marginal ausgefallen, und die Kommissare wollten mehr rauskitzeln.
Der moderne Jagdhund gibt sich gern bedeckt. So einer zapft das Telefon des Verdächtigen an und schickt ein hübsches Mädel vorbei. So eine rothaarige Person mit einem süßen Mund muss das gewesen sein, nicht alt und geil drauf, einen weiblichen Bond zu geben. Man stelle sich’s vor, und es kam noch als prächtige Idee im Fernsehen, die dumme Nutte von den Bullen erfindet einfach eine kriminelle Nummer, fragt, ob der Druckermann ihr was Illegales herstellen könne, was das war, erinnere ich nicht, und dieser Torfkopp sagt zu. Das Ganze auf Tonband mitgeschnitten war „die Absicht zu einer kapitalen Straftat“, und dafür ging der Mann sechs Jahre in’ Bau. Ohne die Süße wäre er zu handelsüblichen Dekobildchen zurückgekehrt und die Dollars lägen im Schuppen bis zum Sanktnimmerleinstag. Wo wir noch keine Straftat haben, locken wir den potentiellen Täter, bis er einer ist, war die Methode, die stolz und zum allgemeinen Schmunzeln im Fernsehen präsentiert wurde. Das fand ich gar nicht toll. Der Künstler machte gute Miene zum Beitrag und wird ein Honorar gern genommen haben. Ich habe abgeschaltet und denke noch heute kritisch darüber. Nun gut, das ist Fernsehen. Man war ja nicht dabei, und hier kann manches dem Genre entsprechend aufgebauscht und verändert werden für eine gute Story. Gut möglich, dass ich überhaupt der Einzige bin, der an diesem Vorgehen der Polizei einen grundsätzlichen Fehler findet? Meine Oma schaute Peter Falk, der als Columbo so hartnäckig fragte, bis der Fall geklärt war. Er kam immer offen vorbei, im Mantel, und der war ebenso nicht zugeknöpft. Das alte Fernsehen!
Aktuell fallen mir weiter verstörende Berichte ein, die ich zugegebenermaßen nur oberflächlich erinnere. Mir gefällt, im Rechtsstaat zu leben. Ich bezweifle, dass Staatsbedienstete wahrhaftig und treu zum Gesetz ihrer Arbeit nachgehen. Das bedeutet nicht, den Rechtsstaat zu beleidigen oder abzulehnen, sondern Gerechtigkeit einzufordern. Das ist lächerlich, und das war mein Fehler, anderen zu vertrauen, die ich für freundliche Menschen hielt, weil sie im Rathaus beschäftigt sind oder beim Landeskriminalamt. Ich habe ein anderes Bild gewonnen und kann es zeichnen für andere als eine Warnung und kreative Reflexion.
Mich erheitert einiges. Nicht nur, dass die verqueren Spinner, die sich nicht impfen lassen wollten (ich bin ja auch so einer) für sich verbuchen dürfen, wie wenig wirksam der Corona-Impfstoff letztlich ist. Das zeigt wie vieles andere, dass Kritik und Streitlust unentbehrlich sind. Warum gibt es das Wort von der Lügenpresse? Reichlich viele glauben nicht, was sie nur leichthin querlesen. Mir geht es oft so, nachdem ich mich hier im Dorf als persönlich „von oben“ verarscht empfinde, dass ich pauschal ins falsche Lager gerate. Beispiele, die mich abtreiben lassen in die Gruppe der Trotzigen, die nicht mehr bereit sind, sich für das Ganze einzubringen, finden sich. Man muss nicht extrem denken, um den Apparat pauschal in Frage zu stellen. Besonders als nur mäßig Informierter läuft man Gefahr, die Dinge vereinfacht zu betrachten. Kommt noch begründete Wut auf persönlich bekannte Volksvertreter dazu, fällt es leicht.
Mich verstört an der Verurteilung von Beate Zschäpe der lange Prozess (weil dort Juristen täglich zur Arbeit gegangen sind wie Kaufleute ins Büro), und dass eine einzelne Person für so vieles als schuldig herhalten muss. Ich war ja nicht dabei, und mir steht möglicherweise nicht zu, mich unqualifiziert zu äußern. Es geht mir weniger darum, besser zu richten, als Beispiele zu finden, die Gruppen animieren könnten, unsere Demokratie zu zersetzen. Der Fehler ist durchaus oben. Ein Bundespräsident wie unserer ist kaum das Vorbild von Wütenden, zurück auf den Pfad konstruktiver Mitarbeit zu finden. Ein Politiker, der sich selbst gefällt wie ein adretter Operettenkapitän und erst im zweiten Anlauf die Ukraine besuchen darf, wird von Gewaltbereiten ganz offen nicht ernst genommen. Dass er das selbst nicht wahrnimmt, zeigt wie abgehoben der Mann in Bellevue denkt. Die Deutschen wollten ihn nicht als Kanzler, wo er die Macht zur Umsetzung seiner Politik bekommen hätte. Er trat gegen Angela Merkel an und überzeugte nicht. Dieser schwache Darsteller musste später um das Amt einer Strohpuppe buhlen, die er aus dem Job als höchster Mann im Staat macht. Das tut weh. Ein Präsident, der nie stört, das ist Frank-Walter Steinmeier.
Mich befremdet, ähnlich wie im erstgenannten Naziprozess, die Darstellungen vom Tod des ermordeten Kassler Regierungspräsidenten, wie man es in der Presse lesen konnte; in beiden Fällen scheint unsere Justiz an Grenzen zu stoßen. Man findet einen Täter, der passt und wo Beweise funktionieren. Die Wahrheit bekommt keiner heraus. Naiv, das zu verlangen? Auch die Schlammschlacht um den Wettermoderator Kachelmann schockiert, besonders, was Frau Schwarzer dort zu suchen hatte, habe ich mich gefragt.
Ich bin einigermaßen irritiert, was ich über die Jahre vom sogenannten Apfelfestbomber (hier aus dem Nachbardorf) zu lesen bekommen habe und nähre die Vermutung, hier wurde ein unreifer Mensch fertiggemacht. Nicht weniger fragwürdig scheint die angekündigte Aufklärung des Falles Maddie. Das verschwundene Kind soll auf das Konto eines bereits anderweitig Inhaftierten gehen. Deutschland will auch mal mit seiner Polizei dabei sein, denke ich, und das ist Meinungsfreiheit in unserem tollen Land für die ich male, schreibe und am Leben bleibe, sie mir notfalls zu erstreiten.
Ich kritisiere, dass unsere Gesellschaft sogenannte Gefährderansprachen toleriert, zeigt dieses Instrument doch nicht selten, dass die Wut des Gescholtenen anschließend erst recht losbricht. Ich bin verunsichert, ein ums andere Mal das Wort vom Angriffskrieg der Russen zu lesen. Mich stört daran, dass jeder ohnehin mitbekommen hat, wie die Russen einmarschiert sind und nun Krieg ist. Angriffskrieg stellt klar, wer der Böse in dieser Auseinandersetzung ist, und das jedesmal eingetrichtert zu bekommen mit der Berichterstattung, zeigt wie bemüht man deswegen ist, unsere Gesellschaft auf Linie zu halten. Das Gegenteil droht aber, ein dümmlich wiederholtes Kampfwort macht einfache Geister erst recht skeptisch. „Hätte man mal vernünftig verhandelt, gäbe es keine Energiekrise“, soll der Poptitan Bohlen beiläufig zum Besten gegeben haben. Nicht wenige können dem zustimmen. Das beweist, wie bereitwillig eine Gesellschaft Abweichlern gemeinsamer Kraftanstrengung zuhört, solange Meinungen zulässig sind, die so ausposaunt, anderswo ins Straflager nach Sibirien führten.
Unruhe ist ein Teil unserer Geschichte. Schon Moses erlebte seine Leute um das goldene Kalb tanzen, als er kurz mal fort war. Der Sturm auf das Kapitol in den USA zeigt doch, wo die Schwächen der Demokratie sind: Unsere Freiheit funktioniert nur, wenn viele bereit sind, sich dafür einzusetzen. Solche wie mich, die dem Land den Rücken zugekehrt haben im Zorn, sind in größerer Zahl die lustvollen Totengräber einer freiheitlichen Welt. Mich bekommt die Gesellschaft als Mitarbeiter nicht zurück. Aber es wäre die Pflicht einfältiger Verwalter:innen unserer Demokratie, ihre Arbeit zu machen und die weitere Zersetzung zu stoppen. Das Gegenteil ist der Fall. Nie zuvor war es einfacher, die deutsche Politik pauschal im Ganzen zu verspotten. Es genügt, eine Zeit lang auf dem Wochenmarkt den Leuten zuzuhören. Ich bin noch rechtzeitig in das Lager der Politikverdrossenen gewechselt, um jetzt ganz vorn mit dabei zu sein.
Das größte Problem der Kriminalitätsbekämpfung findet sich in der Grauzone zur krankhaften Tat, weil hier auch ein Nährboden ist, Menschen zum Täter zu machen, die latent verunsichert gerade noch klarkommen. Während der Polizei die unklare Lage, wenn sie im Dunkeln tappt, als schwierigste erscheint, ist das größte Übel einer Gesellschaft, die wirklich Besserung möchte, der Apparat an sich. Nur die Gestörten selbst mögen wirklich an einer Gesundung ihres Lebens interessiert sein, und daran glauben wenige, dass es ihnen möglich sei, die bessere, gesunde Zukunft zu finden. Allen anderen Menschen um sie herum ist weniger am guten Verlauf ihrer Krankheit gelegen. Helfer tun nur so. Den anderen geht es um die Kontrolle der Beziehung, das Wichtige ist Frieden insgesamt für sie und viel weniger das innere Seelenheil des psychisch Kranken.
Kontrolle eines Fremden, mit dem man gar nicht in Verbindung gebracht werden kann, wenn der sich drollig benimmt, ist der Gipfel des Vergnügens für einen kriminellen Spaßvogel. So ein Arschloch mag andere noch animieren mitzutun und sich als Hüter der Ordnung einen Orden zu verdienen, „wenn der Psycho kollabiert“, damit nun alle sehen, wie gefährlich der „wirklich“ ist. Schlussendlich mag „der Spinner“ in der forensischen Klappse landen und: „Was schert es mich“, denken offenbar nicht wenige. Das ist mein Eindruck.
Böse ist die Gesellschaft, aber nicht die ganze, warum? Was uns, die wir sensibel sind, rettet, ist die verbliebene, kleinste Form von Macht über andere, die sich verantwortlich fühlen könnten, eine Eskalation nicht nur nicht verhindert zu haben, sondern aktiver Mitläufer einer finsteren Truppe zu sein. Nützlich ist eigenes Geld: Kapital, geschickt verwaltet, kann Einflussmöglichkeiten eröffnen. In seltenen Fällen wird die selbstlose Liebe das Band bilden und die Hand reichen, die wir ergreifen können in der Not. Es gibt weiße Schafe in einer schwarzen Herde, das tröstet. Es kann keine Weltverschwörung geben, weil diese verraten würde. So ist der Mensch. Die Grundannahme, die anderen wären schuld, ist gut. Aber sie muss stimmen. Das ist, wenn man es nachprüfen kann, das sicherste Bein am Grund und die Versicherung, notfalls schwimmend zu überleben. Die Verlorenen finden sich im Ozean tiefster Emotionen und sind auf Gottes Hilfe angewiesen. Und der ist bekanntlich nicht evangelisch, sondern für alle da.
🙂