Mein Frieden ist farbig

„Ich sitze in einer Bar, Nachmittag, daher allein mit dem Barmann, der mir sein Leben erzählt. Warum eigentlich? Er tut’s, und ich höre zu“, schreibt Max Frisch. Das steht so auf den ersten Seiten von „Mein Name sei Gantenbein“. Es ist ein Roman aus dem Jahr, in dem ich selbst geboren bin. Wenige Zeilen weiter heißt es: „Ein Mann hat eine Erfahrung gemacht, jetzt sucht er die Geschichte seiner Erfahrung …“ Das klingt zunächst blödsinnig, führt aber tatsächlich in eine kreative Logik. Ja, man könnte sich doch einfach erinnern und etwa dem besten Freund davon berichten?

„So war das!“

Eine heitere Episode vom Segeln kannst du hinschreiben, aber wie ist es mit tiefgreifenden Erfahrungen? Als ich mein Bild „Gurken und Rosen“ malte, war mir bewusst, an der Grenze zu operieren, die eine wahre Geschichte von Kunst trennt. Es sollte gerade um wirkliche Personen gehen und verletzen, wie ich selbst getroffen gewesen bin vom Erlebten. Ein erster Schritt war, eine surreale Umgebung (ein steinernes Meer) zur Bühne zu machen. Dann gefiel mir, die Bekannten nackt zu malen, bloßzustellen und umgekehrt alles wieder zu verschleiern. Eine Maskierung der Gesichter mit allerlei Gedöns ließ sich erfinden. Ich wollte so genau wie möglich sein, aber nur kleine Fenster meiner Wirklichkeitsfindung durchsichtig malen. Wie beim Öffnen der Türen im Adventskalender, mochten die Betrachter erst nach und nach und allmählich tiefer blicken, meine vergiftete Schokolade genießen, bis ihre Bauchschmerzen deutlich hervortreten dürften und das Ganze ein schwer verdauliches Teil wäre. Das müsste zuckersüß gemalt sein, fand ich, dass ein jeder es haben möchte, aber gleichwohl verstören, was es bedeutete. Würde es gelingen, bis an die Trennlinie der Strafbarkeit vorzustoßen, diese gerade nicht zu überschreiten, war die Challenge. Ich kam drauf, das liegt nicht in meiner Hand. Andere könnten annehmen, es besser zu wissen und probieren, sich leichthin über eine Arbeit zu erheben, die mich viele Monate beschäftigte? Dafür bräuchten diese nur einen kurzen Blick drauf werfen, eine Anzeige auf den Weg bringen. Es ist weder Intelligenz noch Kreativität nötig zu denunzieren. Wo hört Meinungsfreiheit (und die Freiheit der Kunst) auf, werden Rechte lebender Personen verletzt, und wer bestimmt das, eine Kulturstaatsministerin? Wie Dominosteine geben Menschen die eine Position auf, um zur anderen Seite hin umzufallen.

Wo sich kein Kläger fände, müsste niemand darüber richten, auch das überlegte ich. Würde ich überhaupt provozieren? Wie wichtig ist man denn und genauso die Gegenseite, wie weit spielen sich Menschen auf, die doch nackt und blöd abgebildet, einen schweren Stand hätten vor Gericht, nicht selbst in ihrer Klage zum Gespött zu werden (und mit Fragen konfrontiert, warum das Ganze)? Die selbstgestellte Aufgabe war, das zur eigenen Befriedigung hinzubekommen, dass die nächste Frage, wer sich’s überhaupt anschaut, zweitrangig sein konnte. Das Projekt hat mich insofern verändert und dahin gebracht, mich bis heute in zunehmender Weise und generell vom Publikum abzuwenden. Leute sind so doof, befand ich und möchte inzwischen weit weniger unterhalten, Anerkennung einheimsen, als meine Gefühle ausloten und exakt meine Ideen umsetzen. Dieses Bild hat manche Schwierigkeit deutlich gemacht. Nicht wenig ist mir eingefallen, Texte sollten mein Problem herausstellen, und ich schrieb mehrere auf die Leinwand nach dieser Art: „Personen, die meinen, im Bild vorzukommen, sind nicht gemeint.“ So wurde auch dieses große Gemälde zu einer Aufgabe von einem ganzen Jahr und selbst eine Erfahrung. Es hängt im Atelier vor mir, während ich dies schreibe. Manchmal habe ich Besuch, und dann schmunzeln Freunde, Handwerker, der Schornsteinfeger, wenn sie’s sehen.

„Suche Frieden und jage ihm nach!“

Ein guter Rat, und man wird sehen, was aus dem mit allerlei Zweifeln behafteten Kunstwerk wird. Es kommt darauf an zu malen und weniger, das unbedingt zeigen zu müssen. Da besteht die Möglichkeit innezuhalten mit diesem Prozess der Vergangenheitsbewältigung. Reichlich Stoff zum Nachdenken bieten Erlebnisse, die zur Erfahrung werden. Zu ein und derselben kann es verschiedene Geschichten geben. Flexibel sein und weiter zu denken, macht Autoren möglich, immer neue Bilder mit identischer Botschaft hinzuschreiben wie aufzumalen.

Manchmal tut es weh, gegenan zu laufen und muss doch sein. In kleiner Gruppe gegen die Ordnung angehen, macht Sinn in einem lebensfeindlichen Umfeld. Unter vergleichsweise guten Bedingungen anzunehmen, die breite Masse belüge Klügere, die das bemerkten (und dazu gehöre man selbst), ist Unsinn. Diesem Denkfehler erliegen sogenannte Querdenker. Davon sollten aber auch welche lernen, die meinen, gradlinig zu sein. Was kann man sehen, eine gefakte Mondlandung und dergleichen wären längst hinreichend bewiesen bei den vielen Beteiligten. Es ist absurd, an eine weltumspannende Verschwörung zu glauben. Immer werden sich Abweichler formieren und individuelle Interpretationen für sich in Anspruch nehmen. Eine straff geführte Organisation benötigt, je größer sie ist, reichlich Finanzmittel und Kontrolle. Argwohn kommt nicht nur quer von außen auf. Wenn angestrebte Ziele menschenverachtend sind, wird Zersetzung von innen zum Problem. Einzelne zweifeln oder meinen, es besser zu wissen. Wir haben in jeder Verschwörung Aussteiger, auch bei den Sekten. In der staatlichen Ordnung gibt es Abweichler, Polizisten, die selbst richten, sich nicht um Gesetze scheren.

Ein unübersichtliches Terrain wird zum Arbeitsfeld, wo Positivisten glaubten, mit modernen Mitteln präzise Bedingungen schaffen zu können. Das ist auch gut so, und das ist meine Erfahrung, die alle Geschichten einfärbt. Ich kann damit spielen, wie ein Musiker mit seiner Interpretation dem Thema eigene Nuancen gibt oder Theaterstücke in die heutige Zeit übertragen werden, neue Geschichten entstehen. Die Erfahrung ist dieselbe.

Man kann übersehen, dass Netzwerke an Grenzen stoßen, weil die Basis jeder Gruppe keine Fakten im Sinne dinglicher Realität sind, sondern eine Bewertung, was die Dinge meinen. Für einen Fußgänger heißt das rote Männchen, er möge bitte stehenbleiben. Für den Erbauer der Ampelanlage ist es eine Leuchte, deren Funktionalität er sicherzustellen hat. Für ein Kind bedeutet es Sinnesreiz und erlangt erst allmählich eigene Wahrheit, nach der man sich zu richten habe. Für jeden hat die Ampel individuellen Nutzen. So ist es auch mit der Information. Daten können der Polizei, der Verwaltung, dem Arzt helfen und natürlich Kriminellen. Am gefährlichsten wirkt ihre missbräuchliche Verwendung in den Händen von Bürgerwehren, die überzeugt sind, besser arbeiten zu können als unsere engmaschig kontrollierten Ordnungskräfte. In eigener Überhöhung übersehen sie, selbst kriminell zu sein und behaupten sonst was.

🙂