Thema

Dez 25, 2022

Fliegen und fliegen lassen

Eine Doku über das Phänomen „Long Covid“ wurde gezeigt, hat mich aber nicht so interessiert. Nach einigen Minuten wechselte ich zum nächsten Sender. Fernsehen funktioniert nicht mehr? Früher habe ich gern geschaut, heute zappe ich. Eine kurze Sequenz blieb hängen. Zum Thema anhaltender Symptome bei vielen, die nach einer Coronaerkrankung nicht gesund würden, fehlten noch ausreichende Erkenntnisse, hieß es. Ein junger, dynamischer Arzt vermutete, (wie so oft) „gäbe es wahrscheinlich nicht den einen Grund, sondern ganz viele Faktoren“, die als Ursache zusammenwirkten. Ich empfinde das auch als Bankrotterklärung. Das kennen wir von Fachleuten, die sich keine Blöße geben möchten in einer Situation, wo man von ihnen Hilfe einfordert. Es klingt klug, ist es aber nicht. Das darf ein Laie sagen und ist nur eine Scheinwahrheit. Menschen gehen zum Arzt, weil sie annehmen, qualifiziert ernst genommen zu werden und gesund gemacht.

Nicht selten aber kann ein Arzt die Probleme nur begleiten. Oft stellen sich die Fachleute besser dar, als wüssten sie Bescheid mit einer Krankheit. Sie handeln nur nach dem, was sie anbieten können. Eine Darmspiegelung beispielsweise ist unkompliziert möglich. Dabei kann sogar etwas an der Struktur korrigiert werden. Oft bringt diese technisch ausgefeilte Medizin neue Erkenntnisse. Nicht selten aber bedeutet so eine Untersuchung nur hinzugewonnenes Bildmaterial. Zahlreiche Erkrankungen des Menschen können trotzdem nicht geheilt werden. Weniger aufwändige Mittel genauso, sie werden angewendet, weil sie im Angebot sind. Das muss aber nicht die Lösung der Probleme sein. Sagen wir es mal so, ein Helm auf dem Kopf kann den Fahrradfahrer bei einem Unfall schützen. Zur Fortbewegung braucht man ihn nicht, und manche verunfallen nie. So ist moderne Medizin, sie kann mit allerlei aufwarten aber einige Krankheiten doch nicht begreifen. Einlagen für Schuhe verschreibt der Arzt, weil man diese herstellen kann. Ihr medizinischer Nutzen ist nicht unumstritten. Möglicherweise bessere Wege für den Patienten werden schon mal von vornherein ausgeschlossen, und so ist in den Magen hineinzusehen noch nicht die Lösung einer medizinischen Notlage. Es kann ja bedeuten, eine unheilbare Krankheit festzustellen. Menschen werden auch deswegen krank und nicht gesund, weil sie ein Verhalten an den Tag legen, dass unweigerlich dazu führt. Die Moderne tritt gern auf, als gäbe es immer eine Lösung. Das Unabänderliche ist, Menschen sterben irgendwann und durchaus nicht im gewünschten Alter. Negative Emotionen werden verdrängt. Auf widersprüchliche Weise probiert die Gesellschaft erfolgreich, Leben zu verlängern und andererseits wollen viele ein am Genuss orientiertes Handeln beibehalten, verhalten sich kontraproduktiv. Zum vermeintlich eigenen Nachteil (und womöglich deswegen kürzer) zu leben, wird verbal torpediert und das um so mehr, je fortschrittlicher wir werden. „Neuseeland hat ein beispielloses Gesetz gegen das Rauchen verabschiedet. Damit soll das Land bis 2025 rauchfrei werden. Jüngere Generationen werden nie Zigaretten kaufen dürfen.“ (Tagesschau, 13. Dezember 2022). Zahlreiche Sicherungen sind zwanghaft angeordnet, im Verkehr, bei der Arbeit und auch zu Hause wird Brandschutz, Energieeffizienz oder Schneeräumung vor der Tür eingefordert, wie jeder Arzt zu Voruntersuchung und Impfung aufruft.

# Wir werden älter

Psychisch Kranke, die ihr persönliches, gesundes Glück nicht hinbekommen, scheinen in unserer Gesellschaft dennoch mehr zu werden und überhaupt, trotz vieler Angebote, gesund zu leben, werden diese nicht immer genutzt. Der verbindende Grund, dass einige Individuen unter dem für sie unüberwindbaren sozialen Druck nicht zu sich finden können, wird genauso wenig begriffen, wie die Auswirkungen von Angst und Leistungsdruck auf den Körper. Das ebnet psychosomatischen Krankheiten den Weg, führt schlimmstenfalls zum vollständigen Entgleisen des Gehirns, hinein in eine schwere Depression oder Psychose und kann so die angeborene Vernunft, zum eigenen Besten zu handeln, ins Gegenteil verkehren. Wir erfinden Gesetze, möchten direkt auf die Bürger einwirken für eine bessere Gesundheit. Das Gegenteil wird bei jenen erreicht, die abhängig davon reagieren, was andere sagen und nicht selbst auswählen, für sich akzeptieren an gesunder Ernährung, was dem Planeten nützt oder an Schokolade erlaubt ist. Was uns Modernen fehlt, ist weniger Einsicht in den Zusammenhang von Körper und Geist, als gewonnene Erkenntnisse auch praktisch zu nutzen. Das Wissen ist bekannt und hat viele Facetten. Manche erleben die befreiende Erkenntnis, das anzuwenden. Es könnten mehr sein. Unbewusst zum eigenen Nachteil handeln ist nicht selten typisch. Dagegen hilft nur, Bewusstheit zu erlernen. Wenige sind fähig zu deuten, wie jemand seine Funktionen unter äußerem Druck, welchen nur dieser eine Mensch am individuellen Platz im Leben so empfindet, gegen sich selbst einsetzt, dass jedes Gehirn den Durchblick verlieren muss. Ist dieser Hergang dem Patienten im Einzelnen bekannt, kann der gewohnte Weg in den psychischen Abgrund an vielen Stellen angehalten werden und eine bessere Richtung bietet sich an. Dafür benötigten wir selbstständige Patienten, denen der Arzt nicht ihre Intelligenz abspricht, und wir bräuchten Ärzte, die wissen was sie tun. Leider verordnen Psychiater meistens durch gutes Zureden, regelmäßige Medikamentengabe, wenig koordinierte Trainings und eventuell Entspannungsübungen eine Medizin, die mehr auf die Vermeidung der Probleme ausgerichtet ist, statt die vollständige Gesundung von Patienten im Blick zu behalten. Ärzte sind überlastet und versuchen, irgendwie über die Runden zu kommen. Sie hoffen, dass die Situation nicht eskaliert. Sie möchten Gewalt vermeiden und lösen diese nicht selten durch Angst, die sie als Arzt davor haben, selbst aus.

Das Gehirn leitet den Menschen. Kranke wie Gesunde nutzen diese kreative Schaltzentrale. Im günstigen Fall hat das System eine belastbare Wirklichkeitsanpassung. Das steht und fällt mit der Qualität der vorliegenden Information im Oberstübchen und seiner sorgsamen Auswertung. Dort steht ein, sagen wir mal, inneres Team bereit, dass eintreffende Daten auswertet und nun den willentlichen Handlungsrahmen entwirft, nachdem sich etwa Herr Meyer in Fahrt setzt. Die meisten von uns könnten nicht so genau sagen, wie sie das machen. Nur Leute, die nach einem Schock aus der Bahn des gewohnten Funktionierens geworfen werden, lernen detailliert, wie sie sich eigentlich selbst verwenden. Mit einem guten Trainer geht so etwas viel schneller. Das zeigen zahlreiche Reha. Im Bereich der psychischen Erkrankungen könnte die Gesellschaft das besser machen, indem sie von den Physiologen lernte. Diese nutzen den Vorteil, dass die Gehirne ihrer Patienten besser begreifen, als die von psychisch Kranken. Im Prinzip geht es aber um dasselbe. Ob nun jemand wieder laufen lernt oder einer lernt, dahin zu laufen, wo er Gutes für sich erreichen kann, hängt davon ab, wie gut die Motivation mit dem Erreichten rückgekoppelt wird. Würden wir das verstehen, kämen wir nicht auf die Idee, psychische Krankheiten im Gehirn zu lokalisieren, würden den ganzen Menschen lehren, seine Bewusstheit zu erweitern. Das hieße, einen Weg ins koordinierte Denken zu bahnen, Bewegung und Muskulatur als bestes Mittel zu nutzen. Menschen unter Medikation haben versteifte Gliedmaßen und merken noch weniger als psychisch Kranke ohnehin. Das bringt den Scheinerfolg emotionaler Stabilität. Auf lange Sicht verfestigt es die Unmöglichkeit wahrzunehmen. Solche Patienten sind abhängige Menschen, die nicht lernen können, weil sie an der Hand eines Arztes und gerüstet wie im Blech der Ritter einen schmalen  Blick auf die Welt haben. Sie könnten doch irgendwann bemerken, dass andere das nicht so machen? Dann aufzubrechen, muss mit einem Rückfall enden, wenn zu lange gewartet wird, ohne Arzt ins Leben zu stolpern.

Besser wäre es, zügig dahingehend zu wirken, dass auch psychisch Kranke mehr merken, statt weniger. Das ist entgegen der verbreiteten Ansicht, vulnerable Personen medikamentös zu schützen. Man hängt der Theorie an, diese wären empfindlicher als andere. Zu kompliziert, dem auf den Grund zu gehen? Es wird eine Dünnhäutigkeit erfunden, ohne die Dicke des seelischen Mantels beim Menschen lokalisieren zu können. Wir können das Gehirn stabilisieren, wenn die Lage kippt. Den normalen Prozess gesunder Funktion erreichen wir nicht mit unserer Medizin. Damit die Leitung des Menschen ein kluges Management ist, muss das ganze System miteinbezogen sein. Die Psychiatrie orientiert sich am Normalen, nicht am Ideal. Dabei verkennt man, dass normale Menschen oft auf dumme Weise leben und gerade so nur psychisch gesund sind, zudem nicht wissen, wie sie das hinbekommen. Sie wollen sein wie die anderen, mehr nicht. Ein psychisch krank gewordener Mensch, wie ich ihn verstehe, muss aber vorwärts leben, statt eine Tüte über den Kopf gezogen zu kommen. Das spräche ihm nicht die Intelligenz und Chance ab, schlussendlich der Behandlung vollständig gesund zu sein. Unsere Therapie probiert, inneres Durcheinander wie Durchlässigkeit äußerer Einflüsse zu kanalisieren. Ein gutes Abwehrsystem nutzt die Möglichkeit aggressiver Verteidigung gegen einen möglichen Feind. Die Furcht der Ärzte, die selbst einen Teil der Verantwortung treffen könnte, falls ihr Patient aus dem Ruder läuft, wird von der Pharmaindustrie geteilt. Das führt dazu, dass der Erfolg ihrer Medizin eine Form von Kastration bezüglich effektiver Selbstverteidigung darstellt und ein Problem schafft, wo man danach trachtet, es zu lösen. Man möchte der Angst nicht ins Gesicht sehen und verewigt die Störung. Wir können Notfälle behandeln, haben Krücken für das Gehirn erfunden, mit denen Schwerkranke aufstehen können. Dann werden sie ins Leben geschickt, mit einer halben Krücke, bildlich gesprochen, und vielerorts alleingelassen.

Es gibt gute Therapieeinrichtungen und Tageskliniken. Bis heute besteht das Problem für Betroffene, die Sinnhaftigkeit wie Notwendigkeit spezifischer Behandlung für die eigene Existenz zu begreifen und tatsächlich dorthin zu gelangen, wo adäquat geholfen wird. Lange Wartezeiten und Auswahlkriterien, wen man an Bord dieser etwas anderen Rettungsschiffe mitnehmen möchte und die unsichere Selbsteinschätzung der Patienten lassen erahnen, wie viele den Ort qualifizierter Unterstützung nie erreichen. Bald ist es auf ihrem Lebensweg zu spät, diesen noch zum Besseren zu wenden. Werden sie auffällig, ist ihr Psychiater von nebenan machtlos gegenüber den Forderungen von Ordnungskräften. Die Polizei folgt eigenen Interessen. Man nutzt Verbindungen zum Gericht (biegt schon mal das Gesetz, ein Spinner nimmt sich keinen Anwalt), bindet Gestörte auf irgendeine Weise, überwacht sie als bekannte Idioten. Diese Methode verhindert Katastrophen nicht, weil den Kommissaren ein Täter wenig bedeutet, sondern die Tat zu verhindern ihre Aufgabe ist. Da hilft wenig, der Gesellschaft zu erklären, dass dabei große Unsicherheiten bleiben. Es ist wie Schlechtwetter voraussagen und nicht zu wissen, wohin das zieht. Man meint Gewitter, einen windigen Schauer an der Leine führen zu wollen, damit daraus kein Tornado werden möge.

Wir akzeptieren, dass die Patienten mit Psychopharmaka geschützt klarkommen. Dafür nimmt man in Kauf, dass Menschen sich nicht wohl fühlen, aber gleichmäßig emotional gehalten sind. Das wirkt so gut, dass extreme Schübe oft noch gebremst werden können und die Protagonisten unserer Scheingesundheit angehalten sind, die ausgeklügelte Dosis zu nehmen. Manche halten sich nicht daran. Kommt es zu chaotischen Verläufen, lesen wir in der Zeitung, der Täter wäre bereits auffällig gewesen. Er sei polizeibekannt, habe Medikamente eigenmächtig abgesetzt, eine schizophrene Psychose durchlebt. Wenn das ein Asylbewerber ist und im Wahn andere mit einem Messer verletzt, landet so einer für viele Jahre im forensischen Gefängnis.

Ein Amerikaner, Däne oder Franzose sind nicht gemeint; ein Ausländer ist, wenn er Menschen angreift, zum Abschuss freigegeben und zwar wörtlich genommen. Das ist im Sinne der Bevölkerung und beinhaltet die Wahrheit, dass jemand, der hier vollkommen fremd ist und schizophren, die schlechtesten Voraussetzungen mitbringt (auch wenn seine Psychose harmlos verlaufen wäre), in Deutschland normalgesund zu werden. Die Justiz und ihr brutaler Arm, die geschlossene Chatgruppe jeweils, so heißt es ja manchmal, bildet das Team, welches Menschen erledigt, die bei uns ohne Freunde leben: „Soll er doch in die Klappse“. Möchte man ein Exempel statuieren, wird islamistischen Terror erkannt. Es finden sich Gutachter, die erklären, wie gesund und gefährlich der Mann ist. Nach denen, die direkt vor Ort weggeballert werden und die (von einigen gewünschte) Todesstrafe auf dem kurzen Dienstweg erfahren, kräht kein Hahn. Es sei denn, Polizeigewalt wird zufällig gefilmt. Dann möchten sich etliche solidarisieren, die selbst unbeteiligt sind und profilieren mit einem Kommentar. Ein Video geht viral. Menschen treten für den erbärmlichsten Drogendealer ein (schwarz muss der schon sein).

# Not me

Tatsächlich kommt es der Öffentlichkeit weniger darauf an, ob ein Täter das Opfer seiner Erkrankung ist oder Terrorist. Die Angst, unvermittelt angegriffen zu werden beim Weihnachtseinkauf etwa, steht im Vordergrund. Was das Motiv für eine Tat gewesen sein könnte, dafür interessieren sich vor allem diejenigen, die persönlich involviert sind, Betroffene, Verletzte, Angehörige, Ordnungskräfte (im weitesten Sinne). Die möchten wichtig genommen werden, eigenes Versagen bestreiten oder schlicht Rache nehmen, ihre nationale Gesinnung ausleben, weswegen sie überhaupt zur Polizei gegangen sind. Schizophrenie wie Terror sind Begriffe, nicht die Wahrheit, sondern Bewertungen, die von Interessengruppen ins Ziel gebracht werden. Medienberichte potenzieren die Befürchtungen der Masse noch, die sie ohnehin vor psychisch Kranken hat. Das zieht alle, die mit entsprechender Diagnose beglückt wurden, gleichermaßen runter. Normale können nicht verstehen, dass hier ein Begriff zum Platzhalter für die unterschiedlichsten Spielarten von Krankheit pauschalisiert die Wirklichkeit verfehlt wie ein Silvesterkracher den Mond. Es ist ja nicht nur die schlecht informierte Gesellschaft, die sich nicht kümmert um ihre Sorgenkinder, welche nicht erwachsenwerdende Menschen sind. Selbst, wenn alles glimpflich endet, während einer Psychose, will besonders die Psychiatrie nicht einsehen, dass ihre Methoden nicht funktionieren, und das ist beschämend. Es gibt keine bequeme Erhaltungsdosis der hochpotenten Mittel, die verlässlich vor neuer Erkrankung schützt und keine Maßnahme, die freie Bürger dazu zwingt, täglich eine so hohe Dosis zu nehmen, dass ein Schub unmöglich wird.

Der gesetzliche Betreuer, der im Verlauf einer nicht mehr in den Griff zu bekommenden Lebenssituation eingesetzt wird, besiegelt das Schicksal. Manche werden nie wieder ein Mensch innerhalb der Gesellschaft sein wie die anderen und Patient für immer bleiben. Diese abwärts gerichtete Entwicklung ist geprägt von Vorteilsnahme. Wenn eine Betreuung eingerichtet wird, versagen nicht nur die Helfenden oder eine zwingende Not, den Kranken vor sich und anderen zu schützen, ist wirklich der Antrieb. Familienmitglieder möchten an das Erbe und wirken dahingehend, einen bislang akzeptierten Verwandten fertigzumachen. Der Hausarzt, die raffgierige Tante, der Cousin, eine Schwester, was weiß ich, greifen an. Ein zufällig in den Fall involvierter Polizist, welche von der Kirche oder Sozialeinrichtung, Leute, die ehrenamtlich unterwegs sind, gern in anderen Leben herumfuhrwerken, Gutmenschen (eine mit allen vorgeblich befreundete Bürgermeisterin), miese, mobbende Masse rottet sich zusammen. Menschen trachten danach, sich auf einen Sockel zu stellen und vermeintlich für Sicherheit einzutreten, sind überheblich, halten psychisch Kranke wie Haustiere (zwar nicht wie Sklaven, Kranke arbeiten ja nicht für die Gesellschaft), auch nicht wie Kinder, denn diese entwickeln sich, aber wir manipulieren Auffällige, wo immer es geht. Das ist ein Gefängnisaufenthalt, der so nicht heißt und ein Armutszeugnis für die Verantwortlichen.

Erziehung der Kinder ist ohne Strafe undenkbar. Wir möchten die Jugend fit in ihr Erwachsenenleben entlassen. Dann ist diese eigenverantwortlich unterwegs. Weitaus trauriger finde ich, Strafen für Erwachsene anzuordnen. Das ist genauso ein Teil menschlicher Realität, und viele nehmen es leichter hin, als Kinder zu maßregeln. Nicht wenige sind sich sicher, Schuld gezielt zuweisen zu können. Das hat Tradition wie Fehler zu finden Fortschritt bedeutet. Aber es ist eine grundsätzliche Kapitulation, das Versagen, alle mitzunehmen und Schuld zuzuweisen, wo auch die träge und nicht selten raffinierte wie heimtückische Umgebung in die Pflicht genommen werden könnte. Es nützt wenig, die Menschheit für ihr so sein zu beschuldigen.

Jede Gruppe kann dem Einzelnen gefährlich werden. Man provoziert den Idioten bis zur Eskalation, er zum Schuldigen wird und seinen „Angriffskrieg“ beginnt? Die verkehrte Welt ist ganz normal und überall zu finden. Wer Täter ist und wer Opfer, separiert nicht selten die Sequenz einer Huhn- oder Ei-Geschichte und was zuerst vorkam? Isolierte haben ein Prädikat, das gegen sie in Stellung gebracht werden kann. Menschen mit einer anderen Herkunft oder Hautfarbe geraten unter Beschuss, welche aus einer anderen Gesellschaftsschicht, weil sie weniger verdienen oder mehr. Die mit einem anderen Geschlecht, eine Frau unter Männern, wenn diese die bestehende Gruppe definieren und natürlich entlassene Straftäter, wenn so etwas bekannt wird, haben es schwer. Ausgebremst werden Homosexuelle, Schwache zwischen „richtigen“ Männern auf dem Bau, schlechte Rechner in einer Skat kloppenden Dorfgemeinschaft, nicht Teamfähige in einer Arbeitsgruppe oder Partei. Die Liste kann weitergedacht werden. Das komische Kind wird bereits in der Schule gehänselt. Was könnte unsere Macke sein, die allmählich zum Problem wird, durch Rufmord genährte Wahrheit, und das ist eventuell der Verdacht, ein irgendwie Geisteskranker sei man, der Nachbar?

Wer die Gegenseite bildet und eine Gruppierung formt, überrascht nicht selten. Gegen gleichgeschlechtliche Liebe stellt sich eine heterosexuelle Masse, und die finden wir kaum in einer liberalen Partei. Dort, wo sich diese guten Menschen sammeln, bei den Linken, Grünen oder Sozialdemokraten, sind nicht weniger bösartige Typen als in der konservativen Gruppe, wenn es darum geht, sich auf die Seite von Opfern zu stellen. Ein psychisch Kranker ist weniger hilfsbedürftig aber potentiell ein Täter für sie. Wenn das ein Mann ist, betrachtet die Gesellschaft ihn skeptisch in Hinsicht auf alle Frauen der Umgebung. Lebt der Mann, von dem irgendwie durchsickert, er würde ärztlich behandelt, in einer Beziehung, nimmt man ihn weniger ernst und respektiert seine Familie nur zum Schein. Von einem Nachbarn mitzubekommen, er wäre bereits eingewiesen gewesen, bedeutet auch, vorab den Gefährder oder möglichen Täter in ihm zu erkennen. Das jedenfalls glauben viele von sich, dass sie’s könnten und darüber Bescheid wissen. Wie es linken Terror gibt, obwohl diese Menschen sich als die Guten gegen Rechts bezeichnen, finden sich militante Weltverbesserer, wo man zunächst nicht damit rechnet. Einen Schizophrenen jedenfalls, will niemand im Umfeld dulden, schon gar nicht, wenn eine sexuelle Gefahr von ihm ausgehen könnte. Leute sind zu blöd, im eigenen Partner oder Onkel den Pädophilen zu begreifen, der ihr Kind missbraucht und hetzten gleichwohl über den komischen Typen von nebenan, der ihnen nur suspekt ist. Da meinen auch Einfaltspinsel und medizinische Laien Bescheid zu wissen, wenn sie was aufschnappen. Die soziale Moralverbindung; mobbende Monster wollen Frauen, Kinder retten? Der Mann, der zugibt, psychisch krank gewesen zu sein, darf nirgendwo dabei sein. So einem läuft die digitale Kampagne voraus, wenn er sich irgendwo um Aufnahme bewirbt.

# Willy kräht, labert bis es klatscht

Die Feuerwehr, die Polizei oder Partei (welche, ist egal), Freimaurer, schlagende Verbindungen, die Rotarier, gute Menschen eben, die Kirche, jeder sozial definierte Haufen – das sind dann netzübergreifend immer Arschlöcher. Ihre Stärke ist Zusammenhalten. Demgegenüber steht der einzelne Kreative, selbst, wenn so einer geistig gesund ist. Das ist ja auch sonst so: Wer isoliert werden kann, bekommt Gegenwind. Der für sich selbst Stehende muss stärker sein als jeder Mitläufer, und einer, der wie mit negativem Brandzeichen abgestempelt ist, darf nicht mitlaufen. Dem tritt man beständig in die Hacken, ans Schienenbein, wie man es auch mit guten Fußballern macht (die gar nicht krank sind). Darum haben es psychisch Kranke doppelt schwer. Sie können sich nicht untereinander solidarisieren wie jede andere, benachteiligte Gruppe. Sie werden von der Solidargemeinschaft separiert, sind oft sensibel und kreativ, das erweckt Neid. Diese Menschen stehen wie auf freiem Feld unter feindseligem Feuer.

Das Fazit dieser Erkenntnis ist erschreckend. So krank wird niemand, weil ihm das gefällt. Die Folge ist erzwungenermaßen eine irgendwie geartete Behandlung. Deren Ziel sollte Gesundheit sein, das heißt, ohne Behandlung zu leben. Das kann ein paar Jahre in Anspruch nehmen. Nun dürfte ein soziales, von Beziehungen geprägtes Leben folgen wie bei den Gesunden. Dafür müsste jemand eisern seine Vergangenheit verleugnen. Die anderen leben nach der Methode: „Mein Haus, Frau, die Kinder – mein Auto, Pferd und Boot“, und wie soll einer das faken? Wir müssten doppelt stark werden, könnten nie einfach so dabei sein. Es sei denn, wir stehen zur Vergangenheit, wie sie eben ist. Wer schaffte anzukommen, darf nie umziehen. Hat man bereits eine Beziehung und Kinder hinbekommen, gestattet die Umgebung keinerlei Neuanfang. Man darf sich niemals neu verlieben. Eine fremde Stadt, bei einer anderen Firma anfangen, ins Ausland gehen, und alles Mobben fängt wieder an.

Früher beklagte man die Einfalt der Menschen auf dem Land: „Dumme Bauern!“ Einfach gestrickt schienen die traditionell beschränkten Geister im Vergleich mit den kulturell vielseitigen Städtern zu sein. (Ich konnte mich daran abarbeiten für diese Forschung: Schenefeld ist aus einem Dorf hervorgegangen, und so heißt der natürliche Kern weiter „Dorf“, im Unterschied zur „Siedlung“ im Norden. Unsere höher trabende Bürgermeisterin ist hier geboren und beschränkt sich regelmäßig, wenn es gut getan hätte, größer zu denken. Über den Tellerrand zu schauen, bedeutet für unsere Verwaltungschefin, lediglich Pinneberg zu bemerken. Ein Lernfeld ist Schenefeld allemal und kann noch wachsen). Natürlich hilft es nicht, die gute alte Zeit als schlecht oder umgekehrt die Moderne pauschal für etwas verantwortlich zu machen. Ein Problem hat es schon immer gegeben, mindestens, seitdem der Mensch sesshaft wurde, und das ist der Versuchung zu erliegen, dynamisches Leben als statisch zu betrachten. Menschen sind unterwegs mit Mutter Erde, selbst, wenn jemand am Platz lebt, wo er geboren ist und dort bleibt. Wir reisen durch unsere Zeit, könnten uns positiv entwickeln. Manche nehmen an, die Menschen würden immer dümmer? Viel spricht dafür, dass unser Erfolg auf dem aufgebaut ist, das bereits von anderen hingestellt wurde als das Fundament unseres Wissens. Ich beklage, dass man psychisch Kranke abstempelt und in ihrer Rolle hält.

Da sind sich selbst bestätigende Denkweisen, krankhaft motivierte Sexualstraftäter wiederholten sich trotz Therapie? Auf die Idee, es könne an mangelnder Qualität ihrer Behandlung liegen und der breiten Masse drumherum, die gar nicht möchte, dass so einer besser würde, kommt die Gesellschaft eher nicht. Schlimmer ist die bloße Annahme, einen Sexualstraftäter vor sich zu haben und diesen fertig zu machen für etwas, dass es nie gab. Dafür erfinden vermeintlich bessere Menschen Provokationen, die denjenigen, der damit konfrontiert wird, fassungslos machen. Menschen stoßen weg, wen sie als störend empfinden. Strafverteidiger und Ärzte, Helfer allgemein, haben ein unlösbares Problem zu helfen, wenn die Mehrheit überzeugt ist, bedroht zu sein. Der Anfang könnte in unserer freiheitlichen Grundordnung gefunden werden, die dabei auch die Schwierigkeit vergrößert, dass alle gegeneinander tolerant sein müssen. Machten wir keinen Unterschied zwischen bewusst gebrochenen Regeln und krankem Handeln, könnte der Staat unwidersprochen wegsperren. Eine hochentwickelte Gesellschaft möchte das nicht, da wir, was überhaupt Recht ist, ständig präzisieren. Jetzt sollte man konsequent sein, auch bei Reintegration, und einsehen, dass diese nur gelingt, wenn Störende toleranter werden und die Gesellschaft mehr investiert, sie darin zu schulen und an Bord zu integrieren. Scheinmedizin nenne ich unsere Psychiatrie, weil sie überlastet ist und in überkommenen Denkweisen feststeckt.

Abschließend der vorangestellten Bemerkungen mag eine persönliche Erfahrung stehen. Paranoia heißt auf die Umgebung fixiert anzunehmen, es würde schlecht über einen geredet, sobald man den Raum verlässt. Das gilt als krankhaft, eine Störung desjenigen, der mit der Annahme sondiert, ob andere über ihn tuscheln. Demgegenüber steht die Möglichkeit, in einer Umgebung zu verkehren, wo das tatsächlich geschieht, dann ist es Mobbing. Nun kann leicht übersehen werden, wie andere einen Teil Schuld haben, krankes Denken zu befeuern.

# Unser Künstler

Anfangs war ich zugezogen und anonym fremd in diesem Dorf. Dann kamen Beziehungen zustande, Ausstellung im Dorf Café, Bekanntschaft mit der Bürgermeisterin und Mitarbeit im Kunstkreis; zunächst gibt das einen schönen Auftrieb. Ich könnte verstörende Begebenheiten wiedergeben, wie allmählich meine Vergangenheit reflektiert im Gegenüber aufgeblitzt ist, ohne konkret zu werden. Das macht krank und ist nicht mein Fehler. Ich wüsste nicht, weswegen ich Scham empfinden müsste und habe ein reines Gewissen in jeder Hinsicht. Ich bin nach dem Studium wiederholt psychisch krank geworden. Das ist nicht verboten. Ich habe (später) mehrfach zugeschlagen, ohne dabei krank gewesen zu sein. Diese Verfahren wurden eingestellt. Ich schlug einen Schenefelder, trat ihn voller Wut. Acht Monate auf Bewährung waren die Folge, und einige tausend Euro zivile Entschädigung habe ich gezahlt. Ich empfinde keine Reue, mich gegen einen frechen und dummen Menschen gewehrt zu haben. Ich bejahe Gewalt ausdrücklich, wenn sie nötig im Sinne von Notwehr ist. Wer beleidigt wird, darf schlagen, ist meine feste Überzeugung. Man zahlt für den Regelbruch, so ist das nun mal. Schön, sich immer beherrschen zu können. Ich kann es nicht. Das queere wie feministische Weltbild unserer Tage will uns glauben machen, das bessere zu sein und toleranter als der Rest der Welt. Eine Illusion ist das, wenn nicht eine Lüge und in jedem Fall Selbstbeschiss für welche, die das glauben. Die Realität dieses Planeten ist patriarchalisch. Gewalt bestimmt jede Szene. Es gibt vermehrt Bestrebungen, demokratische Strukturen abzubauen. Deutschland führt Krieg am Rande Europas gegen Russland. Es wird gelogen bei uns wie bei den anderen. Das hat auch mich verändert. Ich habe gelernt zu kämpfen. Die Menschen reden ja nicht offen, sie reden über mich, was denn? Das hat schon gedauert, heimisch zu werden. Mein Fazit, krank wird der Mensch in Beziehung zur Umgebung. Diese gefällt sich darin, unbeteiligt sein zu wollen. Die Kunst ist, das auszuhalten. Im übertragenen Sinne heißt es, das Sprichwort ad absurdum zu führen, wo Rauch sei, müsse auch ein Feuer sein. Ich fühle mich als Brandstifter angeklagt, stehe da, mit einer Packung Streichhölzer in der Hand, ohne überhaupt eines aus der Packung zu nehmen. Es macht zufrieden, diese Erfahrung wie einen Fangkorb aufzustellen und dumme Menschen einzusammeln.

Ich begreife meine Position im Zentrum der Reuse als Vorteil. Die Leute verhalten sich widersprüchlich, wenn es was zu verbergen gilt. Für einen Detektiv, der nach einem Verbrechen hinzugezogen wird, ergibt sich das Problem, von außen einen Knoten entwirren zu müssen, dessen genaue Gestalt verborgen ist. Der Kommissar ist normalerweise nicht das Opfer, steht als Ermittler fremd zur Situation, weiß nicht, wer lügt, weil das Motiv fehlt. In meinem Fall, als jemand, der lernen wollte, was kränkt und verstört, alles, was geredet wird, auf sich bezieht, erkannte ich den Vorteil, angelogen zu werden und mittendrin zu sein, um besser zu unterscheiden, wo paranoide Einbildung aufhört und Manipulation beginnt. Meine Forschung ist ein Selbstversuch, Täter ohne Tat sein zu können und in heimlicher Hetze isoliert. Ich bekomme nicht etwa Drohmails, von mir fühlen sich andere bedroht? Diese könnten nichts anbringen, wie ich Rufmord nicht belegen kann. Das ist ein Patt. Wir sind gegenseitig gefangen in finsterer Erwartung, pflegen das jeweilige Hirngespinst. Immer wieder wenden sich Menschen ab, warum bleibt offen. Das tut weh, aber irgendwann wird klar, dass die anderen es sind mit dem Problem. Daraus kann man Geschichten malen. Eine schöne Sache und mein Beitrag für eine gesündere Welt. Die authentischen, fröhlichen Gestalten um mich herum werden allmählich mehr! Nun denke ich, dieses Dorf ist auf einem guten Weg und fühle mich mitgenommen.

# Wir könnten es besser machen

Wir sind unterwegs, und nicht immer kommen Menschen heil an. Das Fernsehen zeigt (auch) gern die Aufarbeitung von Flugzeugkatastrophen. Das fällt mir an dieser Stelle ein, denn, wenn so etwas passiert, müssen Ermittler den Grund, warum eine Maschine abstürzte, klar benennen. Weitere Unfälle könnten die Folge sein, falls ein Konstruktionsfehler die Ursache war. Es ist zwingend nötig, so exakt wie möglich darzulegen, warum ein Flugzeug zerschellte. Mehrere Faktoren spielten eine Rolle. Das kommt oft vor und kann als Beispiel genutzt werden, um wissenschaftliche Arbeit besser zu verstehen. Bei Flugunfällen sind zahlreiche Parameter von Bedeutung. Es kommt aber darauf an, in welchem Zusammenhang diese zur Katastrophe werden. Wissen heißt also nicht zu sagen, vieles wäre ausschlaggebend, sondern das Puzzle zusammensetzen können. Eine an sich wenig dramatische Sache steht nicht selten am Anfang. Vielleicht findet man heraus, ein Messfühler für die Außentemperatur ging scheinbar kaputt? Warum das geschieht, wissen die Piloten in diesem Moment nicht. Ein kleines Gerät bricht ab, weil unbemerkt ein Vogel mit der Maschine kollidierte, ein winziges Stück Eis sich irgendwo löste und mit hoher Geschwindigkeit am Rumpf entlang sauste und den Sensor beschädigte, oder ein Wartungsfehler war schuld, das Gerät wurde nicht korrekt befestigt. „Die Anzeige spinnt“, meint der Kopilot. Man fliegt weiter, nimmt das nicht wichtig, wie die Aufzeichnungen der Datenschreiber belegen. Weitere Dinge passieren, und die Crew reagiert darauf. Ich habe einen Film gesehen, dort wurde der Unfall im Simulator nachgestellt. Man fand heraus, die Anzeige der tatsächliche Fluglage war beim Kopilot diametral zu der vom Piloten abgebildet. Die Aufzeichnungen des Stimmenrekorders gaben das Chaos wieder. „Voller Schub links!“ Die Verantwortlichen sind ganz unterschiedlicher Meinung, was zu tun ist: „Wieso links? Nase hoch, nach rechts!“ „Runter, wir müssen das Steigen stoppen!“ Sie widersprechen sich und geraten zunehmend in Panik. Im Dunkel der Nacht begreifen die Piloten nicht, ob sie über die linke oder rechte Tragfläche kippen! Schließlich stürzt das Flugzeug ab, und dann sind tatsächlich viele Faktoren ursächlich. Zusammen ergeben sie aber doch den einen Grund für die Katastrophe. Das Verbindende ist die Dynamik, Leben ist nicht statisch. Die Zeit muss als Faktor mit dazu genommen werden, wenn wir verstehen wollen, weil Zeit Bewegung bedeutet, Abnutzung möglicherweise. Am Ende einer Kette von Ereignissen steht das Verhängnis. Nur in ihrer zusammenwirkenden Abfolge kann man verstehen, wo die Möglichkeit bestanden hätte, die Fehler zu stoppen und welche Information nötig gewesen wäre oder welche Fehlinterpretation dazu führte, vorhandenes Wissen zu ignorieren.

Verschiedene Beispiele können das illustrieren. Aus der Erinnerung notiert, ich habe das gesehen und schreibe es aus dem Gedächtnis nur ungefähr hin: Eine große Boeing war abgestürzt. Das FBI musste der Theorie nachgehen, eine Rakete habe das Flugzeug getroffen, eine Bombe wäre an Bord explodiert. Zivile Ermittler waren auch dran am Fall. Diese widerlegten die Anschlagstheorie und haben sich mit ihrer Argumentation durchgesetzt. Eine Klimaanlage hatte lange Zeit auf Hochtouren gelaufen, weil das Flugzeug bei sommerlicher Hitze vollbesetzt auf seinen Start warten musste, belegten die Aufzeichnungen. Die Passagiere saßen bereits an Bord, es dauerte bis zur Startfreigabe. Damit es im Innenraum kühl bleibt, leistet so eine Klimaanlage einiges, und das Gerät wird warm dabei wie jeder Kühlschrank von außen. Die erwähnte Apparatur ist bei diesem Flugzeugtyp in unmittelbarer Nähe zum mittleren Tank für das Kerosin angebracht. Boeing hatte einen Wert errechnet, den die Klimaanlage an Wärme maximal abgeben würde und einen anderen, den es benötigte, das mitgeführte Flugzeugbenzin zu überhitzen. Diese Zahlen lagen weit auseinander. Normalerweise würde die Klimaanlage bei weitem nicht so heiß, dass der Tank mit dem Kerosin gefährlich aufgeheizt würde, und dazu müsste noch ein Funke kommen, alles zur Explosion zu bringen. Dass es dennoch so gewesen war, wiesen die Ermittler nach. Tatsächlich brach die Maschine in der Luft auseinander und zwar in der Mitte. Versuche zeigten klar, dass die Klimaanlage die angegebenen Temperaturen bei entsprechender Außentemperatur und langer Laufzeit am Boden überschritt, der Tank heißer wurde als vorausberechnet. Man konnte in einer Versuchsanlage einen vergleichbaren Behälter zur Explosion bringen, und als die Absturzdetektive soweit gekommen waren, gingen sie auf die Suche nach dem auslösenden Funken, den es ihrer Meinung nach gegeben haben musste. Sie fanden zwei bemerkenswerte Voraussetzungen für ihre Theorie. Boeing hatte verschiedene Kabel bündelweise zusammen verbaut, die ganz unterschiedlichen Geräten Strom gaben. Die am Unfallort gefundenen waren allesamt abgenutzt. Viele wiesen brüchige Isolation auf. Das Flugzeug war alt gewesen und man hatte nicht für nötig befunden, diese Elektrik zu erneuern wie man von Seiten der Konstruktion nicht bedacht hatte, wesentliche von nebensächlicher Verbindung getrennt zu verlegen. Ein Kurzschluss im System der Innenbeleuchtung mochte einen Funken an einer Stelle auslösen, wo Leitungen lagen, die mit der Steuerung zusammenhingen. Die Ermittler bauten aus sämtlichen gefundenen Trümmern das Flugzeug in einer Halle nahezu vollständig wieder auf. Sie verlegten die Kabel, die sie fanden, so genau wie möglich an die Position, die diese einmal hatten. Sie rekonstruieren flackernde Innenbeleuchtung vor dem Start, hörten einen Brummton im Cockpit heraus, welcher durch den Stimmenrekorder konstant aufgezeichnet war und spontan verstummte. Dann stürzte die Machine ab. Sie belegten einen Kabelschaden, womöglich in der Nähe des Mitteltanks und formulierten schließlich eine Theorie, die alle Faktoren, heiße Klimaanlage, einen demzufolge überhitzten Tank und den ihrer Meinung nach geschehenen Kurzschluss in einen zeitlichen Zusammenhang brachten. Das wurde als wahrscheinlichste Ursache postuliert. Interessanterweise kennt niemand rückblickend die Wahrheit. Eine gute Indizienkette ist aber viel mehr als ein lockerer Spruch „es gäbe immer viele Gründe“ für ein Problem.

Ich glaube, dass wir einiges über Funktionalität herausfinden könnten, wie wir uns motivieren, bewegen, ernähren, atmen, der Lust wie Pflicht folgen und individuell erholen, Befriedigung erlangen oder das nie hinbekommen und experimentell Belege fänden für besseres Verhalten. Dafür bräuchte jemand eine Art Handbuch, eine Theorie, die individuell zu einer Checkliste interpretiert, Besserung im psychosomatischen Umgang mit dem eigenen Apparat brächte. Ich denke, es gibt gar keine psychische Krankheit ohne den dazugehörigen Körper (wie es auch keine Intelligenz ohne Emotionen gibt).

Viele Faktoren, Gründe für ein Problem und unnötiger Ballast abstrakter Umwege unseres Denkens machen die Detektivarbeit jeder Forschung schwer. Kurz abzuschweifen, mag helfen, den Kern der Probleme deutlicher zu machen. Wir sind im Wort gefangen. Begriffe wie emotionale Intelligenz oder psychosomatische Krankheit sind vergleichsweise absurd, wie beispielsweise von „gefühlten Temperaturen“ zu sprechen. Natürlich kann man Belege dafür anbringen, wie mehr kalt sich das anfühlt, wenn Wind und Luftfeuchtigkeit die Leute schlottern lassen. Es ist möglich festzustellen, dass ein Sportler sich den Fuß bricht und manches zerrt, als mechanisches Leiden wie andererseits ein Maurer Rückenschmerzen bekommt, weil er im Job unzufrieden ist, den Chef fürchtet? Da sollten wir vorsichtig sein. Das ist nicht selten intellektuelle Akrobatik. Auch banale Wortschöpfungen à la „spitzenmäßig“, „auseinanderdividieren“ (oder unnötiges Gendern) sind Denkfallen, Geschöpfe einer gelangweilten Zivilisation, die allesamt hervorsprießen einzig aus dem Bedürfnis, sich wichtig zu nehmen.

Albert Einstein konnte mit seiner Relativitätstheorie Voraussagen entwerfen, deren Überprüfung erst heute die Richtigkeit seiner Annahmen belegen. Astrophysiker konzipieren Versuchsanordnungen, die Einstein seinerzeit gar nicht zur Verfügung standen. Das ist Wissenschaft, und Medizin sollte genau so sein. Es gibt bereits zahlreiche Erklärer: Der Pastor darf spinnen, redet vom Glaube und das heißt, nicht zu wissen, wie es tatsächlich ist. Man muss diese Leute nicht ernst nehmen. Jede Religion findet zu eigener Deutung, der Mensch kann selbst herausfinden, wie Gottes Wille sein möge. Der Dalai-Lama meint zur Astrophysik: „Wir fragen nicht, wie das Universum entstanden ist. Wir erklären, was dahinter ist.“ Das kann Erich von Däniken auch. Der Physik gelingt letztlich, ein Flugzeug zu bauen, das fliegt. Glaube kann trösten – dieser versagt aber bei einer handfesten Psychose. Den Pfarrer nimmt niemand in die Pflicht, wenn dessen Gott den Kirchgänger nicht schützte vor der Gefahr, die jener im Wahn für sich selbst und andere gewesen ist. Irgendwann bringt die Polizei Verlorene in entsprechende Einrichtungen. Dort sollte ihnen Hilfe zur Verfügung stehen, die besser ist, als für den (inneren) Frieden mittwochs zu beten. Mit der modernen Medizin möchten wir die Schamanen ins Reich vorzeitlicher Quacksalber zurückweisen. Das heißt Fakten anbringen, die gute Detektivarbeit bedeuten und eine Pharma nutzen, die weniger betäubt, als die körpereigene Systeme unterstützt. Zusammengefasst kann man sagen, dass Religionen erste Versuche waren, unser Menschsein mit einem Rahmen zu versehen und gut getan haben. Das mochte nicht genügen. Philosophie, Soziologie oder Psychiatrie etwa entwickelten sich, und vor allem der moderne Staat mit seinen Gesetzen gibt uns den freiheitlichen Rahmen. Eine nicht eben kleine Masse muss trotzdem von den Leistungsträgern mitgenommen werden. Kinder, Alte, Kranke und Trotzige sperren sich. Wir sollten Menschen Anreize geben durch individuelle Perspektiven, denen Leistung eine Bürde ist.

Gerade ist in Berlin ein riesiges Aquarium geplatzt. Jemand bringt Materialermüdung als Ursache ins Gespräch. Auch in so einem Fall spielt Zeit eine Rolle und darf bei der Suche nach der Ursache nicht ignoriert werden. Jede Art technischer Katastrophe kann illustrieren, wie Systeme funktionieren, weil unsere Bauwerke wie wir selbst eine funktionale Struktur aufweisen. Der Mensch stellt ein System dar und kann so am besten verstanden werden. Eine Firma ist ein System, eine Familie und unser Planet, die Erde; das sind Systeme. Ein kranker Mensch lebt wie jeder Gesunde als ein Wesen in der Zeit und bewegt sich funktionell seinen Absichten entsprechend. Wenn wir als Arzt von vielen Gründen für Probleme reden, müssen wir ehrlicherweise zugeben, den Prozess noch nicht zu verstehen, der aus diesen eine Einheit bildet. Das ist eine Entwicklung, die über eine Zeitspanne hinweg zu der einen Krankheit führt mit ihren vielen Symptomen, deswegen aber trotzdem das eine Problem des Patienten dargestellt und dessen Grund. Das soll kein Haare spalten oder Wortspielerei sein, sondern eine bessere Definition ermöglichen, eine Arbeitsgrundlage für angewandtes Denken. Die Verbindung verschiedener Symptome ist, wenn wir ihr einen Namen geben können wie etwa „Long-Covid“, verbal auf eine Sache heruntergebrochen. Dann müssen wir konsequenterweise auch einen Grund benennen oder haben eben keine Ahnung. So gibt es konsequenterweise keine einzige Krankheit, sondern viele. Wir müssen, wenn wir von einer ganz bestimmten Krankheit reden, erklären können, wie die vielen Faktoren auf individuelle Weise jeweils zusammenwirken, um fachlich qualifizierte Aussagen zu machen. Das ist auch anderswo problematisch. Wir reden vom Krebs, weil alle ähnliche Tumore haben und kennen eine Reihe von Auslösern. Exakt ist die Voraussage, wer diese Krankheit bekommen wird, nicht, nur genauer heute. Es wäre interessant, die Abläufe präzise zu beschreiben, die im Körper schließlich eine Krankheit bedeuten und wir sollten sagen können, was das individuelle Verhalten dabei war, das alles zum Unguten begünstigte. Da bleibt reichlich Forschung für Interessierte, nicht nur bei einer bestimmten Krankheit. Mit der Diagnose und einem Namen für ein Phänomen sind wir schnell bei der Hand. Nicht selten ist das ein reines Erklärungsprinzip und oft nur ein verbaler Platzhalter, von dem wir annehmen und hoffen, dass dieser unsere Unwissenheit verbergen möge.

Die Ermittler beim Absturz eines Flugzeuges gehen vor wie ein Polizist, der dem Staatsanwalt seine Indizienkette präsentiert, womit dieser im Prozess einen unwiderlegbaren Beweis gegen den Angeklagten durchbringen möchte. In den Rekonstruktionen eines Geschehens gibt es immer viele Faktoren. Letztlich braucht es jemanden, der diese zu einem Handlungsstrang verbinden kann, damit entweder keine weiteren Flugzeuge dieses Typs abstürzen oder im Fall der Strafverfolgung ein Täter klar benannt wird und eingesperrt. An dieser Methode muss sich ein Arzt messen, der sagt: „Tja, da gibt es viele Gründe, warum es ihnen schlecht gehen könnte.“ Nehmen wir die erwähnten Desaster, da lässt sich die Geschichte jeweils weiterdenken. Das Flugzeug wäre womöglich nicht abgestürzt, wenn einzelne Faktoren anders aufgetreten wären. An einem Startplatz mit geringerer Außentemperatur könnte alles glimpflich ausgegangen sein. Der entscheidende Funke beim Kurzschluss hätte sich an einer anderen Stelle im Flugzeugrumpf ereignen können. Interessant sind umgekehrt die Aussagen zum kollabierten Aquarium. Wäre das Ganze nur eine Stunde später passiert, hätte es zahlreiche Verletzte und vielleicht Tote gegeben. Es war frühmorgens leer in der Hotellobby, als das Bassin platzte. Menschen sind es gewöhnt, Schuldige zu finden. Wer einen Angehörigen verliert, sucht danach. Da ist es schon drüber nachdenkenswert, so eine Katastrophe zeitlich zu beschreiben, wie auch ein Roman der erzählten Geschichte den Rahmen gibt. Wir schreiben, malen oder entwickeln Theater als logischen Ausschnitt der Welt. Nebensächlichkeiten sind Teil der Story, weil diese nötig sind, das Ganze zu begreifen. Die vielen Gründe für ein finales Szenario machen nur Sinn, wenn man die verbindende Zeitschiene kennt. Der Ablauf von Ereignissen determiniert das Beschriebene. Wie setzen wir diese Klammer? Wir könnten das Fliegen als solches verbieten, das Bauen von großen Aquarien und so weiter, aber so machen wir es ja nicht.

Es wird Zeit für den modernen Menschen einzusehen, dass manches nicht möglich ist und ihm deswegen individueller Spielraum bleibt, wo anderen das Leben scheinbar viel aufzwingt. Immer wieder erfahren wir den plötzlichen, unerwarteten Tod als einen Begleiter unseres Daseins, wie dieser Menschen überraschend von uns nimmt. „Kurz vor dem Interview brach der Prominente zusammen“, das habe ich mal gelesen. Wir können den Verschiedenen ja nicht fragen, aber es wäre möglich, dass dieser Warnsignale nicht bemerkt hat und die Vorsorge verschwitzte? Denkbar ist auch ein Zeitgenosse, der nun ganz bewusst sich drumherum drückt, seinen Beschwerden auf den Grund zu gehen. Das ist ja noch erlaubt. Die kleine Freiheit und ein großes Glück, finde ich. Man könnte Kategorien definieren. Zum einen den bewussten Menschen als Ideal. So einer bemerkt, wenn es sich wo falsch anfühlt und nimmt sich entsprechend Zeit, entspannt oder, wenn das nicht wie gewohnt gelingt, sucht er, bei nicht verschwindenden Symptomen, den Arzt auf. Das Gegenstück wäre ein Mensch, der nichts merkt und psychisch kollabiert wie jener, der physisch zusammenbricht. Letzterer könnte jemand sein, der bewusst nichts merken möchte und in der Notaufnahme zufrieden realisiert, dass er todkrank ist und kein Arzt sein baldiges Sterben verhindern kann. Häufiger sind Menschen anzutreffen, die ihre Gesundheit der Beurteilung durch Ärzte insgesamt anvertrauen. Die lassen sich sonst was wegschneiden, herausoperiern und finden den künstlichen Darmausgang oder die Trachealkanüle ganz in Ordnung. Der Arzt hat es gesagt, das müsste gemacht werden und befindet stolz: „Wir konnten ihr Leben retten!“ Schlussendlich dieser Liste kommen Menschen zusammen mit andauernden Zipperlein, die nie eine lebensbedrohliche Ursache haben aber die Lebensqualität der Armen einschränken, als hätten sie stets den nahen Tod vor Augen. Solche werden alt damit. Es heißt, Long-Covid wird nach einem Jahr bei vielen, die dran leiden, doch besser? Irgendwann macht es keinen Sinn mehr, das weiter auszuleben. Das ist nicht boshaft gemeint. Krankheitsgefühl ist individuell. Es weicht scheinbar wie die gefühlte Temperatur bei ungemütlichem Regenwetter von der am Thermometer ab. Gefühle können krank machen, wenn wir sie nicht verstehen oder verstehen wollen. „Narren fühlen nicht“, wissen die Hebräer. Wer etwas merkt, also wie er sitzt, geht und atmet, wird auch Gefühle wahrnehmen und entscheiden, was zu tun ist. Der Hintern ist hinten, der Kopf oben, selbst, wenn wir im Bett liegen. Manche recken die Nase „nach oben“ in die Luft? Man streckt sich nach der Decke, richtet sich am Raum aus, statt ihn für sich zu nutzen. Fremdbestimmt zu sein, beginnt mit dem Begriff, den wir denken. Oben ist Gott, der Chef, Mutter, was weiß ich? Beziehung darf nicht bedeuten, sich selbst zu vernachlässigen.

# Glücklicher grillen

Hier bietet sich die Gelegenheit, vom Thema noch ein wenig weiter abzuschweifen. Es gefällt mir, das Folgende zu erzählen, schon gerade deswegen, weil ich an individuelle Leben glaube und weniger an eine Norm für alle. Meine Eltern prägten ein Bild von Lebensmittelqualität, das auch zu meinem Verständnis wurde, wie man verkaufen sollte. Mein Vater legte Wert auf beste Ware in seinem Fisch- und Delikatessengeschäft. Wir hatten entsprechend viele Kunden, die das zu schätzen wussten und die nötigen Preise gern akzeptierten. Natürlich gab es auch andere. Mein Vater wurde letztlich krank, weil nicht alle Menschen, denen er je begegnete, ihm voll und ganz Bestätigung entgegen brachten für sämtlich alles, was er behauptete wie’s wär. Die Logik, man müsse teuer einkaufen, damit die Qualität die beste sei und entsprechend gut weiter verkaufen, wie generell ja gute Arbeit entsprechend entlohnt würde, züchtete meinem Vater einen inneren Wurm ins Gehirn? Dieser schien solcher Fairnis (die Erich von der Welt forderte) viel von dieser, ihm eigenen Wahrheit, abzunagen, wenn das (wieder) einmal nicht zu stimmen schien.

Ganz anders scheint der Hähnchenmann hier um’s Eck zu sein. Der wird nicht krank davon, dass die Welt auch mal unfreundlich ist, behaupte ich, allerdings nur dem Augenschein nach, denn ich kenne den Mann nicht näher. Der sieht zufrieden aus! Man muss aber Glück haben, bei ihm gutes Geflügel zu bekommen. Das liegt nicht etwa an den Hähnchen. Ich habe erfahren, dass die Vögel alle gleich eingelegt und gewürzt, vorbereitet auf die Bratstange kommen. Man kann vor Ort gar nichts verkehrt machen? Scheinbar doch, und vor allem als Kunde, wenn man nicht zur richtigen Zeit dort ist. Wenn viel Betrieb herrscht und Nachfrage nach den Broilern, kommen sie frisch vom Grill, sind saftig und die Pommes gefallen. Es ist ratsam, eine Bestellung gleich am Anfang des Brattages etwa um die Mittagszeit aufzugeben. Es darf nicht regnen: Dort müssen immer ein paar Leute Schlange stehen, dann kann man sicher sein, frisch von der Stange ein gutes Halbes zu bekommen.

Heute war es kalt, Regen bei null, und niemand stand an. Wie dumm von mir, hinzugehen. Der Selbstzufriedene am Ofen hat einen schwarzen Pfropf im Ohr und telefoniert immer. Die Hähnchen brät er nebenbei, seine hauptsächliche Beschäftigung ist die am Handy. Er ist selten im Wagen anzutreffen. Wenn nicht gerade zu tun ist, steht er für gewöhnlich daneben auf dem Parkplatz. Auch heute fand ich den Mann nicht wirklich an Bord des Grillfahrzeugs. Das Geflügel musste sich selbst drum kümmern, goldbraun zu werden im Rost. Der Verkäufer stand mit einem Bein zum Inneren und mit dem anderen Fuß draußen. Eine Klappe über der Tür schützte ihn vor dem Wetter. Das schien ihm lieber, als die Hitze drinnen abzubekommen. Meine Hähnchenhälfte wartete offenbar schon länger abgesäbelt auf mich, ihren Kunden, lag so halb herum. Pommes, die vor Öl nur so trieften, kamen dazu. Mehr als dunkelgelb durchgebraten waren diese. Zuhause habe ich ein wenig von allem gegessen. „Selbst schuld“, dachte ich. Das halbe Hähnchen war durch bis schwarz, trocken und sehr salzig. Die Pommes schmeckten zum Abgewöhnen, und es war wirklich besser, nicht noch Mayonnaise draufzuschlagen: Nie wieder! Aber man muss diesem Verkäufer lassen, er scheint immer zufrieden zu sein und widmet sich mit Hingabe seinem Telefon, macht die Kundschaft locker nebenbei, ohne uns groß wahrzunehmen. Sein Blick ist wie nach innen auf einen unsichtbaren Gesprächspartner gerichtet, und der Mann telefoniert oft, ohne das Ding überhaupt in der Hand zu halten, weil er ja dieses Teil im Ohr hat. Er wirkt erkennbar gesund und lebt gut abgegrenzt vom Drumherum. Der Gelassene bedient Grill und Kunden als Einheit wie andere am Fließband Stunden abreißen, ohne links und rechts was zu bemerken.

Mein Vater in seinem Geschäft, der war ganz anders. Er war stolz darauf, hohe Qualität anbieten zu können. Aber er trachtete danach, die Welt zu ändern, dass ihm die Leute freundlich schienen, weil er so fleißig wäre. Das hat nicht wirklich geklappt. Leistung ist eine Sache vom Moment, in dem sie erbracht wird. Man kann noch weiter abschweifen und doch dichter zum Thema kommen an dieser Stelle, denke ich: In Augenblicken, wo Boris Becker einen tollen Aufschlag auf dem Tennisplatz schaffte, haben die Zuschauer gejubelt, und für Boris mag sich alles toll angefühlt haben. Das zu können und dazu die begeisterte Masse, hinterher kann man es noch einmal im Fernsehen anschauen, musste ihm gefallen. Dieses Gefühl lässt sich nicht konservieren. Heute ist der einstige Publikumsliebling tief gefallen. Leistung zu bringen, Angestellter oder Chef zu sein, entscheidet nicht über geistige Gesundheit, kann jedoch ein wesentliches Teil im Puzzle für ein Problem sein. Die Intelligenz von Helfenden wie vom Patienten ist gefragt, das individuell zu begreifen. Das persönliche Unglück von Boris Becker ist untrennbar mit seinem leistungsfähigen Körper verbunden, den er heute so nicht mehr einsetzen kann. Ein gutes Beispiel gegen die Argumentation vom Vorhandensein geistiger Krankheiten, isoliert vom Rest des Menschen und seinem Lebensstil. Was auch immer jemand tut, macht er mit sich und nicht mit dem Kopf allein.

Psychiater könnten sagen, ist doch klar, dass man Mitte des Lebens kein Weltklassetennis spielt, und unsere Patienten sind doch ganz normale Leute. Außerdem sei Becker ja schuldig bestraft und nicht etwa krank, könnte man einwenden. Wir lieben es, zu trennen und Schubladen zu füllen. Schuldige kommen in den Knast, Dumme lässt man sein, nutzt sie aus, und Kranke müssen zum Arzt, sogar in die Klappse. Da behandelt so ein Weißkittel in Gesprächsform, nennt es Therapie, gibt kleine Aufgaben, die das Verhalten schulen mögen und verschreibt eine wohlüberlegte Dosis seiner Medizin. Das Gehirn soll auf eine Weise geschützt werden, dass kein Stress aufkommt. Dabei übersehen Ärzte oft, was Stress bedeutet, mehr als ein Wort jedenfalls. Könnte man das Gehirn eines Patienten effektiv korrigieren, würde weder unnötigerweise Angst, Depression oder suggestive Gewaltfantasie sich dort breitmachen. Aber zum einen bleibt eine Behandlung, wie wir sie kennen, unvollständig und zum anderen verkennt der Spezialist, dass ein Kranker seinen Leib, die Arme und Beine, Hände und Füße und nicht zuletzt die Mimik im Gesicht, also seine funktionale Muskulatur, untrennbar mit sich herumträgt und gegen sich selbst verwendet, Stress in Fleisch und Blut umsetzt. Es fällt auf, das erste Interview mit dem entlassenen Boris fasziniert schon deswegen, weil der einstige Weltklassesportler so erfrischend schlank und ganz wie er selbst aussieht. Das aufgeblähte Ego der letzten Jahre ist optisch weg, und vielleicht bedeutet Gefängnis für Becker einen Chance. So viel Geld ging verloren; das war nicht gesund gelebt. Darüber spotten, sich erheben wollen, ist dümmer, als diese Summe zu verspielen und nichts als Neid. Uli Hoeneß ist gelungen, einen vergleichbaren Tiefschlag zu überstehen, und für mich sind diese Menschen Vorbilder, die aus Strafen den Gewinn ziehen, den das Gefängnis im günstigen Fall bietet. In der Regel geht eine schiefe Bahn weiter abwärts. Das Gerede vom Promibonus ist albern. Vielmehr zeigt sich, dass die Intelligenz, finanziell und existentiell nach oben zu kommen, weiter wirkt.

Stress bleibt oft nur ein Wort und Erklärungsprinzip. Was dabei geschieht, ist ungefähr bekannt, aber individuell ausgeprägt. Jemand sagt von sich, er sei ein „Stressesser“. Das heißt, dieser Freund isst um so mehr, stopft die Nahrung in sich rein, wenn Not am Mann ist in seiner Firma. Oder, eine andere Geschichte fällt mir ein, in einem Zeugnis, das vom Arbeitgeber ausgestellt wurde, findet sich dieser Satz: „Auf erhöhte Anforderungen reagiert sie mit gesteigerter Aktivität.“ So etwas mag der scheidenden Mitarbeiterin noch gefallen, aber man könnte auch fragen, inwieweit diese Aktivitäten zielführend sind. Der neue Chef könnte herauslesen „die Frau wird hektisch“ und überlegen, ob er sie trotzdem einstellt? Wer auf eine psychische Katastrophe zusteuert, mag gar nicht mitbekommen, dass Angst und Stress die Ursache sind. Manche sind so darauf fixiert zu funktionieren, dass sie’s übersehen. Das Beispiel Flugzeug hilft, unser Menschsein zu beschreiben. Die Piloten sind darauf angewiesen, über ihre Instrumente und durch den optischen Eindruck beim Blick durch die Cockpitfenster verwertbare Informationen zu erlangen, um sicher zu fliegen. Wenn wir diese Anordnung parallel interpretieren, könnten wir sagen, unser Gehirn benötigt brauchbare Sinnesreize, um vernünftig zu entscheiden. Wir informieren uns auch über den inneren Zustand, sollten mitbekommen, ob sich alles normal anfühlt und gesund. Ein Flugzeug wird vor dem Start betankt. Auch wenn man wie ich keine Ahnung davon hat, ist anzunehmen, dass Gewichte symmetrisch verteilt werden und Kerosin beiderseitig gleich viel mitgenommen wird in den Tragflächen. Passend dazu könnte die Symmetrie des Menschen uns zum Nachdenken bringen, ob wir diese wie vorgesehen nutzen? Ein Pilot mag vor dem Start prüfen, ob in den äußeren Tanks die erforderliche Menge an Treibstoff ist. Wir könnten uns bei jedem Einatmen fragen, ob wir beide Bronchien gleich voll mit Luft füllen und überprüfen, wie diese vom System genutzt wird, aber wir kümmern uns eher nicht darum. Das Atmen ist ein automatischer Vorgang, den wir nicht für einige Stunden unterbrechen können (für Wartungszwecke um bei der technischen Sprache zu bleiben). Den Atem anhalten kann der Mensch, kurz jedenfalls, und wir können auch darauf achten, wie wir atmen. Das machen wir aber nicht ständig. Wer das übt, nutzt seine Kontrollen, wenn die Zeit dafür ist, bei einer Entspannungsübung oder, wenn man tauchen möchte. Da atmet ein Schwimmer bewusst einige Male, bevor er sich für die benötigte Menge an Luft genau entscheidet und nach dem letzten Einatmen loslegt, um nun zu tauchen. Man hält unter Wasser die Luft an, schwimmt, bis es nicht mehr geht, taucht auf und atmet aus. Im Alltag denken wir eher nicht nach und atmen wie gewohnt.

Beinahe jeden Tag bin ich hier bei uns im Dorf zu Fuß unterwegs. Auf einer Strecke von ungefähr einem Kilometer Länge gehe ich in unser Einkaufszentrum und beschaffe Dinge, die viele gesammelt als Wocheneinkauf mit einer einzigen Autofahrt besorgen würden. Mir ist zu Fuß laufen wichtig. Die Energiebilanz, mein biologischer Fußabdruck ist nicht der Grund, soziale Anerkennung für vorbildliches Verhalten ist mir wurscht. Ich bin Egoist. Mich motiviert eher, dass ich ansonsten keinen Sport mache, und Bewegung gefällt mir. Ich forsche, was es mit mir macht und wie ich eigentlich gehe. Ich habe Zeit dafür, weil mir das wichtig ist. Ich fliege nicht ins Ausland, um dort Urlaub zu machen. Das Ausland ist mir egal. Ich lernte, mich hier wohlzufühlen, obwohl mich viele in der Nachbarschaft nicht leiden können. Ich gehe also zu Fuß und mache meinen Urlaub ums Eck, nicht, weil ich vegan gefallen möchte (oder wie man es gerade modisch nennt). Es kommt oft vor, dass Unbekannte vor mir unterwegs sind im gleichen Tempo auf der geraden Strecke in der alten Landstraße. Da ist auch ein Radstreifen in den Fußweg integriert, und am Kantstein parken Autos. Es bleibt viel Zeit zu schauen, wenn man zu Fuß geht, und ich habe kein Smartphone dabei. Wenn Leute vor mir gehen, achte ich darauf, wie sie das machen. Ich schaue mir auch entgegenkommende Passanten genau an. Viele setzen ihre Füße gewohnheitsmäßig auf eine leicht verschiedene Weise auf und rollen nicht beiderseitig gleich ab, bevor sie den nächsten Schritt machen. Die Menschen gehen alle verschieden. Manche drehen die Füße mehr aus, und einige lassen ihre Fußspitzen sogar nach innen zeigen und spazieren verkrampft, ohne das zu merken, glaube ich. Wir können unser individuelles Gangbild nicht mal so eben ändern, es ist mehr als eine Gewohnheit, fast ein Zwang, dass wir auf eine ganz persönliche Weise laufen. Die Fremden vor mir lassen nicht selten eine Schulter tiefer hängen und sind seitlich ein wenig krumm. Ich achte darauf, weil mich interessiert, wie ich es selbst mache. Da hilft es auch, die anderen zu beobachten.

Ich glaube, dass wir, wenn wir uns seitlich verkrümmen, nicht gleichermaßen tief atmen können in beiden Bronchien. Wir behindern uns auf einer Seite, die Rippen quetschen den verfügbaren Raum, und die Muskulatur zwängt unbewusst eine Seite zusammen. Das hat Auswirkungen darauf, wie unsere Verdauung arbeitet und kann, als einen zusätzlichen Grund, zwanghaftes Essen beinhalten oder eine individuelle Verarbeitung von Angst. Wenn wir nach dem Grund für Skoliose suchen, dürfte es für einen Fremden schwierig werden, diesen treffend beim Patienten zu benennen. Wer sich angewöhnt hat, unter Stress zu viel zu essen, möchte satt und schwer werden, glaube ich. Völle hat nun den Zweck, die Unruhe zu bekämpfen. Man isst nicht zur Nahrungsaufnahme, die existenziell vonnöten wäre, sondern um ein emotionales Problem zu befriedigen und verzerrt das Hungergefühl willentlich. Statt sich zu kratzen wo’s juckt, schaufelt man den Burger rein, so etwa. Das Zusammenkneifen einer Körperseite mag auf die natürliche Hungerspannung eine Wirkung, individuelle Steuerung ausüben und beeinträchtigt die Atmung. Wozu sollte das gut sein? Ist es nicht, aber möglicherweise war das mal doch eine gute Methode, Gefühle buchstäblich abzudrücken, und manche wachsen nie über die alten Muster hinaus. Den Atem leicht anzuhalten oder in seinem freien Fließen zumindest zu behindern, stellt eine primitive Möglichkeit dar, auf unangenehme Emotionen einzuwirken. Das ist genauso blöd wie verständlich und die nach Jahren nicht mehr nachzuvollziehende Lösung eines Problems, welche heute das Problem selbst ist.

Wir kennen viele Krankheiten, es kommt nicht auf die Zahl an, wie viele, aber sagen wir, da sind dreihundert verschiedene, nur um ein Beispiel zu nennen. Demgegenüber stehen reichlich viele Menschen mit entsprechendem Problem, eine davon zu haben. Man geht also zum Arzt, weil irgendetwas nicht stimmt, und das Abenteuer Diagnose beginnt. Bei dieser Art, die Welt zu erklären und den Menschen zu begreifen, ist er eine Struktur, Ordnung, ein System oder Lebewesen, das die Krankheit auf bestimmte Weise erwirbt. Die ist etwas wie ein Ding, wenn man so argumentiert. Viele Menschen haben Krebs. Das klingt, als hielten sie sich einen Hummer im Leib, der in die Eingeweide beißt mit seinen Scheren, bis die Leute merken, da zwickt was. Das scheint unser Modell von Krankheit zu sein, und das Wort „haben“ drückt schon aus, es ist wie mein Auto; ich „habe einen Mercedes“, sagen wir. Um der Ursache auf den Grund zu gehen, sucht man nach Faktoren. Wer viel raucht, hat ein erhöhtes Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken? Dieser Ansatz geht von einer Norm aus, der normale Mensch ist gesund, dann kommen bestimmte Faktoren, die Erblichkeit, das fette Essen, jemand macht keinen Sport oder so. Am Ende steht die Krankheit, und wir konzentrieren uns darauf, die Möglichkeiten der Vermeidung von bekannten Faktoren zu verbreiten. Wir sollten weniger Fleisch essen und nicht rauchen, heißt es. Es gibt noch keine allgemeinen Tipps, was wir tun könnten, um nicht depressiv zu werden, und wie man lebt, damit man nicht schizophren erkrankt?

# Schade!

Man könnte Medizin und den Menschen auch von der anderen Seite her erklären, nicht aus der Sicht der zu habenden Krankheit. Wir haben ja auch Arme und Beine, Hände, Füße, einen Rumpf und den Kopf. Da beginnend ließe sich sagen, diese Teile weniger zu haben, als das alles zu sein. So gesehen haben wir keine Krankheit, denn wir können unser Magengeschwür oder den Lungenkrebs ja nicht weiterreichen wie einen Virus, und selbst ein Schnupfen, den jemand hat, gibt er nicht weiter. Es ist ein Tröpfchen, das hinübergehustet, in den Rachen des anderen gelangt, der dann erkrankt. Meine Krankheit bleibt ein Teil von mir wie die Arme und der Rest. „Ich bin krank“, ist nicht bloß Semantik, und viel weniger „habe ich“ diese Krankheit: Das wäre ein Ansatz. Diese Methode ist elegant, denn nun können wir unsere Bewegung, die Muskulatur und alles, was wir mit dem Körper anstellen, in Relation zum Erlebten, also unserer Weise, wie wir uns reflexiv verhalten, bewusster merken.

Dass die Menschen nicht optimal beweglich sind, können wir einfach sehen und ein Ideal erdenken. Wie groß ist denn der Abstand, könnte man ihn messen, zu einer idealen Bewegung? Da wäre ein alter, dicker Mensch laufend weit weg vom Weltmeister dieser Disziplin. Das schließt aber nicht aus, dass jemand (gegen sich selbst gesehen) besser werden könnte. Viele strengen sich unnötigerweise an. Man sieht es bei den anderen. Nicht ganz so leicht bekommt man übermäßigen Willen, etwa mehr als nötig die Zähne zusammenzubeißen, bei sich selbst mit. Ich glaube, es kommt weniger auf die Krankheit an, die man bekommen könnte, wenn man die Möglichkeit zu nutzen versteht, Dinge einfacher zu gestalten, bei denen sich jeder die eigene Methode angewöhnt hat, etwas zu tun. Einmischung in manche Tätigkeit, den Atem anhalten, wenn es besser wäre, die Luft fließen zu lassen, lernt jeder als schlecht kennen, der sich darauf einlässt, es zu überprüfen. Die Menschen gehen alle verschieden, das wurde bereits gesagt, aber warum ist das so? Es scheint nicht zielführend, wie viele laufen. Da stellt sich die Frage, wie man es selbst macht. Das wäre wichtiger zu lehren, als uns zu ermahnen mit den bekannten Ratschlägen. Wer sich die Bewussteheit des eigenen Tuns auf die Fahne schreibt, lernt sein eigenes System schließlich immer besser kennen, wird feststellen, wie gut es dem Gehirn tut, wenn Arme, Beine und Körper funktionieren, wie es gerade bestenfalls geht. Das bringt uns direkt in den Kontakt mit unserer ureigensten Form, Emotionen zu verarbeiten.

# Was hilft?

„Mehr frische Luft!“ oder „gesunde Ernährung und mache Sport“, sind so Tipps, die ganz unten angesiedelt für alle gleichermaßen gut gemeint sind. Die Qualität der Hilfe von außen könnte auf einer Spur von minimal bis zur höchsten Stufe dargestellt werden? Nehmen wir das tägliche Horoskop, ohne sich darüber lustig zu machen, dann stellt es immerhin einen allgemeinen Sinnspruch da. Dieser muss unspezifisch zum individuellen Alltagsempfinden bleiben. Deswegen ist es gleich, welches Sternzeichen man liest. In jedem steckt zumindest ein Körnchen Wahrheit, bezogen auf die eigene Lage. Nun wird schnell deutlich, dass sich auf das Horoskop zu verlassen wenig echte Hilfe bietet, aber durchaus krank machen kann, zu glauben, was dort speziell für das eigene Sternzeichen steht. Kaum besser ist Bibellesen. Glaube führt nicht wenige in eine psychische Not, weil der Herr nicht eindeutig und wie gewünscht antwortet. Das ist ein lieber Vater möglicherweise im Himmel, aber vielleicht auch gerade anderswo beschäftigt, oft nicht, wo wir den brauchen. Und manchmal sollen wir Gott fürchten, heißt es, aber wann denn? Was ist das für einer, straft aus heiterem Himmel und hilft, wenn wir nicht mit ihm rechnen, mein Gott! Schlimmer sind nur dumme Eltern. Die initiieren gleichermaßen emotionale Wechselbäder. Wenn wir in der Jugend abhängig von unzuverlässigen Erziehern sind, deren Liebe zufällig und inkonsequent gegeben wird, haben solche Kinder es schwer, ein festes Nervenkostüm auszubilden.

Kirche bleibt breit gestreut mit ihrem Angebot und möglicherweise ist die persönliche Seelsorge besser? Dann muss man an das Vorhandensein der Seele glauben und darf weniger (wie ich) annehmen, dass unser Leben untrennbar von uns im Ganzen ist. Jedenfalls, wenn wir die Seele als geistig losgelöst vom Körper betrachten wollen, bin ich nicht so dabei, mir’s vorstellen zu können. Besser strukturiert sind Ratgeber oder eine App im Netz. Das mag schon ganz gut sein, was die Welt so lernte und uns in Form vielfältiger Tipps weitersagt. Diese Unterstützung ist nicht individuell, was deswegen nachteilig ist, wie andererseits den Vorteil der Anonymität bietet und eine Bindung an den Arzt vermeidet. Ein Therapeut kann die Krankheit dadurch verewigen, dass man ein Leben lang zu diesen Leuten hingeht, weil sie zuhören. Hilft es überhaupt, eine Therapie zu machen? Das ist, von unten nach oben, immerhin die Stufe drei, vier oder fünf auf einer offenen Skala, wenn wir ein qualitativ besseres Training wollen. Es hängt sicher davon ab, wie diese Therapie gestaltet ist. Manche Eltern gehen mit ihrem beinahe erwachsenen Kind zum Hausarzt, wenn dieses irgendwie auffällig ist, und einige trauen sich zu, die Verantwortung in einer Sache zu übernehmen, der sie eigentlich nicht gerecht werden können mit ihrem Angebot.

Es gibt viele Krankheiten und schlimm dran ist, wer im Kopf nicht gesund ist. Das Wort Geisteskrankheit ist unpopulär, wir reden von psychischen Krankheiten. Das ändert nichts daran, das die Psyche von der Physis getrennt ein Wortspiel darstellt, eine intellektuelle Einordnung bedeutet. Ohne Grund geschieht das nicht. Jeder weiß, Fisch und Fleisch unterscheiden sich geschmacklich, obwohl man beide so vielfältig vorfindet wie sie zubereitet werden. Ein depressiver Patient kann als solcher beschrieben werden und behandelt. Wer sich den Fuß bricht, schafft damit nicht die Voraussetzung, eine Psychose zu bekommen, und doch ist es angeraten, über den Tellerrand zu schauen. Wer Körper und Geist fein säuberlich getrennt betrachten möchte, mag zu kurz greifen, auf der einen wie anderen Seite Besserung zu schaffen.

Das Aquarium, das platzte, das steht ja nur herum und ist weniger als Beispiel geeignet, aber die abgestürzte Boeing kann ganz gut als Apparat begriffen werden, wie wir selbst einer sind. Ein großes System mit Leitung im Cockpit, welche doch abhängig ist vom Rumpf, den wie Armen ausgestreckten Tragflächen, Energiezufuhr und mit allerlei Motivationen, unterwegs zu sein – das erinnert an einen eiligen Zeitgenossen und modernen Menschen. Das Team in der Spitze ist nach achteraus blind für manches. Kleine Cockpitfenster müssen für die optische Orientierung genügen. Sollte seitwärts ein Triebwerk brennen, sind es die Passagiere oder das Kabinenpersonal, die das beobachten können. Der Flugkapitän ist auf Instrumente angewiesen. Vergleichend dürfte es leicht fallen, eine psychische Erkrankung im Kontext wiederzufinden. Zu schaffen wäre ein begrifflicher Rahmen, welcher körperliche Defizite als auch falsche Anwendung des Systems in zeitlicher Klammer berücksichtigt, um den Schock einer psychischen Erkrankung als Katastrophe einzuordnen, die sie ist. Die Gesellschaft geht aber anders daran. Es kommt auf die Perspektive an.

Dem Erkrankten geschieht eine furchtbare Deformation, aber es ist nicht unbedingt ein Arm gebrochen, das Weltbild gerät aus den Fugen. Man könnte sagen, die Schizophrenie besteht im Paradoxon, dass man gefühlt nicht selbst in der Luft zerbricht wie das Flugzeug in seiner Katastrophe: Der Landeplatz ist kaputt oder nicht mehr dort, wo er zu sein schien. Wer im Glashaus säße, möge nicht mit Steinen werfen, wird geraten. Und wer im Scherbenhaufen sitzt, solle nicht annehmen, dass es noch ein Glashaus ist. So schlimm fühlt sich das an. Ein dickes Fell, das man haben müsse, fordern manche. „Reiß dich zusammen!“ Das nützt wenig. Wie jemand das macht mit dem Zusammenreißen, also ein Haus aus Scherben wieder aufbauen und undurchsichtig zu kitten, dicke Steine drumherum zu mauern, alles zu verputzen und hübsch die Fassade gestalten? Das soll einer mal erklären. Der Arzt hört zu. Ein Patient weiß nicht, wo die Klimaanlage so ungünstig „bei ihm montiert ist, er so lange in der Sonne stand“, weswegen ein Funke ihm die Existenz zerstörte. Das Schlimme ist, ich jedenfalls glaube das, der Arzt weiß es selbst nicht.

Wir leben in einer Situation, die, um im Duktus weiterzumachen, vergleichbar ist mit der Aufklärung einer Absturzkatastrophe durch Menschen, die von Flugzeugen wenig verstehen. Berichte zeigen, wie nicht selten die Piloten nicht begreifen, was gerade mit ihnen und dem Flugapparat geschieht. Auf Basis mangelhafter Anzeigen treffen Unwissende, die ja nicht etwa dumm sind, falsche Entscheidungen bei rasender Geschwindigkeit in dunkler Nacht mit anvertrauten Passagieren an Bord. Niemand käme auf die Idee, den Piloten in einer Notlage Pillen zu geben, die ihnen die Situation in rosiger Weise angenehmer machen oder ein dickes Fell über die Fenster vom Cockpit zu hängen. Man probiert vielmehr, Standards zu entwickeln und beste Informationen zur Verfügung zu stellen. Weil das so ist, können wir sicherer fliegen, als anderswo unterwegs zu sein. Mit guten Trainings und Intelligenz könnten auch psychische Krankheiten effektiv zum Besseren gewandelt werden. Das ist selten der Ansatz und verstört mich täglich weiter.

Abschließend ist es möglich, einen Bogen zu schlagen, eine Kurve in die Kunst zu fliegen, „nach dem Tode berühmt“ und so. Meine Vergangenheit werde ich nicht los wie alle hier. Anerkennung, Existenz durch den Verkauf meiner Bilder kann ich nicht erreichen, schon deswegen, weil ich es nicht mehr möchte. Ein Mangel an Energie ist an die Stelle getreten, wo ich früher, angetrieben von der Suche nach dem Grund meiner Probleme, vorwärts drängte. Hass gegen gesellschaftliche Strukturen hat sich scheinbar dauerhaft eingenistet. Eine Blockade und das Alter mit seinem Frust drohen. Ich muss mich nicht beweisen, habe das Ziel erreicht, psychische Gesundheit ohne Arzt. Wenn ich sparsam lebe, reicht das Geld aus dem Erbe bis zur Rente, zum Ende. Mein Vogel fliegt. Einige Voraussetzungen, welche dazu nötig sind, habe ich begriffen. Die anderen transportieren Fracht und Passagiere in einem komplizierten, fliegerischen wie wirtschaftlichen Netz. Ich werfe mein Leben weg, jeden Tag. Ich weiß zu fliegen und abzustürzen, kann wählen, wovor viele Angst haben, fühle mich frei.

🙂