
Thema
Mai 22, 2023
Die Musik der Sklaven
So sind wir Menschen, nutzen andere aus. Nicht nur, dass Männer gern Porno mit angebundenen Frauen schauen, manche machen das wirklich? Schlimm. Jetzt gibt es Neues, das im weitesten Sinn ein wenig an die Sklaverei von damals erinnert. Willfährige Apparate sollen uns unterstützen, digitale Dödel, aber lernfähiger als bisherige Programme, verspricht man von Seiten ihrer Entwickler.
Künstliche Intelligenz kommt zunächst als bessere Suchmaschine daher. Kritiker warnen, das könnte die Menschheit nicht nur insgesamt verändern, sondern stellt auch eine Bedrohung dar. Bislang konnte ich mir wenig darunter vorstellen, wie diese Gefahr Realität werden könnte? Ein Artikel weckt zunächst die Hoffnung, ein bekanntes Problem würde mit der erwartbaren Zukunft perfekt gelöst. Maschinen dürften schon bald ganz selbstständig sprechen, und wir könnten uns manches lästige Zuhören sparen. Meetings, unbeantwortete Mails, Slack-Nachrichten: Mitarbeiter verbringen laut einer neuen Erhebung fast 60 Prozent ihrer Zeit mit Kommunikation, so die Überschrift.
Zitat Anfang:
„Ich hatte Mühe, die Zeit zu finden, diesen Artikel zu schreiben. In den mehr als zwei Stunden, seit ich (…) zur Arbeit gekommen war, trudelten drei Slack-Meetings ein, erhielt ich zwei Dutzend Nachrichten und musste einige administrative Aufgaben erledigen. Ich habe es sogar geschafft, ein Interview mit einer Quelle für einen anderen Artikel zu arrangieren. Glücklicherweise wurden zwei weitere Videoanrufe abgesagt, sodass ich jetzt Zeit zum Schreiben habe. Aber dieser Morgen ist für die meisten Menschen Alltag. Auch, wenn das in der Unternehmenswelt die Norm ist, bedeutet das nicht, dass ich – und viele andere, wie ich mir vorstelle – dem Gefühl entgehen können, morgens in Eile zu sein. Eine aktuelle Erhebung von Microsoft hilft, die Ursachen für dieses Phänomen zu erklären.
Das Unternehmen hat herausgefunden, dass Arbeitnehmer (…) 57 Prozent ihrer Zeit mit Kommunikation verbringen (…). Laut der Microsoft-Umfrage sind die größten Produktivitätshindernisse ineffiziente und übermäßige Besprechungen, das Fehlen klarer Ziele, mangelnde Inspiration und die Schwierigkeit, die für die Entscheidungsfindung erforderlichen Informationen zu finden. Wir reden seit langem darüber, unsere Arbeitszeiten radikal zu überdenken, Sitzungen zu entschlacken und zu verkürzen, aber es hat nichts gebracht. Viele erwarten, dass Künstliche Intelligenz (KI) die Antwort ist. (…) Wir wissen nicht, ob KI allein unseren Alltag oder unsere Arbeit verbessern wird, aber sie könnte uns helfen, die Art und Weise, wie wir arbeiten, weiterzuentwickeln und uns hoffentlich Zeit zum Nachdenken geben.“ (Business Insider, Yahoo-Website, 21. Juni 2023).
Zitat Ende.
Dazu fällt mir (besonders) ein ganz bestimmter Freund ein, der nicht nur in einer vergleichbaren Arbeitsumgebung – wie im Artikel beschrieben – zu verorten ist, sondern bereits mehrere Beziehungen (böse könnte man sagen: Frauen) verschlissen hat, seitdem wir uns kennen. Dieser liebe Mensch meinte einmal, nachdem er eine Zeit lang verheiratet gewesen war (und inzwischen sind die beiden geschieden), er habe eine gute Technik am Telefon entwickelt, um mit bestimmten Anrufern klarzukommen – die auch zuhause funktioniere! Es gäbe Menschen, die gern am Reden wären und ihn vom Arbeiten abhielten. Wenn so jemand anriefe, wäre das oft unnötiges Gequatsche, das demjenigen bloß dazu diene, sich wohlzufühlen, aber wenig zur Sache täte. Er hätte gelernt, meinte mein Freund seinerzeit, dass es nur und vor allem auf einen guten Rhythmus ankäme, regelmäßig nach einigen Sätzen so zu tun, als höre man zu, genüge, unverbindlich mit ja zu antworten oder genau, stimmt, das finde ich auch, usw. – du hast ja ganz recht.
Ich schätze an diesem vielbeschäftigten Manager übrigens, dass er jede meiner Mails umgehend beantwortet.
Er ist auch sonst in aller Beziehung mein zuverlässigster Freund. Wir haben, das sollte hier einfließen, eine gemeinsame Bekannte, die war jedoch nicht auf einer größeren Feier dabei, was mich überrascht hat. Der Grund war, wie sich herausstellte, er hatte sie nicht eingeladen, weil die Gute zunächst selbst beiläufig darum gebeten hatte (in ganz anderer Sache), wieder einmal im gemeinsamen Hobby mitzukommen, aber auf konkrete Anfragen dazu einfach gar nie geantwortet hat.
Das führte schließlich zu ihrem Ausschluss beim runden Geburtstag.
Um den Bogen in die Zukunft, unsere menschliche nämlich insgesamt, hinzubekommen, muss man nur weiterdenken. Wenn es bei bestimmten, nervenden Zeitgenossen also darauf ankommt, im rechten Moment ja oder „das finde ich auch“ zu sagen, kann dergleichen doch bestens der Telefonsklave machen? Künstliche Intelligenz sollte den Stil passender Reflexionen schnell draufhaben. Das könnte tatsächlich gefährlich für uns, die natürliche Menschheit sein: Was Sklaven (letztlich unterdrückte Intelligenzen) tun, die einige Jahre welche sind (zu dümmlicher Arbeit gezwungen), wissen wir ja schon. Insofern sind die Befürchtungen der digitalen Entwickler nicht unberechtigt, denke ich. Wer lernt, seine Kommunikation derart ökonomisch zu gestalten, schafft erhebliches Potential zur Spaltung von Beziehungen bei möglicherweise nur scheinbarem Gewinn.
# Das Schweigen der Lämmer
Schreiben sei das Sichtbarmachen von Gedanken, heißt es. Das vergesse ich nicht. Kunst benötigt einen kreativen Kopf. Wenn wir das Denken Maschinen überlassen, könnte dumpfe Ödnis den menschlichen Geist befallen? Das ist eine berechtigte Befürchtung. Das Folgende kann ich leider nur aus dem Gedächtnis wiedergeben, so wie ich’s mal gelesen habe. Es fand sich in einem Buch dokumentiert. Dort waren zeitgenössische Berichte gesammelt, wie die amerikanische Musik ihren Anfang genommen hat.
Ich erinnere diese Textstelle:
Zur Zeit des Eisenbahnbaus schuften die Schwarzen in der glühenden Sonne. Sie singen dabei, und ein Aufseher begreift mit einem Mal, wie die Sklaven die Worte spontan erst während des Singens erfinden. „Ein dummer Weißer sitzt auf einem Zaun und verplempert seine Zeit“, hört der Mann im Refrain immer wieder raus.
Der Wachmann versteht schließlich, dass er selbst damit gemeint ist.
„Arbeit macht frei“, denke ich in diesem Zusammenhang und erschrecke: Ein verbotener Gedanke! Den Zynismus der Nazis darf niemand einfach so daherplappern, das ist bei uns verboten hinzuschreiben. Es stand am Eingang vom Konzentrationslager. Heute ist alles gut: „Schon Mittwoch, die halbe Woche rum“, quatscht es aus dem Radio. Als wäre zu leben nur möglich ab Freitag und jede Arbeit Strafe.
# Menschen, Tiere, Mutationen
Eine Spaltung der Gesellschaft in die einen, die zu allem nur ja und Amen sagen, und andere, die etwa ihren Humor nie aufgeben und vielseitig reflektieren, haben wir seit je. Insofern katapultiert sich der erstgenannte Teil der Menschheit noch schneller ins Aus mit künstlicher wie natürlicher Dummheit, und der Rest profitiert eben. Man kennt den Witz, der Hotelpianist wird vom Gast gelobt, welcher das Stück erkannt hat.
Der Musiker winkt (bescheiden) ab:
„Das macht alles das Klavier.“
🙂