Die Kimm im Blick

Kirchenaustritte, wieder wird darüber berichtet. Die Gläubigen geben ja bekanntlich die Hoffnung nicht auf, worauf auch immer. Aber sie geben es auf, in ein Gotteshaus zu gehen, und einen finanziellen Beitrag wollen sie sparen. Die Kirchensteuer gehöre abgeschafft, finden nicht wenige Menschen. Glaube selbst kann nicht entfernt werden als lästiges Gefühl, das wir besser vergessen sollten. Man kann seine Ernährung umstellen, aber einfach ist das nicht. Sich zu ärgern, kann sich niemand abgewöhnen, und Schmerzempfinden ist ein elementares Teil des Menschseins. Sehnsucht, Traurigkeit und Melancholie beschreiben Zustände, die jeder kennt. Gläubigkeit ist für welche, die diese aus ihrem Leben verbannen möchten, mindestens eine komplexe Denksportaufgabe und wahrscheinlich doch viel mehr als das. Wer sich damit herumschlägt seit der Kindheit, wird es weiter tun und nach Gott suchen. Die wenigen, wirklich überzeugten Atheisten benötigen gleichwohl eine belastbare Antwort auf manches Unklare.

Modern sein, heißt offenbar, gegen die Kirche zu reden. Da sind wir auf einem gesellschaftlich guten Weg, auch wenn die in ihrer Religion Verbliebenen das nicht wahrhaben wollen. Das ist eine notwendige Diskussion, weil wir uns der Bedeutung von Kirche bewusst werden müssen, die weit mehr als eine verstaubte Tradition ist oder nun auch Frauen mitgestalten lässt. Die liberale Welt darf nicht weich sein oder nachgiebig, sie muss sich aber bewusst werden, dass manche Kämpfe nur Verlierer kennen. Eine streitbare Gesellschaft ist lebendig. Eine zerstrittene Struktur verliert jedoch gegen beherzte Angreifer von außen wie innen. Genauso oft, wie das Bodenpersonal unserer göttlichen Heerscharen über den Verlust seiner Schafe klagt, erfahren wir von einer Zunahme psychischer Erkrankungen und den Schwierigkeiten, einen qualifizierten Behandlungsplatz zu finden. Das kann man durchaus im Zusammenhang thematisieren und so Wege in klügeres Denken freimachen. Der Halt suchende Mensch ist keine neuzeitliche Erfindung. Gegenwart bedeutet aber, die Welt sieht anders aus. Der Planet zeigt uns ein menschliches Gesicht. Ganz schön voll geworden ist unsere Erde. Die Kirchen haben keine Antwort auf die veränderte Wirklichkeit, sie klammern sich an die Tradition und bedienen auf der anderen Seite den Zeitgeist. Was ein heiliger Geist sein könnte durch alle Gezeiten, wird zum unscharfen Fleck einer Retusche. Man möchte ähnlich wie in allen Medien keinesfalls eine Angriffsfläche entblößen. Die Wahrheit verschmiert und verschwimmt im Bestreben, smart den guten Ton zu treffen.

Neu erfinden müsse sich Kirche, wird gefordert. Lange Zeit war die Religion bestimmend als einziger Anbieter funktionierender Welterklärung. Sie ist traditionell, sie ist staatsbildend und vertreibt einen guten Katalog, dem Unerklärlichen seinen begreifbaren Platz zuzuweisen. Das funktioniert bestens ohne Konkurrenten, die ihr jeweils eigenes goldenes Kalb feilbieten. Die Kirche möchte mehr sein als billiges Vergnügen. Sie bedient unsere Suche nach dem verlässlichen Weltbild. Aber auch dagegen haben sich manche Wissenschaften in die Brust geworfen und versprechen die Aufklärung vieler Rätsel, gegen die religiöse Wahrheiten blass bleiben. Kirche bietet einzigartiges Liedgut, Geselligkeit, aber nur für Menschen entsprechend der hauseigenen Sorte. Eine christliche Kapelle rockt nicht die Welt, auch wenn die Leute das von sich selbst behaupten. Wer das Wort zum Sonntag lesen mag, soll das tun, wem der Bibelsender im Fernsehen hilft, darf einschalten, nur, wie penetrant sich diese Angebote inhaltlich wiederholen, tut weh.

# Bewegtes Leben

Immer ist alles in Bewegung, die Erde rast um die Sonne, wir sausen mit, und dazu noch jeder für sich wohin. Manche werden mitgerissen von anderen, der Herde, und wieder welche nutzen die aus. Eltern geben die Richtung vor, und insofern heißt aus der Kirche austreten, ein Stück weit die Pubertät zu gestalten, sich schließlich lösen aus Entscheidungen von früher. Da war man weniger frei als Jugendlicher und passte sich der Erziehung entsprechend mehr an. Heute, als Erwachsener, meinen nicht wenige begriffen zu haben, wo sie sparen können, und das nicht nur am Geld.

Der Organismus erkennt sich als System zusammengehörig innerhalb der Grenze und sorgt dafür, Probleme zu lösen. Wir wehren manches ab und befriedigen Bedürfnisse. Wer Hunger verspürt, sucht den Kühlschrank. Wer Geld benötigt, sucht sich Arbeit; anfangs bestimmen unsere Eltern viel mit. Eine psychische Krankheit ist nicht weniger der Ansatz zur Problemlösung, wie eine kriminelle Entscheidung zu treffen und manche Fehler überhaupt, die Menschen machen. Sie ergeben sich vom Wunsch motiviert, voranzukommen.

# Selbst suchen und denken befriedigt

Das ist meine Meinung, geschrieben, um mich zu positionieren. Ein Manifest entwickelt sich daraus, wird immer länger, treibt mich um, fortgesponnen zu werden und erschafft eine eigene Kunstform möglicherweise oder reichlich leere Worte für den Mülleimer der Leute, das ist mir ziemlich egal. Es könnte die Anregung sein für welche, denen es einfacher scheint, Unbequemes zu verdrängen. Das geht nicht gut aus. Dies wiederum ist weniger Meinung, sondern selbst gemachte Erfahrung.

Zwischen Tradition und Moderne, gefangen im Bewahren ist die Kirche und doch aufgesprungen auf den Zug, nichts zu verpassen. Da bleibt Gott ein Landstreicher, läuft neben der Schiene her. Zeitgeist ist eine Verfehlung bei Glaubensfragen. Religion muss die Bedürfnisse des Einzelnen ausloten und nicht meinen, diese seien gleich dem breiten Strom unser aller uniformes Wesen. Kirche möchte scheinbar Menschen gefallen, die austreten, weil „das mit dem Gott“ heute nicht mehr nötig ist. Da ist insofern falsch, Menschen, die gehen, zurückholen zu wollen mit Beliebigkeit. Wo bleibt das besondere Profil? Grün sein, liberale Phrasen steinmeiern, für den Frieden beten, aber ein bisschen Waffen an die Ukraine liefern, ist doch nur vorgekautes Zeug wiederkäuen und Allgemeinplätze nachplappern, Unfug. Trump schlimm finden, Klimakleber blöde, Frauenrechte einfordern, Diverse stärken und so weiter, „läuft“, das „passt schon“ sagen oder „alles gut“, sind smarte Redewendungen. Da ist auch die Jugend haltlos und unser Spiegelbild. Ich „will studieren“, bleibt eine typische Absichtserklärung, dem Leben zunächst auszuweichen.

Was denn?

Lokführer, Kapitän, Krankenschwester war gestern. Worte schaffen Luft für den Moment. Man legt sich nicht fest. Das ist mal falsch. Wir sind nicht selten einfach dekadente Menschen, schlampig unterwegs, selbst zu denken und stehen zu oft auf den Füßen anderer. Dabei sein, moderne Kirche möchte Kunst und Kultur in ihren Räumen versammeln und wird als Betreiber von Krankenhäusern und Kindergärten geschätzt. Damit ist das ein sozialer Verein unter vielen, denn wie in den vorangestellten Konkurrenzen Geld, Wissenschaft, Musik, Geselligkeit ist auch die soziale Dienstleistung am Hilfsbedürftigen dem Wettbewerb ausgesetzt.

# Hätte Gott gewollt, dass wir fliegen, hätte er uns Flügel gegeben

Weil wir als Menschen frei entscheiden können, wozu wir passen möchten, haben wir diese Qual der Wahl als Aufgabe anzunehmen. Für jede Bevölkerung schließt sich der Kreis neu, eine seit Jahrtausenden wesentliche Frage bleibt weiter offen, und ein grundsätzlich menschliches Problem landet wieder auf dem Tisch des Einzelnen: Wir wissen nicht, warum wir leben. Wie wir das Dasein gestalten, lässt sich hingegen gut erforschen. Daraus kann man immerhin ableiten, dass es nur Probleme schafft, wenn diese beiden Positionen vermischt betrachtet werden. Ein Autofahrer weiß, wie das Fahrzeug zu bedienen ist, aber nicht, warum es Autos gibt, und da kann man ins Grübeln kommen. Wie es geschah, dass einmal ein erstes Fahrzeug entstand, steht ja in manchem Buch. Auch wie das Rad erfunden wurde, ist bekannt. Menschen erklären, wie es kam, dass die Affen sich entwickelten; doch das sind alles Antworten darauf, wie es geschah. Das Wesen des Ganzen kann nicht erfasst werden, weil wir als Beobachter uns nicht objektiv betrachten können. Das versucht die Kirche gegen alle Vernunft, und genau dort muss eine Religion ihren Kern finden. Das tut sie aber nicht. Die Menschen in einer Glaubensgemeinschaft sind ja immer wieder neue, also ein frisches Publikum wie auch nachwachsende Generationen, die überlieferten Weisheiten predigen. Wir erleben nun diese dekadenten Verblödungen in Staaten, die Gefahren von inzüchtigem Denken in jeder Struktur, die beginnt, sich kollektiv in den eigenen Hintern zu beißen.

Religion muss sich mit dem Wesen des Seins beschäftigen, weil hier das Arbeitsfeld, der eigene Acker brachliegt, für den weiter kein Pflug feilgeboten wird, die Saat zu bestellen von den anderen Fakultäten. Die Wirtschaft macht nur weiter, wo die vorhergehende Generation die Produktion begann, und so ist es in der Politik, der Wissenschaft und bei den sozialen Vereinen, man steht auf den Füßen derer, die vor uns das Land bebauten. Diese wussten ebenso wenig wie wir, warum sie es so machten, lernten aber, effektiver zu werden. Aus Pferdewagen wurden Kraftfahrzeuge. Wir begannen zu fliegen. Unsere Schiffe sind groß geworden, und unsere Staatsform kann ein Rechtsstaat sein, das begriffen wir und können also Werte verteidigen, weil wir wissen, wie alles begann. Aber warum es uns überhaupt gibt, wissen wir nicht. Würde der Kirche klar, dass die Bibel probiert, genau darauf Antworten zu geben, könnte sie dieser Absurdität ins Gesicht sehen. Das tut man aber nicht. Feigheit vor dem Feind mag der Grund dafür sein, denn wie leicht könnte jedermann daherkommen und so einen Verein als bloß einen Haufen Spinner abtun? Kein moderner Pfarrer (und schon gar keine flotte Pastorin von heute) dürfte bescheuert (aus Sicht der Allgemeinheit) wie der Gottessohn mit zotteligem Haar wanderpredigen, mit wirren Bildnissen im Gepäck und auf der Zunge losspazieren, eine Kirche überhaupt betreten für entsprechende Vorträge. Eigene Gedanken sind immer und überall der sozialen Allgemeingerechtigkeit unterworfen, den Regeln der Community. Das hat Gott nie gewollt. Der wäre auch längst ausgetreten.

# Das ganz große Luftschloss

Vom Einzeller zum Mehrzeller bis zum Menschen, diese Geschichte schafft man nicht zu erzählen, ohne sich weite Gedanken zu machen und über das Selbstbewusstsein der höher entwickelten Kreatur nachzusinnen. Es liegt auf der Hand, die Menschen machen es sich gegenseitig vor, wie prinzipiell gleiche Organismen doch recht verschieden sein können. Zum einen haben wir individuelle Unterschiede, aber es gibt auch Qualitäten der Ordnung oder nennen wir das besser ordentlichere Verhaltensweisen. Ein Kind benötigt die Phase der Adoleszenz, bis es selbstständig erwachsen existiert. Wir könnten eine kindliche Seele als Erklärungsprinzip definieren und die Idee vom schließlich erwachsenen Geist als entwickelte Zusammenarbeit vieler Zellen zum effektiv funktionierenden System beschreiben. Da berühren sich die Neurobiologie und unsere Religionen, denn man möchte ja mehr sagen, als nur ein Wort zum Platzhalter des Unbegreiflichen erfinden. Seele, Geist, Bewusstsein sind Worte, die den Intellekt benötigen, um sie zu verstehen, und der Verstand ist zunächst auch nur ein Begriff und damit eine Behauptung, damit wir überhaupt drüber reden können. Wenn das mehr als einige Buchstaben sein sollen, muss etwas dahinter stehen, was den Austausch mit anderen Menschen nährt. Ein nicht selbstbewusster Zeitgenosse ist wohl zunächst (und allgemeinverständlich beschrieben) jemand, der gegen sich selbst zu handeln scheint. Das gibt eine Art von Dummheit, die auch psychische Abnormität berührt. So weit grob skizziert, könnten wir fortfahren, uns mit dem Wechsel von kindlicher Bewusstheit über reifes Verhalten darauf zu einigen, was gemeint ist mit Bewusstsein. Das hilft, über den Abbau geistiger Fähigkeiten mindestens im Alter nachzudenken, und einige werden schnell merken, dass hier keine gut messbare Definition greifbar wird wie etwa bei einem Ding, das jeder von uns mal in die Hand nehmen könnte; eine Birne ist kein Apfel. Talent, was ist das? Willenskraft, wie wird sie gemessen? Intelligenz, Faulheit oder was psychische Krankheit von der Dummheit unterscheidet, die Demenz von Vergesslichkeit trennt, bleibt zunächst nur das intellektuelle Ordnungsprinzip. Wir können nun darüber reden. Nur allmählich wird ein Schuh draus, eine gute Wissenschaft.

Nichtsdestotrotz ist Bewusstsein mehr als ein Erklärungsprinzip. Ein komplexer Organismus plant anders als die Ameise im Haufen die eigene Zukunft. „Kairos“ war der Name einer bekannten Yacht, mit der die Kochs um die Welt segelten. Reiseberichte, das habe ich als Jugendlicher gelesen. Drei wunderbare Bücher kamen auf den Markt, das erste davon trägt den Titel „Hundeleben in Herrlichkeit“. Kairos, dieser besondere Schiffsname also, bezeichnet den rechten Augenblick und meint damit das günstige Schicksal, welches man gebrauchen kann beim Auslaufen aus einem Hafen oder wenn Schlechtwetter droht für gute Entscheidungen. So ein Wort mag sich jemand ausgedacht haben, dem daran gelegen war, deutlich zu machen, dass manche Menschen mehr Talent entwickeln, treffliche Kurse für sich zu finden. Richtungsweiser fehlen manchmal, die unsereiner für die glückliche Reise benötigt. Einmal angenommen, der Planet habe für sich als Ganzes auch ein Bewusstsein, wie wir das jedem höher entwickelten, lebenden System zuschreiben, dann müsste diesem großen Geist daran gelegen sein, uns hier alle zu lenken? Wie geschähe das, zu unserem Besten als einzelner Mensch, dem jeweiligen Tier, und jede Pflanze könnte diese Liebe erwarten – oder nur zur Qualitätssicherung vom Ganzen? Würden alle mitgenommen auf der Arche, die unser blauer Planet wäre in diesem Sinne, kümmerte sich der große Geist drum und ist eine Mitarbeit unsererseits vonnöten, das sind so Fragen. Müssten wir unsere Sinne bemühen, um zu merken, wohin die Reise bestenfalls geht? So weit ausgesponnen, ist das weniger als eine Theorie, aber ganz unwissenschaftlich ist dieser kühne Gedanke auch wieder nicht. Ein guter Platz für Glaube sieht so aus, akzeptiert unser Nichtbegreifen von etwas, das sein könnte und skizziert eine Möglichkeit, wie gesundes Leben geht.

„Man muss die Welt nicht verstehen, um hier zu leben, aber zurechtkommen“, befand Albert Einstein und Charlie Chaplin wusste: „An den Scheidewegen des Lebens stehen keine Wegweiser.“ Diese Klügeren kamen klar, ohne die Antwort des Herrn zu kennen. Sie wussten die Unsicherheiten und ihre Angst im Aphorismus zu bannen. Das heißt nicht, Gott leichthin zu negieren, sondern einen individuellen Platz für diese Gedanken zu kreieren. Ein falscher oder nicht vorhandener Hinweis ist bekanntlich gefährlich. In der Unsicherheit liegt ein Risiko. Es kann nicht mit „alles Quatsch“ und „interessiert mich nicht“ erledigt werden. Das Problem bleibt auf der Agenda, wird als solches definiert und bekommt sein Terrain. Manche nutzen die Seekarte im oft befahrenen Küstengebiet mit zusätzlichen Hinweisen, die von ihnen selbst mit Bleistift eingetragen, ganz besondere Befindlichkeiten anzeigen. Musiker versehen Notenpapiere mit Ergänzungen an wichtigen Passagen, von denen sie wissen, dass höhere Konzentration nötig ist. Leute befestigen kleine Zettel in ihrem Lieblingsbuch, die Wesentliches wieder auffindbar machen. Da ist es weniger der Agnostiker, der sich nicht festlegen mag, sondern der Gläubige mit seiner individuellen Erkenntnis, also einer, der um seine Achillesferse weiß und genauso ein Atheist, dem zufällige Begegnungen zu schaffen machen, wo das niemand begreift und sich die persönliche Erklärung abringt. Malen und Schreiben definiert menschliches Wesen, und das sollte auch jede Religion drauf haben. Wir müssen als Maler nicht mit dem Foto konkurrieren oder Film, schaffen das unverwechselbare Bild. Die Kirche darf sich entsprechend nicht von der Wissenschaft in den Zeitgeist verjagen lassen und sich als sozialer Verband an die anderen anschmiegen, sondern muss das eigene Profil schärfen.

Eine Karte, um danach zu navigieren, wird immer auch einige Ungenauigkeiten in sich behalten. Der Kompass weicht ein wenig ab von der Nordrichtung auf einem eisernen Schiff. Die Informationen des Wetterberichtes, die Hilfen, unsere Position zu bestimmen, bieten hervorragende Unterstützung für den modernen Seefahrer, und so ist es an Land. Gute Schulen, viele Ratgeber und reichhaltiges Nachrichtenangebot bestimmt unser Leben. Dennoch bleiben diese weiße Flecken, wie wir sie von den Karten der Alten kannten, auch heute nach, jedenfalls bezüglich einer Theorie, die alles erklärt. Dazu kommt, dass wir Einzelnen nie über das gesamte mögliche Wissen der Menschheit verfügen. Wer wenig wisse, müsse viel glauben, heißt es. Das sollte uns aber nicht deprimieren oder religiöse Menschen pauschal diffamieren. Wer weiß schon alles? Nicht selten nimmt der Mensch sich quasi die eigenen Buntstifte seiner Fantasie zur Hand, um auszumalen, was in Wirklichkeit nicht gut zu erforschen ist, aber nötig zu sein scheint, für einen sicheren Kurs durch die freien Pläne. Ganz ohne Info wäre man wohl noch schlechter dran und spekuliert, was draußen sein könnte. Wir interpolieren und fahren nicht schlecht damit. Haben wir also einen Gott und gibt dieser uns den Sinn mit, seine besseren Wegstrecken zu kartieren, bleibt noch die Befürchtung, dass ein größeres Bewusstsein sich selbst mehr lieben könnte als uns kleine Würmer jeden für sich? Einzelne Menschen wie Opfer wären dann Kollateralschäden im Sinne größerer Weltrettung, wenn etwa dieser Geist (vielleicht auf Empfehlung des noch wieder größeren Kollegen) seine „Chemotherapie“ gegen uns benutzt, weil zu viele Menschen hier sind. Die Klimaerwärmung sehen manche ja als Fieber des Planeten an. Alternativ könnten wir uns einen Geist denken, der nur deswegen existiert, weil wir – die beherrschende Gattung – diesen durch unser Hiersein erst erschaffen. Das formte unser Überleben, gäbe dem eine echte Chance, aber auch zu jedem Preis. Sogar eine evolutionäre Entwicklung, die nur noch künstliche Intelligenzen kennt, gehörte zwingend zur Theorie dazu. Es ist aber keine. Hier verlässt die überbordende Idee das gemeinsame Schiff möglicher Annahmen spätestens und jede Wissenschaftlichkeit zugegebenermaßen.

Da ist man versucht, verschiedene Menschen anzuschauen, Sportler etwa, die gesund und schnell laufen und die anderen, die über sich hinaus wachsend scheinbar Unmögliches probieren. Manche erinnern sich wohl noch an Boris Becker, der jeden Ball zu erreichen versuchte und mit Hechtsprüngen, unüblich im weißen Sport, dem Ziel nachjagte, oft erfolgreich; aber schmerzhafte Landungen gehörten für ihn dazu. Heute hat der einstige Held der Bildzeitung reichlich Blessuren und weitere Probleme seiner Lebensweise hinzunehmen. Was für ein Planet wäre wohl unsere Erde in einem Ranking des Möglichen, klug, ehrgeizig oder schlampig, und wie denkt gerade unser Bewusstsein, falls es das gibt, und wäre das Gott? Sollten wir nicht zwei oder mehrere belebte Planeten kennen für eine bessere Theorie in dieser Sache, zum Vergleich, und würden ihre jeweiligen Götter mit unserem korrespondieren? So weit gedacht, dürfte schnell klar werden, wie wahnhaft derartiges Denken ausufert, das sich darauf stützt, bloße Annahmen zusammenzuzählen wie reale Dinge. Dann fehlt nur noch anzunehmen, man wüsste den rechten Moment für alles, weil eine Stimme das verlangt, und wir haben hier eine feine, handfeste Psychose beschrieben. Die geniale Wissenschaft, der belastbare Glaube, die größte Kreativität schießen mal über ihr Ziel hinaus. So schlimm ist das wohl nicht, wenn wir der tolerante Planet Erde sind. Dann müsste sich niemand fürchten vor der Zukunft. Das verlangte natürlich, sich voll, wie vernünftig einzubringen für die angesprochene Qualitätssicherung. Ich jedenfalls möchte meine Ideen ästhetisch ausgestalten. In der Welt, in der ich leben möchte, ist das möglich und gibt mir eine Aufgabe mitzuhelfen. Sie könnte besser sein, diese Erde mit uns darauf, und hier ist mein Beitrag. Kreative Sachen machen, ist eine Notwendigkeit für ein besseres Leben.

# Wunder dauern etwas länger

Jesus wird als einer beschrieben, der heilen konnte, Wunder vollbringen. Als er einen jungen Mann von seiner Abnormität befreit, dankt ihm der Vater anschließend mit dem bekannten Wort. Er bittet um Hilfe, etwas lernen zu müssen, das er nicht begreift.

„Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!“

Nicht einmal die Besten haben es drauf? Auch den Jüngern sagt Christus, dass nur Beten helfen könne in so einem Fall, aber diese gaben an, das hätten sie bereits probiert. Wo heute seltsame Gurus Vergleichbares vollbringen, bedeuten wir diese in den Bereich verschwurbelter Scharlatane, und das werden sie sein. Wem nützen die Nachkömmlinge von Jüngern und wieder Nachahmer dieser Nachfahren früherer Lehrlinge, die selbst schon nicht lernten, effektiv zu beten wie ihr Meister, das darf man wohl fragen?

Ein Verrückter, der nicht darum weiß, krank zu sein, das ist unsere Kirche. Darum gehören diese Themen in ein und dieselbe Kategorie, Psyche und Kirche, Austritte und Zunahme der Erkrankungen. Ein psychisch Kranker, mit dem die Gesellschaft machen kann, was immer sie ihm auferlegt, ist eine arme Sau. Eine Religion, die Menschen gesund macht und das besser, als ein Arzt es kann, wollten die Erfinder des Glaubens sein. Unsere Bethäuser schaffen hingegen immer wieder neue psychisch kranke Menschen. Sie öffnen den ohnehin Verwirrten eine Tür, um diese nach Eintritt in den hauseigenen Irrgarten zu schließen. Diese Glaubenswächter sind sich dessen nicht einmal bewusst. Hier werden wie und warum verklebt, verschweißt, verschraubt und zugenagelt, und darum treten Menschen aus, nicht weil sie die Kirchensteuer sparen möchten.

# Die Schnittmenge aus wie und warum ist der Mensch 

Man kommt vom Regen in die Traufe, wenn man die Idioten verlassen hat, weil sie keinen Halt bieten und nun wie nackt als verlorener Tropf isoliert, blöde herumläuft wie vordem, nur dazu noch allein. Intelligenz ist viel mehr, als irgendwo einen Test zu bestehen. Wir haben Menschen, die gute Noten in der Schule erzielen, aber keine Existenz hinbekommen. Um selbstständig erwachsen leben zu können, muss ein Mensch lernen, in unserer künstlichen Zivilisation angepasst zu funktionieren. Obschon das ein Wort eher für technische Abläufe ist, zeigt es doch vor allem, wie etwas geschieht. Funktionalität kann gut erforscht werden. Besser zu funktionieren, hilft auch, psychische Probleme und Glaubensfragen in den Griff zu bekommen, ihnen einen umrissenen Platz zuzuweisen. Emotionen, die sonst überhand nehmen könnten, werden beherrschbar ab dem Moment, wo ein Mensch lernt, sie als bekanntes Verhalten bewusst zu lokalisieren. Und wie könnte das besser möglich sein als in der Überprüfung, Beobachtung und letztlich der Kontrolle von körpereigenen Funktionen? Kontrollierte Funktionalität liefert den Schlüssel, sich auf das Wie konzentrieren zu können und das Warum für den Moment beiseite zu lassen. Sich besser kennenlernen heißt in diesem Sinne, auch unangenehme Gefühle als einen nicht zu eliminierenden Anteil vom Selbst in den Alltag zu integrieren. Man findet seinen Platz in der Gesellschaft eher, wenn man unerwünschte Momente überbordender Emotionen auslebt, wo sie anderen keinen Schrecken einjagen, als wenn man der Allgemeinheit angepasst glaubt, es gäbe gewaltloses Leben und das wäre erstrebenswert, solches zu lernen.

Zusammengefasst bleibt als Erkenntnis, dass die Kirche sich als Ratgeber überholt hat und ihre Wettbewerber oft nicht besser sind, weil nur die Unabhängigkeit vom Wort der anderen Gesundheit bedeutet. Unterstützung funktioniert, wenn wir unsere Beziehungen zur Gegenseite vom eigenen Standort selbst bestimmen können. Zu stehen (auf den Beinen), bedeutet bereits Funktionalität. Gehen wird erlernt. Um Ziele definieren zu können, müssen wir uns bewegen, und das ist funktional. Ein Gehirn in Relation zum Körper zu verwenden, erfordert ein definiertes Selbst. Glaube ist in diesem Sinne als gesund anzusehen, wenn wir diese Beziehung zu Gott relativ zu unseren unverzichtbaren Eigenschaften als Mensch betrachten. Und genauso ist auch jede andere Beziehung zum Partner oder der Gesellschaft als notwendiges Drumherum nur dann eine gesunde Existenz, wenn wir die Grenze skizzieren können und innerhalb des eigenen Systems unerlässliche Funktionen zum eigenen Besten steuern. Wir haben ein Gehirn und sollten nicht andere dieses benutzen lassen, es quasi für deren Waschsalon freigeben.

# Das Gedächtnis der Welt

Empathie geht nur aus der Erfahrung heraus, sich an Gefühle erinnern zu können. Lebewesen ordnen ein, was ihnen widerfahren ist und entwickeln entsprechend Perspektiven. Gott wäre da oder zu sagen, manche glaubten das, wird gehört, erfahren von den Älteren, den Eltern, Lehrern und Pastoren, Freunden und ist zunächst bloß eine Behauptung, deren Wahrheit wir schließlich zu prüfen probieren. Lebewesen mit Gedächtnis bewerten Erleben individuell und formen ihre Erfahrung daraus, verarbeiten. Menschen und Tiere unterscheiden sich scheinbar nur darin, dass wir als Menschen noch komplexere Systeme sind als unsere evolutionären Vorfahren. Das Spektrum möglicher Handlungsweisen ist größer. Wir erinnern uns nicht nur, wir schreiben es auf. Bereits die Urmenschen malten. Wir machen großes Kino: Der Film „Zwölf Uhr mittags“ mit Gary Cooper thematisiert die Not des Sheriffs, allein handeln zu müssen. Frühere Weggefährten sind nicht daran interessiert, bei der Neuauflage einer möglicherweise tödlichen Auseinandersetzung mitzumachen. Im Kampf gegen bekannte Gesetzlose bleibt dem Town Marshal Will Kane nur das einsame Schicksal, die Bande und Frank Miller selbst zu stellen. Er schießt alle tot. Das gibt uns ein Bild dafür, wie jeder Mensch gezwungen sein kann, auf sich gestellt den nötigen Weg zu suchen. Damit spielen Erinnerung, Gewissen und individuelle Wesenszüge eine Rolle, wie ein Mensch sich Ängsten stellt. Partnerschaften sind nur bedingt zuverlässig. Der Sheriff fragt viele im Dorf, bittet um Unterstützung im bevorstehenden, tödlichen Duell. Einer nach dem anderen lassen sie ihn im Stich. Die Leute schieben Gründe vor. Man versteckt sich im Haus, und welche verlassen die Stadt im selben Zug, mit dem die Mörder ankommen, aus dem Miller aussteigt. Erfahrungen verändern Menschen. Die Qualität unserer Erinnerung formt Persönlichkeit und Sozialität. Das ist bei Tieren ähnlich?

Zitat Anfang:

„Kuschelnde Katzen, spielende Hunde, (…) – soziale Interaktionen in der Tierwelt sehen oft gar nicht so anders aus als bei den Menschen. Aber handelt es sich dabei auch um echte Verbundenheit? Ja, meint Verhaltensbiologe und Buchautor Karsten Brensing: ,Grundsätzlich haben Tiere genauso Freundschaften wie wir.‘ So zum Beispiel bei Delfinen. Sie können sich noch nach über 20 Jahren an ehemalige Gefährten erinnern, wie ein US-Forscher herausgefunden hatte. (…)

Früher habe man angenommen, dass solche Verhältnisse immer einen bestimmten Zweck verfolgen – nach dem Prinzip: ,Ich gebe dir was, du gibst mir was‘, sagt Brensing. Mittlerweile betrachte man Zusammengehörigkeiten in der Tierwelt größer. ,Man sieht sie als Mechanismen, die sich weniger rechnerisch ergeben, sondern eher über Gefühle‘, so Brensing. Wie beim Menschen seien Hormone im Spiel – zum Beispiel das Liebeshormon Oxytocin. ,Wenn ich jemanden gut kenne, sprudelt eine Oxytocin-Quelle in mir, durch die ich mich auf der einen Seite sehr wohlfühle und mich andererseits regelrecht für den anderen aufopfere.‘

Doch nicht alle sind in der Lage, innige Beziehungen zu schließen, erklärt Brensing. ,Sie müssen bestimmte geistige Fähigkeiten haben, beispielsweise ein lebenslanges Gedächtnis.‘ Innerhalb eines Fischschwarms, in dem sich die einzelnen Exemplare fremd sind, gebe es etwa keine Freundschaften.

Wer wem zugeneigt ist, hat wie beim Menschen viel mit Charakter und Persönlichkeit zu tun. Auch Tiere suchen sich oftmals Begleiter aus, die ihnen ähnlich sind, sagt Zoologin und Moderatorin Kate Kitchenham. (…).“ (dpa, Pinneberger Tageblatt, Panorama, Sonnabend/Sonntag 29./30. Juli 2023).

Zitat Ende.

Wenn Menschen und Tiere also so verschieden nicht sind, stellt das manches Bibelwort auf die Probe. Weiter ein guter Grund modernes Glauben so zu gestalten, dass unser heutiges Wissen dabei nicht ignoriert würde, den die Kirche gern mal übersieht. Die Erfahrung, alleingelassen zu sein, ist nicht nur menschlich und bedarf der Antwort. Wie hätte ein alles verzeihender, barmherziger Jesus in der Rolle des Sheriffs Will Kane gehandelt, wie soll überhaupt eine Welt ohne Ordnungskräfte, Waffen, Krieg sein? Die Kirche möchte ihre Lehren verbreiten und ihren Heiland aber nicht selbst fragen (außer im Gebet), weil der ja im Himmel abgehauen ist. Man möchte uns auf einer Mission dabeihaben, deren Ziele in der Bibel aufgeschrieben wurden vor vielen Jahren. Wo bleibt der zweite Band von dieser Geschichte, darf man fragen? Das Buch der Bücher ist eine Sammlung vieler Texte. Es wurde nicht in vier Wochen zum Drehbuch zusammengeschrieben, nach dem wir unseren Film des Lebens gestalten müssen, sondern dürfte eine vielfältige Literatur sein. Jetzt ist Schluss damit, Gott ist tot, aber niemand will das wahrhaben, und nur noch altmodische Fantasten klammern sich an das erste Gedächtnis der Menschheit scheinbar. Der betende Mensch macht sich womöglich was vor und kreiert ein Gegenüber, das niemals antwortet? Genauso gut wird hier ein Durchforsten letzter Räume unserer Erfahrung sichtbar, schließlich Lösungen zu finden. Gläubig oder nicht, das machen wir alle ohnehin in der Not. Eine Schnittmenge aus Vernunft und dem Wissen um bloße Annahmen, die jedoch nötig sind für gute Entscheidungen, müsste gelehrt werden. Die Kirche sollte uns Glaubenswege sichtbar machen, die aus den Problemen raus zu Lösungen führen. Tut sie es nicht, weist ein verwirrter wie ungeübter Glaube in den fatalen Kreislauf kranken Denkens. Wenn schließlich eine Stimme gesprochene Antworten und Anweisungen zu geben scheint, ist das Gehirn als ein in sich geschlossener Raum unsere aktuelle Schaltzentrale. Das bedeutet eine Leitung, die nicht mehr mit der Außenwelt kommunizieren kann. Weil diese Zusammenhänge bekannt sind, obliegt der Religion die Verantwortung, Menschen tatsächlich an die Hand zu nehmen, die in einer Glaubensgemeinschaft Halt suchen und diese nicht mit zeitgeistigem oder traditionellen Sermon zu bequatschen.

Weiter von psychischen Krankheiten zu reden, als fänden sie im Kopf allein statt als geistige Störung, ist so dumm, wie einer Seele zu vertrauen, als schaffe allein dieses Wort ein Objekt, mit dem man zurecht kommen müsste. Insofern ist die Kirche eine Gruppierung von Menschenfängern, die sich auch untereinander fesselt in ihrer Borniertheit. Dasselbe ist die nicht mehr auflösbare Verbindung eines psychisch Kranken an seinen Arzt, wenn dieser der verlängerte Arm der Pharmazie ist. Bleibt nur die Selbsthilfe. Diese wird ein Suchender am ehesten im Bereich seiner Funktion erkennen können. Zunächst die eigene Beweglichkeit in Relation zur individuellen Motivation, dann hinsichtlich ihrer Zweckdienlichkeit in Bezug auf gesellschaftliche Realität und damit im Umkehrschluss zurückgeworfen auf die eigene Wahrheit: Was will ich eigentlich machen? Was tut mir gut zu fragen, ist erlaubt. Und wie man dorthin gelangt, ist funktionell zu begreifen. Wenn Glaube bedeutet, sich Hilfe vom Herrn zu erhoffen und Psychiatrie heißt, zu machen, was der Arzt meint, können wir resümieren, dass wir uns mit der Hand an einer Wolke festhalten oder alternativ Pillen schlucken müssen, wenn wir nicht bereit sind, auf eigenes Risiko hin zu leben.

Damit stellt sich die Frage neu, sie heißt nun: Wie funktioniert ein Mensch? Und das meint auch, wo und womit dem, der Unterstützung benötigt, geholfen wird. Ohne eine gute Theorie herumzudoktern, ist kontraproduktiv. Wenn wir als verstörter Mensch Hilfe benötigen, sollten wir zunächst den Ratgeber oder Helfer kritisch betrachten, als einen in jedem Fall außerhalb unseres Selbst befindlichen, obwohl unser Problem ein Mangel an Selbstständigkeit ist. Jede Beziehung zum Unterstützer muss eine Perspektive bieten, die unsere Freiheit individuell belebt. Damit zeigt sich erneut die Notwendigkeit von Selbsterkenntnis, also das Annehmen einer Realität in dem Sinne, dass amputierte Beine nicht nachwachsen, ein Ratschlag, Krücken zu nutzen, beinhaltet, der Frage nachzugehen, wer uns dahingehend berät. Selbsterforschung ist unumgänglich, muss probieren, nach Möglichkeit allein laufen zu lernen. „Entdecke die Möglichkeiten“, wirbt ein schwedisches Möbelhaus für seine Kombinationen, und so geht Leben: Man darf auch anderswo einkaufen in einem freiem Land. „Fahr schnell los!“, sagt das Möbelhaus nun, und muss man das?

Die evangelische Kirche nimmt an, Gott sei evangelisch wie jede Glaubensgemeinschaft davon überzeugt ist, sich den Herrn an jeweils ihren Laden anpassen zu können. Einige Katholische möchten auch Frauen bei sich haben. Der Papst bremse das aus, beklagen welche, denen es an Reformen liegt und nicht schnell genug gehen kann dabei. Diese Religionen kommen uns vor wie Parteien. Ihre Streitigkeiten um Positionen ähneln denen in der Politik. Es sind gewachsene Apparate, sich aus immer wieder neuen Menschen, die sie integrieren möchten, nährende Systeme. Wie eine Firma, vom Urgroßvater gegründet und an den Sohn, den Enkel weitergegeben und dann noch weiter. Nun ist das erklärte Ziel eines Geschäfts, Gewinne zu machen, das der Politik, zu regieren. Für die Kirche besteht die verzwickte Lage darin, dass ihr Firmengründer unser aller Heiland sein soll und das zunächst eine Behauptung ist. Mit Befremden erblickt der gewöhnliche Passant heute Werbeflaggen am Gotteshaus. Psalme werden plakatiert, man erinnert mit großen Buchstaben an die Konfirmation. Der Laden hofft darauf, ein paar Kinder abzufischen? Der Herr schaut aus dem Himmel zu, wie der Missbrauch sogar im eigenen Hause geschieht und manches frühere Leid vertuscht wird. Ist das überhaupt ein lieber Gott?

# Böse Bibel

Das Jammern um Kirchenaustritte beherrscht manche Diskussion. Andere verlangen, den Kirchen ihren Geldzufluss umgehend (und als das Wenigste, was sofort machbar wäre), abzudrehen, weisen hin auf falschen Prunk und Pomp, den Missbrauch und so weiter. Das ist eine Mode überhaupt. Manche möchten manche Partei verbieten, unerwünschte Mitglieder ausmerzen, ausschwitzen – tatsächlich, das hat einer gesagt – wie andererseits welche eben nun die Kirche loswerden wollen als überflüssiges Relikt unserer gesellschaftlichen Naivität. Cancel Culture ist Gegenwart. Rausschmeißen statt integrieren hat Hochkonjunktur. Meine Beiträge etwa haben enge Segelfreunde von der Website unserer Bootsklasse entfernt. Man sei übereingekommen, dass kontroverse, sachfremde Inhalte dort nichts zu suchen haben. Diese smarten Menschen möchten zur Finanzierung unsrer Segelinformationen mit Anzeigen auf dem Portal gern meine Zustimmung. Der Obmann erbittet Spenden von uns und damit von mir, um den Webdesigner zu entlohnen. Diese klugen Schipperslüd verlinken eine Pseudo-Story vom Segeln mit der Website eines Uhrenherstellers und canceln meine Geschichte vom Ankern, wie Peter und ich einst die roten Tonnen rammten.

Weg damit.

„Ist das in Ordnung für dich?“

Das fragt Piet, und damit ist alles erledigt.

Dabei ist es nichts Neues. „Ärgert dich dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist dir besser, dass eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.“ So steht es geschrieben im Buch der Bücher. Matthäus war in diesem Sinne schon modern. Seicht dagegen kommt der Sermon unserer Zeit rüber und wird der Realität weltweiter Gewalt keinesfalls gerecht.

Der Glaube an den uns zu Gefallen liebenden Gott ist Unfug. Da kann nur eine Hilfe vom Herrn sein für welche, die sich selbst als zu verteidigende Burg betrachten. Das klingt für Menschen paradox, die den bekannten Bibelspruch, eine feste Burg sei ihnen Gott, so verstehen, dass ein Helfer draußen auf der Straße bereitstünde, alle Angreifer abzuwehren, den Weg frei zu machen und sämtlich gewünschte Türen öffnet. Wohin der Weg führen soll, welche Tür die richtige ist, wird zur entscheidenden Frage, die wir nie allein treffen. Unsere Entscheidungen können nicht frei sein, wenn wir nicht die Bereitschaft für individuelle Bedingungen als zu kalkulierende anerkennen. „Befiehl Gott deiner Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohlmachen“, findet David im Psalm. Das muss zu denken erst geübt werden und bedeutet mehr als nur ein wenig Erfahrung beim Spazierengehen. Eine Beziehung zum Drumherum ohne Streit ist undenkbar. Wer sich als Spielball des Ganzen erkennt, muss danach trachten, leicht zu rollen, Anstoß zu nutzen, die Richtung bestenfalls mitbestimmen zum eigenen Wohlbefinden. Wir haben uns nicht selbst erschaffen, können den Tod nicht befehlen und unser Leben bleibt eines in Abhängigkeiten. Wer nicht glauben mag, muss eigenen Willen definieren. Das kreiert Widerstand. Viele werden nur herumgekugelt, durcheinandergewirbelt, verbeult, ohne innere Lenkungskraft weggestoßen. So gesehen ist die Burg drinnen in uns die geschützte Schaltzentrale, auch für innere Diskussionen, und der Herr nicht bloß als lieber Helfer zu verstehen, welcher gefällig den Weg frei räumt.

Unser Wille ist nicht frei. Lebewesen sind dahingehend ausgelegt, Probleme zu lösen. Das wird als Überlebenswille bezeichnet, aber das ist falsch. Wir haben das nicht in der Hand zu wollen. Wäre es unser freier Wille, könnten wir auch gegenteilig handeln. Es ist genau umgekehrt: Suizid benötigt den starken Willen, gegen sich selbst und so total destruktiv zu sein. Zum Überleben reicht unsere innere Automatik. Nach dem Motto „die Hoffnung stirbt zuletzt“ kämpft jeder Gesunde sowieso von selbst für sich. Die Depressiven, krank unterwegs mit ihren Suizidgedanken, können nicht einfach weg hier und leicht davonkommen. Damit das möglich wäre, benötigten wir eine andere Welt. In diesem unbekannten Universum würde jeder Mensch gleich mit einem Abschaltknopf geboren. So bestünde Wahlfreiheit in dieser Sache. Das Ding betätigte man, wenn man nicht mehr leben mag. Bei uns in der menschlichen Realität auf dem blauen Planeten müssen definitiv Hürden überwunden werden. Das hieße sonst wohl für diejenigen, welche frei gehen möchten, den Herzschlag willentlich einfach anhalten zu können oder so lang die Luft, bis der Tod eintritt. Niemand kann sich Mund und Nase zuhalten bis zum Ersticken. Man bringt sich nicht mal eben um, begeht Suizid, weil man genug hat vom Leben. Wir brauchen allen Mut, suchen eine Eisenbahn, das hohe Haus, die tiefe See und so weiter. Man braucht eine Waffe, aber dann muss man noch abdrücken. Allein darüber nachzudenken, schafft doch schon eine furchtbare Qual, sich diese Wege bloß auszumalen. Alles sträubt sich dagegen, und die Not muss also als riesengroß empfunden werden. Der automatische Antrieb, sich doch irgendwie der Zukunft zu stellen, ist stark. Dafür braucht niemand Willen. Wir atmen von selbst. Unser Herz schlägt von allein. Wir suchen uns Nahrung, weil der Hunger kommt. Niemand sagt sich, ich sollte mal wieder atmen, das habe ich schon länger nicht mehr gemacht. Keiner findet es nötig, den Herzschlag regelmäßig zu beleben, in dem er sich auffordern müsste: „Schlag weiter, Herz.“ Ich habe Hunger, esse aber eine Zeitlang nicht? Das bedeutet Willenskraft aufzubringen (für diese Diät).

Man benötigt einen starken Willen, durch die eigene Hand zu gehen. Das ist nicht feige, wie gesagt wird, sondern im Gegenteil eine furchtbare Lebenslage. Nur ganz dumme und überhebliche Zeitgenossen verbreiten Abfälliges über Selbstmörder. Dahinter steht eine emotionale Lobby scheinbar. Das kommt womöglich, weil man weiß, dass Schwerverbrecher sich auf diese Weise ihrer Strafe entziehen könnten. Das verhindern wollen um jeden Preis, bedient die dumme Vorstellung von Rache. Vergeltung ist, wenn sie gelebt werden kann, weit weniger befriedigend, als für gewöhnlich angenommen.

Zwei Meldungen vom selben Tag finden sich an dieser Stelle einkopiert, um genauer über den menschlichen Willen an sich nachzudenken.

Zitate Anfang:

„Hochhausbrand in Berlin (…) Die beiden waren am Freitagnachmittag auf der Flucht vor dem Feuer aus dem zwölften Stock eines 15-stöckigen Gebäudes gesprungen. Hinter ihnen loderten in der Wohnung die Flammen. Trotz Reanimation starben sie noch vor Ort, wie ein Feuerwehrsprecher sagte. (…).“

„Havarie in der Nordsee, Autofrachter ,Fremantle Highway‘ wird auf Schlepp vorbereitet (…). Auf dem unter der Flagge Panamas fahrenden Frachtschiff war in der Nacht zum Mittwoch vor der niederländischen Wattenmeerinsel Ameland ein Feuer ausgebrochen, das sich rasend schnell ausgebreitet hatte. Eines der 23 indischen Besatzungsmitglieder kam ums Leben, die anderen konnten gerettet werden. Einige von ihnen waren über Bord gesprungen.“

(29.07.2023, erstes „Welt“ und zweites Zitat aus „Der Spiegel“).

Ende der Zitate.

Um Suizid zu beschreiben von jemanden, der deswegen vom Hochhaus gesprungen ist, benötigt es kein Zitat. Das mag man sich ausmalen, wie viel Entscheidungskraft vonnöten sein müsste. Wem aber Flammen die Kleidung versengen, gibt sich den Ruck, eine geringfügig bessere Wahl zu treffen. Das ist kein Überlebenswille, sondern es geschieht den Leuten, dass sie springen. Wille bräuchten sie, sich am Platz festzukrallen, bis das Feuer ihnen ihr Ende bereitet. Die Menschen haben im Fall des Hochhausbrandes den nahezu sicheren Tod zu erwarten, beim Sprung vom brennenden Schiff in die See immerhin eine Perspektive vor Augen, gerettet zu werden. Die hingegen, wie es heißt, sich freiwillig in den Tod stürzenden Selbstmörder an einem stillen Abend etwa, wo niemand zuschaut, wenn sie mit sich hadern, es zu tun und schließlich springen, bemühen den Willen definitiv. Sie erkennen die bessere Perspektive im Tod, ohne dass es in ihrem Nacken brennt. Das Leben, was sie zu erwarten meinen, fühlt sich für sie furchtbar an jedenfalls in ihrer Vorstellung. Daraus entwickelt sich ein Motiv. Für dieses Denken spricht, dass wir tot zu sein nicht kennen – und niemand weiß, wie sich’s anfühlt.

Es könnte besser sein?

Widerstand von überall her, man darf Suizid nicht machen, auch wenn ein endloses Siechtum quält. Es gilt als zivilcouragierte Pflicht, Selbstmörder von ihren Plänen abzuhalten. Trotz schwerster Krankheit, Angehörige, die Ärzte, der Staat, alle wollen mitreden und darüber bestimmen. Manche hält Gläubigkeit zurück: „Ich bin ein Geschenk Gottes, und sein Eigentum darf ich nicht zerstören“, erklärt mir etwa Helmut (ein Freund möglicherweise) seine Sicht zum bedenklichen Thema. Suizid ist schwierig. Das kann schiefgehen oder nur halb gelingen. Darum habe ich das Bild „Beine“ gemalt, ohne zu wissen, warum die real Gesehene in diese Lage gekommen ist. Ich habe mir bloß vorgestellt, wie etwas gewesen sein könnte, und das hat mich berührt. Auch nach einem Unfall kann man schließlich im Krankenhaus aufwachen ohne Erinnerung. „Wir konnten ihr Leben retten“, sagt der Arzt. Ist er stolz darauf, einem Mädchen die Zukunft ohne Beine zu bescheren, das könnte sein. Wir sind in der Hand der anderen im Koma.

Zugegeben, das sind drastische Beschreibungen. Es hilft aber, weitere Standards zu hinterfragen, was ist Faulheit? Typischerweise sind Menschen darauf aus, ihre Leben besser zu machen. Sie können gar nicht anders, der bereits zitierte Überlebenswille ist eigentlich ein Zwang. Dennoch schlagen manche schlechte Wege ein und das scheinbar mit Absicht. Ein fauler Mensch kann demzufolge nicht locker, entspannt leben. Nur scheinbar tut jemand so, als habe alles noch Zeit und könne gern ein wenig aufgeschoben werden. Da muss ein innerer Widerstand überspielt werden. Langeweile bezeichnet etwa sinngemäß Autor Paul Watzlawick als die ausgedünnteste Form von Angst. Das hieße, die sogenannte Faulheit in die Nähe vom Selbstmord auf Raten zu verorten? Das Resümee derartiger Gedankenspiele verlangt, sich um innere Widerstände zu kümmern, öffnet die Augen für unbewusste Ängste und ebnet den Weg für Alternativen. Entspannung üben, heißt, sich der Furcht zu stellen und mit einem beweglichen Geist bessere Perspektiven auszuloten. Wer zwanghaft handelt, hat Angst. Andererseits haben wir individuelle Vorlieben, die wiederum die Wahlfreiheit beschränken. Das empfindet niemand als schlimm. Warum sollte ich Schokolade im Eisladen wählen, wenn es Vanille gibt und diese mir besser schmeckt? Auch sonst legt manches unseren Weg oft beinahe fest. Mal so etwas tun, das gibt es nicht. Unsere Motivation ist immer speziell. Ein Arbeitsverhältnis gibt man nicht für eine Laune auf. „Heute gehe ich eben nicht hin“, gehört kaum zu unseren Freiheiten. Umgekehrt, vermögende Menschen gibt es ja reichlich genauso, aber sind sie frei? Nicht wenige von uns könnten sich spontan in einen Zug setzen, um nach Italien, sagen wir, beispielsweise nach Rom zu fahren. Aber sie tun es nicht. Gesetzt den Fall, da wäre gerade finanzieller Spielraum und ein paar Tage Zeit im Kalender, so heißt das trotzdem nicht, die Freiheit zu haben für jede mögliche Entscheidung. Wenn ich mich nicht damit anfreunden kann, etwas zu tun, was möglich wäre, so findet sich in dieser Erkenntnis schon ein erster Hinweis auf meine individuelle Festlegung. Man kann lernen, weniger zwanghaft zu handeln. Das heißt aber nicht, die eigene Geschichte komplett ignorieren zu können. Damit bedeutet das Lernen für einen Menschen, Spielräume größer zu machen, aber eben nicht unendlich. In einer ausweglosen Zwickmühle zu landen, dürfte niemand durch Gläubigkeit oder intensives Beten vermeiden können, aber viele scheinen es doch anzunehmen?

Man kennt diese Glaubenskritiker, denen es deswegen keinen Gott geben kann, weil weiter weltweit noch Unrecht geschieht. Warum habe der Herr die Konzentrationslager zugelassen, den Genozid, fragen sie? Ein Gott, den sie akzeptieren könnten, schützte ausnahmslos vor Krankheiten, Dieben und manchem Missgeschick. Mehr als ein Freund wäre das ein Leibwächter, der blindlings gehorcht. Das gibt es auch innerhalb der Religion, dass Mitglieder einer Kirche vernagelte Typen sind. Als überzeugte Kirchgänger sind manche Gläubige noch wesentlich schlimmer als die erwähnten Kritiker. Menschen meine ich, mit ausschließlicher Anspruchshaltung an die Welt. Diese möge machen: Solche nehmen an, wie ein Schneepflug oder als eine Art Hans Albers mit: „Hoppla! Jetzt komm’ ich, und die Straße frei für mich“, durch das Leben gehen zu wollen, damit sich Glück und Zufriedenheit einstellt? Ein untertäniger Diener, Roboter, der uns beständig fragt: „Guten Tag, Sie wünschen?“, mit „stets zu Diensten“ fortfährt, die Liste abarbeitet, müsste wohl auch entlohnt werden. Wer nun glaubt, durch gut sein, gerade das zu tun, wird zu unserem gefährlichen Mitbürger, krank. Gut sein darf nicht unreflektiert aus dem sozialen Zeitgeist abgeleitet werden.

Wer nach der Methode himmlische Unterstützung sucht, eine Belohnung für Gutes zu bekommen, dürfte den gefährlichsten Weg überhaupt einschlagen für sich und andere. Was bedeutet gut zu sein? Die Rechtsprechung zerbricht sich aus „guten“ Gründen den Kopf, aber der einfache Geist nebenan kommt ohne innere Prüfung aus und weiß eben so schon Bescheid. Diese Menschen lesen die Bildzeitung, und das ist ihre Bibel scheinbar. Wir haben bereits genügend Mitbürger, die zu wissen meinen, was sich gehört. Unsere schlimmsten Nachbarn wachsen sich aus zu Denunzianten und belehren die Welt. Solche bilden mobbende Chatgruppen, um sich damit zu brüsten, sie räumten was auf. Und genauso kriminell entwickelt sich der in vielen Spielarten bekannte Wahn mancher Fanatiker. Du mögest dir bitte kein Bildnis machen: Skizzierte man Gott, als wüsste man, was der will und gibt sich als verlängerter Arm des Richtigen, kann das nur schlimm enden. Da könnte jemand auch glauben, die Menschen wären insgesamt eine Krankheit und müssten beseitigt werden, weil sie dem Planeten schadeten und man hätte diese Reinigung mit voranzutreiben und sei im Auftrag des Herrn unterwegs.

Jeder Glaube, der sich zur Basis nimmt, einen ganz konkreten Gegenpol wie einen anderen Menschen da oben im Himmel zu haben oder der persönlich vorbei schauend als sogenannter Engel, dem man gelegentlich begegnet, real wird (wie einer von uns), dürfte die Tür zum Wahn ein Stück weit öffnen. Wie aber könnte Glaube noch aussehen, wenn der Kontakt, das Gespräch (Beten allgemein) mit dem Allmächtigen sich als Einbildung herausstellt? Einige harte Fakten bleiben, nachdem man als Kritiker vielfältiger esoterischer Albernheiten probiert, endlich zum Agnostiker zu werden. Es gibt Brüche im Leben auch der Leute, die nüchtern ausschließlich ihrem Verstand folgen möchten. Würden Intelligenz, also nennen wir das mal Intellekt, auch pragmatisches Handeln oder emotionale Kompetenz, lauter vernünftige Eigenschaften jedenfalls, den Glaube als rein versponnenes Relikt unserer geschichtlichen Herkunft in die Ecke menschlicher Vergangenheit verweisen, dürften wir den Blödsinn bald hinter uns haben. Es scheint aber so, dass erst die Auseinandersetzung mit diesen Fragen wirklich autark handelnde, in diesem Sinne intelligente Menschen schafft. Glaube wird man nicht los, das verquere Zeug einfach wegzuwerfen. Man muss einen individuellen Platz dafür kreieren. Ein selbstständiger Mensch wird immer wissen, was für ihn da gilt und was nicht. Unreife Zeitgenossen dürfte man daran erkennen, wie leicht sie auf den Zug wechselnder Thesen aufspringen, die momentan etwa verschwurbelt in der sogenannten Querdenkerszene auftauchen, und so ist es auch mit Glaube, wenn dieser Abhängigkeit, fixe Ideen belebt.

Viele der Ausgetretenen betonen, dass sie gläubig sind auch ohne den Apparat. Worin besteht die Gläubigkeit, wie sieht der Einzelne seinen Gott? Das ist mindestens so widersprüchlich wie die Glaubensgemeinschaft Kirche als sich darstellendes Ganzes kontrovers ist. Mein Erleben kennzeichnet etwa – denn ich kann das nur individuell beantworten als ein heikles Thema – berührende Momente und Auseinandersetzungen mit einer fiktiven Intelligenz, der ich mich immer wieder ergeben muss. Diese persönlichsten Erfahrungen sind derart, dass sie keinen Platz fänden im Korsett, das die Struktur von, wie ich meine, Einfältigkeit, Manipulation oder sozialem Herdentrieb darstellt.

Die Physik schaut immer weiter hinaus, bis zum Ende des Universums möchten Wissenschaftler unsere Größe begreifen. Einfache Geister zweifeln schon, dass dem Menschen, uns vergleichsweise Kleinen, das Ganze zu verstehen überhaupt gegeben ist. Das schert die moderne Physik nicht. Junge Menschen suchen Arbeitsplätze, wie Mütter Spielplätze oder Hummeln Blüten zum daran saugen. Die Kirche hätte die großartige Möglichkeit, mit einem Wisch unser Streben nach vollumfänglichem Wissen auf den kleinsten Teil, uns selbst, zurückzuwerfen. Sie könnte ein Feld, was hinter dem bekannten Universum sei, zum ihr eigenen Terrain erklären, abstecken und definieren. Das wäre nicht so weit weg wie hinter dem am weitesten noch zu beobachtbaren Stern. Glaube kann der Frage nach Existenz einen Sinn geben. Wir dürften uns begreifen wie ein Meerestier, das um die Wasseroberfläche als Grenze seines Lebensraumes weiß, aber mit dem Stadtleben von New York oder Menschen wie etwa dem Bergsteiger Edmund Hillary als Bezwinger des Mount Everest gar nichts anfangen kann. Das ist ja auch nicht nötig für Wasserlebewesen. Ein Fisch ist deswegen nicht dumm und kommt unter Wasser besser zurecht als ein ins Meer geworfener nackter Mensch.

Der Einzelne ist auch nicht per se hilfsbedürftig, weil dieser arm ist oder sonst wie sozial benachteiligt. Die Kirche dürfte die Probleme von Randgruppen den Gewerkschaften oder Hilfsorganisationen überlassen, ohne schmäler zu werden. Sie könnte psychisch Labile dem Facharzt zuschreiben und sich um die Mitte kümmern. Der gewöhnliche Mensch im Alltag begegnet in jedem Fall der Herausforderung, einen Strom zu meistern, darin zu schwimmen. Man muss nicht psychisch krank sein, um gläubig Hilfe zu erbeten. Es sind nicht bloß Arme oder Migranten, die Schwierigkeiten haben. Es gibt mehr als in der Ukraine Angegriffene. Russen benötigen Glaube. Nichtschwule und Nichtfrauen bedürfen der Predigt. Die Grünen mögen sich als Partei um die Klimakrise kümmern, die Kirche könnte sich besser mit den Auswirkungen der politischen Lehrmeinung auf die Bürger beschäftigen. Die Mitte der Demokratie mag den rechten Rand bekämpfen. Kirche könnte Klimakleber wie Nazis umwerben und sie mit queeren Menschen wie ihresgleichen zusammen hinsetzen an Bord. Das beste Angebot dürfte Querdenker, geradeaus nagelnde Motorbootkapitäne und kreuzende Segler miteinander ins Kirchenschiff bringen. Wir sind doch nicht modisch gebunden an den Zeitgeist als Kirchgänger. Die evangelische Kirche wird zum isolierten Kaffeekränzchen modischer Tanten. Dieser Verein scheint fest in Frauenhand zu sein. Die katholische Kirche besteht aus dicken Männern, die „was mit Kindern“ machen, ist weit verbreitet der Eindruck. Und die Mitte der Gesellschaft geht, tritt aus.

Alleingelassen erlebe ich überall in der Gesellschaft die Unsicherheit gegenüber meiner Individualität. Das zeigt sich auf mancherlei böse Weise, weil Menschen nur so tun können, als wären sie freundlich. Derartigen emotionalen Betrug kann einer tatsächlich erfolgreich nur mit Aufrichtigkeit begegnen. Was aber ist das, wenn der Erfolg vieler Zeitgenossen darauf gründet, ihre jeweilige Existenz besser darzustellen, als diese de fakto ist? Ist unsereiner – gläubig auf ein Bettlerleben zurückgeworfen – trotzdem der Bessere? Geld verdient zu haben oder es nur haben, wird verschieden bewertet. Als bloßer Erbe bist du immer noch ein Idiot für andere, egal wie viele Millionen du verwalten kannst.

Eine Frau mit Geschäft soll aus ihrer Pacht vertrieben werden, wie sie mir sagt, und kämpft mit einem Anwalt dagegen. „Ich lasse mich nicht verbiegen!“, meint sie trotzig. Woher mag dieser Satz kommen, den wir alle schon mal irgendwo gehört haben, ich habe eine Antwort darauf. „Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“, ist mir der gegebene Konfirmationsspruch. Aus heutiger Sicht konnte ich anfangs wenig damit anfangen. Ich habe etwas gelernt, besser zu tun, fließender, das zunächst mit dem Glaube scheinbar nichts zu tun hat, atmen. Meiner Auffassung nach (eine notwendige Erfahrung), sollte ein menschlicher Körper wie von innen gefüllt sein und keine selbst beigebrachten Dellen aufweisen. Das ist kein Bruch an dieser Textstelle, sondern möchte Ungewöhnliches kombinieren. Wir atmen nicht mal so zum Spaß. Wir müssen. Damit die Sache frei funktioniert, ist ein Geübter an einen Kolben erinnert, der in einem Zylinder auf und ab geht. Wer sich verbiegt, also wörtlich genommen, verknickt diesen Apparat durch die Rippen, welche der Muskulatur eine Bremse werden. Wenn man gewohnheitsmäßig die Rippen auf einer Seite des Brustkorbs mit einem Teil der eigentlich für die Atmung zu benutzenden Muskeln quetscht, kann das Zwerchfell nicht reibungslos tun, was es machen sollte im entspannten Rein und Raus der Luft. Menschen klemmen sich die Luft nicht ab zum Spaß. Kurzzeitiges Einschnüren der Atmung bei einem Schock, weil ein Angriff bevorzustehen scheint, ist vom Organismus gewollt und gibt um so mehr Energie frei, bei der darauffolgenden Lösung des Systems. Jeder kennt eine sich ungewöhnlich weitende Brust anschließend einer höhst bedrohlichen Situation, der man gerade noch erfolgreich entkommen ist. Sich selbst nicht zu verbiegen, heißt in diesem Sinne auch Gottvertrauen, also ein Grundvertrauen in den eigenen Organismus zuzulassen, meint ja auch, dem Leben an sich diese Chance zu gewähren. Die Welt haben wir als ein Geschenk bekommen, von dem keiner weiß, was es bedeutet.

Es ist schade, dass man mit Gott nicht streiten darf in der Tradition unserer Kirchen. Seine Allmacht sollte nicht davon berührt sein, wenn ein Mensch, der im Sinne des Glaubens die Schöpfung seines Erfinders ist, diesen nicht nur zur Rede stellt, sondern beleidigt. Die Kirche scheint anzunehmen, Gott strafe Böses? Das ist recht widersprüchlich, wenn man sich’s mal genauer anschaut. Mein Glaube ist viel größer als eurer, denke ich über Kirchenleute. Ich fürchte das Drumherum und bin mir meiner Kleinheit sehr bewusst. Da muss man sich Luft machen in manchem Fluch und Regelbruch, um zu bestehen, und das versteht ihr feigen Leute nie.

# Glaube ohne Ich ist gleichbedeutend mit Krankheit

Sich selbst zu definieren, also einen Ort zu erkennen und von dort zu navigieren, Entscheidungen zu treffen, Seefahrer kennen das. Risikoabwägung und die Mischung aus Wissen plus Annahme als Basis dafür in die Waagschale zu werfen, heißt Verantwortung für das eigene System zu übernehmen. Der Kapitän an Deck schaut auf die Kimm. Er legt einen Kurs fest, ruft die Mannschaft, die Segel zu führen, das Ruder zu legen und den Bug gemäß Kompass in die See zu stechen. Entscheidungen zu treffen, dazu gehört ebenfalls, mögliche Beschädigungen in Relation zum Ziel abzuwägen, vielleicht einzukalkulieren. Im Krieg Breitseite, feindliches Feuer allgemein, bei der Handelsmarine Untiefen, Schlechtwetter – typische Gefahren auf dem Meer mögen an dieser Stelle Platzhalter für das Landleben mit seinen bekannten Risiken, entsprechende Synonyme sein. Das definiert den Anteil des Nichtwissens. Es gilt im Widerpart wie auch bei der glücklichen Unterstützung des eigenen Selbst, Wind von achtern.

Spontan oder nach reiflicher Überlegung, diese Größe vor jeder Unternehmung als sogenanntes Bauchgefühl zu gissen und Vertrauen in die Tat, macht aus dem Glauben einen Partner für die gesunde Existenz.

Mehr als ein Roman ist unser Leben?

„Glück hat der Mann, der weiß, wie viel er dem Zufall überlassen darf“, gibt Barbara ihrem Horatio bekanntermaßen mit auf den Weg. Und Hornblower, als Freidenker beschrieben und wiederholt dargestellt als nüchtern, logisch dem Verstand folgend, von würgender Angst begleitet in der Not, seekrank noch als Admiral, bedeutet uns hier einmal mehr, wie eng sich Glaube und Zufall begegnen beim Beschreiben der menschlichen Natur.

(Der zitierte Aphorismus entstammt Erzählungen vom Krieg auf See unter Segeln von C. S. Forester. Das erstgeschriebene Buch einer längeren Reihe „Der Kapitän“ erschien im Original unter dem Titel „The Happy Return“ erstmals 1937. Viele weitere Romane um den erdachten englischen Seehelden Horatio Hornblower machten den Schriftsteller seinerzeit beliebt und regten auch Nachahmer an. Es ist mit Gregory Peck verfilmt).

Degenerierte Menschen finden ihre kleine Welt neben den anderen. Anstelle esoterischer Ideen oder dem Glaube zu vertrauen, geht der psychisch Kranke heute, oft gezwungenermaßen, zum Facharzt. Es gibt manches Wirkmittel aus der reichhaltigen Kiste moderner Psychopharmaka. Meine Erfahrungen mit hochpotenten antipsychotischen Medikamenten sind, dass diese hochdosiert einen Schub rasch beenden können. Eine feine Sache. Leider funktioniert diese Medizin nicht bei allen Schizophrenen gleichermaßen. Eine Psychose kann recht unterschiedlich definiert werden. Im schlimmsten Fall töten Kranke wahllos andere Menschen, greifen in ihrem Wahn die Leute an. Das ist selten. Man darf den Asyl suchenden Migranten ohne Perspektive in diesem Sinne begreifen, und genauso Menschen, die zwar bei uns aufgewachsen sind, aber ganz bestimmt haltlos, weil ihre Erfahrungen als Jugendlicher ihnen bereits den Boden unter den Füßen wegziehen. Mit den Schlagworten der Bildzeitung wird man der Problematik nicht gerecht. Wir haben auch Aufschneider, die schon weit gekommen sind im Leben. Sie wechseln zwischen Depression und Manie. Eine solche Großartigkeit kommt der Psychose gleich. Auch diese Leute können oft gut beruhigt werden durch hochpotente Medikamente. Anschließend nimmt so einer seine Existenz wieder auf. Depressive bekommen heute wirksame Medizin. Ihnen kann oft gut geholfen werden. Unvermeidbar scheint leider die Regel, dass Menschen mit schwacher, aber andauernder Psychose schließlich sozial immer weiter absteigen. Denen kann der Arzt nur Begleitung anbieten. Was aber mein absolutes Unverständnis hervorruft, ist, dass die Spezialisten nicht realisieren, wo eine niedrige Erhaltungsdosis vom hochpotenten Psychosemedikament, anschließend der Notsituation verordnet, kontraproduktiv sein muss.

# Hilft nur dem Arzt

Ärzte machen nicht gesund. Sie handeln ihren Möglichkeiten entsprechend. Im gewöhnlichen Laden, etwa dem Baumarkt, bekommt man ja auch nicht die Lösung eines individuellen Problems geboten, sondern erhält, was allgemein gut verkäuflich ist. Im Angebot befinden sich machbare Sachen. Es gibt Produkte, die hergestellt werden können. Das ist immer das Prinzip vom Geschäft. Ein Arzt, das Krankenhaus, sie müssen Gewinne machen. Soweit ist es, wie ich finde, vollkommen verständlich. Nichtsdestotrotz sind wir Betroffenen, denen erst durch kreative Eigeninitiative wirklicher Fortschritt möglich wird, diejenigen, dem Ganzen das bessere Beispiel zu geben. Die Barriere, welche als Hürde im Lauf durchs Leben und vor allem im Geist dem Einzelnen den Blick vernebelt, ist erst allmählich als solche zu erkennen. Die massentaugliche Medizin nehmen zu müssen, weil persönlicher Widerspruchsgeist nicht vorhanden und diese Schwäche psychischer Krankheit das Problem ausmacht, bedeutet eine Verlängerung des eigenen Leidenswegs. Wir sollen in einem Kanal neben den anderen herumschippern?

Hier stehen wir am Ufer, unser Boot liegt im Hafen. Ein Meer beginnt da vorn oder anders gesagt, Herumprobieren und Wissenschaft, was Menschen tatsächlich gesund machen könnte, sind auf der anderen Seite, weit weg vom Patienten. Dazwischen befindet sich das funktionierende Konzept. Es läuft im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Moderne. Nachdem der Gestörte funktionell integriert wurde, sehen viele ausreichenden Fortschritt erreicht. Individuell betrachtet ist das ein Missbrauch am Individuum, welches erwarten dürfte, nicht nur geführt klarzukommen, sondern gesund wie die anderen eine Behandlung abzuschließen. Die oft gehörte Behauptung, es ginge eben nicht besser, schließlich zu widerlegen durch erfolgreichen Selbstversuch, zeigt wenigen, wie viel mehr getan werden könnte. Das bleibt aber als Erkenntnistheorie im Ansatz stecken. Die Masse will es so, weil ihre Logik das Ganze – aber eben nur scheinbar – stützt. Wir haben ein sich auswachsendes Problem unserer Zivilisation. So wie die Klimakrise eine Folge der Überbevölkerung bedeutet, kann der (auch deswegen gestiegene) soziale Druck auf die Einzelnen, welcher sie psychisch krank macht, zum Problem für uns alle werden.

Was die Mehrheit tut, müsste mehrheitlich gesund und im Sinne unserer Natürlichkeit geschehen. Wir machen aber massenhaft das, was alle tun und rechtfertigen, normal zu sein in diesem Sinne. Dieses Leben unterscheidet sich vom ursprünglichen durch die Industrialisierung. Konsequenterweise bedeutet Evolution den Wandel zum künstlichen Wesen hin, das so nicht länger der natürliche Mensch wäre. Dieser Weg wird bereits beschritten. Transplantationen und künstliche Bauteile in das Gehirn und anderswo hineinoperierte Chips sind der Beginn einer Welt nur noch halbnatürlicher Wesen. Möglicherweise sind wir eine letzte Generation? Falls die Sache mit der Menschheit doch noch andauert, sollten wir uns realistischer betrachten, als wir das tun. Bislang sonnen sich Gesunde in ihrer Normalität. Nicht wenige baden in blind machender Soße und bilden sich ein, zu denen zu gehören, die halt wüssten zu leben. Das dürfte zunehmend problematisch werden, weil eine Theorie, die von der Normalität des Menschen ausgehen möchte, weniger ist als ein Erklärungsprinzip, sondern schlicht falsch. Statt das Normale anzunehmen, sollten wir dem gesunden Funktionieren eine Chance geben, dem Natürlichen die Abläufe abschauen und sie gegebenenfalls, wo nötig, lehren. Erhöhte Fallzahlen im Bereich Jugendpsychiatrie, die Bekanntschaft mit Depression, Burnout und toxischen Beziehungen in jeder Familie und nicht zuletzt die Zunahme von Amok, Terror scheinen noch nicht ausreichend zu stören, den Panzer gesellschaftlicher Einbildung und die Borniertheit der Mehrheit zu durchbrechen. Jeder kann erleben, wie sein sicher geglaubtes Weltbild zerbricht. Psychisch Kranke sind Menschen wie wir alle. Wir sollten sie gesund machen, so oft es geht. Stattdessen füllen wir welche, die es geschehen lassen, medikamentös ab, nutzen das Mittel der Wahl, wie es heißt. Das schafft Frustration. So werden Wutbürger und Arbeitslose, Kleinkriminelle und Drogensüchtige gezüchtet. Sozialhilfeempfänger können nicht in unendlicher Größe von der arbeitenden Bevölkerung mitgeschleppt werden. Je mehr Menschen motiviert sind, eigene Perspektiven umsetzen zu können, desto besser wäre es fürs Ganze.

Eine Erhaltungsdosis des gegen die Psychose wirksamen Medikaments zu verschreiben, kombiniert mit der Aussage: „Wir schauen, dass sie damit gut eingestellt sind“, bedeutet Medizin unehrlich anzuwenden. Ich muss in aller Deutlichkeit dagegenhalten: Die Gabe von Medikamenten, welche unsere Bewusstheit beeinträchtigen, entspringt ausschließlich taktischen Überlegungen. Ein Psychiater nimmt eine übergeordnete Stellung zum Patienten ein. Anders als der Chirurg, Ohrenarzt oder ein Orthopäde, jeder Internist und Hausarzt sieht sich der psychiatrische Facharzt als jemand Besseres an, verglichen mit dem Patienten. Weil er als Arzt anerkannt ist, übersieht er, wann seine Patienten unter ihrer Krankheit leiden und wann ihr Verhalten falsch ist, was zugegebenermaßen krank macht. Kranke sind nicht undankbar, wenn eine Pille hilft. Psychisch Kranke machen dumme Sachen. Wir sollten aber nicht überheblich sein: Dumme, die eigentlich klug sein könnten, wenn man an ihre Intelligenz appellierte, als krank zu bezeichnen, ist jedoch falsch. Hier wird Schule mit Medizin vermischt. Das wäre, als gäbe man auch im regulären Unterricht den schlechteren Kindern Medizin, damit es nur gleich gute Abschlüsse gibt. Da sind bereits zahlreiche Ansätze unterwegs, genau das zu probieren. Alle sollen Abitur machen. Auffällige Kinder werden als krank bezeichnet usw.

Wenn ein Operateur die Hüfte verpfuscht, wird er verklagt. Wenn es Probleme in der Psychiatrie gibt, ist es nicht der Patient, der klagt. Es sind die Polizei, die Politik, die Medien, die Angehörigen, die wollen, dass die Dinge händelbar sind. Therapie bedeutet belehren dürfen, grob formuliert: Weil der Patient zu dumm ist, von allein zu seinem Besten die eigene Existenz zu gestalten. Das belegen sämtlich die Notlagen, in die er sich und andere bringt. Deswegen liegt nahe anzunehmen, vollmundige Behauptungen, diese Pharmaka wären nötig, schützen ausschließlich den Arzt. Sie helfen dem Spezialisten bei der eigenen Argumentation, wenn dieser sich rechtfertigen muss, weil das Gespann, welches er mit dem Patienten bildet, versagt hat. Eine Psychose bedeutet, der Betroffene bringt sich und andere in Gefahr. Kommt ein behandelnder Arzt dazu, ergibt sich eine Verantwortung für den Spezialisten. Ab diesem Zeitpunkt übernimmt er eine Mitverantwortung für alles, was der nun als Patient bezeichnete Mensch macht. Jetzt kommt es naturgemäß weniger darauf an, wie es der erkrankten Person geht, sondern vor allem findet man wichtig, dass niemand zu Schaden kommt. Vielleicht hofft ein junger Mensch darauf, hier irgendwann gesund gemacht zu werden und ganz geheilt von seiner stigmatisierenden Krankheit? Das ist weniger wichtig für Arzt und Gesellschaft. Dem Psychiater und allen im weitesten Sinne zugehörigen Bekannten wie familiäre Angehörige, der Gesellschaft insgesamt, und damit auch den Leuten drumherum in der Nachbarschaft, die etwas mitbekommen, ist ihr eigenes Befinden das jeweils Wichtigste. Die Leute möchten weder gefährdet werden vom Verrückten noch mit einer Situation konfrontiert, die Zivilcourage erfordern könnte.

Wer mehr als einmal im Leben schubweise psychotisch erkrankt, wird, so ist es die Regel, weitere Schübe erleiden. Bei einem Teil der aus dem schizophrenen Formenkreis Erkrankten werden die Abstände zwischen diesen heißen Phasen größer mit der Zeit und die Verläufe milder. Dazu gibt es Glückliche, die von einem deutlichen positiven Knick ihrer Krankheitskarriere träumen dürfen. Es kommt vor, dass manche später ohne ärztliche Begleitung klarkommen, keine Medikamente verordnet werden müssen, und der so positiv Betroffene ganz normal sein Leben zum Ende hin noch genießen kann. Ich möchte behaupten, dass es mehr Menschen geben könnte, denen dieses Schicksal eben nicht nur den Lebensabend rettet, wenn früher kompetent geholfen würde. Die oftmals verschriebene Erhaltungsdosis eines Medikaments dient einzig dem Zweck der Rechtfertigung ärztlicherseits, alles Erforderliche angesetzt zu haben. Das tut mir weh. Ich sehe mich als ein durch Manipulation gegängelter Betroffener falscher Medizin an. Ich musste wie an die Hand genommen von mutmaßlich faulen und an meinem Schicksal in Wahrheit Desinteressierten geführt leben. Weißkittel, die Autoritäten darstellten, denen sich ein Kranker (und damit ich selbst als junger Mensch) nicht entziehen kann. Die gering dosierte Erhaltungsdosis bietet keinen Schutz vor einem neuen, schweren Schub. Eine höhere Dosis wird von intelligenten Patienten nicht toleriert. Man handelt die Sache runter, und der Arzt weiß ja nicht, wie sich’s anfühlt. Damit ist die Schutzwirkung im Falle einer sich zuspitzenden emotionalen Not nicht gegeben. Von dieser Notlage erfährt weder der Arzt noch der Patient. Das Kennzeichen der Erkrankung ist, dass Betroffene quasi kalt davon erwischt werden.

Sie nehmen ihre Gefühle nicht wahr.

Das Hinterhältige der Normalen – und damit sind nicht psychisch Kranke gemeint – besteht darin, psychisch Kranke zu manipulieren. Den Beschiss am Nächsten üben diese aus einer wie naturgegebenen Machtposition aus. Die Gesellschaft verlangt dumpfe Mitglieder, aus denen sie selbst ja mehrheitlich besteht. Viele unterdrücken ihr Gefühlsleben gekonnt. Man funktioniert. Nur wenige Überflieger gestalten innovativ ihr Leben. Die Masse rennt blöde mit der Trillerpfeife rum und streikt eben regelmäßig. Es sind weniger dumme Menschen, die vom Schicksal einer Psychose oder Depression, dem Burnout betroffen sind. Das trifft welche, die weiter hinaus wollten, als sie Fähigkeiten bereit gewesen sind, sich anzueignen. So sind etwa die verbliebenen Mitglieder in einer Kirchengemeinde mehrheitlich einfältige Beter. Die Klügeren treten aus. Ihr Mut besteht drin, zu begreifen, dass Gott sie nicht deswegen straft. Krank wird nur, wer mutiger lebt, als es individuell auszuhalten ist. Während manche scheinbar gar nicht extrem genug leben können und das ihnen gelingt, scheitern alle, deren Mut nun nur das ist, wovon sie annehmen, es sich trauen zu müssen. Wenn alle Welt zu behaupten scheint, man könne ohne das Geländer Gott balancieren, so fallen doch nicht wenige in ein Loch. Dieses Loch ist sowieso da. Es ist ein Abgrund, den man übersehen kann. Und ein wenig blind läuft es sich erstaunlich gut in der modernen Zivilisation, wo jeder neue Mensch zunächst auf den Füßen seiner Vorfahren steht und für jedes Gebiet eine spezielle Zunft aktiv ist. Gegen das Böse etwa hilft die Polizei. Für Ordnung und Gerechtigkeit sorgt der Staat. Gegen den Hunger hilft der Supermarkt, statt lästiges Gehen zu benötigen, fahren wir mit dem Auto, fliegen in den Urlaub und der Strom kommt aus der Steckdose. Allein auf sich gestellt ist nur, wer das bemerkt, und dagegen hilft manches soziale Netz ganz gut. Aber eben nicht immer und nicht bei allen.

Fies vom Arzt ist sein Ansatz, uns stabil im Nichtmerken weiter festlegen zu wollen.

Wir wenden das bekannte medizinische und psychologische Wissen nicht an. Man könnte strauchelnden Mitbürgern auf die Füße helfen. Das tun wir nur deswegen nicht, weil es schwierig scheint, die vom Helfenden geteilte Verantwortung mit zu tragen, wenn beim Prozess des Lernens Fehler geschehen. Immer noch ist der psychisch Kranke in erster Linie darauf angewiesen, sich selbst helfen zu müssen, obwohl gerade dies sein Problem ist, die Selbstständigkeit. Das heißt: Leben ohne Arzt, ohne Gott, ohne Chef und – ohne Mama! Den eigenen Laden aufmachen, erfordert Mut. Unsren Arzt zu ignorieren, ist riskant. Mama widersprechen, kommt auch nicht gut. Und der Blödmann im Himmel ist bekanntlich temporalily not available, möglicherweise auch ganzzeitig unerreichbar. Das könnte Angst bereiten. Selbstbewusstsein gibt es nicht geschenkt, es sei denn mit der Muttermilch nebenbei, aber viele haben krampfige Eltern. Stress macht dumm? Eine gestresste Gesellschaft züchtet sich künftige Probleme selbst. Manche müssen erst lernen, absichtlich zu entspannen: Nichtstun ist mir die liebste Beschäftigung geworden, gefällt besser als Biertrinken. Das sollte in der Schule gelehrt werden (nicht das Saufen).

# Atmen ist gesund

Wir wissen es bereits, Menschen atmen entsprechend ihrer momentanen Lebenssituation. Diejenigen von uns mit immer geringem Selbstwertgefühl werden flacher atmen. Das heißt, sie bekommen ihre Ängste dadurch in den Griff, dass sie ihre Brust wie verschnürt zurückhalten und mit schlapper Bauchatmung auskommen. Man sieht diese Armen oft. Sie kennzeichnet der orthopädisch als Trichterbrust bezeichnete Oberkörper und eine verbogene Haltung. Möglich ist dazu weitere Spannung, die wieder andere dazu bringt, unbewusster Motivation noch eins draufzusatteln. Die steifen sich ganz gerade durch wie ein Brett. Denkbar ist alternativ, die flache Brustatmung zu bevorzugen und den Unterleib hart wie ein Brett anzuspannen. Das ist auch Unfug, funktioniert aber bei nicht wenigen bis zum Lebensende ohne ernsthafte psychische Erkrankung, was doch verwundert. So wird jeder Spontanität das Wasser abgraben. Diese Leben sind weggeworfene. Reichlich psychosomatische Beschwerden dürften sich mit der Zeit herausbilden.

Daneben kommen diejenigen in Betracht, näher untersucht zu werden, deren selbstgebastelter Rahmen gelegentlich gesprengt wird. Das sind Menschen, die plötzlich das Gefühl haben nach einer Tätigkeit, bei der sie sich toll vorkamen oder umgekehrt, wenn sie eine Demütigung erfuhren, jetzt irgendwie groß zu sein oder doch mal angreifen zu müssen. Womöglich passiert diese Befreiung aus dem muskulären Korsett nachts im Bett? Man erschlägt in einer Vision den Chef, aber der merkt ja nichts davon. Man fühlt sich potent, aber die Geliebte erfährt es nie. Man erlebt Wechselbäder der Emotion, alles flach unter der Bettdecke im Liegen. Wer nicht kennt, dass nun die Brust ihre eigentlich mögliche Wölbung und wahre Größe in diesem spontanen Impuls erfährt, erschrickt – wie begeistert sich gleichermaßen daran. Das treibt das Dopamin nach oben. Geht die Sache über einen Zeitraum von sagen wir einigen Tagen, dürfte Schlaflosigkeit die Folge sein. Der Organismus schaukelt sich auf. Dagegen gibt es kein Medikament. Die Menge an Dopamin, die in einem gesunden Gehirn den Boten macht, kann nicht effektiv gebunden werden wie manche verkorkste Psychiatrie noch heute behauptet, ohne den Menschen insgesamt lahmzulegen.

Die Leute setzen ihre Medizin ab deswegen. Und nun sind sie sich selbst vollkommen ausgeliefert. Der nächste Krankheitsschub kommt unausweichlich. Aber bei denen mit einer geringen Dosis Risperdal oder einem vergleichbaren Medikament kommt der Schub genauso. Ihre Erhaltungsdosis gibt dem Patienten die nötige Rüstung nur im seichten Alltagsfahrwasser. Das behauptet der Psychiater. Je mehr man nimmt, desto fester wird der Rahmen. Boshaft bekannt ist die Bezeichnung „Haldolgang“. Das meint die typisch verklemmte Bewegung eines Patienten unter hoher Dosierung des ursprünglich am meisten verwendeten Wirkstoffs. Die Arme schwingen beim Gehen nicht mit. Sie wechseln sich nicht ab als nötiges Gegenpendeln zu den Beinen. Da fällt ein leichtes paralleles Vor und Zurück auf, und mehr ist das nicht. Jedes dieser Medikamente hat die Eigenschaft uns zu versteifen, auch die modernen Wirkstoffe müssen so sein, wie man auch darum herumredet. Hier wird eine natürliche Methode des Gehirns imitiert durch die Pharmazie, deren extremste Form aber krankhaft als Parkinson bekannt ist. Diese Pille puffert die geistigen Briefkästen, verklebt die Rezeptoren, verzögert den Datenfluss, trocknet das Dopamin aus. So macht es ja auch jeder von uns ohne die Pille: Wer sich täglich fürchtet, ist steif. Dann kann man trotzdem funktionieren, geht zur Arbeit und verbirgt Unwohlsein. Kommt eine für denjenigen, dem gesagt wurde, sensibler zu sein und den Schutz solcher, speziellen Medizin zu benötigen, als extrem eingeschätzte Lage, wird dieser sie schon wegen der eingenommenen Pille zunächst nicht als solche bemerken. Er ist ein Ritter mit verklemmten Visier und eine blinde Dose eben. Dann, in der Nacht, sprengt die Emotion doch das Blech weg. Nun hilft keine reduzierte, halbe Pille. Jetzt müsste voll eingeworfen werden, um weiter die Kontrolle über den schnell verrutschenden Verstand zu behalten. Nur wenige bekommen das hin und auch nicht jedes Mal gleich gut.

Wie viel besser könnten wir mit diesen Menschen arbeiten, wenn wir sie lehrten, ihren Körper voll in allen Spielarten zu nutzen!

# Vor Gericht und auf See sind wir in Gottes Hand

Ein Gehirn gleitet weg, jemand gerät auf die schiefe Ebene. Unsere Sprache enthält verborgene Wahrheiten. Was krank zu sein bedeutet, wer als schuldfähig gilt, bereitet Juristen manchmal Kopfzerbrechen. Man möchte genau sein. Jedem seine Schublade geben, schafft zunächst Ordnung. Schlimmstenfalls wird der Mensch aber das Opfer seiner Erklärungsprinzipien. Der Untergang der Pamir gibt ein Bild: Das Seeamt fand heraus, ihre lose Ladung sackte zusammen. Die Gerste sammelte sich in Lee, weil es kaum Getreide in Säcken gab, das für die inzwischen etablierten Dampfschiffe sinnlos wurde. Dann übersah Kapitän Diebitsch die Gefahr durch den Hurrikan Carrie als seinen wesentlichen Fehler, der zum Untergang des Schiffes führte. Hier haben die moderne Entwicklung und die Fehleinschätzung des Einzelnen eine Katastrophe ausgelöst. Insgesamt durchaus als Metapher geeignet, illustriert diese maritime Beschreibung, warum es auch juristisch immer falsch ist, Schuld isoliert auf den Einzelnen festzunageln.

Das Unglück in der Tiefsee nahe dem Wrack der Titanic ist noch frisch in unserem Gedächtnis, als diese Zeilen entstehen. Ein Miniuboot ist implodiert. Es hat dem Wasserdruck nicht standgehalten. Je tiefer ein Boot unter Wasser fährt, desto größer wird der Druck darauf. So ist es beim Tauchen im Schwimmbad, wir sollten nicht so schnell hochkommen aus mehreren Metern beim Fischen der bunten Ringe, lehrte uns der Trainer in der Schule. Man kümmere sich bitte um den Druckausgleich in den Ohren, sagte er. Menschen leben nicht unter Wasser, aber die Luft drückt ebenfalls auf uns, nur dass man es für gewöhnlich nicht so mitbekommt. Im Sturm stemmen wir uns gegen den Wind, Regen ist ein Angreifer, und gibt es überhaupt etwas, das nicht gegen den Menschen gerichtet ist? Ein Boot mit Rückenwind geschoben und ein darauf hochgelobter Mensch mag, beflügelt von Unterstützung, glauben, selbst Gott wäre ihm so wohlgesonnen, dass nun alles von allein gelingt? Was das Boot betrifft, fällt mir als Segler dazu ein, die Verpflichtung in mitlaufender See aufmerksam zu steuern und eine der Windstärke angemessene Segelführung zu wählen, wird dem Steuermann nicht abgenommen. Sonst wird aus dem freundlichen Schiebewind eine böse Kraft, wenn unser Geschick nicht genügt, das Wetter auch zu nutzen. Eine Erziehung, die junge Menschen ausschließlich zu loben probiert, muss scheitern. Jedes Wesen sieht sich ganzzeitig Druck ausgesetzt, der ein vielfältiges Gesicht hat. Die Gravitation gibt dem Menschen beständig ihre Aufgabe, sich der Erdanziehung zu stellen. Umgekehrt gedacht, könnte man sagen, beim Gehen treten wir die Erde von uns weg. Wir recken uns auch gegen die Luftsäule über unserem Kopf. Der Luftdruck kann gemessen werden.

# Die Welt ist immer gegen uns

Unser Gegner ist um uns herum das Ganze, und wenn da überhaupt Glaube hilft, dann ist dieser eine Art Wegfinder, die günstigere Richtung zu finden, welche den geringsten Widerstand bietet. Selbstvertrauen mag uns nützen. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott, sagt man. Eine Welt, die genau das macht, was wir uns wünschen, kann es nicht geben. Aber zu wissen, was uns motiviert und wohin wir möchten, kann das Bewusstsein schaffen, überhaupt Widerstand zu bemerken. Sich um diesen Gegner zu kümmern, wird Wege aufzeigen, die individuell passen. Sehe ich in Gott bloß die Welt um mich herum, wird dieser selbst zum Feind, und das muss frustrieren. So kommt wohl die Idee vom Teufel auf, eine fantasievolle Kreation ist das, meine ich, nur um eine Lösung dafür zu finden, dass die Dinge auch mal nicht gut laufen. Akzeptiere ich hingegen, dass diese Welt nur dann rahmt und stützt, wenn alles seine Grenzen findet, kann das die Erkenntnis begünstigen, immer zumindest doch ein wenig Widerstand vorzufinden. Es gäbe keine Geschicklichkeit ohne dies. Da wären keine Menschen willensstark, die jede Tätigkeit zum Bohren dicker Bretter erklärten wie es niemanden gäbe, der solchen Kraftmeiern vormachen kann, dass die Sache auch leichter geht – und vergleichsweise elegant, leise, unauffällig.

Frei wird jeder, dem es gelingt, innere Kritiker als nützliche, aber Teil des eigenen Leibes vorhandene Widerständler zu integrieren. Dann bleiben nur noch reale Gegner draußen nach. Spannungen, Kontraktionen in der eigenen Muskulatur entsprechen mehr oder weniger der Angst und unserer Gewohnheit, dieser individuell zu begegnen. Sich selbst auf die Schliche zu kommen, zeigt den Unterschied von individuellen Bedürfnissen zu abnormen Umwegen auf, die höchstens belächelt werden von den anderen. Druck ist immer gegen uns gerichtet und das die ganze Zeit. Auch die nicht physische Welt, die wir nur emotional wie intellektuell begreifen, bietet ihren fortwährenden Widerstand. Menschen stellen sich für etwas an: Sie werden uns klarmachen, wenn wir hinzu kommen, wo das Ende einer Schlange ist. Eine Beamtin im Dienst mag körperlich unterlegen sein, bezeugt uns aber zuverlässig, wie ihre Behörde funktioniert. So eine kann den Menschen damit zur Weißglut treiben. Man ist Bittsteller. Ständig ausgebremst, nicht nur beim Autofahren, kann jeder leicht mal die Nerven verlieren.

Wir begegnen verbalem Druck. Wo jemand meint, uns anschnauzen zu müssen, werden wir uns das bestenfalls nicht gefallen lassen. Von der Seite betrachtet, wird sich diese Reaktion darin zeigen, dass wir uns nach vorn neigen. Steht vor uns ein dämlicher Großsprecher, und wir sind kräftig, lassen uns nie was bieten, könnten wir die Brust wölben, das Kinn vorschieben und beharrlich Schritte auf den Idioten zugehen, bis wir beide uns Brust an Brust berühren, unser Atem dem Widerling Angst macht, wir schnauben:

„Was willst du, Spacken?“

Das hatte der Herr Jesus sich anders vorgestellt. Diese Religion lehrt, gewaltfrei zu leben sei das Beste. Man solle sich ruhig ohrfeigen lassen, auch mehrmals und gern noch auf die andere Backe, Schläge geradezu erbeten. Wer macht das denn? Weltfremdes Gelaber, dachten sich die Römer. Ein Spinner, der die Leute aufwiegelt durch seine verqueren Reden, knüpft ihn auf! So lief das bekanntlich ab. Und dann kamen einige auf die abstruse Idee, alles umzudeuten für ihre Zwecke: So interpretiert der klügere Atheist unser Christentum. Ganz so einfach scheint die Sache nicht zu sein, wenn wir annehmen, das Bessere setze sich stets zum Fortschritt der Menschheit durch. Wäre nicht zu glauben besser, sollten diese Religionen als kindliche wie pubertierende Lautmeldungen einer längst erwachsenen Gesellschaft belächelt werden und dürften keinerlei Bedeutung im Alltag genießen. Das ist objektiv nicht der Fall. Dabei ist jede Kirche ein widersprüchlicher Sozialclub. Der übelste Mensch, den die Menschheit kennt, mag in der Hölle bestraft werden oder Gottes Gnade erfahren, wer will das beurteilen? Zur Zeit der Nationalsozialisten wehte die Hakenkreuzfahne am Gotteshaus, heute entsprechen die Predigten dem, was unser Bundespräsident sagt. Wir passen Gott der Moderne an und verlangen ihm den Zeitgeist ab. Der Herr möge sich bitte seiner Schöpfung fügen. Wo auch immer Unbequemlichkeiten im Glaube aufkommen, soll der Gute nachgeben. Während viele nur den Missbrauch in der katholischen Kirche sehen oder die Lächerlichkeit rosa bekappter Opas erkennen, ist eine Welt ohne Kirche trotzdem unvorstellbar. Ebenso die organisierte Kriminalität, bekämpft von der Polizei, wird das Böse dennoch bis an das Ende unserer Tage Teil der Menschheit sein.

Mafia und katholische Kirche gehören zum Planeten wie Ozeane, Berge, Tiere und Pflanzen, die Luft zum Atmen.

Verbrechen und Glaube können nicht abgeschafft werden.

# Ich möchte eine kluge Religion

Ein Gott, mit dem man nicht reden kann außer im Gebet, der nicht antwortet oder eine Strafe auf dem Fuße folgen lässt nach einer Missetat, das ist kaum mehr als eine dumme Fata Morgana von kranken Menschen. Mich hasst der, glaube ich. Arschloch im Himmel wie auf Erden, das gibt mir mein Bild her, mit dem ich leben kann. Ich denke: Wer einmal eine Sintflut losgelassen hat und reuig den Regenbogen malte, könnte dennoch mit den Jahren wankelmütig geworden sein und trotz des vollmundigen Versprechens, die Menschheit wieder einmal beseitigen wollen? Das ist ein Vater im Himmel, der nicht klar kommuniziert, wie Eltern es aber mit ihren Kindern tun sollten. So oft, wie ich mit meinen Wünschen nicht weiterkomme, Fehler geschehen und diejenigen, die ich zu Recht widerlich finde, nicht aus dem Verkehr gezogen werden, muss ich resümieren, dass das allermeiste der Religion Wunschdenken bleibt. Schält man die fixen Ideen vom Kern der Lehre runter, bleibt ein gutes Stück Streit auszutragen mit der himmlischen Vision, und wie der Schmutz in der Wohnung zurückkehrt, das Unkraut im Garten wächst, so lassen sich manche Hoffnungen nicht vertreiben.

„Wüsste ich, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen“, fand Martin Luther (über sich heraus). War der blöde oder was? Der gute Glaubensmann hielt es für möglich, dass Gott gefallen könnte, anderntags den ganzen Krempel hier kaputt zu machen oder umgekehrt es nicht verhindern könne, falls das geschähe. Wladimir Putin im aus den Fugen geratenen Widerpart zum Westen bringt uns heute wieder in Erinnerung, was Verantwortung heißen könnte. Ein Atomkrieg ist derzeit nicht ausgeschlossen, und andere Gefahren drohen auch noch. Na und? Wie sehr mich motiviert, dass Sophie Scholl so weit ging, wie sie musste scheinbar! Es hilft, sich nicht zu verarschen lassen, für das, woran man glaubt. Jeder mag sich fragen, welche Qualität ein Leben hätte im Bewusstsein, aus Feigheit an entscheidender Stelle gekniffen zu haben, ohne den Versuch gewagt zu haben, zu tun, was getan hätte werden müssen. Die weiße Rose, der Widerstand gegen die Nazis insgesamt, entwickelte sich aus einer klar empfundenen Not, handeln zu müssen. Das zeigt wohl besser als alle religiöse Geschichte mit einem Herrn Jesus, den es nur vielleicht gegeben haben könnte, dass es nicht um Mann oder Frau geht beim Glaube an den Herrn oder vergilbte Bibelstellen. Jeder empfinde selbst nach seiner Façon. Ich habe dies gelernt: Keine Bürgermeisterin zwingt mich von Amts wegen zum Respekt vor ihrer Art, die Demokratie zu nutzen, wenn Recht biegen sich als mögliches Kennzeichen derartiger Macht erweist. Über Glaube nachzusinnen, höhere Gerechtigkeit einzufordern und im Streit mit Gott das wahre Maß für Gut und Böse auszuloten, steht jedem von uns frei und aufs eigene Risiko hin auszutesten. Jeder glaube an seine eigene Wahrheit, meint man vielleicht, aber manche ist scheinbar größer, stärker und verlangt gesucht zu werden. Ich kann nicht als ein Sklave der Motivation anderer Leute leben, möchte keine Blechfahne nach ihrem Wind anerkennen. Ich sehe, wie meine Flagge am eigenen Ruderkopf oder der Stander auf dem Mast vom selbst gesteuerten Boot in der wirklichen Bris draußen in der Natur weht. Danach steuere ich, lege die Pinne, wie’s mir gefällt.

Frauen sind intrigant, Männer schlagen zu: Die Mädels halten sich an den Händen und predigen in rosa den Regenbogen. Kindergarten ist nicht Kirche. Zeitgeist genügt als intellektuelles Futter bloß dem modischen Menschen. Ich möchte einen ernsthaften Ansatz. Damit kommen wir erneut an diesen Punkt, wer dem Druck nicht standhält, erkrankt. Menschen üben Gewalt aus und beschädigen die Psyche derjenigen, die sich nicht zu wehren gelernt haben, ihren Platz nicht behaupten in einer Welt, die zu lügen gewohnt ist. Wir werden ständig getäuscht, vom Partner, den Nachbarn, der Politik, dem Pfarrer und so weiter. Die Natur selbst veräppelt ihre Bewohner. Der Wetterbericht bleibt eine Annäherung an das, was kommen wird und dass es so ist (immer noch), erstaunt bei unseren heutigen Techniken. Die von der Religion vorgeschlagenen Gebote wirken nur so gut, wie der Gläubige lernte, sie zu interpretieren. Sagen wir’s mal so, Gott hat uns die Gefühle mit auf den Weg gegeben und dann fordert ein Kirchenmensch, wir sollten bitte nicht fluchen? Gott hat aufreizende Weiblichkeit zugelassen, aber das Gebot verlangt, treu zur Ehefrau bis zum Ende auszuharren, egal wie fett, vertrocknet oder rechthaberisch so eine Alte mit den Jahren mutiert? Das kann doch gar nicht funktionieren ohne menschliches Versagen.

Aber das macht ja nichts.

Gnädig schaut der Herr zu und gewährt immer wieder den Neuanfang, dieser liebe Gott. Nach dem Tod geht es weiter. Eine schöne Welt! Man muss sie nur auszulegen wissen.

# Epilog, der Heilige Gral

Wikipedia gibt etwa an, die Legende um den Heiligen Gral erschien im späten 12. Jahrhundert in der mittelalterlichen Artus-Sage. Verschiedene Versionen der Erzählung kreisen um den Gral als wundertätiges Gefäß, das mit dem heiligen Abendmahl in Verbindung steht, sowie um die Ritter, die nach diesem Gral, und damit letztlich nach Erlösung suchen. Im hochmittelalterlichen Gralsmythos vermischen sich Anliegen des Christentums mit archetypischen Bildern und mündlichen Überlieferungen keltischer und orientalischer Herkunft.

Ritter, die mit einem Makel behaftet sind, scheitern bei der Gralssuche. Der Held verändert sich während der Reise, erwirbt sich zu seinem Mut und Unschuld auch Erfahrung. Zuletzt gelingt es den Rittern gemeinsam oder dem Helden allein, das Geheimnis des Heiligen Grals zu enthüllen. Durch die Taten des Helden wird der Gralshüter, der verletzt oder krank ist, geheilt, und das zerstörte Land erblüht wieder zu einem Paradies. Der Held wird der Nachfolger des Hüters.

Das ist eine ungefähr übernommene Textstelle, aber gekürzt, wie sie im Internetlexikon zu finden ist.

In einem Fernsehbeitrag, den ich gesehen habe, kommt ein Historiker zum Schluss, der Gral könnte weniger ein heiliger Kelch oder besonderer Stein sein, sondern einfach ein kluger Gedanke: Man suchte damals nach einer Idee. Narren sterben bekanntlich nicht aus. Das sind Helden in jedem Zeitalter, wenn es ihnen gelingt, nicht länger welche zu sein, die man verspottet. Ich sehe mein Erleben und die von überallher zusammengetragen Einfälle durchaus als moderne Anregung für Katalysatoren, denn das sind wir Kreativen. Wir ziehen aus, um der kommerziellen Welt die Stirn zu bieten mit unseren Bildern und Texten.

🙂